Beiblatt zur Berliner Volks- Tribüne.
Nr. 31.
Hört ihr's brausen von den Höhen? Seht ihr's stürzen thalhinab? Spürt ihr frisches Geisteswehen Ob vergangner Zeiten Grab?
Still entsprangen tausend Quellen Nur von wenigen gekannt, Und schon wälzen ihre Wellen Sich im Riesenstrom durchs Land.
Uferhin in langer Kette
Stehen Deich und Damm gethürmt, Daß in dem verengten Bette Murrend fort die Woge stürmt.
Und rings schaffen sie und bauen Noch zu bändigen die Flut, Wagen nicht dem Schuß zu trauen Wider jenes Stromes Wuth.
Und was soll er denn bewahren? Schaut umher! Ein dürftig Feld Von geschäft'ger Menschen Scharen Karg mit targer Frucht bestellt.
Karge Frucht? Und Millionen, Welche Tag und Nacht sich mühn? Sklaven find es, die hier fronen, Und da kann kein Segen blühn. Doch dazwischen Prachtpaläste, Golden prunkend Saal an Saal, Wo beim Feste wen'ge Gäste Schlemmen in dem üpp'gen Mahl.
Bettler drängen an den Thüren, Bleichen Hunger im Gesicht. Doch die Herren dort verlieren Keinen Blick auf ,, das Gezücht".
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Laßt das Volt sich doch geberden, Sie nach Brot und Rechten schrein! Wagt ,, das Pack" zu frech zu werden, Nun sperrt sie ins Zuchthaus ein! Gräßlich Bild! Doch in der Ferne, Schimmert's prangend nicht herauf? Winken dort nicht goldne Sterne Wo verschwimmt des Stromes Lauf?
[ Rachbruck verboten.]
Rückfall
von
( Schluß.)
Sonnabend, den 2. August 1890.
Die internationale Sozialdemokratie.
Erde beut dort ihren Söhnen Schöne Haine, reiche Aun; Bunte Fluren weit sich dehnen, Wie ein Paradies zu schaun!
Führt uns dorthin keine Brücke? Bleiben ewig wir verbannt? Nein, auch ihr habt Theil am Glücke, Folgt dem Strom ins Zukunftsland!
Tretet ein in unsre Reihen, Völker all' vom Erdenrund! Soll das große Werk gedeihen, Fehle teins in unserm Bund.
Fort, was uns bisher geschieden, Völkerhaß und Neid und Krieg! Sei gegrüßt uns, Völkerfrieden, Fei're jezt den schönsten Sieg.
Nieder stürzt die alten Schranken! Gegen uns ist nur ein Feind. Wider ihn kämpft ohne Wanken; Wir vernichten ihn vereint.
Fort mit Deichen, fort mit Dämmen! Schwacher Hände schwaches Werk Kann der Zeiten Strom nicht hemmen, Treibt ihn nie hinauf zum Berg.
Keiner widersteht dem Strome. Wenn ein Weltall vorwärts strebt, Reißt es mit sich die Atome, Mit sich, was am Alten klebt. Mögen sie den Fluthen wehren! Sie verlieren Kraft und Zeit. Was nicht nachfolgt unsern Heeren, Ist dem Untergang geweiht. Strömt zusammen, Millionen, Und zu Kampf und Siege zieht, Die in Nordens Eise wohnen, Die gezeugt der heiße Süd! Brüder in demselben Streite, Brüder in demselben Ziel, Alle Armen sind es heute, Sind es, bis das Heute fiel.
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IV. Jahrgang.
Frei wogt dann der Strom zu Thale . Folgt den Bahnen, die er wies! Schaut, hell dehnt im Morgenstrahle Sich um uns ein Paradies!
Schöne Fluren rings sich zirken, Bieten Schaffens reichsten Zins. Freie Menschen darauf wirken, Freun sich üppigen Gewinns.
Und dazwischen Helle Haine Boller Lust und Seligkeit, Wo in innigem Vereine Man der Schönheit Opfer streut.
Alle Künste reich gedeihen, Alle ihrem Dienst sich weihn. Und die schönste Zierde leihen, Höchsten Adel sie dem Sein,
Seht ihr diese Götterwonne? Sehnt ihr euch nach solchem Glüc? Wohl! so strebt zur neuen Sonne, Laßt die alte Nacht zurück!
Lebt in allen dieser Wille,
O, so ist das Werk nicht schwer! Denn ihr wißt, der Tropfen Fülle Sammelt schwellend sich zum Meer.
Und so ist das Ziel errungen, Wenn die ganzen Scharen nur Aller Völker, aller Zungen Schreiten fort auf unsrer Spur!
Tretet ein in unsre Reihen, Völker all vom Erdenrund! Soll das große Werk gedeihen, Fehle keins in unserm Bund!
Fort, was uns bisher geschieden, Völkerhaß und Neid und Krieg! Sei gegrüßt uns, Völkerfrieden, Fei're fezt den schönsten Sieg! Sind wir eins, fällt leicht die Schanze, Drin der Feind sich feige barg. Strebet all' zum Morgenglanze! Nur die Einigkeit macht stark!
P. M.
dieses Leben, das ihm ohne sie eine Qual schien. Für Auf dem Verdeck des Schiffes setzte er sich nieder die Zukunft hatte er genug gethan, mehr als Andere, Er empfand das Bedürfniß, etwas zu thun und holte und er glaubte erst an ein Resultat nach vielen Ge- sein Notizbuch heran, um zu schreiben. Er schrieb bis schlechtern. Als sich die erste Beklommenheit gelegt hatte, sie nach Evian kamen. In einem anspruchslosen Gast seßte er sich, auf den Balkon. Er glaubte freier zu haus nahm er ein Zimmer, von wo er die Aussicht über athmen. Er brauchte da nicht mehr die ermüdende Auf- den See und den Schweizerstrand hatte. Er las, was merksamkeit auf sich, seine Worte, sein Betragen. In der er soeben geschrieben hatte und wurde fröhlich dabei, Einsamkeit dachte er klarer. Und wie er fühlte, daß seine denn es enthielt eine ganze Menge neuer Gedanken, und Seit jener Unterredung, in welcher Annischka Paul Gedanken ihren Weg frisch vorwärts gingen, ohne anzu- er fühlte, daß sein Kopf frei, ohne störenden Druck gedarum gebeten hatte, in die Taufe des Neugeborenen stoßen, da wuchs sein Muth und seine Hoffnung. Er arbeitet hatte. Sein ganzes Wesen schwoll gleichsam an. einzuwilligen, fühlte sie sich bedrückt. Sie wußte, daß empfand die Möglichkeit, sich aus dem Labyrinth heraus- Er blickte hinaus nach dem jenseitigen Ufer, er sah die er ihretwegen ein schweres Opfer gebracht hatte, daß sie zudenken, in welches die Erziehung ihn eingemauert hatte. Kathedrale in Lausanne und den Thurm in Duchy . Aber von nun an in seiner Schuld stand. Die Zweifel verdunsteten, und er erblickte in den zarten er empfand kein Unbehagen. Das große, blaue Wasser Ihre Seele war unfrei, denn sie hatte sie verpfändet. Banden eben nur die Bande. Dent' an den Tag, an lag zwischen ihm und dem Vergangenen. Er war über Aber sie vermochte von der Taufe des Kindes nicht ab- welchem Anna verlangen würde, die Kinder in die Schule einen Abgrund geschritten, hatte die Brücke abgerissen zustehen, die Skrupel waren zu stark. Paul wiederum zu schicken, in die Schule, wo sie lernen würden, und die Trümmer in die Tiefe geschleudert. Es gab fühlte, daß etwas zwischen sie getreten war, das er nicht ebenso schlecht zu werden, wie er einst war! Daß sie teine Rückkehr. Einen Augenblick erbebte er, aber er entfernen konnte; darüber sprechen war unmöglich. Es dies verlangen würde, hatte er Veranlassung zu befürchten. that sich Gewalt an und ging hinab in den einfachen war ganz einfach geschehen und da stand es. Die Furcht Da mußte er aufs Neue seinem Gewissen oder ihrem Speisesaal. An einem Tische saßen zwei französische zu verlegen, Verdacht zu erregen, schreckte ihn zurück Willen Gewalt anthun. Aber hat eine Mutter nicht das Bürger, die Kaufleute in der Stadt zu sein schienen. und so wurde er verschlossen. Und nun hatte er ja keine Recht, dafür zu arbeiten, was sie als das Wohl ihrer Paul setzte sich und begann eine Unterhaltung mit ihnen. Garantien mehr, daß er nicht einmal auch anderen An- Kinder betrachtete? Jawohl! Also würde er genöthigt Sie sprachen über Handel, Zölle, über Politik, und Paul sichten von älterem Datum begegnen könnte, die plötzlich sein, ihr Gewissen zu vergewaltigen. Das fonnte er nicht. merkte nicht, daß er ganz nach alter Art redete. Er bei Anna hervortraten. Anna fühlte sich noch schuldiger Er, der für Alle die Freiheit des Gewissens erstrebte, fah die Dinge vom alten Gesichtspunkt und widersprach durch Paul's Zartgefühl, und je zartfühlender er war, sollte mit der Vergewaltigung ihrer Gewissensfreiheit den den Männern nicht einen Augenblick. Er empfand ein desto mehr erhöhte sich die Schuld. Täglich, stündlich Anfang machen? Nein! That er es nicht, dann würde gewisses, warmes Wohlbehagen, als er seine Stimme sich seinen Gläubiger sehen und wissen, daß man von seiner ja nimmer das Neue, das kommen soll, beginnen! Und im vertraulichen Gespräch mit andern Stimmen mischen Barmherzigkeit lebte, erweckte in ihr eine Art fühles machte er mit seinen Kindern nicht den Anfang, wer hörte; es war dasselbe warme Gefühl, wie wenn man Gefühl, das sich dem Unwillen gegen Paul näherte. sollte es denn? Er würde weiter arbeiten für die Ver- alte Freunde, die man lange nicht gesehen, wiederfindet. Andererseits schien es Anna, daß sie gleichsam einen Theil änderung der Gesammtheit, für die Veränderung der und der Kopf arbeitete ohne Anstrengung, ohne Bevon sich selbst wiedererhalten hatte durch die Wiederkehr Ansichten, dann würde schon Einer nach dem Andern wachung; die Zunge redete ungebunden, und er fühlte alter Empfindungen und Ansichten. Das Bewußtsein kommen. Und die Hoffnung, den Anfang mit den sich stark zu diesen Menschen hingezogen. Er war gerade gereichte ihr fast zur Freude, einen Gedanken zu besigen, Seinigen zu machen, mußte er im Stiche lassen um der mitten in den Schutzöllen, in denen er eine nüßliche den Paul nicht theilte, denn er war ihr ausschließliches Gesammtheit willen. So würde es werden! Er würde Seite, eine humane Tendenz entdeckt hatte, als die Thür Eigenthum, etwas, was sie nicht von ihm erhalten, denn seinen Weg, seinen einsamen, entseßlichen Weg gehen, geöffnet wurde und ein Knabe eintrat, den ein Priester alle neuen Gedanken hatte sie von ihm. Daß sie die wohin er auch führt. Es gab keinen andern Ausweg. mit unterwürfiger Miene begleitete. Nachdem sie Plaz alten Gedanken von Anderen empfangen hatte, von Eltern So würde er etwas Großes, Nüßliches vollbringen können: genommen hatten begann der Knabe im Bädeker zu lesen, und Lehrern, das bedrückte sie nicht, denn sie kamen nicht Ja, man mußte sich trennen von dieser Frau, dieser während der Priester auf dem Tische vor dem Knaben von ihm, und das schien ihr die Hauptsache. lieben, guten, die aber dem Alten doch noch immer nicht alles in Ordnung stellte und ein Stück Teppich unter
Der Tag, an dem die Taufe stattfinden sollte, war entsagen kann. Es war ein grausames Opfer, eine bittere seine Füße schob. Es lag etwas von weiblicher Zärtlichherangebrochen. Bernhard war Taufzeuge. Der Kleine Enttäuschung; aber das Schicksal ruft! Wenn er jedoch keit in der Art, wie er seine Dienste that, aber der war mit einem schönen Tauffleide gepußt. Paul tam ohne Straft wäre, wenn er stürzte? Dann müßten Andere Bögling nahm diese kleinen Aufmerksamkeiten stolz und aus dem Garten hinauf und half die Mädchen ankleiden. einrücken. Jedenfalls mußte ein Versuch gemacht werden, undankbar entgegen. Endlich holte er den Ueberrock, den Dieser Edelmuth machte auf Anna einen neuen, unbehag er mußte sich prüfen, ob er ohne die Seinen würde leben er mit milder Gewalt um die Schultern seines Schützlichen Eindruck. Sie versuchte darin einen Hohn zu er- fönnen. blicken, vermochte es aber mit dem besten Willen nicht. lings legen wollte. Dieser aber warf den Rock zur Erde. Sie waren fertig. Anna sagte ganz kurz Lebewohl. schrieb auf ein Stück Papier :„ Ich verreise auf einige legte ihn auf einen Stuhl neben den jungen Herrscher. Er ging zum Schreibtisch in Anna's Zimmer und Der Priester hob ihn lächelnd auf, stäubte ihn ab und Paul küßte die Kinder. Er wollte ihnen sagen, nur recht Tage. Bis dahin lebe wohl! Dein Paul." Darauf Paul, der den Pfaffen im Allgemeinen nicht sehr gewogen auf den Kleinen Acht zu geben, änderte aber seinen legte er einige Sachen in einen Koffer und wollte gehen. war, weil sie so viel Böses thun, konnte sich einem GeEntschluß. Das würde Anna trotzdem thun. Und so Aber in der Thüre drehte er sich noch einmal um. Da fühl der Empörung nicht erwehren, als er diese zärtliche stand die leere Wiege, da Vera's Bett, da Sophie's. Fürsorge zurückgestoßen sah. Paul stand ganz auf Seite
fuhren sie.
Paul blieb im Zimmer. Es war Nachmittag. Es Wie eine schwarze Wolfe schimmerte es vor seinen Augen, des Priesters. Als er endlich aufstand, um sich zur wurde ganz ruhig und Paul, der früher nicht allein zu aber er ging hinunter an die Dampferbrücke, um den Ruhe zu begeben, empfand er die größte Sympathie für Hause gewesen war, kam das ganz sonderbar vor. Sie Dampfer zu erwarten, der ihn nach Evian am Savoyer - die Pfaffen, die doch wenigstens auch Gedanken besaßen waren verreist; alle, die ihn an das Leben festhielten, an strand bringen sollte. für etwas Anderes, als irdischen Erwerb. Und er legte