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MolUtM» Mrv-vflchk. Berlin  , 10. Oktober. Die Herabsetznvg des Zinsfußes der preußischen und der Reichsanlerhen wirft ihre Schatten voraus. Nach emem Wolff'schen Telegramm hat der Zeutral-Ausschuß der Reichsbank den Diskontosatz für Wechsel auf 5 pCt. und den Lombardzinsfuß für Darlehen gegen Verpfändung von Effekten und Waaren auf K pCt. erhöht. Der Reichsbank- Präsident soll diese Maßregel mit den großen Ansprüchen der Industrie an die Geldvorräthe der Bank begründet haben Diese von amtlicher und fachmännischer Seite konstatirte Thab fache beweistvon neuem die von uns wiederholt ausgesprochene Ansicht, daß Deutschland   sich in einer Periode wirthschaft- lichen Aufschwungs befindet, die für sich auszunutzen die Arbeiterklasse selbstverständlich alle Veranlassung hat. Den Trusts, Syndikaten, Unternehmerringcn muß die Organi- sation der Arbeiter gegenüber gestellt und die günstige Situation nach Kräften wahrgenommen werden. Daß übrigens derProzentpatriotisnms" der Kapitalisten bei den Ansprüchen an den Baarvorrath der Banü mitspielt, ist für uns nicht zweifelhaft. Gar manchem braven schwarz-weißen und schwarz-weiß rothen Vierprozentigcn wird sich wohl bei der Aussicht auf Herabsetzung seiner Zinsen die Milch der frommen Denkungsart in gährend Drachenblut verwandelt haben. Um den Geldschrankschaden zu repariren, benutzt er seinen Bank- kredit und pumpt das deutsche Reichsgeld am Ende gar den Franzosen und Russen oder unserem Freunde Li-Hung Tshang gegenangemessene* Zinsen. Ter letzte Trinkspruch des Zaren, den wir unter den Depeschen der letzten Nummer unseren Lesern mit- theilten, unterscheidet sich im wesentlichen von den un- politischen, lediglich Höflichkeitsfloskeln enthaltenden Tisch- reden in Wien   und Breslau  . Freilich, die von den französischen   Staatsmännern so sehnsüchtig erwartete Er- wähnung des Wortes Allianz   ist nicht gefallen, aber der Zar hat doch von unwandelbarer Freundschaft ge- sprachen, die Rußland   mit Frankreich   verbindet, und von dem tiefen Gefühl der Waffenbrüderschaft zwischen den Heeren der beiden Staaten. Das sind Worte, die im Ton und Inhalt ganz bedeutend kontrastiren von den Antworten auf die Trinksprüche des deutschen   und österreichischen Kaisers. Mag man das, was der Zar nicht nennt, aber worauf er deutlich hinzielt, ein Bündniß oder eine Militär- konvention nennen, die hochpolitische Thatsache, daß der Zar zum ersten Male die Existenz des Zweibundes an- erkannt hat, ist ein hochpolitisches Ereigniß, ist die Signatur der langen Zarenreise. Daß der stolzeste der Monarchen mit dem spießbürgerlichen Präsidenten der sran- zösischen Republik Freundschaftsküsse austauscht, ist sicherlich auch nicht aus innerlichem Drange, sondern unter dem Zwange der Politik erfolgt. Was bisher geahnt wurde, ist nun bestätigte Thatsache, der Bestand des Zweibundes kann nicht mehr bestritten werden; daß hierber das sich demüthigende Frankreich   der gebende Theil, das anlehen- suchende Rußland der nehmende sein wird, ist jedem nüchternen Beurtheiler der auswärtigen Politik klar. Die Franzosen übertreiben, wie es ihre Art ist, die Bedeutung dieses Ereignisses. Aber die Wichtigkeit desselben rechtfertigt einige Stimmen der Pariser   Blätter zu er- wähnen. DerTei>pz" schreibt: Nachdem die franko-russische Allianz gefeiert worden ist, wird diese feierlichst proklamirt. Das Blatt theilt die sranko-russische Allianz in drei Perioden. Während der ersten wurde dieselbe kurzweg geleugnet; in der zweiren stellte man Frankreich   als ein beklagenswerthes Opfer der russischen Diplo- matie dar; die dritte endlich ist die, daß wir jetzt fröhlich in dem Wasser des Zweibundes segeln, welcher den Frieden ebenso aufrecht erhält, wie der Dreibund. Heute ist dieser Friede aber nicht mehr aufgezwungen, heut ist die Zeit heraugerückl, daß sogar offizielle Dreibundsorgane anerkennen, daß durch den Zweibund der Friede in Zulunst gesichert sei, weil Frankreich  nunmehr gegen alle skrupulösen Unternehmungen gefeil fei. Die Morgenblätter begrüßen einstimmig de» Abschluß des franko« russischen Bündnisses. Die offizielleLiberto" erklärt, daß die Ereignisse in Cbalons der künstigen französischen   Politik einen ganz besonderen Nachdruck verleihen werden. Rappel" sagt, durch den Trinkspruch werde die französisch- russische Allianz ein zweites Mal bestätigt. Jedes der beiden Völler sei jetzt des anderen sicher.Echo de Paris" schreibt, der Besuch des Kaisers von Rußland  , der in den Trinksprüchen von Cherbourg, Paris   und Chalons   seine Ergänzung gesunden habe, sei die absolute Bekräftigung einer neuen europäischen  Lage.Journal" meint, die Allianz habe gestern ihre Weihe in Ausdrücken erhalten, die keine Mißdeutung zuließen. Die sozialdemokratische« Gewerkschaften in Deutschland   seit dem Erlasse des Sozialisten­gesetzes", so betitelt sich ein Werk, dessen erster Theil jetzt im Verlage von Gustav Fischer, Jena  , erschienen ist und dessen Verfasser Dr. phil  . Joses Schmöle, Privatdozent an der Universität in Greifsivald ist. Der Verfasser kündigt in der Einleitung an. daß das Werk in drei Theilen erscheinen wird, von denen der jetzt vorliegende 1b Bogen starke erste Theil sich die Aufgabe stellt,die Entstehung einer umfangreichen gewerkschasilichcn Strömung in Deutschland   unter Kennzeichnung der einzelnen Richtungen und unter Hervorhebung der für die spätere Gestaltung der Be- wegichjj wichtigsten Tendenzen und Vorschläge zu skizzire», ferner die Umstände anschaulich zu machen, ivelche das Wiederaustreten der durch das Sozialistengesetz zunächst unterbundenen Gewerk- schafts-Agitation begünstigt oder ihm hindernd im Wege gestanden haben". Der zweite Theil wird sich mit der Entwickelung der Gewerk fchaften einzelner Berufe befassen, während der dritte Theil der Entstehung und Wirksamkeit derGeneralkommission der Gewerk- fchaften Deutschlands  ", sowie die örtlichenGewerkschaftskartelle" behandeln soll. Wie unsere Leser sehen, hat sich der Herr Ber  - fasser ein sehr umfangreiches Programm gestellt. Was nun den Standpunkt des Herrn Verfassers betrifft, so ist derselbe ein der Gewerkschaftsbewegung freundlicher, welche freundliche Gesinnung freilich in der Hoffnung wurzelt, daß durch die Befassung mit naheliegenden praktischen Interessen die Arbeiterschaft von den Utopien der Sozialdemokratie abgelenkt werde. Vorläufig freilich muß der Herr Verfasser zu feinem Be- dauern gestehen, daß der intelligentere Theil der deutschen   Ar- bciter noch mit Leib und Seele der Sozialdemokratie ergeben ist, und daß»och keine Aussicht vorhanden ist, dies Verhällniß zu ändern. In diesem Hinneigen zur Sozialdemokratie glaubt nun der Herr Verfasser den Grund für die verhältuißmäßig schwache Entwickelung der deutschen   Gewerkschaftsbewegung gefunden zu habe».Die Ausbreitung der Sozialdemokratie stellt die weitaus wichtigsten Ursache dar, weshalb bei uns die gewerkschaftliche Be- wegung selbst in der jüngsten Zeit nur geringen Anklang findet, (Soleil" sagt, der Kaiser von Rußland   habe gestern die unlös bare französisch-russische Allianz proklamirt. und im Falle eines Krieges würden die französischen   und russischen Soldaten Seite ' an Seite käinpsen. DemGaulois" zufolge beabsichtigt der Zar, bei feinem Besuch im nächsten Frühjahr im Schlosse Coinpiege Wohnung zu nehmen. Bemerkenswerth ist, daß fast alle Blätter ihre Friedens liebe betonen. Schischkiu soll zum russischen Minister des Auswärtigen ernannt worden sein. Im Gegensatz zu dem jüngst verstorbenen Fürsten Lobanow gilt er als Befürworter einer aggressiven Politik im Orient.   «» Tentsches Reich. Zur Frage der Konvertirung wird in der Kreuz-Zeitung  " folgendes mitgetheilt: Es soll eine längere Umtauschfrist bewilligt werden, und außerdem wird dem Landtage vorgeschlagen werden, eine Konvertirung der ö>/»prozentigen Anleihen auf eine Reihe von Jahren auszuschließen. Um den W i t t w e n u n d Waisen von Beamten und Offizieren die Verluste, die ihnen eventuell aus dieser Konvertirung nachweislich entstehen, einigermaßen zu ersetzen, soll ein Dispositiv ns- f o» d s geschaffen werden. Zum Arbeitsprogramm des preußischen Landtages schreibe» die hochoffiziösenVerl  . Pol. Nachr.": Die Vorlage wegen der Konvertirung der vierprozenligen Konsols wird dem Landtage gleichzeitig mit dem bezüglichen Vorgehen im Reiche alsbald zugehen. Mit der Konvertirungsvorlage wird dem Landtage der Entwurf eines Finanzgesetzes(Schuldentilgung und Ausgleichsfonds) zugehen; ebenso die Vorlage wegen Ver- staallichung der hessischen Ludwigsbahn. Das Ministerium des Innern wird gleichfalls mit einigen Vorlagen, namentlich der Landgemeinde- und Städte- Ordunng für Hessen-Nassau  , aus dem Plane sein. Ueber das Lehrer- besoldungs- Gesetz sind die Verhandlungen zwischen dem Kultus- und Finanzministerium soweit gediehen, daß auf einen sehr baldigen befriedigenden Abschluß und die demnächstige Vorlage des Entwurfs an das Staatsministerium gerechnet werden darf. Auch diese Vorlage wird daher dem Landtage als' bald unterbreitet werde». Dagegen soll die Vorlage wegen der Erhöhung der Beamienbesoldungen zugleich mit dem Staats- Haushaltsplan eingebracht werden. Damit aber Zeit für die Einverleibung der Gehaltserhöhungen in den Etat bleibt, wird dieser früher als sonst, wenn auch wahrscheinlich erst nach Neujahr, so doch so früh im Januar, wie möglich, vorgelegt werden.-- Die feindlichen Brll der indernational- liberalen Partei scheinen nach dem Parteitage nicht srieb licher gestimmt zu sein. DieNationalliberale Korrespondenz' erklärt, sich mit derNational-Zeitung" nicht weiter beschäftigen zu wollen, was nun nach Verfloß einer Woche auch endlich den Lesern derNational-Zeitung" mitgetheilt wird, und die National-Zeitung" nennt den Parteitag einezufällig zu- fammeugeseyte Versamnilung". Hoffentlich spielen sich die weiteren Erörterungen so ab, daß auch anderen die Freude des Zusehens und ZuHörens nicht abgeschnitten wird. Auch in der Agrarierpartei giebt es feindliche Brüder, die alten Konservativen und die aufstrebenden Bllndler. Sie erörterten unlängst unter Austausch einiger Liebenswürdig- leiten, daß der eine den andern braucht, aber ihn nicht mag. Die Bündler sind böse, daß dieKonservative Korrespondenz" von der temperamentvollen Presse des Bundes der Landwirthe spricht und daß die Konservativen im eintrage Kanitz ein Haar gefunden haben. Der Zwist spielt schon seit langem unter der Decke, stets ist man bemüht gewesen, den Gegnern gegenüber den Streit zu vertuschen, aber bald wird die Zeit kommen, wo das Feuer hell auflodern wird und nicht mehr gelöscht werden kann. Wer da hat, dem wird gegeben, und sollte eS auch denLumpen" genommen werden, die gar nichts haben und die sich,»ach dem Ausspruche des Dichters, begraben lassen könnten. So wird in kapitalistischen Blättern das Loos der kleinen Rentiers beklagt, denen der Zinsertrag geschmälert werde; der kleine Mann, die in dürftigen Verhältnissen lebende Wittwe und Waise muß dazu herhalten, um das eigentliche Motiv, das Mitleid mit dem Profil des großen Kapitalisten zu verdecken. Es geht hier wie bei der Agrarierfrage, wo die Roth derLandwirthschaft" als Deckmantel für dieLiebesgaben" an die Großgrundbesitzer und durch schlechte Wirthschaft und lüderliche Lebensweise herab- gekommener Junker diene» muß. Diesen ist allerdings die Zins- Herabsetzung willkommen, weil das Sinken des Zinsfußes auch seinen Rückschlag auf die Hypotheken und Pfand- briese ausüben wird, und so den verschuldeten Junkern Gelegenheit geboten ist, ihre lüderliche Wirthschaft noch einige Zeit länger fortzuführen. Bei den antisemitischen Blättern, die die Herabsetzung des Zinsfußes beklagen, erscheint diese Haltung als reiner Bauernfang; um sich bei dem kleinen, aber beschränkten Besitzer eines geringen Kapitals einzuschmeicheln, vergessen sie sogar ihren Haß gegen dasjüdische" Kapital, als trotzdem in Deutschland   heute die nämlichen Verhältnisse obwalten, welche in England zur Ausbildung der Gewerkvereine geführt haben, und trotzdem seit langem schon Taktik und Erfolge der Trade-Unions klar vor aller Augen liegen." Herr Schmöle verfolgt also dieselbe Taktik, welche von Kathedersozialisten, Christlichfozialen und allen jenen auch- arbciterfreundlichen Gruppen befolgt wird, welche sich die Ueber- windung resp. Vernichtung der Sozialdemokratie'zur Hauptaufgabe gestellt haben, er denunzirt den Arbeitern die Sozial- demokratie als das eigentliche Hinderniß dafür, daß es ihnen nicht bereits gelungen ist, viel größere praktische Erfolge auf gewerkschaftlichem Gebiete zu erringen. Bei der, wie der Erfolg zeigt, absoluten Aussichtslosigkeit, mit dieser Denunziation irgend welche Wirkung zu erzwlen, muß man wirklich den Muth bewundern, mit dem dieses Manöver immer und immer wieder zur Anwendung kommt. Begreift denn der Herr Verfasser nicht, daß die Arbeiter für seine Anklage gegen die Sozialdemokratie nur ein Kopsschütteln haben können, wenn er selbst auf jeder Seite seines Buches bestätigen muß, daß das, was wir in Deutschland   an nennenswerthen gewerkschaftlichen Organisationen haben, fast ausschließlich das Werk nnermüdlichster und trotz aller Hindernisse immer wieder aufgenommener sozialdemokratischer Thätigkeit ist? Aber der Herr Verfasser widerlegt sich selber. Er muß kon- statiren, daß neben der inraschen Zügen vor sich gegangenen Ausbildung des Großbetriebes in vielen Gewerben Englands" ein überaus günstiger Umstand für die Entwickelung der Ge- werkschastsbewegung in England darin lag, daß eine relativ weitgehende politische Freiheit den Arbeitern die Möglichkeit der Vereinigung bot zur Wahrung ihrer Interessen gegenüber dem Unternehmerthum. Diesem Vor- theil gegenüber, den die englischen Arbeiter voraus haben, muß nun der Verfasser unter der Rubrik:Die Rechtsprechung in Sachen gewerkschaftlicher Organisationen" durch volle vier Bogen sich mit den gerichtlichen und Polizei- lichen Drangsalirunge» und Verfolgungen der deutschen   Gewerk- chaftsbewegung beschäftigen. Es ist dies ein Stück Passions- gcschichte der deutschen   Arbeiterbewegung, mit welchem sich der Herr Verfasser ein großes Verdienst erworben hat. Wie er aber glauben kann, daß eine Arbeiterschaft, welche durch Jahrzehnte nng den Quälereien ausgesetzt war und noch heute ist. wie sie in dem Buche so drastisch geschildert sind, der Sozialdemo- dessen Bundesgenossen sie sich eifrigst offenbaren. Den Ei». Wendungen gegen die Konvertirung tritt dieZeit", das Organ der jüngeren Christlich-Sozialen treffend entgegen. Sie frägt, welche Volksmassen denn an dem hohen Zinssilße ei» Interesse haben? Die Lohnarbeiter? Geiviß nicht. Sie leben ja von der Hand in den Mund, und wenn sie es zu etwas Eigenthum bringen, so ist es in den meisten Fällen Haus- rath und alleusalls ein Häuschen. in den seltensten Fällen ein irgendwie ins Gewicht fallendes Kapital in baarem Gelde. Die Bauern? Ihr Kapital steckt in Grund und Bode» und Inventar. Die ganz überwiegende Mehrzahl hat kein baareS Geld, sondern Schulden, und hat natürlich das größte Interesse daran, diese Schulden niedrig zu verzinsen. Und die Handwerker? die Kausleute? die Fabrikanten? Sie alle brauchen Kredit, und daß ihnen billiger Kredit lieber ist als theurer, bedarf vielleicht keiner weiteren Ausführung. Ernsthafter scheint der Einwand, daß der Sparsinn unter der Herabsetzung des Zinsfußes leiden könnte. Scheint. sage ich, denn der einfache Hinweis aus Frankreich   widerlegt ihn. Die französische   Rente beträgt nur 3 pCt. Trotzdem ist das französische   Volk notorisch das sparsamste, das es giebt. Nirgends ist die Zahl der kleine» Rentner größer als bei unseren westlichen Nachbarn. Und selbst wenn die Sparlust etwas abnehmen sollte ist denn das Sparen der volks- wirthschaftlichen Weisheit letzter Schluß? Ausreichender Lohn, ausreichende Gehälter, ausreichende Fürsorge für Wittwen und Waisen, für Alle und Arbeitslose, das ist viel wichtiger." Die All-rärmsten, die nichts haben, müssen ihren Tribut in der Form von Zöllen und Verbrauchsabgaben denen, die von den Zinsen der Staatspapiere lebe», entrichten. Die künstliche Vertheuerung des Zinsfußes hat den Erfolg, daß den wenigen, die etwas haben, von den vixle», die nichts haben, ein Theil ihres Unterhalts oder Profites gezahlt wird. 17 000 M. Reingewinn will dieDeutsche Tages-Ztg." in den letzten 9 Monaten gemacht haben. Die Breslau   er Stadtverordneten und das Hof Marschall- Amt. Anläßlich des Kaiferbesnchs in Breslau   war vom Magistrat beschlossen worden, dem deutschen  Kaiser im Fürstensaal deS Ralhhauses den Ehrentrunk zu kredenze». Die Vertreter der freisinnigen Blätter waren von diesem Festaklus ausgeschlossen und nur den Bericht- erstattern dreier konservativer Zeitungen der Zu- tritt gestattet. Darob großes Wehklagen bei den Frei- sinnigen; doch da sich an der Bestimmung nicht rütteln ließ, versuchten sie durch Hintertreppen das heraus- zuschnüffeln, was ihnen offiziell versagt war, um ihren Lesern dctaillirte Berichte zustellen zu können. Es war dies für die edle» Seelen recht hart, denn trotz des Fußtritts, der ihnen damit verfetzt wurde, wetteiferten sie mit den reaktionären Blättern Breslau's  . täglich spaltenlange Artikel über dieFest- tage" zu bringen. In der diesen Donnerstag stattgefundenen Stadt- verordneten- Sitzung sollte jene Angelegenheil«in Stach- spiel haben. Herr Handelskammer- Syndikus G o lhein holte den fchon längst in der Rumpelkammer verrosteten Mannesstolz" hervor und fragte den Oberbürgermeister Bender an, warum die Vertreter der freisinnigen Presse keinen Zutritt zu der Festlichkeit im Rathhause gehabt hätten. Und der Herr Oberbürgermeister gab prompt zur Antwort, daß um solcher Kleinigkeiten halber so viel Gerede über- flüssig sei. Das Hos marschallamt habe bezüg- lich der Presse die Auswahl getroffen und der Magistrat hätte es nicht für angezeigt gehalten, dagegen vor st ellig zu iv erden, auch sei die Zeit zu kurz gewesen. Die Interpellation zeuge von einer unberechtigten Empfind- s a m k e i t. Mäuschenstill wurde eS in der Versammlung; aber es war nicht die Stille vor dem Stunn, der vb solcher oberbürger« meisterlichen Rede berechtigt gewesen rväre, sondern die Zustimmung mit dem Verhalten des M a g i- st r a t s. der sich in tiefste Unterthänigkeit vor dem Wunsch des Hosmarfchallaintes gebeugt hatte. Nur einer der Stadtväter, Rechtsanwalt Heilberg, halt« den Muth, zu verlangen, daß die Interpellation zur Diskussion gestellt werde, aber er fiel mit feinem Autrage glänzend ab. denn die nöthigen 30 Mitglieder zur Unterstützung desselben waren nicht aufzubringen. Das ist der Geist. der im BreslauerStadtverordneten- Parlament herrscht. Und diese Lqute, deren politische Rückgradlofigkeit, Servilität und Schweifivedelei sich hier einmal im glänzendsten Lichte gezeigt hat, die vor den Behörden auf dem Bauche rutschen, diese Leute haben bis dato das Szepter der Kommune in Händen gehabt, dank des famosen Steuersystems, das den Arbeitern unmöglich machte, ihre Vertreter ins Stadtparlament zu senden. Für uns, so schreibt unser Breslauer Bruderorgan, sind solche Vorgänge, wie sie sich am Donnerstag abspielten, das beste Agitationsmaterial und wir werden die Gelegenheit nicht vorübergehen lassen, dem steuerzahleuden Breslauer Publikum klar zu machen, wie eS mit der gegen- kratie den Rücken kehren und etwa national-sozial werden soll, das begreife» wir nicht. Gerade die erlittenen Verfolgungen zeigen doch den Arbeilern, wie nolhwendig für sie eine starke politische Vertretung ist. Der Herr Verfasser ist freilich der Meinung, daß die Verfolgungen, auch der gewerkschastlicke» Ver- einigungen der Arbeiter, eine Folge des Umstandes sei, daß diese Vereinigungen sich zu sehr mit der sozialdemokratischen Partei liirt haben. Und um des letzteren Umstandes willen werden in dem Buche die Verfolgungen, wenn auch nicht gerade gerecht- fertigt, so doch entschuldigt. Es ist dies der unsympathischste Theil des ganzen Buches. Sonst können wir dasselbe unseren Lesern, welche sich für die Entwickelung der Gewerkschaftsbewegung interessiren, nur empfehlen. Besonders für Bibliotheken in Arbeitervereinen sollte es angeschafft iverden. Es ist eine mit großem Fleiße zusamnien- gestellte Arbeit und besonders für unsere jüngeren Agitatoren und Redner empfiehlt es sich, in dem in dem Buche zusamnien ge- stellten aktenmäßigen Material, nachzulesen, aus welchen Kämpfe» und Strebnngen unsere jetzigen Gewerkschaften hervor- gegangen sind. Der Umstand, daß Herr Dr. Schmöle ein Gegner der Sozialdemokratie ist, hindert ihn übrigens nicht, die kulturelle Bedeutung der sozialdemokratischen wie der Arbeiter- bewegung überhaupt anzuerkennen. So konstatirt er auf E. V der Einleitung, daß diegeistige Regsamkeil der Menge sich unter dem Einflüsse der sozialdemokratischen Agitation hebt" und auf der nächstfolgenden� Seite findet sich folgender charakteristi- scher Satz: Während die Konkurrenz die Unternehmer untereinander zu immer heftigerem Kampfe zwingt, während eine rapide Steige- rung der Bedürfnisse mit dazu beiträgt, den Boden unter immer zahl- reicheren Mitgliedern der oberen Gesellschaftskreise ins Wanken zu bringen, während sich oben bedenkliche Anzeichen einer Ueber- ieinerung der Kultur mehren, steigt in England aus den Trade- Unions, in Deutschland   aus der durch die Sozialdemokratie be- arbeiteten Masse unaufhaltsam eine breite Schicht empor, wohl- geeignet, ollgemach zum wichtigsten Fundament der staatlichen Macht und zum Träger der fortschreitenden Kultur zu werden." Möge das Buch also recht viel Leser auch in unseren Reihen finden, es ist werth, gelesen zu werden. An der nothwendigen Kritik wird es dann auch nicht fehlen.