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Oeiö�att zur Mcrlmct Vol��Criöüne.

9?r. 37.

Sonnabend, den 13. September 1890.

IV. Jahrgang.

Aebesglück. Rings Schnurren und Schwirren und Sausen Das Schwungrad brummend sich dreht Ein Gotteshaus der Arbeit, Darin der Friede weht. An eisern klapperndem Webstuhl Der Philipp geschäftig sich regt, Am Haspcl Johanne, sein Bräutchen Paßt auf, daß der Faden sich legt. Der Philipp und seine Johanne Seh'n oft verstohlen sich an: Aus schattenden Augenhöhlen Grinzt sehnender Liebeswahn. Verdienen Woche für Woche Sich ein Paar Thaler schwer, Nun kommt bald auch die Hochzeit, Was wollen die Glücklichen mehr? Doch zwischen Beiden unmerklich Bon welker Myrthe bekrgnzt, Steht bleich, durchsichtig und stierend Der Sorge nächtig Gespenst. Ludwig Scharf .

HlnHeU'bcrr. Von Uspenki. Deutsch von Styczinski. (Schluß.) Es war das erste Mal, daß wir ich und meine Frau einander so wild in die Haare geriethen. Ich schimpfte und sie blieb mir die Antwort nicht schuldig; darin stand sie mir nicht nach, in den allergemeinsten Ausdrücken schelten zu können. Es war noch gut, daß ich in diesem Augenblick zu unserer Gutsherrin gerufen wurde, ein Gebet abzuhalten: sie reiste in's Ausland und ließ für Geld den lieben Gott um eine glückliche Reise bitten. Das rettete mich, denn sonst wäre ich noch wüthender geworden und hätte vielleicht in der Wuth etwas gethan, was ich später bereut hätte. Beim Gebet heulte ich wie verrückt. Vater Iwan und die Gutsherrin sahen mich einige Male erstaunt an, denn ich schwang das Weihrauch- faß so heftig, daß ich beinahe den Anwesenden damit in's Gesicht schlug.... Und was denken Sie, gab mir wohl die Ruhe wieder?... Sas Geld!... Sobald ich in der Hand zwei Rubelscheine fühlte, wurde ich sofort von einem sonderbar innigen, angenehmen Gefühl ergriffen: es wurde mir so warm.... Und ich kani auch sofort wieder zur Vernunft. Ich denke nur: Was sind das für Dumm- heiten, die ich da gemacht habe zu welchem Zwecke? Ich wurde ruhig. Auch mit der Frau machte ich Frieden. Etwas hatte mein Schimpfen übrigens genutzt: sie war noch sehr erzürnt, hatte aber ein reines Kleid an und im Zimmer war es aufgeräumt. Auch auf sie hatte die Geschichte der Frau Abrikossowa Eindruck gemacht, welche ihr Haus und ihre Läden so wenig schätzte!.. Sie sehen also, was für einen beruhigenden Einfluß aus mich der materielle Gewinn ausübte. Es dauerte nicht volle zwei Wochen und ich wurde wieder gemein und hatte mich beruhigt.... Dank den zwei Rubeln, die ich erhalten. Leider konnte ich mich aber wie sehr ich es auch wünschte nicht ganz beruhigen und auch nicht bis zu demselben Grade von Gemeinheit herabsinken, wie früher. Dieser häusliche Schmutz, den ich ganz zufällig im Augen- blick großen Kummers aufgewühlt hatte, zwang mich dazu, über meine Lage nachzudenken. Tausende von Kleinig- leiten, welche mir lange nicht mehr als etwas Böses auf- gefallen waren, denn ich hielt sie eben für unumgänglich nothwendig, wie vieles andere auch, tausende dieser Kleinig- leiten begannen mich aus irgend einem Grunde zu ängstigen.So geh' doch endlich schlafen, wie lange denkst Du denn noch zu sitzen?" sagt mir manchmal meine Frau und davon wird es mir so schrecklich elend zu Muthe,... eigentlich doch ganz ohne Grund, denn früher passirte mir so etwas niemals. Und meine Seele ergriff eine merkwürdige Oede... und den ganzen Körper Schwäche: ich mußte immer gähnen. Ich mochte weder schlafen, noch essen, noch trinken. Es mochte jemand sagen, was er wollte, mir war es nie Recht. Wie ich es mir aber wünschte, wußte ich auch nicht. Da wurde es jeden Tag schlimmer mit mir.... Einmal kam mir der Gedanke:Wie wär's, wenn Du Dir vielleicht ein Buch zum lesen nähmest?" Ich entschloß mich, zu der Lehrerin zu gehen, von ihr ein Buch zu leihen. Ich ging also... Ich komme; sie sitzt und schreibt.O, ich störe wohl?"Nein, nein." sagt sie,ich werde noch fertig. Ich bin müde, will ein wenig ausruhen... Wollen wir zusammen ein Glas Thee trinken?" Sie machte sich am Samowar zu schaffen und mir wurde es besser zu Muthe. Ich sehe, sie ist mir gar nicht böse. Sie stellte den Samowar zurecht und sagte:Heute bin ich sehr zufrieden, da kann ich mich ein wenig gehen lassen."Womit sind Sie so zu- frieden?" Ich liabe heute viel gearbeitet. Das ganze Heft da habe ich vollgeschrieben. Dafür werde ich zwanzig bis fünftindzwanzig Rubel bekommen. Ist das nicht schön?"Ja, das ist viel Geld!"Ich bin so

froh: jetzt kann ich für die armen Kinder Bücher, Hefte, Mappen kaufen... vielleicht reicht es auch noch für kleine Geschenke aus. Ach. wenn ich nur mehr Arbeit bekommen könnte. Dann sollten wir's gut haben! Strümpfe würden wir uns machen und Schuhe kaufen; auch neue Hemden nähen! Und hier begann sie zu klagen, daß sie keine Arbeit habe; höchstens hin und wieder, etwas aus dem Ausländischen, sagte sie, und auch das sei so schwer zu bekommen, denn es werde sofort von Anderen in Beschlag genommen. Es sei noch gut, sagte sie, daß sie Bekannte in Moskau habe, die ihr manchmal etwas zusenden, denn sonst bekäme sie garnichts.Ich weiß nicht, sagte sie zuletzt, wie ich sonst die armen Kinder ansehen könnte; ich glaube, ich könnte es nicht lange mit ansehen, wie sie Roth leiden, ohne daß ich ihnen helfen könnte." Unterdes wurde der Thee fertig. Wir tranken ihn zusammen. Erzählen Sie mir doch, Vater Diakon, etwas über die Bauern! Sie müssen ja die Leute doch kennen!" Halt," sagte ich,ich begreife eigentlich gar nicht, wieso Sie auf den Gedanken gekommen sind, sich mit alledem zu plagen. Sie quälen sich so ab, und Sie haben es doch gar nicht nöthig."Ach, Väterchen," sagte sie,ich glaube für uns alle ist die Arbeit das Ziel des Lebens. Wozu sollten wir denn sonst leben?"Wozu?" sagte ich.Man erzähkt doch, Sie haben ein eigenes Haus und einen Laden. Da brauchen Sie doch keine Roth zu leiden und haben mit der Wirthschaft genug zu thun." Und ich erklärte ihr weiter, daß man in der Hauswirth- schast Sorgen und Arbeit genug habe. Wozu sich dann noch mit den Bauernkindern abmühen?(Beinahe wäre ich herausgeplatzt:mit den schmutzigen Ferkeln.") Sie lächelte und seufzte dann.Nein Väterchen, es wäre eine Sünde, um die eigene Wirtschaft zu sorgen in einer Zeit, wo"..... Gehört denn das Haus wirklich Ihnen?" Ja."Der Laden auch?"Auch der Laden und die Schenke."Dann verstehe ich Sie nicht!" Vor Neid empfand ich einen Schmerz in den Fingerspitzen.Wie kann ich etwas nehmen," sagte sie,was nicht mir ge- hört? Alles das haben mein Vater und der Vater meines Vaters durch anderer Händearbeit erworben, wie sollte ich dieses Geld für mich in Anspruch nehmen? An diesem Gelde klebt doch Anderer Blut und Schweiß!"... Bei diesen Worten leuchteten ihre Augen auf und nun begann sie eifrig, wie vom Fieber� ergriffen, alles das auseinanderzusetzen. Eine ganze Stunde sprach sie wohl und mir leuchtete es immer mehr ein, daß sie Recht hatte.Wo bleibt denn das Gewissen bei all den Menschen, die noch im Stande sind, so etwas zu thun? Ich kann nichts thun, wozu mein Gewissen nichtja" sagt. Deshalb habe ich das Haus und die Läden ver- lassen..." Und alles war so klar, so einfach, daß ich ihr nicht mit einem Worte entgegentreten konnte.Und ihr Mann?" sagte ich.Den habe ich deshalb im Stich gelassen, weil ich ihn nicht liebte..."Ja, aber wo bleibt denn die Ehe?"Ja, sagte sie. ohne Liebe ist keine Ehe möglich. Was soll ich thun, wenn ich ihn nicht lieben kann und nicht lügen mag."sie sind also deshalb weggegangen?"Ja, deshalb."Auf ihre Mit- gift haben Sie auch verzichtet."Auch auf die Mitgift. Ich habe alles dem Manne gelassen, damit er nur mich gewähren ließe. Außerdem verdient auch er sein Geld nicht mit ehrlicher Arbeit, ist also ebenfalls mein Feind." Also deshalb haben Sie es gethan? wirklich, deshalb?" Ja, ich habe meinen Mann nicht geliebt, es war mir zuwider, das ganze Leben hindurch zu lügen, ich haßte das Geld, das durch Lüge erworben war, deshalb warf ich es von mir. Ich habe eingesehen, daß man alles für den armen Nächsten hingeben müsse, deshalb thue ich für ihn, was in meinen Kräften liegt... Aber leider kann ich nicht viel thun. Wenn Sie nur wüßten, wie auch das quält!"Weshalb quälen Sie sich also?" fragte ich noch einmal.Weil ich es nicht mit ansehen kann, daß meine Nächster Noth leiden und ich so wenig für sie thun kann."Das ist der einzige Grund?" Sie glauben wohl, daß das meine Qualen nicht Werth ist?"' Das erstemal fühlte ich Mitleid im Herzen... Alles, was sie da erzählte, hatte ich unzähligemale ge- sehen, aber niemals ist es mir in den Sinn gekommen, mir darüber Gedanken zu machen. Ich hielt alles das für selbstverständlich, für nothwendig... Und da hatte sie es mir plötzlich in ein anderes Licht gerückt. Ich saß und hörte zu und hätte wohl so einige Stunden sitzen können, wenn man mich nicht zum Unglück nach Hause gerufen hätte: ich mußte zu einem Sterbenden. Und das war mein Unglück. Ich mußte immer an ihre Worte denken und hätte beinah heulen mögen vor Schmerz, als ich in der dunklen Bauernstube war, in der ein alter Bauer im Sterben lag. Die ganze Familie erwartete seinen Tod. Nur mit Mühe gelang es den Bauern, weinerliche Gesichter zu machen, denn ihre Gedanken waren ganz wo anders. Sie dachten daran, wer das neue Pferdegeschirr, wer die Bienenstöcke bekommen würde und wem es gelingen würde, den jungen Rappen zu be- haupten. Vater Iwan las mit milder, gerührter Stimme die Todtengebete und dachte daran(ich konnte es ganz gut an seinen Augen ablesen), wie viel er für seine

Mühe bekommen werde. Schwer keuchend lag auf seinem ärmlichen Lager der alte Bauer, der sein ganzes Leben hindurch, an die Scholle gefesselt, in ehrlicher Arbeit sein Brot verdiente. Es rasselte im Hals und in der Brust, zeitweise versagte ihm die Stimme ganz. Aber er nahm sich zusammen und lispelte mit leiser Stimme seinen letzten Willen kundgebendDas Geschirr... soll Iwan bekommen," brachte er mit heiserer Stimme hervor,daß ihr wegen des Pfluges nicht zankt!..." Er konnte nicht mehr zu Ende sprechen: erstarb. Dieser Tod, ich hatte in meinem Leben tausend ähüliche ge- sehen, dieser Tod versetzte mir einen Messerstich mitten in's Herz. Wieviele sterben mit dem Gedanken an ein Geschirr, oder einen Pstug, als an etwas sehr kostbares, das man mit vieler Arbeit, vielem Schweiß erkaufen müsse. An diesen Schweiß mußte ich denken, dessen Früchte ich ebenso, wie hunderte anderer Schma- rotzer, ohne Mühe und Arbeit einzustreichen suchte. Daran mußte ich denken und der Athem stockte in meiner Brust. Selbst das Geld, das ich bekam, machte mir keine Freude. Es kam mir vor, als schleppte ich eine Last fort in der Tasche, in der das Geld versteckt lag, obgleich es nicht viel war: zwei Zwanzigkopekenstücke. Ich war tief ergriffen und schwieg den ganzen Weg hindurch, als ich mit Vater Iwan in einer Telega nach Hause fuhr... Jetzt äußerte sich mein Seelenschmerz nicht mehr in Magenbeschwerden; jetzt sah ich klar, wozu man lebt!... Ja, mein Herr, Frau Abrikossowa lebt im Namen der Wahrheit und unsereins im Namen der Lüge... Das hatte ich ganz klar begriffen! Auf diese Weise, mein bester Herr, kam in meine Seele die Noth, die Qual,... die Krankheit. Uner- wartet, unverhofft fiel ein göttlicher Funke in meine Schweineseele, und quälte mich halb zu Tode... Und woher kam nur alles das?... Woher der Einfluß der Frau Abrikossowa auf mich?... Bei Gott, ich sage ihnen die Wahrheit, sie hatte durchaus kein Interesse für mich, war auch gar nicht hübsch und doch... Es zog mich etwas zu ihr hin... Ich glaube, das war das Gewissen, welches um diese Zeit überall erwachte, selbst an Orten, an denen man es nie erwartet hätte.... Nehmen Sie doch nur z. B. meine Seele... die schien doch für das Gewissen ein ganz unfruchtbarer Boden zu sein und doch kam es! Und ähnlich muß es auch über Frau Abrikossowa gekommen sein... und hat es auch sie aus ihren Palästen hinausgejagt.... Es ist halt so eine Zeit!... Wie das gekommen ist, weiß ich nicht, aber eins ist sicher: in meinem Kopf setzte sich der Gedanke an die Wahrheit fest... da begann ich ganze Nächte hindurch zu wachen und nachzudenken... Ich ging sogar ohne Abendbrod zu Bette. Und das hat in unserem Schweine- leben viel zu bedeuten: ohne Abendessen zu Bett zu gehen!.. Ganze Nächte hindurch schläft man nicht... Man kratzt sich ohne Unterlaß... So verändert einen der Ge- danke!... Und endlich kam ich dahinter, daß sich in mir kein Staubkörnchen Wahrheit befindet... Hatte es mir etwa das Gewissen diktirt, in den geistlichen� Stand zu treten? Nein! Erfüllte ich etwa gewissenhaft die Pflichten einer geistlichen Person, oder auch nur die Pflichten eines gewöhnlichen Menschen, dem Gott Herz und Gewissen gegeben hat, erfüllte ich etwa meine Pflichten gegen den Nächsten? Nein, tausendmal nein! Habeich mein Gewissen befragt, als ich die Ehe schloß? Wieder nein! Ich schluchzte, ich fühlte einen Schmerz im Herzen, wie ich ihn noch nie im Leben gefühlt hatte. Und dieser Schmerz wurde immer heftiger, immer böser, denn ich mußte immer weiter und weiter denken... Wie gern hätte ich weniger denken mögen, wie sehr wünschte ich mir von ganzer Seele, überhaupt nicht zu denken, dann wär's ja ganz ausgezeichnet! Aber nein! Es quälen mich die Gedanken immer mehr und mehr ohne alles Erbar- men... Ich höre nicht, was man mir sagt, ich nicke nur mit dem Kopfe, ich stehe in der Kirche mit dem Weihrauchsaß in der Hand wie ein Verrückter und weiß gar nicht, was ich halte... Ach, es war ganz furch- terlich, was ich alles erdulden mußie um diese Zeit! Wie lange das dauerte, weiß ich nicht mehr genau, aber ich dachte ohne Unterlaß nach und kam der Sache bis auf den Grund, bis auf die Wurzel. Es folgte daraus, daß ich alles im Stiche lassen müsse, im Schweiß meines Angesichts mein Brod mir erarbeiten müsse... Das war mir klar und ließ keinen Zweifel zu, klar, wie Schwarz auf Weiß. Wollte ich redlich sein, so mußte ich mein Bündel schnüren, alles thnn, wie ich gesagt habe,... wie es aus meinen Gedanken folgte, meine ich... und damit Basta! Da erwachte in mir wieder das schweinische Element. Wenn ich aber, dachte ich mir, Steine klopfen oder Holz schlagen muß, um durchzu- kommen?.. Ei, ei, da zeigte es sich wieder, was für ein Schwein ich war. Bist Du verrückt geworden, sprach eine Stimme in meinem Innern, jetzt hast Du ein Haus, hast Ruhe, es geht Dir gut und nun mit einem Male willst Du alles zum Teufel schicken und davongehen! Tagelöhner willst Du werden? Und so lächerlich stellte mir diese Stimme alles dar, daß ich mich hätte kugeln mögen vor lauter