Ifiiidtt!>r Kerliner Uolks Tridune. M 22 Sonnabend, den 31. Mai 1890. IV. Jahrgang Der treue Euro. Märchen von Schtschedrin. (Aus dem Russischen   übersetzt von T. und Z.) (Schluß.) Aber Caros's hervorragendster Charakterzug war ein vollständiger Mangel an höherem Ehrgeiz. Es ist unbekannt geblieben, ob er einen Begriff von Feiertagen und der Sitte hatte, daß die Kauflcute zu ihrem Namenstage ihre treuen Diener beschenken. Sowohl am Tage des heiligen Nikanor(sein" Namenstag), wie am Tage der heiligen Anstffa(ihr" Namenstag) sprang Caro wie an gewöhn- lichen Wochentagen an der Kette hin und her. Schweig, sei doch still, Du Tropf!" pflegte ihn Anfiffa Karpowna anzuschreien:Weißt Du denn nicht, welcher Tag heute ist!" Laß ihn doch bellen", gab Nikanor Lerujonitsch scherzend zur Antwort;Er gratulirt zum Namenstag. Belle, Cäro, belle!" Nu.: einmal in seinem Leben war etwas ähnliches wie Ehrgeiz in Caro's Brust erwacht. Das war, als man der stößigen Kuh der Frau Kriechling auf Ansuchen des Stadthirten eine Glocke um den Hals gehängt hatte. Offen gestanden, hatte sie Caro heftig beneidet, als sie läutend über den Hos schritt. Sieh, sieh, was für ein Glück Dir zu Theil ge- worden! und wofür!" sagte er in bittcrem Tone zu Frau Kriechling.Deine ganze Leistung besteht ja nur darin, daß man täglich einen halben Eimer Milch aus Dir her- ausmelkt, und, um die Wahrheit zu sagen, was ist das für ein Verdienst! Daß du Milch hast, hängt ja nicht von Dir ab! Füttert man Dich gut, so giebst Du viel Milch, füttert man Dich schlecht, so hörst Du auf, Milch zu geben. Du rührst auch nicht einen Finger, um dem Herrn dienstbar zu sein, und dennoch wirst Du so belohnt, während ich mich ganz aus eigenem Antriebe, motu proprio  , Tag und Nacht plage, nicht fertig esse, nicht ausschlafe, mich schier heiser belle; und nicht einmal eine armselige Schelle wird mir verliehen; man sagt nicht: Da, nimm, Caro, und wisse, daß man Derne   Dienste anerkennt."Und die Kette?" erwiderte Frau Kriechling. Da erst ging dem treuen Caro ein Licht über die Bedeutung der Kette auf. Bis dahin hatte er geglaubt, daß die Kette eben eine Kette sei, jetzt erst verstand er, daß dieselbe eine Art Freimaurcrzeichen sei. Indem ihn Worotilow an die Kette gelegt, hatte er ihn also schon im Voraus belohnt, noch ehe er etwas verdient hatte. Jetzt blieb ihm also nur übrig von Einem zu träumen, daß man ihm nämlich die alte verrostete Kette, die er sogar schon einmal zerrissen halle, abnehmen und durch eine neue stärkere ersetzen möchte. Es war, als ob der Kaufmann Worotilow den Herzenswunsch von Caro's be­scheidenem Ehrgeiz errathen hätte, denn als Caro's Namens- tag kam, kaufte er ihm eine funkelnagelneue, prachtvoll geschmiedete Kette und nietete ihm dieselbe als Ueber- raschung an's Halsband.Bell', Caro, belle!" Und Caro brach in jenes gutmüthige, hclltönendc Bellen aus, das Hunde auszustoßen pflegen, die das Wohlsein ihrer eignen Hundeexistenz nicht von der Unan- tastbarkeit des Speichers, an den sie des Herrn Wille stellte, zu trennen vermögen. Im Allgemeinen ging es dem treuen Caro recht gut, obgleich es auch ihm von Zeit zu Zeit nicht an Kummer fehlte. In der Welt der' unde wie in der Welt der Menschen spielen Schmeichelei, Mnke und Neid oft eine Rolle, die sie durchaus nicht spielen sollten. Nicht selten ward Caro von Neid gequält, aber er blieb stark im Bewußtsein der gethanenen Pflicht und fürchtete sonst nichts. Und dieses Gefühl seinerseits hatte durchaus nichts mit Eigendünkel gemein. Umgekchrt, Caro wäre herzlich gern bereit ge- wesen, Amt und Würden dem ersten neuerschienenen Packan abzutreten, der bewiesen hätte, daß er ihm selbst an guten �Eigenschaften überlegen war. Nicht selten grübelte er sogar voller Unruhe darüber nach, wer eigentlich seine Stelle einnehmen sollte, wenn Aller oder Tod seiner unermüdlichen Thätigkeit ein Ende machen würde. Aber ach! Unter der ganzen großen Zahl verkommener und entarteter Hunde der Nachbarschaft konnte er beim besten Willen keinen einzigen entdecken, von dem er mit gutem Gewissen hätte erklären mögen: Das ist mein Nachfolger!" Ja, wenn eine Jntrigue den Zweck verfolgt hatte, Caro um jeden Preis in den Augen des Kaufmanns Worotilow herabzusetzen, so würde sie nur ein durchaus unerwünschtes Resultat gezeitigt haben. Sie hätte nämlich einzig und allein aufgedeckt und bewiesen, wie arm die Hundewelt an echten Hundetalenten geworden. Mehr als einmal schon hatten die neidischen Packan einzeln oder in kleinen Gruppen Worotilow's Hof besucht, sich in geringer Entfernung von Caro niedergesetzt und diesen zu einem Wettkampf herausgefordert. Es erhob sich dann ein furchtbares Hundegekläff, dem die Diener­schaft neugierig zuhorchte, weil jeder verstand, daß die Zeit herannahe, wo Caro einer Stütze benöthigt sei. In dem lobenden Hundcchor ließen sich verschiedene nicht übte Stimmen vernehmen, aber von einem Gebell, daS vor Furcht Leibschmerzen verursachte, konnte keine Rede fem. Mancher Hund legte recht ungewöhnliche Fähigkeiten an den Tag, nur geschah es stets, daß er sich entweder überbellte oder unterbellte. Während dieser Wettkämpfe pflegte Caro anfangs in tiefem Schweigen zu verharren, als ob er sozusagen seinen Gegnern die Möglichkeit geben wollte, ihr Leistungsvermögen zu zeigen. Aber wenn es ihm am Ende zu toll wurde, so fügte er zum allgemeinen Gekläff, dessen einzelne Noten ohne Ausnahme eine müh- sam erzwungene Anstrengung verrierhen, sein ungezwungenes weithin tönendes Bellen hinzu. Vor diesem Gebell mußten sofort alle Zweifel schwinden. Sobald es der Köchin zu Ohren kam, stürzte sie aus der Küche und brühte sämmt- liehe Rädelsführer der Jntrigue mit kochendem Waffer ab, Caro aber bekam Spülicht. Nichtsdestoweniger hatte der Kaufmann Worotilow Recht, wenn er behauptete, daß unter dem Monde nichts ewig währe. Als eines schönen Morgens Worotilow's Kommis an der Hundehütte vorüberging, fand er Caro schlafend vor. Etwas Aehnliches hatte sich noch nie er- eignet. Niemand wußte, ob der Hund jemals schlief oder nicht, denn Niemand hatte ihn je schlafend getroffen. Der Kommis verfehlte nicht zu erzählen, was er gesehen. Worotilow ging in eigener Person zu Caro hinaus, schaute ihn an, und als er konstatirte, daß dieser schuld- bewußt mit dem Schweife wedelte, als wolle er sagen: Ich weiß selbst nicht, wie ich mir so etwas zu Schulden kommen lassen konnte", sagte er theilnchmend:Nun, Alter, willst wohl nach der Küche? Bist Du alt und schwach geworden? Wohlan, Du kannst auch in der Küche nützlich sein." Jedoch beschränkte man sich vor der Hand darauf, Caro eine Stütze zu suchen. Die Aufgabe war durchaus nicht leicht. Nichtsdestoweniger gelang es nach vieler Müh' und Plage, in der Vorstadt einen gewissen Arapka aufzufinden, dessen Reputation schon ziemlich fest be- gründet war. Ich will nicht beschreiben, wie Arapka der Erste war, Caro's Autorität anzuerkennen, wie er sich ihm ohne Widerrede unterordnete, wie sich beide befreundeten, wie Caro mit der Zeit endgültig pensionirt und in die Küche verbannt ward und wie er dessen ungeachtet oft zu Arapka lies, um ihn uneigennützig in allen Kunstkniffen eines echten Kansmannshnndes zu unterrichten. Ich will nur Eins hervorheben: weder die Muße, noch der Ueberfluß an Leckerbissen, noch die Nähe von Minka ließen ihn jene begeistcrungsvollen Minuten vergessen, die er in langen Winternächten, an der Kette liegend, vor Kälte zitternd, verbracht hatte. Indessen die Zeit verfloß, und Caro ward älter und älter. Er bekam einen Kropf, der seinen Kopf zur Erde zog, so daß er sich kaum auf den Füßen halten konnte, die Augen waren fast erblindet, die Ohren hingen mibe- weglich herab, das Fell ward zottig und das Haar fiel büschelweise aus, der Appetit verschwand, und die be­ständig empfundene Kälte zwang den armen Hund, stets neben dem Ofen zu hocken. Wie Sie wolle», Nikanor Semjonitsch; Caro wird räudig", bemerkte eines Tages die Köchin zu Worotilow. Der Kaufmann erwiderte kein Wort darauf. Die Köchin ließ es jedoch mit der ersten Bemerkung nicht gut sein und sagte nach einer Woche abermals: Wenn nur die Kinder nicht angesteckt werden! er ist ganz räudig." Aber auch diesmal blieb Worotilow noch taub. Zwei Tage darauf stürzte die Köchin ganz erbost ins Zimmer und erklärte, sie wolle keine Minute länger im Dienste verbleiben, wenn nicht Caro aus der Küche ge- schafft werde. Und da die Köchin meisterhaft Spannferkel mit Grützbrei zu bereiten verstand, und Worotilow dieses Gericht leidenschaftlich gern, so war Caro's Loos ent­schieden. Ich hätte ihm ein besseres Ende gegönnt," sagte der Kaufmann Worotilow mit Gefühl. Das Sprichwort scheint doch wahr zu sein: Ein Hund soll wie ein Hund sterben. Mag man ihn ersäufen!" Und Caro ward in den Hof geführt. Die ganze Dienerschaft eilte herbei, um dem Todeskampf des treuen Hundes beizuwohnen; auch die Kinder der Herrschaft drückten dip Gesichter gegen die Fensterscheibe». Arapka war gleichfalls zugegen, und als er seinen alten Lehrer erblickte, wedelte er grüßend mit dem Schweife. Caro konnte kaum vor Alter die Füße heben und verstand augenscheinlich nicht, was vorging. Als er sich dem Thore näherte, verließen ihn die Kräfte, und er mußte am Genick fortgeschleift werden. Was sich weiter ereignete, verschweigt die Geschichte, nur steht fest, daß Caro nicht zurückgekehrt ist. Und bald darauf hat Arapka Caro's Bild ganz und gar aus Worotilow's Herzen vertrieben. Gin kapitalistischer Spaziergang. B W. Jüngst es war Mitte Mai machte ich mich auf, um den mir lieb gewordenen sozialistischen  Spaziergang zu thun. Als ich so die Feder als Spazierstock dahinschlenderte und gerade nachzudenken begann es betraf den 1. Mai, denArbeiierfciertag" begegnete mir ein Mann, welcher gleich mir eine Feder in der Hand hielt. Da wir also offenbar Kollegen waren, so begrüßten wir uns. Mein Name ist Wallsee  , Mitarbeiter derHam- burger Nachrichten" stellte sich der Mann vor. Ah!... also ein Kollege vom Erkanzler-Blatt! Nun, wie befinden sich denn Sr. Durchlaucht der Eiserne?" Danke! den Umständen gemäß", meinte der Kollege kühl.- Darf ich fragen, wohin Sie Ihr Weg führt?" wagte ich zu bemerken. Ich... äh.... mache einen kapitalistischen Spaziergang." Einen kapi...? Ei, der Tausend! das ist mir interessant. Da würden Sie mich sehr verbinden, wen» Sie mir gestatten wollten, Sie zu begleiten." Angenehm" erwiderte der Kollege von der andern Richtung höflich, wenn auch nicht herzlich. Und wohin zielt denn Ihr kapitalistischer Spazier- gang?" Es handelt sich darum, dem Proletariat eins aus- zuwischen. Ich möchte zeigen, daß die aus Arbeitsver- kürzung, Lohnerhöhung und Streiken erpichte Arbeiterklasse nichts anderes, als ein faules, rohes, undankbares Gesindel ist. Und ich möchte zeigen, daß unser Bürgerthum, unser braves, besitzendes Bürgcrthum, nicht wie die Sozial­demokraten behaupten die ausbeutende, sondern die ausgebeutete Klasse ist, und daß also die gegenwärtige Regierung geradezu sündhaft handelt, wenn sie dem be- währten schneidigen System Bismarck-Puttkamer den Lauf- paß giebt und mit der Arbeiterbewegung liebäugelt." Das ist ja außerordentlich interessant, versetzte ich; und wie gedenken Sie denn, dieses Beweis-Kunststück fertig zu bringen?!" Habe ich schon fertig gebracht. Soeben habe ich eine Geschichte ersonnen, welche in faßlicher einschmeicheln- der Form jene Gedanken darstellt. Ich befinde mich auf dem Wege zur Redaktion, um daselbst die Geschichte zum Drucke zu fördern. Begierig sprach ich:Dann würden Sie mir keine größere Freude erweisen können, fals die, Ihre Geschichte, die ja reizend sein muß, jetzt unterwegs zu vernehmen. Wie ist denn ihr Titel?" Im Zeichen der Streiks. Ein Zeitbild. Ein Arzt hat von seiner steinreichen Tante ein Hau? geerbt...." Aber bitte, unterbrach ich den kapitalistischen   Dichter, erzählen Sie doch nicht so kurz uud trocken, sondern an- schaulich, gerade so, wie Sk schreiben werden; sonst geht mir ja der Hauptgenuß verloren." Es sei! entgegnete der Dichter des Exkanzler-Blattes, schwieg ein Weilchen, um die Begeisterung so recht über sich kommen zu lassen, und begann dann:Also, wie ge- sagt, der Arzt hatte das Haus geerbt und nun würde ich in dichterischer Form folgendermaßen erzählen:') Das Haus war, von innen und von außen besehen, wenig mehr als ein muffeliger alter Kasten, mit dem einzigen Unterschiede, daß darin statt der Motten die Menschen aus- und einliefen. Nur der große Garten mit seinen dickstämmigen Blutbuchen und den gut gepflegten, sammetwcichen Rasenplätzen, war allzeit gleich schön und anheimelnd. Und so waren es denn vornehmlich dieser Schatten und diese Rasenplätze, die den Arzt bestimmten, seine Wohnung nach dem ererbten Gnindstiicke zu verlegen, denn er ist Vater von drei hübschen kleinen Kindern, und man weiß, kleine Kinder und schattiger Rasen gehören zu einander. Vor der Ucbersiedlung sollte das Haus jedoch durch einen ausgiebigen Umbau so behaglich eingerichtet werden, als es nur iuimer angehen wollte. Ein Bauunternehmer war bald gefunden, die Kostenfrage bald gelöst und die Anfangs- wache des April 1890 als Termin für die Fertigstellung des Neu- baucs kontraktlich vereinbart. Der neue Grundbesitzer interessirte sich aus zwei ganz besonderen Gründen für diesen Termin. Zu-- nächst hatte er seine bisherige Wohnung bereits gekündigt, sodann wollte er als galanter Ehemann den Geburtstag seiner Frau, der in die Anfangswoche des April fiel, schon in dem neuen Hause feiern. Im Februar lud mich der Arzt, mit dem ich befreundet bin, ein, gemeinsam mit ihm die Fortschritte des Umbaues in Augen- schein zu nehmen. Er war förmlich in gehobener Stimmung. Es sei ein merkwürdig Ding um so einen Flecken Erde   als Eigen- thum, sagte er unterwegs mit ganz glückseligem Gesicht. An jeden Regen, der niedergeht, knüpfe sich ein ganz besonderes Empfinden, jeder Sturm, der über die Dächer braust, wecke ein ausgeprägteres Gefühl, jeder Sonnenblick, der das winterliche Grau durchdringt, wecke eine besondere Art Hoffnung bei dem Grundeigenthümer. Wird der Regen die Keime fördern, wird der Sturm dein Dach verschonen, wird die Sonne die Triebkraft deiner Bäume wecken, das fragl sich zwar auch der zur Miethe Lebende, doch auf eine ganz andere Art als der Grundbesitzer, der in einem so ganz be- sonderen Bezüge zu der Natur stehe, zwar erhöhte Lasten auf- geladen habe.... �er arme Kapitalist!" warf ich ein, worauf der Erzähler fortfuhr: Aber auch das Bewußtsein eines erhöhten Empfangene mit sich trage." Das wollte ich meinen!" So sprach er auf mich ein und ich gab ihm recht. Ob er wirklich im Rechte, können wohl nur wieder Grundbesitzer entscheide«, zu denen Schriststeller bekanntlich nicht gehören. Der Wagen hielt. Obwohl der Himmel grau, war es noch leidlich hell, die Straßenlaternen sogar noch nicht einmal ange- brannt. Gleichwohl feierten in und vor dem Hause meines Freundes alle Hände, richtiger gesprochen, mau sah überhaupt keinen Menschen am Bau. ') Der Mann hat Wort gehalten. In denHamb. Nachr.' vom 18. Mai steht die folgende Erzählung Wort für Wort.