Tücher gehörten wohl ebenfalls der Frau Abrikossowa,denn sie sahen nicht bäuerlich aus. So saßen sie undlernten etwas.„Womit kann ich Ihnen dienen, Vater Diakon?"fragte sie mich.„Ach Gott... so!..„Entschuldigen Sie mich einen Augenblick! Ichyabe jetzt keine Zeit..." und sie unterrichtet weiter.Das wurmte mich. Es war doch auch nicht schön vonihr... ich komme zu ihr zu Besuch und sie empfängtmich in dieser Weise... Ein guter Mensch— was wireinen guten Menschen nannten— hätte sofort alle diekleinen Jungen und Mädchen auseinandergejagt, einenSsamowar aufgesiellt, Thee, ein Gläschen Schnaps vor-gesetzt... Es wurde mir ungemüthlich. Ich setzte mich,ich weiß garnicht wie auf die Diele und wartete. Ichwar ganz verwirrt, wußte gar nicht, was ich ansangensollte. Und was macht sie? Denken Sie sich, volle zweiStunden läßt sie mich sitzen und spricht kein Wort mitmir— sie unterrichtet nur die Kleinen— sie spricht underklärt, wiederholt zwanzig Mal dasselbe und erzählt denKindern etwas, was ich garnicht verstehen kann. Ichwurde müde vom Zuhören; ich konnte es kaum noch aus-halten. Ich begann auch hungrig zu werden: einenHäring hätte ich gerne gegessen, ein Gläschen Schnapsdazu getrunken— im Magen wurde es so wüst und leer,und sie kümmert sich nicht um mich und ochst und ochst.Ich wollte aufstehen, weggehen... aber ich konnte nicht;ich war ganz verwirrt von der ungewohnten Aufnahme.Die Glieder thaten mir weh, ich schwitzte, ich ärgertemich. Und eine Wuth ergriff mich gegen alle diese Bengel:— ich hätte alle am liebsten am Kragen genommen undsie zur Thür hinausgeworfen. Endlich— endlich wardie Stunde zu Ende.„Geht nun nach Hause und Abendskommt wieder, ich werde euch in Märchen vorlesen."—„Gut, wir kommen alle!" riefen die Kleinen und küßtenihre Lehrerin.„Ach, wie gut sind Sie, Marja Wassiljewna".Die Kleinen liebten sie wie eine Mutter. Auch dasärgerte mich, war mir unangenehm, schien mir nicht inder Ordnung, nicht gut zu sein. Ich kann eigentlich nichtsagen, daß ich es nicht für gut hielt... aber... unan-genehm war's mir doch... Nicht nur auf der Seele, nein— auch im Magen hatte ich dieses unangenehme Gefühl,denn damals äußerte sich meine Stimmung immer imMagen. Es war solch ein eigenthümliches... kitzligesGefühl... Die Kinder gingen.—„Jetzt habe ich Zeit,wollen Sie vielleicht näher treten?" Ich folgte ihr. Inihrem Zimmer stand ein Bett und ein Tisch. Auf demTische lagen Bücher, das Fenster war ganz verschneit.„Hier arbeite ich selbst".„Das ist eine sehr schlechteWohnung. Sie sollten sich schriftlich über„sie" beklagen(„sie" waren natürlich die Bauern)!" Sie lachte. Ichfühlte mich erleichtert, freier. Mit einer gewissen Unge-zwungenheit fuhr ich also fort:„Warum sollten Sie sich um„sie" scheeren. Denen muß man gründlich auf's Fellrücken! Wenn die llntersuchungskommission kommt undalles durchstöbert, dann wird's schon gehen! Andersgeht das nicht, da hilft nur der Stock". Sie lacht immernoch. Da wurde ich nun ganz offen und begann ihr,ganz ausrichtig, so im humoristischen Tone, Sie wissenschon, zu erzählen, wie wir, ich und Vater Iwan, demlieben Gott und Christus dienen; ich wollte ihr begreiflichmachen, daß man selbst in unserem geistlichen Standeohne diese Hilfsmittel nichts ausrichten könne.„Mankommt manchmal zu einem Bauern", erzähl' ich ihr,„zuBesuch, die Kirchenabgaben einzuziehen. Der Wirth istschlau gewesen und hat sich versteckt, im ganzen Hauseist niemand zu finden. Mit einem Male sieht man: ersteht hinter der Thür".„Ei. ei, lieber Freund, so ehrstdn deinen geistlichen Vater?"—„Entschuldige, entschuldige, Väterchen! Es war nicht böse gemeint, aberich habe nichts, ich kann nichts geben." Unterdcß siehtman wie ein Huhn durch den Hausflur eilt, der Bauerlügt also offenbar, denn er hat ein Huhn. Natürlich istman in solchem Falle nicht sentimental, fängt das Huhnein und geht seiner Wege. Nur auf diese Weise kommtman zu seinem Gelde."—Das platte Land und die Sozialdemokratie.i.n. Obwohl die Bourgeoisie dem 20. Februar mit einigemUnbehagen entgegengesehen hatte, würde derelbe, trotzdes gewaltigen Wahlerfolges der Sozialdemokratie, dochnicht so nachhaltig gewirkt haben, wäre das Anwachsender sozialistischen Stimmen ausschließlich auf die in-dustriellen Bezirke beschränkt geblieben. Man hatte sichlängst gewöhnt, die großstädtischen Arbeiter als„hoff-nungslos-verführt" anzusehen, und die Art, wie man denPaar hunderttausend Fabrikproletariern seit lange gegen-über trat, bewies auch, daß„ man hier aus jeden„Be-kehrungsversuch" verzichtete.Da tauchen plötzlich die verhaßten Stimmzettel der„Umstürzler" in ganz beängstigender Masse auch aufdem Lande auf, und noch dazu in weltentlegenen Dörfern,an deren Bewohner unser Spießbürgerlein immer miteiner gewissen Beruhigung denkt, sobald ihm das in-dustrielle„rothe Gespenst" eine Gänsehaut über denLeib treibt.Die Ueberraschung war groß— um so größer, alsdie schönen Redensarten, daß der Einbruch sozialistischerIdeen in das platte Land immer an dem„gesundenSinne" seiner Bevölkerung oder, wie sich Herr Schäffleso �geistreich ausdrückt, an dem„antikollektivistischenBauernschädel" scheitern werde, ein klägliches Fiaskoerlebten.Wie immer, wenn der„gesunde Menschenverstand"der Bourgeoisie, der nie tiefer in den Kern einer Sacheeindringen kann und stets an der Oberfläche haftenbleibt(das ganze Verhalten der Sozialdemokratie isttypisch hierfür), einem ernsten unableugbaren sozialenThatbestande gegenüber gestellt wird, entstand in ihrenReihen kopfloses Staunen und lautschreiende Angstmeierei.Die Krautjunker klagten in ihrem Kreuzzeitungs-organ, als ob die Getreidezölle in Gefahr wären undbrachten es durch ihren Hinweis aus die drohende„so-zialdemokratische Armee" im Handumdrehen dahin, daßihre„Gegner", die Schlotbaroue'�und„liberalen" Man-schestermänner, sich mit wunderbar harmonischen Akkordenihrem Angstgesange zugesellten.Der Refrain lautete immer:„Die politischen undgesellschaftlichen Rechte des arbeitenden Volkes müssenauf ein Minimum beschränkt werden."Kurz, die„reaktionäre Masse" der gesammten Bonr-geoisie drückte sich wieder einmal ihre biederen Hände.Es giebt eben keinen Gedanken, der beäng-stigender auf das Gemüth des Bürgerthumswirken könnte als der, daß auch das Proletariatdes platten Landes znm Klassenbewußtsein er-wachen und somit zum entschiedenen Anhängerder Sozialdemokratie werden könnte.Warum, ist ja sehr erklärlich. Wie und wodurch,das ist die Frage, die uns hier beschästigen soll, konnteder Sozialdemokratie jener so gefürchtete Erfolg gelingen,was bedingt es, daß ihr Vormarsch auf dem plattenLande in naher Zukunft noch viel schleuniger sein wird?Die materialistische Geschichtsauffassung giebt dieAntwort.Die moderne proletarische Arbeiterbewegung, dieSozialdemokratie, ist von der privatkapitalistischen Waaren-produktionsform untrennbar. Sie ist grundverschiedenvon den Klaffenkämpfen des Alterthums und der Feudal-zeit. Selbst die utopisch sozialistischen Ideen in denKinderjahren des Jndustrialismus haben wenig mit ihrgemein. Diesen allen fehlte, ganz abgesehen davon, daßdie erste Vorbedingung der kapitalistischen Waaren-Produktion, die historische Scheidung in Besitzer vonProduktionsmitteln und solche bloßer Arbeitskraft, nochnicht allgemeiner vollzogen war, vor allem die moderneKontraktfreiheit des Arbeiters.Der Sklave ist nach kapitalistischen Begriffen nurein Produktionsmittel wie jede thierische Arbeitskraft,denn er ist persönliches Eigenthum seines Herrn mitHaut und Haaren. Alle seine Arbeitsprodukte gehörendem Herrn.Anders ist die Stellung des„freien" Lohnarbeitersvon heute im Produktionsprozeß. Er ist persönlich freiund tritt auf dem Markte dem Besitzer der WaareProduktionsmittel als Eigenthümer der Waare Arbeits-kraft äußerlich gleichberechtigt gegenüber. Was erverkauft und jener bezahlt ist nicht seine Person, sondernnur seine Arbeitskraft auf eine bestimmte Zeitdauer.Seine Arbeit als Bildnerin von Werth kommt beidiesem Waarenaustausch nur als Gebrauchswerth,als Beweggrund des Kaufens, in Betracht, hat daherkeinen Einfluß auf den Preis. Dieser ist nur der Werth-ausdruck der Arbeitskraft und wird wie der jeder an-deren Waare durch die jeweiligen Produktionskosten be-stimmt, ist also für gewisse Verhältnisse ein gegebener.Angebot und Nachfrage nivelliren bald etwaige Schwan-kungen.Dagegen wechselt die Produktivkraft der Arbeitununterbrochen.Dadurch nun, daß der Besitzer der Produktions-mittel, d. h. der Nichtarbeiter, die Waare Arbeitskrastkauft, aber nicht deren volle Bethätignng, die Arbeitbezahlt, kommt er in die Lage, sich fremde Arbeits-Produkte, einen Mehrwerth, anzueignen.Will er diesen vergrößern, kann er es auf die Dauernur durch Erhöhung der Produktivität der Arbeit. JederVersuch dies ausschließlich durch Verlängerung der Ar-beitszeit zu erreichen, muß an den natürlichen Grenzendes Arbeitstages scheitern.Die Produktivität der Arbeit wird in erster Liniedurch die Fortschritte der Technik, durch die Entwicklungdes Maschinenwesens, bedingt. Indem die Maschine alsnatürliche Konkurrentin des Arbeiters auftritt und dieAnwendung der Frauen- und Kinderarbeit ermöglicht, dasie den Kapitalisten von der handwerksmäßigen Geschick-lichkeit der Lohnarbeiterklasse unabhängig macht, schafftsie eine überschüssige Arbeiterbevölkerung, die sogenannte„Reservearmee", das beste Machtmittel, um die Arbeiterdauernd niederzuhalten.Jedes Massenangebot drückt den Marktpreis derWaare; je größer der Konkurrenzdruck der„Reservearmee",um so geringer der Preis der Arbeitskraft, um so aus-sichtsloser die einzelnen Lohnkämpfe der Arbeiterklasse.Diese Machtfülle ermöglicht es dem Kapital, nun alleVortheile der Plusmacherei auszunutzen. Mit der Ver-vollkommnung der Maschinentechnik geht eine übermäßigeVerlängerung des Arbeitstages Hand in Hand. Ja selbsteine allgemeine Entkräftung und eine gesteigerte Sterb-lichkeit der Arbeiterklasse verliert ihren Schrecken; es sindja doch immer genug Arme vorhanden; man kann damit dem„Menschenmaterial" schon verschwenderisch um-gehen.Gleichzeitig' drängt die Maschinenanwendung zuimmer beschleunigterer Reproduktion und Zentralisationdes Kapitals. Je mehr dadurch aber sein Uebergewichtsteigt, um so offener treten jetzt alle Schäden seinerProduktionsform zu Tage. Wirthschaftlich äußern siesich in einer fortwährend zunehmenden Produktions-anarchie, die zu einer chronischen Absatzkrise ausartet,moralisch in einer Zerstörung aller hergebrachten kultu-rellen Rechts- und Sittlichkeitsanschauungen. Aber diesererbarmungslose Druck erzeugt bald einen Gegendruck.Die im Zeitalter einer fortgeschrittenen Zivilisationjammervoll unterjochte Arbeiterklasse wird zur Verfechterinder Kultur und der Menschheitsideale. Ihre Wider-standskrast wächst durch dieses moralische Element, vorallem indessen dadurch, daß sie auch die wirthschaft-liche Haltlosigkeit des Kapitalismus, seine unbewußteFortentwickelung zum Sozialismus, klarlegt. Eine Orga-nisation der Arbeiterklasse zum Zwecke des Kampfes undder Neugestaltung tritt auf die Weltbühne. Und dieseOrganisation muß von der� Industrie auf dasplatte Land hinübergreisen.Ist die Bewegung des industriellen Proletariats inerster Reihe ein Produkt der herrschenden kapitalistischenWirthschaftsweise in der Industrie, so wird von demStadium, das letztere in der Landwirthschaft und aufdem Laude überhaupt erreicht hat, auch die Entwickelungeiner ländlichen Arbeiterbewegung abhängen. Und istferner im Besonderen die Werkzeugsmaschiue derwirthschaftlich und moralisch revolutionärste Faktor desganzen kapitalistischen Jndustriesystems, so wird auch dieIntensität aller ländlichin sozialen Umwälzungen vornehmlich dadurch bestimmt werden, inwieweit die Maschinein der Ackerbauproduktion Anwendung gefunden hatDie feudale Wirthschaftsweise hat sich bekanntlich imAckerbaubetriebc am längsten erhalten. Die Scheidungin Besitzer von Produktionsmitteln und solche bloßerArbeitskraft mußte sich hier somit bedeutend langsamerals in der Industrie vollziehen. Und wenn auch Kirche,König und Adel durch Kauf und Gewalt die alte kom-munislische Markenverfassung dadurch vernichteten, daßsie immer größere Ackerstrecken als Privateigenthum ansich brachten und die auf Frohndienst und Leibeigenschastberuhende sogenannte Dorf- und Hufverfassung an derenStelle setzten— was nur Hand in Hand mit einer Expro-priation des Kleinbesitzes, d. h. Bildung„freier" Hände,vor sich gehen konnte— so blieb dies doch zunächst ohneEinfluß auf die ländliche feudale Produktionsform selbst.Das freigesetzte Proletariat strömte den Manufakturender Städte zu, sofern es nicht als Landstreicher oderals Kriegsknecht sein Dasein fristen konnte.Selbst dann, als gegen Ende des vorigen Jahr-Hunderts ein erhöhtes„Bauernlegen" die besitzlose Masseimmer mehr anschwellen ließ, und die Sturmglocken derRevolution von Frankreich her das Ende der feudalenWirthschaftsweise verkündeten, war in der deutschenLandwirthschaft an eine kapitalisttsche Waarenproduktionnoch lange nicht zu denken. Einmal war die Industrienoch nicht genügend mit Menschen übersättigt unoandererseits wurden die rechtlichen Schranken derFeudalperiode nur wenig erschüttert. Beides trat erstein, als das kapitalistische Bürgerthum zum Mittelpunktder Staatsgewalt geworden war und auch in der Land-wirthschaft ein ergiebiges Ausbeutungsobjekt witterte.Bisher hatte das Bürgerthum seinen Einfluß zurLösung der feudalen Zwangsgesetze auf dem Lande nurdann geltend gemacht, wenn es neue Proletariermassenfür die Industrie brauchte. Jetzt fühlte es das erhebendeBedürfniß, die Segnungen seines„Liberalismus" möglichstallgemein zu verbreiten. Das Jahr 1848 brachte dieagrarische Gesetzgebung endlich wieder in Fluß. Diealten feudalen Schranken, die den Bauer an den Bodenfesselten, wurden weggeräumt. Der Anstoß zu einerenergischen Proletarisirung des Kleinbesitzes war gegeben.Die Aufhebung der Freizügigkeitsbeschränkung, die aller-dings faktisch schon in dem Augenblicke eingetreten war.als kein Besitz die Expropriirtcn mehr an die Schollefesselte, wurde nun auch formell bestätigt.Die Vorbedingungen der kapitalistischen Waaren-Produktion auf dem Lande waren jetzt erfüllt, äußereGewalt hatte ihr den Boden geebnet, Sache des Kapitalswurde es jetzt, seine Mission auch auf dem platten Landeallein zu Ende zu führen.Debatte über die„Gefahren desMarxismus".*)Es ist wohl unzweifelhaft, wenn man eine Sachefalsch auffaßt, so muß sie zum Uebel ausschlagen. DieserGedanke, der in dem obengenannten Aufsatze ausgeführtwird, ist ja sehr wahr, nur nicht sehr neu. Wenn aberder Marxismus solchen Jrrthum, wie P. E. ihn ausführt,besonders begünstigt, so giebt es nur zwei Erklärungen:entweder ist die Sorge für rechte Erkenntniß der MarxschenLehren innerhalb unserer Partei zu gering, oder dieseLehre ist von ihrem Begründer so unklar ausgesprochen,daß ihre richtige Auffassung besondere Schwierigkeitenbereitet. Das erstere darf die deutsche Sozialdemokratiewohl getrost von der Hand weisen: nur ihre bornirtestenFeinde können es leugnen, daß sie, wie keine Partei vorihr, dahin wirkt, ihre Wahrheiten, das ist den Marxismus,der Auffassung ihrer Scharen zu erschließen und diesenicht etwa mit Schlagwörtern abzuspeisen, welch' letztereMethode der HerrVerfasser vielleicht unter seiner Aeußerung♦) Der in Nr. 32 erschienene Aussatz:„Gefahren des Niarxis-mus" wurde von uns zur Diskussion gestellt. Es ist uns eineReihe von Zuschriften— fast ausschließlich aus Arbeiterkreisen—zugegangen. Wir beginnen hier mit der Veröffentlichung.