solch' einem Neste nichts zu bewachen und nichts zu regieren und befehlen giebt. Der Lehrer spielt Komödie, denn er weiß sehr wohl, daß er nicht viel lehren kann und sein Lehren keinen Nutzen bringt und so alle anderen der Reihe nach. Und alle diese Schmarotzer, welche sich sagen müssen, daß der ganze Tag nur eine Lüge war. daß ihre ganze Thätigkeit nur darin bestand, auszusinnen, wie man den Tag am besten totschlagen könnte, fühlen am Abend, wenn eiu Tag wieder glücklich totgeschlagen ist, das Bedürfniß, ihre Seele zu erleichtern, die Maske der lügenhaften Thätigkeit, des lügenhaften Lebens hinweg zu Wersen... Aeußerlich herrscht überall Ruhe: überall sind die Thore geschlossen, überall die Lichter ausgelöscht, man könnte glauben, das Städtchen ruhe in tiefem Schlaf. Doch nein, im Gegentheil! Ueberall auf den Plätzen vor den Häusern, wohin die ehrbaren Bürger sich nach dem Abendbrot flüchten, beginnt die emsigste Arbeit, welche, als leises Flüstern sich äußernd, unternommen wird im Namen des Bedürfnisses, die Seele zu erleichtern, und in dem Hervorkehren all' des geistigen Schmutzes und in dem gegenseitigen Bewerfen mit Koth besteht.Der hat mich schön betrogen!" flüstert eine junge Frau. Was er sich nur denkt? Als ob ich als Braut nicht Freier genug gehabt hätte! Da wär's doch wahrhaftig besser gewesen, sich gleich in's Kloster einsperren zu lassen!"Und um wessen willen quäle ich mich so ab? Doch nur um euretwegen, ver- dämmte Rangen! Wäret Ihr nicht, dann brauchte ich hier nicht zu sitzen!" flüstert in einer anderen Ecke ein ärgerlicher Familienvater. Dort in dem einen flüstern Winkel trinkt einer und flucht über sein Loos; dort in dem anderen trinkt ein zweiter und schweigt... Ueberall hinter den geschlossenen Thoren, auf den Ruheplätzen, unterm freien Himmel wird das Handwerk des Klatschens, des Ehrabschneidens eifrig betrieben. Da bearbeitet einer den andern in leisem, kaum hörbarem Geflüster, leise wie das Klingen der Säge, mit welcher der Arzt einem Kranken die Rippe aussägt. Ein ähnlicher Feierabend wurde heute auch in unserm Hofe gefeiert. In der beschriebenen Weiseruhte" nach den Mühen des Tages die ganze Familie Antonow aus. Unter dem allgemeinen, gegenseitigen Schelten dieser Thiere war die Stimme des Diakons lauter als alle anderen. In ihr war keine Spur der früheren Schüchtern- heit. Im Gegentheil tönte sie in allerlei groben Schimpf- Worten. Der Diakon mußte in hohem Grade berauscht sein. Was ist das?" fragte Iwan Jwanitsch, da er bie bekannte Stimme vernahm.Ist er etwa wieder einmal betrunken?" Er begann auftnerksam zuzuhören. Der Diakon schimpfte über die Frau Antonow Und ihre Schwieger- söhne, seine Frau, die Bücher, Zeitungen, mit einem Worte über alle und alles in der gröbsten, unfläthigsten Weise und in der verworrenen Unordnung, in welcher die Gedanken ihm in den Kopf kamen. Hebamme will sie werden!" schrie er.Hebamme! Hat sich was schönes herausgesucht! Einen tüchtigen Stock sollte man nehmen und sie durchprügeln! Ach diese verdammten Hebammen!" Um Gotteswillen, Vater Diakon, was ist das? Habt Ihr Euch wieder betrunken?" unterbrach ihn Iwan Jwanitsch. Jawohl!" sagte trotzig der Diakon. Das ist wieder einmal schön von Ihnen!" Sehr schön! Gewiß! Sie dachten wohl, Sie haben einen Esel vor sich, der alles mit sich machen läßt! Zwei Pulver eins vor dem Mittagessen das zweite Abends. Da haben Sie sich gründlich geirrt." Er machte eine Grimasse und zeigte Iwan Jwanitsch die Zunge. Iwan Jwanitsch wußte nicht, was er machen sollte. Er antwortete ihm kein Wort, stand noch eine Weile am Fenster und schwieg. Ach, ihr Gelehrten alle! Der Teufel hole euch! So lange man von euch nichts haben will, seid ihr alle klug, fragt man aber etwas, dann wißt ihr alle zusammen nichts. Was wißt ihr? Pulver, Pillen... Dumm seid ihr, dumm, wie die Ochsen! Die Seele thut einem weh und sie, die Esel, rathen, man soll..." Machen wir das Fenster zu!" sagte Iwan Jwa- nitsch und war offenbar sehr böse geworden.So geht's halt immer! Und morgen kommt er wieder!" Lange noch hörten wir, wie im Hofe der betrunkene Diakon schrie:...Ach, die verdammten Hebammen!" ...Eisenpillen sollte man euch geben, ihr Spitz- buben, vielleicht würdet ihr dann aufhören zu stehlen!" Verfluchte Heliasten!"...Lies einmal im Buckle nach, was der darüber sagt, du Schwein!"... Bismarck sollte kommen und euch Raison bei­bringen!"... «Jetzt rede ich aber nicht mehr mit ihm. Er soll mir ein für alle Mal vom Halse bleiben!" sagte Iwan Jwanitsch entschieden.Nun ist meine Geduld erschöpft." Am nächsten Tage erwartete Iwan Jwanitsch den Diakon und bereitete sich vor. ihm wegen seines gestrigen Betragens ordentlich die Leviten zu lesen. Aber dieser zeigte sich nicht. Auch am Abend hörte ich ihn nicht. Die Familie Antonow fand für ihre Zanksucht kein Opfer und zankte nur untereinander. Erst am dritten Abend sah ich ihn wieder. Er war noch mehr abgemagert, konnte sich kaum noch auf den Beinen halten, traurig und krank. Lange saß er schweigend auf der Schwelle seiner Wohnung, ohne auch nur mit einem Worte auf die boshaften Witze zu antworten, mit denen ihn die Familie Antonow über- schüttete. Die letztere sah, daß der Diakon heute noch ohnmächtiger war, als sonst und dieser Umstand spornte sie nur noch mehr an. Der ganze Haß. den die Mit- glieder der Familie gegen einander empfanden, machte sich Luft in den bösen Späßen über den Unglücklichen. Was meinst Du dazu, wenn ich eine Pille ein- nähme, vielleicht würde ich vom Gericht freigesprochen!" meinte einer von denAusruhenden". Weiß ich? Aber versuch's doch! Sieh' mal, der Vater Diakon nimmt auch Pillen ein und es geht ihm immer besser!" Ja, ja! Besonders vor drei Tagen, da ist es ihm brillant gegangen!" Er hat nicht die richtige Proportion genommen! Er sollte immer einen Schnaps trinken und dann gleich ein Pulver einnehmen, einen Schnaps... ein Pulver... Nun hat er sich aber geirrt und immer nur auf sechs Schnäpse ein Pulver genommen... Davon ist die Geschichte gekommen..." Sonst wär's aber gut gegangen? meinst Du." Und wie! Sogar die Frau will wieder zu ihm kommen." Ach! das ist ja eine Wunderkur!" Glaubst Du es etwa nicht? Bei Gott, ich lüge nicht!... Väterchen Diakon habt die Güte, erzählt es selber!... Nicht wahr, es geht ausgezeichnet, wenn man sich mit Lektüre befaßt und nur vier Schnäpse trinkt?" Vor Lachen kann er nicht zu Ende sprechen. Sie kichern noch lange. Der Diakon schweigt und reibt sich die Stirne. Wie steht's mit Ihrer Frau? Kommt sie recht bald wieder?' Was?" fragt der Diakon. Ich frage, ob Ihre Frau Gemahlin nicht bald wiederkommt." Wozu sollte sie, meinen Sie. in diesen Schweine- stall wiederkommen?" Aha! Sie haben also die Frau hinausgejagt, damit sie nicht in solch' einem Schweinestall zu wohnen brauche..." Nur deshalb haben Sie sie geprügelt, damit sie fortginge?" Wollt ihr nicht bald aushören, ihr Schurken!" schrie plötzlich der Diakon, außer sich vor Wuth, mit kreischender Stimme und sprang von seinem Platze auf. Was geht das Euch an! Barmherziger Gott, wann be- freist Du mich von diesen Lumpen! Ich habe sie ge- schlagen, ja! ich habe sie geschlagen! Davon bin ich auch so kra ank. Ach dieses Gesindel!" Das Lachen wollte gar nicht aufhören. Das Ge- sindel fühlte sich thatsächlich als Gesindel und übte in seiner Niederträchtigkeit kein Mitleid. Prügelt seine Frau und ist selbst krank! Was mag das nur für eine Krankheit sein?" Barmherziger Gott!" Ha-Ha-Ha!" GeWerkschafte» und Sozialismus in England. Eine amerikanische Arbeiterzeitung(das St. Louis Tageblatt) brachte neuerdings zwei eingehende Artikel über die Entwickelung des Sozialismus in England. Besonderes Interesse hat, was der Verfasser über den un- sozialistischen Charakter der englischen Gewerkschafts- bewegung und über ihren Gegensatz zur deutschen Fach- Vereinsbewegung bemerkt. Er schreibt: Die Kämpfe der englischen Arbeiter in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts waren eine natürliche Reaktion gegen die Einführung der Maschinenarbeit, sie waren sozusagen eine unbewußte Reflexbewegung gegen den Druck des Kapitals. Denn noch waren die Gesetze der kapitalistischen Produktionsweise nicht erkannt, sie wurden als etwas unabänderlich Gegebenes hingenommen. Und so beschränkte sich der ganze Kampf auf die Erzielung besserer Löhne, die nur durch festen Zusammenschluß in Fachorganisationen erreicht und festgehalten wurden, und um deren Anerkennung sich schließlich alles drehte. Die Einführung der Maschine hatte aber noch eine andere Folge. Sie verschürfte nicht nur den Klassenunterschied überhaupt, sie theilte auch die Arbeiterklasse in sogenannte qualisizirte und unqualifizirte, in gelernte und ungelernte Arbeiter mit der steten Tendenz, die letzteren durch Ein- reihung von Frauen und Kindern zu vermehren. Wie immer die Führung im Kampf dem Stärkeren zufällt, so auch hier. Die qualifizirten Arbeiter wurden die Träger desselben. Sie waren es, die die ersten und stärksten Organisationen schufen und sie waren es auch naturgemäß, die die ersten und besten Früchte des endlich errungenen Sieges einheimsten. Und damit erwachte ihr Egoismus. Sie sahen und merkten bald, daß sie eine bevorzugte Stellung sich errungen und daß sie diese bevorzugte Stellung nur durch Niederhaltung ihrer minder glücklichen Arbeitsgenossen bewahren konnten. Diese Be- strebungen, erst unklar und versteckt, treten immer be- stimmter hervor, bis sie in letzter Zeit zur offenen Feind- schaft gegen die Organisationsversuche der ungelernten Arbeiter sich steigern. Am deutlichsten trat diese Feindschaft bei dem vor- jährigen Streik in der Gummi Elasticum und Gutta- Percha-Fabrik in Silvertown zu Tage. Der Streik war gewonnen, sobald die große Union der vereinigten Maschinenbauer zugab, daß die in den obigen Werken beschäftigten Maschinisten daran theilnahmen. Trotz aller Bitten und Vorstellungen versagte der Vorstand seine Einwilligung und die Folge war, daß nach dreimonat- liehen, unglaublichen Entbehrungen die streikenden Männer und Frauen zu Kreuze kriechen mußten. Eine solche, vom Arbeiterstandpunkte aus völlig unbegreifliche Hand- lungsweise ist nur erklärlich durch einen vielleicht nicht einmal klar bewußten Gedankengang, der auch den Schlüssel giebt zu dem ganzen Verhalten der Trades Unions in letzter Zeit. Die Engineers sagten sich: Wir haben, wie über- Haupt, so auch in Silvertown, gute Löhne. Das ist aber nur möglich so lange, als die anderen, die unge- lernten Arbeiter, schlechtere Löhne beziehen. Es ist also gegen unser Interesse, dem Strike beizutreten, wie es überhaupt gegen unser Interesse ist, den Organisations- bestrebungen der unter uns stehenden Arbeiterschichten beizustehen. Ohne Zweifel ist das eine selbstsüchtige, ja brutale Folgerung, aber jedenfalls folgerichtig bei Leuten, die auf dem Boden der heutigen Gesellschaft stehen und und diese Gesellschaftsform für unabänderlich halten. Sie ziehen nur die Konsequenzen aus dem unerbittlichen Vernichtungskrieg Aller gegen Alle. Der rasche Er- folg der Sozialdemokraten in Deutschland ist vielfach dem Umstände zuzuschreiben, daß die sogenannten qualisizirten Arbeiter sich noch keiner exceptionellen Stellung zu erfreuen und folglich auch noch keine zu vertheidigen hatten. Vor dem Rückfall in die engherzige Anschauungsweise ihrer englischen Kollegen aber bewahrt sie die richtige Benrtheilung der bestehenden Gesellschaft, und die gleiche Erkenntniß wird sie auch vor allen uto- Pistischen Lockungen bewahren, kommen dieselben von rechts oder von links, die nach Ablauf des Ausnahme- gesetzes mehr als je zu erwarten sind. Es zeigt sich hier einmal so recht der Werth einer richtigen theorethischen Erkenntniß und wie ober- flächlich die Ansicht ist, daß die sozialdemokratische Ar- beiterpartei Deutschlands auch ohne Karl Marx das geworden wäre, was sie heute ist; eine Ansieht, der man hie und da selbst noch in unseren Reihen begegnet. Ganz einverstanden wenn eben ein Anderer uns die inner- sten Vorgänge der kapitalistische» Produktionsweise auf­gedeckt und klargelegt hätte. Gerade weil dem englischen Arbeiter diese theoretische Erkenntniß bis dato fehlte, gingen seine Forderungen nie über einige Lohnerhöhungen hinaus, fiel es ihm nicht ein. politisch selbständig vorzugehen, sondern begnügte er sich, hinter der liberalen Partei herzutrvtten; wendet er sich endlich in gänzlicher Berkennnng seines Klassen- interesses gegen die unter ihm stehenden Klassengenossen und bildet damit die kräftigste Schutzwehr für den natürlichen Feind seiner Klasse, den Kapitalisten. , Die kluge englische Bourgeosie aber erkannte rasch den ungeheuren Vortheil, den dieser Antagonismus für sie hatte und den sie nach Kräften zu befördern strebt. Was liegt ihr d'.ran, wenir sie einige Hunderttausend Arbeiter besser l.'.ahlen muß und dafür Millionen um so schamloser u..) ungestörter ausbeuten kann. Man liebt es, aus die hohen Löhne in England hinzuweisen. Ja, dieselben sind verhältnißmäßig gut, aber doch nur für den kleinsten Theil der Arbeiter. Was Wunder, wenn die früher so grimmig befehdeten Trades Unions Gnade gefunden, wenn sie als das kleinere Uebel mit in den Kauf genommen und schließlich noch gar als ein Segen für die menschliche Gesellschaft hingestellt werden. Im weiteren Verlauf seiner Ausführungen kommt der Verfasser auf den vorjährigen großartigen Dock- arbeiterstreik zu sprechen, der das Kampfsignal für die ungelernten Arbeiter gab. Wohl Niemand war von dem Ausbruch dieser un- erwarteten Bewegung mehr überrascht, als die alten Gewerkschaften und deren Führer. Gewöhnt, die ungelernten Arbeiter als eine un- gefüge, unkrollirbare und hilflose Masse zu betrachten, lsielten sie jede selbständige Regung derselben für völlig ausgeschlossen. Noch kurz vor Ausbruch des großen Streikes wiesen die Führer der alten Trades-Unions die Aufforderung zurück, die Organisation der Dock- arbeiter und ähnlicher Branchen in die Hand zu nehmen, oder sie doch wenigsteus mit ihren Rathschlägen und Er- fahrungen zu unterstützen. Man wollte nichts von ihnen wissen, und man trieb sie damit nur in die geöffneten Arme der Sozialisten, die sich mit wahrem Feuereifer ihrer Sache annahmen und überall an die Spitze traten. Und so sprang der neue Trades-Unionismus, von dem jetzt in England so vielfach die Rede ist, in's Leben. Neue Trades-Unions in der That! Nicht etwa, weil sie neu gegründet, oder neue bisher indifferente Arbeiterschichten umschließen, sondern weil ein neues Leben in ihnen pulsirt, ein neuer Geist in ihnen herrscht. Sie sind, was die ersten Arbeiter-Verbindungen sein sollten und auch waren, Kampforganisationen, eine Waffe nicht nur zum Schutz gegen die Uebermacht und Uebergriffe des Kapitals, sondern auch zum Angriff bei passender Gelegenheit. Dazu aber gehört Bewegungsfreiheit und dazu war es vor allem nöthig, mit dem System der Kranken- und sonstigen Unterstützungskassen zu brechen, welches die Trades-Unions aus jener Zeit mit hinübergenommen, wo sie als illegal sich unter der Maske von Unter- stützungsvereinen(Friendly Societies) verstecken mußten. Was erst ein Nothbehelf, eine Deckung gegen will- kürliche Unterdrückung sein sollte, war zur Hauptsache geworden. Die Verwaltung und Kontrolirung der ver- schiedenen Kassen absorbirte nicht nur die besten und tüchtigsten Kräfte, der Besitz des Geldes lähmte, schreckte vor jeder Aktion zurück und entfremdete die Trades- Unions immer mehr ihren eigentlichen. Zwecken.