sich nieder, fiel in einen schweren Schlaf und erwachte um 4 Uhr des Morgens. Er sprang aus dem Bette. Was war geschehen? Seine Gedanken vom gestrigen Abend kamen zum Vorschein. Er hatte die Ansichten von Spießbürgern getheilt und mit einem Priester sympathisirt. Wie war dies znge- gangen? Hatte sein Gehirn, das vorher so frei gewesen, den Halt verloren? Vielleicht war eine Schraube los- gegangen? Was war geschehen? Er hatte Frau und Kinder verlassen, weil der Kopf seiner Frau nach körper- licher Erschütterung in das gleiche Abenteuer gerathen war wie der seinige. Ihn fröstelte. Er empfand eine Leere, als wäre er nur eine Schaale ohne Inhalt. Er fühlte sich an einen elastischen Faden gebunden. Gestern hatte sich dieser Faden, soweit es ging, ausgedehnt, aber er fing an, sich zusammenzuziehen. Kann er reißen? Nein, nein! Er war über den See gereist und hatte seinen Verstand, den Kopf mitgenommen, aber das Herz war am jenseitigen Ufer geblieben. Und nun war der Kopf leer, da das Herz ihn nicht mit Blut versah. Er hatte gestern geglaubt, sein Kopf sei frei, aber er war nur leer. Welch thörichte Gedanken hatte er auf eigene Faust ge- dacht! Was hatte er gestern Abend bei den einfältigen Bürgern gesucht? Blut für sein leeres Gehirn. Und er hatte altes, schwarzes, geronnenes, ausgebranntes Blut erhalten.j Er kleidete sich an und ging hinunter an den Strand. An erstorbene Nußbäume festgenagelt standen die Wein- Höfe wie ganze Wälder Golgathas da; und mit diesen tobten Baumstämmen waren die jungen, lebensfrischen Weinranken„vermählt", wie die Römer es nannten. Und in einem Monat werden die schwarzen, unheimlichen Baumleichen sich mit frischem Weinlaub bekleiden. Paul fühlte sich wie ein entwurzelter Baumstamm, der noch nicht gegrünt hatte: er wußte, daß er höchstens von außen das Grüne würde leihen können, denn aus sich selbst konnte er keinen Sproß mehr treiben, da man die Wurzel in seiner Jugend mit Schwefelsäure begossen hatte. Aber er konnte doch auch ein solches zusammen- genageltes Spalier werden, eine Stütze, um die die jungen Ranken sich empor zur Sonne winden können. Nun hatte er, todt wie er war, auf eigene Faust ausgehen und Jungholz spielen wollen, aber dazu taugte er nicht. Aber er war doch nothwendig. Wurde er ge- fällt, so verödete auch der ganze Weinberg und ver- faulte am Boden. Und hielten die schwachen Ranken nicht auch ihn aufrecht? Er empfand es nun, daß er nicht allein stehen konnte, daß er mit ganzer Seele den Seinigen gehörte. Die Wirklichkeit mit allen Einzelheiten drängte auf ihn ein. Der Garten steht ohne Pflege, Unkraut wird emporschießen, die Rosenstämme treiben wilden Sproß, die Bienen schwärmen und fliegen fort! Und dann die Kinder! Wer sollte das Haus leiten, Brot schaffen? Wie thöricht, wie romantisch thöricht war er gestern gewesen! Ganz wie in einem Roman, in dem man einen Koffer nimmt und davon reist. Paul klingelte der Kellnerin und verlangte seine Rechnung. Er wollte seine Romantik nicht weiter aus- dehnen und einen thörichten Brief schreiben. Er wollte nicht noch einen Tag hier sitzen und sich das Leben ver- bittern, während die Seinigen am andern Ufer saßen und sich grämten. Nein, er wollte mit dem ersten Boot zurückfahren, direkt zu Anna gehen und sagen: Ich habe mich dumm betragen!.... Am Nachmittage des folgenden Tages saßen Anna und Paul im Garten und sprachen von der Vergangen- heit. Paul hatte sich ihr so nahe wie möglich gesetzt, als wollte er sich bei ihr verbergen, bei ihr wärmen, und legte seinen Arm in den ihrigen, als sollte sie ihn führen. „Unser schlimmster Feind, Anna," sagte er,„ist unser natürlicher Mensch, der sich mit allen Individuen dergleichen Art verwandt fühlt; er bricht unserm großen, berechtig- ten Hasse die Spitze ab, er verleitet uns zum Mitleid mit unseren Feinden, er macht uns schlaff, wo wir zuhauen sollen, er flößt uns Reue ein, wenn der Schlag schon gefallen, Reue, bedenke doch, über eine schöne Handlung. die uns für Jahrhunderte freimacht. Nichts schmerzt uns mehr als der Verlust der Sympathie von Unseresgleichen. Hast Du es einmal empfunden, wie das Herz erstarrt, wenn Du dem eisigen Blicke eines früheren Freundes begegnest, der Dich nicht mehr kennen will; Du weißt, daß er Unrecht hat und Du Recht, aber in diesem Augen- blicke giebst Du ihm doch Recht und Dir Unrecht. Niemals werde ich die Zeit vergessen, Anna, als ich erst halb erwacht in Moskau schriftstellcrte. Du weißt, wie das einschlug, mein Buch! Niemand vermochte seine Wahr- hastigkcit zn verleugnen, aber Niemand wagte die Sache ernst zu nehmen. Da kam man auf den Gedanken, das Ganze als eine Dichtung aufzunehmen, und nun zwang man sich zu dem Ausweg, das Ganze in einen littcrari- schen Erfolg zu verwandeln. Die Taktik war klug genug. Und man überbot sich im litterarischen Lobe, wie gut die Schilderungen wären u. s. w.— man verwandelte einen gut gezielten Schuß in eine Rakete, die gerade in die Lust geworfen w;ro, um hier in einem schön gefärbten Feuerregen zur Lust des Publikums zu zerplatzen. Man ging noch weiter. Man nahm mich in einen litterarischen Klub auf. Das war das Klügste, was man hätte thun können. Niemals werde ich den Abend ver- gessen. Hier traf ich unsere sämmtlichen Feinde von Angesicht zu Angesicht; alle, die Glück gemacht, die als talentvoll in Wissenschaft und Kunst bekannt waren. Es war hell und warm; die Wände waren mit Bildern
behängt, die Dielen mit reichen Teppichen belegt, die Decken vergoldet, die Tische brachen fast unter der Wucht der Speisen und Getränke. Keine zornigen Blicke; man nickte mir freundlich zu, als wollte man mir sagen: „wir verstehen uns, Du wirst einer der Unsrigen werden, und wir sprechen nicht mehr von der Sache." Ich, der plötzlich aus meiner dunkelen Kammer, aus Entbehrungen und Mißachtung hervorgezogen wurde, ich war einer der Ihrigen geworden. Und nun in der Nähe, wie menschlich, wie klein waren sie. Mein unerfahrener Sinn ward geblendet, und ich fand sofort Sophismen, um jene zu vertheidigen. Sie kommen zusammen, so dachte ich, nicht um einander zu bewundern, sondern um in dem Talent die freigebige Natur zu verehren, denn ich war ja so erzogen, daß ich noch an das Genie glaubte. Hätte ich schärfer hingesehen, so wäre es mir nicht ent- gangen, daß sie alle gleichsam wie genirt umhergingen, als ob sie sich selbst fragten: Was habe ich gethan? Bin ich auch ein Genie? Und Mancher mochte mit Grund fragen: Was thue ich hier? Nach dem Aben�- essen, als wir in intimster Unterhaltung waren— ich sprach gerade mit zweien unserer ärgsten Feinde über die Emanzipation und mußte die humane Art bewundern, mit der jene die Frage behandelten— erhob der Redakteur der Starowna Wolga, unser Erbfeind, wie Du weißt, sein Glas und bat die Anwesenden, mich in ihrer edelen Gesellschaft willkommen zu heißen. Mit Wärme sprach er von meinem Talent— stets vom Talent!— und berührte mein Buch nicht im Geringsten. Man saß wie auf Nadeln, denn man erwartete irgend einen unan- genehmen Ausbruch, eine Enthüllung. Aber nichts davon. Die Worte des Redners wirkten erwärmend auf mich: ich freute mich darüber, von einem Feinde edele, mensch- liehe Gedanken zu hören, ich schämte mich meines unge- rechten Hasses und— bereute meine Schläge. Bereute, � Anna! Als die Rede zu Ende war und alle mir zu- getrunken hatten— Niemand weigerte sich— erhob ich mein Glas mit Rührung, aufrichtig froh über die Güte der Menschen, als ich mitten über dem Tische, in einer Gruppe düsterer Gesichter, zwei brennende Augen auf mich gerichtet sehe! Es war Iwan, der Maler. Er lächelte mitleidig, beleidigend. Ich verlor die Fassung, dankte kurz für den Toast und fühlte mich mißmuthig. Als ich das nächste Mal den Klub besuchte, war ich noch mehr eingenommen als früher. Ich sah, wie die Feinde sich umarmten, wie Redakteure feindlicher Zeit- schriften, die gegen einander schrieben, friedlich bei ein- ander saßen und über brennende Themata sprachen, K!ünstler, die einander auspfeifen ließen, sangen zusammen, tranken zusammen und küßten sich bis tief in die Nacht hinein. Was ist das? Ist das Schwäche des Charakters? Nein, es ist der Naturmensch, der hervorbricht, wenn der Gegenstand und die Ursachen des Streits für ein paar Stunden vergessen sind. Sind sie falsch? Nein, in diesen Stunden sind sie wahr, denn sie glaubten, was sie dachten, sie meinten, was sie sagten. Sie freuten sich wie ich, daß sie für einen Moment Menschen, klein, einfach sein durften, denn hier war kein unwissendes Publikum zu dupiren. Sie lachten wie Auguren über ihre abgelegten Mönchskappen, aber sie lachten gut. Und morgen werden sie wieder Auguren, wilde Thiere sein. Beim Nachspiel hatte ich mein Glas ergriffen, um etwas zu sagen, ich wußte nicht was, denn mein Herz war voll, als eine starke Hand mir das Glas fortnimmt und Jemand mir ins Ohr flüstert:„nimm Dich in Acht, Paul Petrowitsch! Genieße, aber nimm Dich in Acht! Höre, aber sprich nicht! Du bist ein Uebergangsmensch, aber Du sollst den Uebergang machen, keinen Rückgang! Du sollst Dein Herz verhärten, Du sollst in die Ein- samkeit hinausgehen und hassen, � denn wer, wie Du, lieben kann, der kann auch hassen. Es war Iwan, den wir den„Schrecklichen" nannten. „Weshalb soll ich hassen?— fragte ich, noch warm von meinen Gefühlen." „Du sollst die Lüge hassen, damit Du die Wahr- heit lieben kannst! antwortete er." „Sind diese Menschen jetzt Lügner?"— fragte ich." ..Jetzt nicht, Paul, jetzt sind sie wahr, klein, liebens- würdig, aber morgen, wenn Du sie nicht siehst, sind sie Lügner!". „Morgen— dachte ich. Was macht sie denn morgen zu Lügnern, Iwan?" „Die bindenden Fesseln, die wir lösen sollen. Paul! Die Du lösen sollst!" Ich verließ den Klub mit Iwan. Wir wanderten die ganze Nacht umher, später ging ich nie mehr in den Klub, denn ich fühlte meine Schwäche. In diesem Augenblicke klopfte es. Es war der Briefbote, der schweigend einen Brief in Pauls Hände legte und sich dann mit kurzem Gruß entfernte. Sein Gesicht, welches eben noch bei der Erinnerung an seinen alten Moskauer Genossen freudig gestrahlt hatte, wurde ans einmal aschgrau. Er ließ sich kraftlos auf einen Stuhl niederfallen, und schob den Brief mit einer matten Handbewegung seiner Frau zu:„Da—— lies." Annischka blickte hinein. Wirklich, da stand es schwarz auf weiß: „Lieber Paul! Unser alter Freund Iwan— Du kennst ihn ja auch noch von Moskau her— ist ein Schuft geworden. Wahrscheinlich brachten ihm Geldverlegenheiten dazu. Doch das ist gleichgültig. Kurz, hier in Zürich wurde er soeben entlarvt. Wir suchten bei ihm nach und fanden Instruktionen der russischen Polizei in seinem
Zimmer. Er hat sich bereits aus dem Staube ge- macht. Sehr möglich, daß er Dich nun aufsucht und Parteigeheimniffe aus Dir herauszuziehen sucht. Nimm Dich in Acht. Dein Alexandrowitsch. „Mein armer, lieber Paul!" flüsterte Annischka zu ihrem Manne und umschlang ihn. Er drückte einen langen Kuß auf ihre Lippen, dann seufzte er noch einmal auf:„Ja, das ist schwer. Annischka. Iwan, den ich so hoch--- den ich so verehrte. Auch er kein neuer Mensch-- ein Schurke—— ein--- komm', laß uns in den Garten gehen. Die Lust ist hier so schwül. Daß uns das Alte so von allen Seiten einengt!" Lange gingen sie so auf und ab. Endlich blieb Annischka stehen;„hoffst Du denn überhaupt noch?" flüsterte sie. Paul schwieg einen Augenblick.„Ich muß es", sagte er dann mit fester Stimme. Und wieder wandelten sie auf und nieder, Arm in Arm. Dunkelheit brach ein. Die Savoyer-Alpen standen da wie eine schwarze Wand, wie ein Haus von vielen hundert Wohnungen. Da wurde ungefähr sechshundert Treppen hoch ein Licht in dem Riesenhause angezündet, das durch die Finsterniß blinkte. „Siehst Du das Licht", sprach Paul,„dort oben in den Alpen : je dichter das Dunkel niederfällt, desto klarer leuchtet es; wie schön!" „Es sind die Bergwanderer, die den Morgen ab- warten, um den Sonnenaufgang zu begrüßen", sagte Anna. „Wenn die Lawine sie nicht verschütten wird." „Aber laß sie stürzen, laß sie die ersten muthigsten Wanderer in ihre eisige Umarmung begraben! Dann ist der Weg den andern frei und gefahrlos. Der Weg hinauf ins Licht." Die beiden Gatten umarmten sich.
Die Sachsengimgrrei. n. Das Anwerbesystem durch die Agenten-Aufseher hat eine ganz Reihe von Mißbräuchen erzeugt. Der Agent erhält für jeden angeworbenen Wander- arbeiter gewöhnlich 3 Mark, jedoch erst am Ende der Kampagne zahlbar, wenn der Arbeiter bis dahin beim Auftraggeber ausgehalten hat; hin und wieder wird die Hälfte schon beim Antritt des Dienstes ausgezahlt. Außer diesem Werbegeld vom Arbeitgeber erhält der Agent ge- wohnlich noch ein solches von den angeworbenen Leuten selbst im Betrage von 50 Pfg. bis ebenfalls 3 Mark. Der Agent mache sich kein Gewissen daraus, Leute, die sich kontraktlich bereits anderweitig verpflichtet haben und. von denen ihm dies bekannt ist, seinerseits anzuwerben. Der Kontraktbruch ist in dem Grade zu einer gewöhn- lichen Erscheinung geworden und wird von den Leuten selbst so wenig als rechtswidrige Handlung angesehen, daß jeder Agent von vorneherein etwa 20— 30 pCt. mehr Leute anwirbt, als er beauftragt ist; und selbst dann hat er oft noch Mühe, zur Fühjahrszeit die ver- langte Anzahl zusammen zu bringen. Im Frühling müssen sie sich dann beeilen, daß die Leute an Ort unv Stelle kommen, aus Furcht, sie könnten ihnen von andern Agenten weggekappert werden. Darum wird an den Auftraggeber mit eindringlichen Worten geschrieben, sie möchten doch um Gottes Willen die Leute, wenn möglich durch telegraphische Ordre einberufen, man sei nicht mehr im Stande, sie zu halten, ein Trupp nach dem anderen ziehe bereits fort und bei jedem neuen Wegzuge werde den Zurückbleibenden das Herz schwer. Man beruft sie also früher ein und beschäftigt sie alsdann zunächst mit andern Arbeiten. Die fortdauernde Ausdehnung der Rübenkultur be- wirkt in jedem Jahr eine sich vermehrende Nachfrage nach Aufsehern. Aeltere, in diesem Geschäft schon erfahrene Leute machen sich diesen Umstand zu Nutzen, indem sie theils durch Annonzirung in Zeitungen, theils durch persönliche Erkungigungen sich eine Mehrzahl von Aus« trägen zur Beschaffung von Arbeitern und von Arbeits- kontrakten zu verschaffen wissen und diese nun an jüngere Aufseher oder an ältere schon häufiger in die Rüben gegangene Arbeiter verkaufen. Der Kaufpreis eines solchen Kontraktes kann sich bis aus einige Hundert Mark belaufen, da der gewöhnliche Satz 5 Mk. pro Kopf der anzuwerbenden Arbeiter beträgt. Alsdann schreibt der Agent im Frühling seinem Auftraggeber, der vorausgesetzt hat, dieser würde die Aufficht selbst übernehmen, es thäte ihm sehr leid, aber es sei ihm unmöglich, seinen Verpflichtungen nachzukommen- Er erlaube sich daher, ihm dafür einen höchst zuverlässigen Menschen zur Vertretung zu empfehlen, von dem er über- zeugt sein könne, daß er seinen Pflichten als Aufseher ebenso gut und vielleicht noch besser wie er selbst nach' kommen könne zc. In den meisten Fällen und namentlich, wenn der Beginn der Rübenarbeiten direkt vor der Thfl� steht, bleibt dem Gutsherrn nichts anderes zu thun,# i sich zu fügen.] Das Agentenwesen hat aber noch viel größere Miß' bräuche entwickelt. In den polnisch sprechenden Gebieten Oberschlesiens tc. kommt es bisweilen vor. daß die Agenten die Leute über den Inhalt des Arbeitskontraktes täusche" und bessere Bedingungen angeben, als er enthält. Groß« Agenten und Wiederverkäufer von Aufträgen schämen si� nicht, ihren Kontraktabkäufern falsche Abschriften Z" verkaufen, die ebenfalls günstigere Bedingungen enthalten,
Ver abe> bun ergi Näh Aue nich sow toff schl. an UNt! Arb der Per Hee