gen. Und Niemand wunderte sich darüber... Jetzt ist es gerade umgekehrt... ich will aber erst Alles erzählen — der Reihe nach... Sobald ich mich also auf diese Weise mit dem Gewissen abgefunden hatte, scheerte ich mich nicht mehr viel um die Wahrheit. Nur einmal,— als ich mit meiner jungen Frau nach der Weihe und der Trauung in's Dorf fuhr,— passirte mir etwas ähn- liches, wie früher: ich verspürte die alte Unruhe. Ich schaute sie an(wir fuhren zusammen in einer Telega) und dachte mir:„Wozu das?" Ich will ihr etwas sagen, ich sehe aber, daß es nicht geht... denn es kommt mir vor, als sitze ein ganz fremder Mensch mit mir zusammen. Ich machte mir Gedanken darüber und da wurde es mir so schwer, so unendlich schwer... Ich umarmte sie aber und es wurde wieder leichter... Das passirte nur ein einziges Mal; später, als wir nach Hause kamen und uns einrichteten, ging alles ganz gut. Mein Vorgesetzter, Vater Iwan, ein Pope*), beruhigte mich vollends und legte mir den wahren Sachverhalt dar... Der Rubel, das Goldstück, der Schein, mit einem Worte das Geld in allen seinen Formen und Eigenschaften— das war sein Gott, sein Glaube, seine Hoffnung. Liebe und seine Allweisheit... Alles! Er, der Vater Iwan, war nur ein Geldbeutel— ich glaube, er kam sich auch selbst vor, wie ein beseelter Geldbeutel. Und wenn er sich selbst vielleicht nicht als solchen vorstellte, so würde er doch nichts dagegen gehabt haben, wenn man ihn so genannt hätte, und alles, was auf Erden sich befindet, alles zwischen Himmel und Erde, kam ihm vor, als Fleisch gewordenes großes und kleines, silbernes- und Papier -Geld, von dem ein Theil in ihn, den Geldsack Vater Iwan, übergehen mußte. Und wenn irgend ein Geldstück in seine Tasche fiel, dann war er glücklich und znfrieden und fühlte, daß sein Leben ein vernünftiges Ziel habe. Es war eine reine Wonne, seine kleine Augen anzu- schauen, wenn in seinen Händen ein Rubel oder gar ein Fünfrubelschein sich befand... Er selbst war klein, sehr schmutzig, sehr fett und scheinbar gegen alles gleichgiltig; fühlte er aber ein Geldstück in der Hand, dann ver- schwand mit einem Male der Schmutz, der Speck, das Fett mit dem seine Gestalt gesättigt war und nach dem er von weitem roch; alles schmolz, verklärte, belebte sich von der seelischen Wärme. Schon diese aufrichtige Freude beim Anblick des Geldes wirkte beruhigend auf mich; meine Weltanschauung nahm feste, deutliche Formen an, umsomehr, als alle herzlichen, aufrichtigen Unter- Haltungen mit Vater Iwan nur über das Geld Handel- ten und ihre Wirkung natürlich nicht verfehlten.... „Wieder eine Feldmaus!" sagte er manchmal und meinte damit den Rubel, den er von den Bauern für ein Gebet gegen die Feldmäuse erhalten hatte und den er dann in seinen Geldschrank einschloß. Und mir wurde es so leicht um's Herz, wenn ich ihn so sah. In der That: wie hätte die Feldmäusegeschichte anders enden sollen? Wer hatte da Recht? die Bauern, welche den Vater Iwan baten, gegen sie zu beten und ihm dafür Geld zahlten, oder er, der den Rubelschein in den Schrank einschloß? Natürlich er... Ich werde Ihnen, glaube ich, kaum alles genau erzählen können, wie er seinen ganzen Verstand in der einen Richtung anstrengte,... nämlich: auszuwittern, wo, wie, von wem er wohl eine Kopeke herauspressen könnte... Und was für ein Talent hatte er dazu!... Wie leckte er dem Panjuschtschik**) den Speichel, was für eine ernsthafte, traurige Miene konnte er machen, wenn er den Banern ermahnte, gottes- fürchtiger zu sein, wie meisterhaft verstand er es, vor den Behörden Komödie zu spielen, um einen Zuschuß von der Regierung für die angeblichen Reparaturen an der Dorfschule zu erbetteln; wie herzlich und dabei giftig konnte er lächeln, wenn er das Geld vom„gnädigen Herrn" in den Schrank einschloß, mit welcher Selbst- Zufriedenheit griff er sich in den Bart, wenn der büß- fertige Bauer zum Beweise seiner Gottesfurcht einen ganzen Tag hindurch dem Vater Iwan Holz aus dem Walde in den Hof fuhr. Es ist schwer, alles zu er- zählen; aber das muß ich sagen: mit seinen festen, un- erschütterlichen Ansichten über die Welt und die Menschen, die für ihn nur den Werth von so und soviel Rubeln oder Kopeken hatten, namentlich aber durch die Aufrich- tigkeit seiner Ueberzeugungen machte er auf mich einen großen Eindruck. Allmählich begann auch ich, die Mög- lichkeit zu verlieren, die Welt mit anderen, als mit des Vaters Iwan Augen anzusehen: Alles war nur deshalb da, um mir— und nicht nur mir, sondern auch allen anderen— Geld einzubringen. Die Arbeit bestand nur im Aussinnen der Mittel, das Geld zu bekommen, das Leben— im Ausruhen mit der Frau, im Essen, im Schlafen... das war alles!... In materieller Hin- ficht war meine Lage gar nicht schlimm: die Frau hatte ein Haus und Geld; wir lebten allein, denn ih* Vater war in ein Kloster gegangen, um dort den Rest seiner Tage zu verleben. Daß ich auf jede Kopeke sehr verpicht gewesen wäre, kann ich nicht sagen, denn ich brauchte sie ja auch nicht sehr nöthig... Ich konnte sogar— ja, wie soll ich es sagen,... vom liberalen Standpunkt auf die Theorie des Vaters Iwan herabsehen, aber an der Richtigkeit seiner Theorie zweifelte ich nicht mehr. „Ich wurde ganz ruhig... „Ich war glücklich und zufrieden, wenn ich die ganze Nacht hindurch mit der Frau im warmen Bett geschlafen hatte, dann früh aufstand, in die Kirche ging, mich satt aß und satt trank... Ich sage es ganz im Ernst, das Essen— das Fressen— machte mir ein ganz beson- ♦) Russischer Pfaffe.**) Russischer Landjunker. deres Vergnügen. Denken Sie sich: ein Glas Schnaps. dann ein gutes Mittagessen und dann sich hinlegen und ausruhen... Pfui, was für ein erbärmliches Leben!"... ■BRflBsc--- 4 Korsensprel und Kapitalismus.� � Zu den größten Utopistereien, die aber immer w ieder und wieder auftauchen und speziell in konservativen und antisemitischen Kreisen unausrottbar sind, gehört die Ansicht, daß die wesentlichen Schäden des kapitalistischen Systems in der Börse, die doch nur eine Begleiterscheinung dieses Systems darstellt, ihren Ursprung haben. Es läßt sich dann gegen den„Giftbaum", insbesondere gegen die „verjudete" Börsengesellschaft, ganz vortrefflich losdonnern; die moralische Entrüstung nimmt sich so hübsch„arbeiter- freundlich" aus, imponirt dem Kleinbürger und lenkt die Austnerksamkeit von dem eigentlichen Klassengegensätze, welcher dem ganzen ökonomischen Ueberbau zu Grunde liegt, von dem Gegensatz zwischen Lohnherr und Lohn- arbeiter ab. Ein amerikanisches Blatt beleuchtet dies Verhältniß treffend in einem Arttkel:: Was geschieht bei den Transattionen der verschieden Börsen?— Betrachten wir zunächst das Wesentliche in Geschäften der sogen. Produkten-Börsen, im kapitalisti - scheu Kauderwälsch deshalb so genannt, weil daselbst keine Produkte gekauft oder verkauft werden. Die hier üblichen Scheinumsätze von Weizen, Mais, Schweine- fleisch zc. find in Wahrheit nichts weiter als Wetten. Es wird darbet von dem Börsenspieler„A" auf das Steigen, von„B" auf das Fallen der Preise gewettet. Gegenstand des Handels ist immer nur die am Zieltage sich ergebende Differenz zwischen dem von der Börse fest- gestellten Preise und demjenigen, auf welchen die Wettenden sich einigten. DieserVorgang ist wesentlich der gleiche, wie bei irgend einer andern Art von Hazardspiel zwischen Privat- Personen. Geld wechselt den Besitzer. Aber, was ist dieses Geld, welches„A", als Verlierender, dem„V" zahlen muß?— Es ist das durch den kapitalistischen Staat legalisirte Austausch-Aequivalent für Werthe, die durch Arbeit, und nur durch Arbeit erzeugt worden sind. Diese Werthzeichen, welche von einem Börsenspielcr zum anderen übergehen, repräsentiren also Ergebnisse der Exploitation, welche unter dem Schutze des kapitalistischen Staates tagtäglich von den Besitzern der Produktions- mittel an der Arbeiterklasse verübt wird. Ein neuer Akt dieser gesetzlichen Exploitation der Produzenten durch die Aneigner der Produkte findet hierbei nicht statt. Insoweit ist das Spielen und Wetten an der Börse vom Standpunkte des wahren Produzenten, des Arbeiters, ein ebenso gleichgiltiges Nebenwerk des kapitalistischen Systems, ivie das Spielen und Wetten auf den Renn- Plätzen u. s. w. Für den Konsumenten allerdings kommt der Umstand hinzu, daß durch die Spekulation in Preis-Notirungen doch gelegentlich auch die wirklichen Preise der be- treffenden Produkte für ein paar Tage in die Höhe ge- trieben werden. Da aber eine blos auf Schcin-llmsätzen beruhende Preissteigerung immer nur eine kurzlebige sein kann, sind die Zwischenhändler, von denen die Massen des Volkes einkaufen, meistens durch die unter ihnen obwaltende Konkurrenz verhindert, eine Preiserhöhung für die fraglichen Maaren durchzusetzen. Wo immer und so lange noch unter den Brodsabrikanten und Bäckern genug Konkurrenz vorhanden ist, wird durch Börsen- transaktionen in Weizen nur ausnahmsweise und schnell vorübergehend der Preis des Mehls und des Brodes für die Bevölkerungsmassen gesteigert werden. Um letzteres Resultat zu bewirken, mußte Auflauf von wirklichem Getreide stattgefunden haben. Ein„Trust" in Wetzen, Korn?c. ist hierzu die Voraussehung. Aber fragen ivir uns. worauf eine solche gelegentlich vorkommende Schädi- gung der Volksgemeinschaft durch wucherischen Handel in Lebensmitteln beruht, nun, dann werden wir wieder auf jenes Grundübel hinzeigen müssen: auf de» kapita- listischen Staat, der mit der Abhängigkeit des Produzenten und Konsumenten vom Besitzer der Produktionsmittel und Produkte auch diese Form der Uebervortheilung heiligt. Immerhin wird der Produzent als solcher— der Lohnproletarier— durch die herrschende Wirthschaft in mehr als zehnfach größerem Maße benachtheiligt, als der Konsument, das Publikum im Allgemeinen. Zum Theil anderer Natur ist das Geschäft der Altien-Börse. Erst hier, wie wir sehen werden, erweist sich der Börsenspieler zugleich auch unzweideutig als Aneigner von Lohnarbeit. Während das Geschäft in der Produkten Börse darin besteht, daß man auf die künftige Preisgestaltung be- stimmter Produkte wettet, wird auf der Aktienbörse der Kurs der Aktien-Papiere festgesetzt. Man sucht den reellen Werth, die Dividenden, welche die betreffenden Eisen- bahnen, Fabriken, Bergwerke künftig an die Aktionäre zur Vertheilung bringen werden, im Voraus zu errathen und bemißt danach den Preis, welchen man für die Aktien zu zahlen bereit ist. Woher aber kommen diese Dividenden?— Nim, woher sonst könnten sie kommen, als aus dem Ertrag von Lohnarbeit, der den Arbeitern.vorenthalten wird. Im Aktien-Unternehmen, dieser unaufhaltsam überhand- nehmenden klassischen Form der kapitalistischen Produtt tionsweise, gelangt ja erst der rein arbeitslose Erwerb zum Ausdruck. Der Aktionär, gleichviel ob er, von einem Dividendentermin zum anderen, kauft und verkauft, oder sich von der Börse fernhält, erntet Kapitalprofit, so oft er im Schweiße seines Angesichts Koupons ab- schneidet. Wie wir nun sehen, haben wir es hier auf der Aktien-Börse mit zwei wesentlich verschiedenen, aber parallel sich vollziehenden Vorgängen zu thun: Da ist erstens im Handel um die augenblicklichen Kursdifferenzen der nämliche bloße Handwechsel von bereits annektirtem Kapitalprofit, genau so wie an der Produktenbörse. Hierbei also findet ein neuer Akt der Ausbeutung des Arbeiters nicht statt. Auch dein kon- sumirenden Publikum kann dieser Vorgang absolut gleichgiltig sein; denn es kann daraus nicht die Möglich- keit einer Vertheuerung der Lebensmittelpreise resultiren. Was sich da abspielt, das ist nichts weiter als eine Familienaffäre kapitalistischer Aneigner unter sich, bei der, wie es in der heutigen„Ordnung" üblich, die Kleinen von den Großen zerfleischt und aufgefressen werden. Gleichzeitig aber wird zweitens in der wirklichen Attien-Dividende auch neuer, durch Arbeit erzeugter Werth angeeignet. Hier in diesem Vorgange ist der Börsianer, ebenso wie der nicht-speknlirende Attionär, ein- fach regulärer Kapitalist, Aneigner von Lohnarbeit. vorausgesetzt, daß und insoweit als ihm zeitweise irgend- welcher Betrag an Dividenden zufließt. Letzterer Vorgang allein ist von Interesse für das Publikum im Ganzen und für das arbeitende Volk im Besonderen. Fragen wir uns nun: woher kommt es denn, daß an der amerikanischen Börse ein paar Dutzende von Kouponabschneidern im Stande sind, die Arbeitsfrucht der Eisenbahn- und Telegraphen-Angestellten im ganzen Lande, der Bergleute von Pennsylvanien bis Neu-Mexiko und von Alabama bis Montana , der Spinner und Weber von Fall-River, Mass., wie auch von Manchester in England u. s. w. an sich zu reißen und zu ver- prassen? Woher dies kommt?— Daher, weil der Arbeiter als Klasse vom Besitze der Arbeitsmittel getrennt ist,— ein Zustand, den der kapitalisttsche Staat sanktionirt und ausrecht erhält.„Die" Aktiengesellschaft als solche, nebenbei: zugleich die Grundform der Trustbildung, kon- trolirt ja wahrscheinlich, schon mehr als vier Fünftel aller Produktions-, Handels- und Trausport-Erforder- nisse in Amerika und Großbritannien , vielleicht auch schon in Deutschland und insoweit als die Aktten dieser Korporationen an den Börsen verkaust werden, sind Börsianer die Aneigner des durch die Arbeit in allen jenen Etablissements und Betrieben erzeugten Mehr- werthes. Diesen positiv-kapitalistischen Charakterzug der Börse vermag der Kleinbürger aber nicht zu erfassen, und des- halb kann er in den Börsianern nichts anderes als Spieler, einen Haufen irregulärer Existenzen erkennen. Um nun schließlich das Verhältniß des Börsenspiels in seiner Unwichtigkeit gegenüber dem Kapitalismus im Ganzen uns mös':hst klar zu vergegenwärtigen, wollen wir folgenden Fi setzen: Abgeschafft, faktisch beseitigt.— so unterstellen wir — ist die Börse überall, und Aktien von irgend welchen Korporationen, wenn übertragbar, sind dies nur zu solchem Preise, der genau der zuletzt tvirklich ausgezahlten Quar- tals- oder Halbjahrs-Dividende entspricht; alle in Wider- spruch mit diesem Gesetze stehenden Kontrakte sind als- ungiltig erklärt. Damit hat alles Spielen und Wetten um künftige Kurs- Differenzen gänzlich aufgehört. Also, was dann?— Werden dann die Lohnarbeiter der Eisenbahnen-, Telegraphen-, Bergwerks- und Manufaktur-Kompagnien, deren Aktien jetzt an der Börse notirt werden, irgendwie besser dran sein als jetzt? Wird das Publikum hierdurch ge- Winnen? Offenbar nicht im Mindesten! Weiter: was kann für den Zweck der Reinigung des politischen Lebens dabei herausspringen, wenn man blos das Börsenspiel beseitigen, den Kapitalismus aber. — das System der Ausnutzung des Menschen durch den Menschen überhaupt— ruhig beibehalten will? Würden die großen kapitalistischen Kompagnien und Trusts deshalb, weil deren Mitgliedschaft nicht mehr, wie jetzt, täglich an der Börse wechselt, weniger im Stande sein, Legislatur- und Stadtraths-Mehrheiten, Präsidenten, Gouverneurs und Bürgermeister sowie die nöthigen Gerichte zu erkaufen?— Könnte hierdurch die Seuche der Stimmgeber-Prostitution eingeschränkt werden? Lächerlich!— wieso denn? Die Konzentration und damit die politische Kor- ruptionsmacht des Kapitals würde sich durchaus nicht vermindern. Im Gegentheil: abgesehen von der an sich fortdauernd wachsenden Kauf- und Verführungsmacht des großen Geldsacks, ist es sehr wahrscheinlich, daß gerade bei einer etwas festeren Mitgliedschaft die Kor- porationen noch weit mehr Geld für„Beeinflussung" von Stimmgebern, Beamten, Legislatoren und Richtern in Anwendung bringen würden. JnSumma: Das Börsenspiel ist nichts weiter als ein Auswuchs des auf arbeitslosen Erwerb beruhenden kapitalistischen Systems; der Bör- sianer aber, als Aktienbesitzer und Dividenden- schlncker, gehört sogar zu den hervorragendsten Repräsentanten desselben. Der Boden des arbeitslosen Erwerbs ist zugleich die Existenzbasis aller Politischen Korruption. Spieler. Zollhausdefraudanten, betrügerische Ban- kerotteure, Besitzer von Lasterhöhlen u. dergl. beanstanden, aber dabei vor dem kapitalistischen Systeme selbst beide Augen zudrücken, das heißt„Mücken feigen und Kameele verschlingen"._
Ausgabe
4 (23.8.1890) 34
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