Lachen... Ha-Ha-Ha! Nein, was für ein Esel bin ich doch! Weshalb, wozu beraube ich mich der Ruhe? Ich begann wieder daran zu denken, wie schön es zu Hause se?, zusammen mit der Frau u. s. w. Auch Vater Iwan erschien mir jetzt als unschuldiges Lamm,— sonst konnte ich ihn gar nicht ausstehen— und alles erschien mir in so rosigem Licht, daß es wahrhaftig eine Eselei sonder- gleichen gewesen wäre, davonzugehen. Nein, so was Dummes! Ich wurde wieder lustig, bekam Appetit und war immer so guter Laune, daß ich es gar nicht be- schreiben kann. Das war also das Ende vom Liebe: stark war das Gewissen in mir, quälte mich eine ganze Woche hindurch und ließ mir keine Ruhe, aber noch stärker war das schweinische Element in mir. Hier fing aber auch die eigentliche Krankheit an. Ich hatte mich gefreut, daß ich das Denken los geworden war, daß ich nicht mehr so unruhig war, wie früher, wo das Gewissen sich in mir zu regen begann. Ich hatte gedacht, nun geht es wieder gut, einstweilen will ich andern das Vergnügen überlassen, so zu leben, wie die Lehrerin... aber in Wirklichkeit wurde es noch schlimmer mit mir. Immer schwerer und schwerer... Ich verließ weder mein Haus, noch gab ich meine geistliche Stellung auf: ich lebte, wie bisher. Aber jetzt wußte ich, daß ich gewissenlos handelte. Ich suhlte mich nicht nur als einen Menschen mit rein thierischen In- stinkten, sondern als einen ganz gemeinen Betrüger, als Bauernfänger, und auf meiner Seele sammelte sich so viel Unrath, daß ich es gar nicht sagen kann. Von Tag zu Tag wurde das schlimmer, widerlicher, denn das Gewissen erhob immer lauter und lauter die Stimme, aber auch das Schwein in mir wahrte seine Rechte. Das Gewissen erhob mich manchmal, bald aber zog mich das schweinische Element wieder in den Staub.... Ich fühlte mich krank, geplagt, unendlich krank... Nichts war doch einfacher, scheint es, als so zu handeln, wie es die Wahrheit verlangte, wie es Frau Abrikossowa gethan hatte: alles von sich zu werfen, was mit dem Gewissen nicht stimmte! Aber nein! das Schwein in mir erweckte solche Neigungen, daß ich gar nicht einmal im Ernst daran denken konnte, den neuen Weg einzu- schlagen. Das Gewissen dauerte eben nie lange und war nicht mächtig genug.— Und es that so weh, so schrecklich weh!... Was sollte ich thun? Womit den Schmerz lindern? Natürlich!— Nicht ich bin schuld an der ganzen Sache, Andere sind schuld. Auf diese Art und Weise kam ich dazu, den„Andern" Alles in die Schuhe zu schieben. Und da war meine Frau die erste, die mir am nächsten stand, also mußte sie her- halten. Dann kam Vater Iwan an die Reihe, dann die Bauern... Am meisten hatte natürlich die Frau von mir auszustehen. Nun fühlte ich aber, daß ich selbst von allen am schuldigsten war, daß ich ihr zum großen Theil dazu verHolsen hatte, ein Thier zu werden, wie ich eins war, ich fühlte das und— trank Schnaps, um mich zu trösten. So fing bei mir die Trunksucht an... Bald verließ mich meine Frau. Da hatte ich den letzten Halt verloren und nun wurde es noch schlimmer. Ich habe es vergessen zu sagen, daß ich von Zeit zu Zeit, wenn ich nicht gerade krank war oder mit meiner Frau mich zankte, zur Frau Abrikossowa ging, um ihr mein Leid zu klagen. Sie nahm mich immer theilnahmsvoll auf, und weil mein Leben so schwer war, ging ich öfters zu ihr, um Trost bei ihr zu suchen... Meine Frau aber mit der ich in ewigem Streit war, verstand das nicht und dachte, ich hätte mich in die Lehrerin verliebt. Das kränkte und ärgerte sie furchtbar und sie wurde noch tausendmal unerträglicher, als früher. Na, von mir hatte sie auch genug auszustehen, das muß ich sagen! Alles das was in mir schlecht, gemein war, alles das entdeckte ich an ihr und schalt sie deshalb. Später zeigte es sich, daß das für sie von großem Nutzen war, im ersten Augenblick aber verlor sie all ihre Geduld, wollte zum Archijarej*) gehen, sich über mich beklagen, und drohte, daß sie Frau Abrikossowa bei der ersten besten Gelegen- heit mit eigener Hand züchtigen werde für die Schande, die sie ihr anthue. Unser gegenseitiger Haß war tödt- lich, denn ich nahm Frau Abrikossowa in Schutz, was meine Frau nur noch mehr gegen mich aufbrachte. So kam es denn eines Tages, daß meine Frau nach einem fürchterlichen Auftritt aus dem Hause lief und geradeaus zu Frau Abrikossowa eilte. Sie war gewiß mit der Absicht gegangen, die Lehrerin durchzuprügeln, aber ihre Wuth verflog wohl allmählich unterwegs und sie begnügte sich damit, der ahnungslosen Frau eine schöne Portion Schimpfworte an den Kopf zu werfen.„Meinen Mann verführst Du!... Dem Archijerej werd ich's sagen!" u. s. w. Natürlich wurde auch Frau Abrikossowa wnthend(denn das war zu schändlich und ungerecht) und wollte meine Frau davon jagen... Aber sie ging nicht, sondern begann zu jammern, zu weinen und zu heulen. Sie begann ihr Leid zu klagen, der Lehrerin zu erzählen, wie schlecht und gemein ich sei, und die Lehrerin nahm sich ihre Klagen so sehr zu Herzen, daß sie ganz gerührt wurde und auch anfing zu weinen und meine Frau zu beruhigen und zu küssen. Von dieser Zeit an wurden sie unzertrennbare Freundinnen. Beide ließen mich laufen. Ich blieb allein zurück mit meinen thierischen Neigungen und meinem Schnaps... Meine Frau, welcher ich so arg zugesetzt hatte, war mir jetzt sogar sehr dankbar für mein Schelten, durch welches ich sie auf ihre Gemeinheit aufmerksam
*) Erzpriester.
gemacht hatte. Mein Schelten hatte sie den Lehren der Frau Abrikossowa zugänglicher gemacht. Sobald sie aber alles begriffen hatte, ging sie aus meinem Hause. Sie war eben jünger als ich, auf ihre Seele war nicht so viel Schmutz, und von diesem war durch mich einiges hinweg geräumt worden. So ging sie denn— nm zu lernen... Das versetzte mir den letzten Stoß, ich sank zu Boden... Es wird mir schwer, daran zu denken, das zu erzählen. Die Gesellschaft des Vaters Iwan und seiner prak- tischen Bekannten sagte mir nicht mehr zu. Sollte ich weggehen? Dazu hatte ich den Muth nicht. Ich blieb also und log weiter. Von Zeit zu Zeit betrank ich mich, dann sagte ich alles, was mir auf dem Herzen lag und zankte mit ihnen. Was mich am meisten betrübte, war der Umstand, daß es mir immer klarer wurde, daß ich nie und nimmer von meinem bisherigen Wege abkommen werde. Ich hatte Lust zu sterben... Sobald ich aber einsah, daß dies der einzige Aus- weg für mich sei, daß ich sterben müsse, da wollte ich um jeden Preis leben. Nun stürzte ich mich blindlings in alle Sünden, lief Weibern nach u. s. w. Ich wurde denunzirt. Ich sagte dem Vater Iwan ordentlich meine Meinung, als ich einmal wieder betrunken war, machte bei einer Hochzeit Schweinereien mit einem Weibe, führte in der Kirche einen greulichen Skandal auf. Ich wurde davongejagt und eingesteckt. Anfangs, als ich im Kloster saß, wurde ich ein wenig vernünftiger und es wurde mir jetzt klar, daß es nur einen Ausweg für mich giebt: zu sterben oder mein Leben von neuem zu beginnen. Und da bin ich auf den Gedanken gekommen: Wäre es nicht vielleicht möglich, auf irgend eine Weise gründlich meinen Leib und meine Seele zu kuriren? Den Leib mit Medizin, die Seele mit Lektüre? Wie denken Sie über die Sache? Wär' es nicht möglich, durch diese Mittel ein neuer Mensch zu werden, um ein redliches, wahres Leben zu beginnen?
Mit dieser Frage beendete der Diakon seine Er- zählung. Ich überlasse die Lösung der Aufgabe Spezia- listen und Sachverständigen. Als gewöhnlicher Beob- achter der Sitten des Volkslebens habe ich nur die Auf- merksamkeit der Leser auf das Vorhandensein einer Krank- heit lenken wollen, die bis jetzt in diesen Schichten und mitten in den kulturell am meisten zurückgebliebenen Provinzen noch nie beobachtet worden ist. Diese Krank- heit ist— der Gedanke. Mit leisen Schritten, auf ver- borgenen, kaum bemerkbaren Pfaden dringt er in die verstecktesten Winkel Rußlands ein, fällt oft auf den scheinbar unfruchtbarsten Boden. Mitten in dieser schein- bar lautlosen Ruhe, in diesem tiefen Schlaf verändert sich allmählich, langsam, unbemerkbar der geknechtete, verwilderte russische Geist und nimmt eine neue Form an. Und diese Veränderung geht, was die Hauptsache ist, im Namen der allerstrengsten Wahrheit vor sich.
Aus meinem„Kauern spiegel". Von Willibald Nagl(„Deutsche Worte"). (2. Fortsetzung.) n. Die brave Verstellung. 1. Wir haben die sittlichen Normen und Grundsätze, welche unserem Bauer als die richtigen gelten, kennen gelernt. Wir wollen dieselben noch im Einzelnen kritisch beleuchten und daraus die Konsequenzen ziehen; dies wird später geschehen. Aber wir brauchen blos hinzuweisen auf die in jenem Moralsystem enthaltene Vernachlässigung, ja Bedrückung des Körpers, aus die Verdrängung aller feineren Sinnlichkeit, die Verpönung einer weiter gehenden Verstandesentwicklung und des freien Urtheiles,— und wir werden sagen müssen, daß die menschliche Natur sich mit diesem System nicht abfinden kann, am wenig- sten, wo sie ursprünglich so derb und kräftig ist. wie im bairisch-österreichischen Stamme. Durch äußere Faktoren ist unseren Bauern diese„Sittlichkeit" ausoktroyirt wor- den, und wenn er sich nach ihr richtet, so ist es nicht Erziehung, sondern Dressur, nicht freie Entschließung, sondern angezwungene Manier. Dieses Moralsystem also, welches schon zur Zeit seiner Einführung nur ein provisorisches sein konnte, wenn auch damals vielleicht pädagogisch gefordert war; welches dann von lebens- und entwicklungsfeindlichen Elementen noch weiter entstellt worden ist nnd unter dem Mantel der Religion noch fortwährend auf dem Nacken unserer Bauernschaft lastet— ist das geistige Medium, in welchem die„reif" gewordenen Landleute leben, weben und sind. Nur was in diesem System gedacht und gewollt ist, darf sich in die Oeffentlichkeit wagen, daher greift es auch in das innerste Sinnen und Treiben des Bauern hinein, — ja beherrscht es wohl auch ganz, wenn dieser nur ein armes inneres Leben hat und sich bewußt nicht mehr denken kann, als er nach außen braucht. Dieses System ist für das Landvolk daher schon eine zweite, krankhafte Natur geworden, die den ganzen Menschen überwuchert, und in der er sich nun schon von selber, auch ohne anderweitigen Einfluß und Zuspruch, ver- vollständigt und ausbildet— zu seinem Verderben. Da- neben wird aber doch die echte, wahre Natur immer wieder unverfälscht in jedem Kinde geboren. Sie wird zwar stets wieder zurückgedrängt, aber sie bleibt, ob- wohl nach außen abgesperrt, obwohl oft nur mehr auf
das unergründliche Meer der unbewußten Seelen- Vorgänge beschränkt, und— artet aus. Die Bewunderung des Schönen und Guten an Anderen erzeugt den Trieb der Nacheiferung; wird jedoch diese Bewunderung als eitles Gefühl hingestellt, versumpft der angeregte Wille in Trägheit,— dann geht diese Bewunderung, der aus ihr resultirende nicht benutzte Trieb der Nacheiferung in Mißgunst und Neid über, und der Neid ist ein elementarer Grundzug der geheimen Bauernnatur, und je näher die bewunderte Person den Verhältnissen des Bauers steht, je stärker ihn also diese Bewunderung antreiben will, Aehnliches zu erstreben, desto heftiger wird sein willensträges Herz vom Neide„versucht"(d. i. überwältigt, mit der Einschränkung, daß der Maniermensch nicht seine äußer- liehe Sanktion hinzugiebt). Läßt z. B. ein Bauer seinen Sohn„etwas lernen", und es geht gut vorwärts, so darf er, ohne selbst dem besten Bekannten Unrecht zu thun, annehmen, daß in aller Dorfbewohner Herzen, d. i. in ihrem natürlichen Ahnen und Fühlen, der Neid vorhanden ist: will der Sohn Priester werden, dann wird dieser schlummernde Neid vom frommen Maniermenschen, der in allen lebt, niedergehalten und die ganze Ge- meinde opfert diesen Jüngling Gott auf; gleichzeitig fühlt der, Naturmensch in den Landleuten, daß die Priester- würde wegen der geschlechtlichen Entbehrungen nicht recht angenehm ist, und diese Wahrnehmung dämpft im Ge- Heimen den geheimen Neid. Wird aber dieser Student kein Geistlicher, sondern etwas anderes Angesehenes,— dann hat der bäuerliche Maniermensch kein hinreichendes Mittel zur Bewältigung des natürlichen Neides, und der heimliche Naturmensch keinen Ersatz gegen das be- neidete Gute an diesem Studenten, und der Neid bricht in allerlei Aeußerungen, in Begegnungen, in Verur- theilungen und Verdächtigungen der boshaftesten Art allüberall zu Tage. Ich habe dies an mir selber erlebt. Dieser Neid fiele ganz weg, wenn die Bauern ihre Ver- achtung alles Neuen und„Herrischen" ablegen, ihre Trägheit überwinden und ihre Söhne gleichermaßen, etwa an eine landwirthschaftliche Schule, oder doch zu Hause durch sorgfältigere Anweisungen, durch liebevolle Erziehung u. s. w., zu etwas Tüchtigerem heranbilden möchten. Aber der alte Maniermensch läßt dies nicht zu, und der Neid im Herzen ist der Lohn dafür. Aehnlich geht es dem Bauernvolk mit dem geschlecht- liehen Trieb. Mit einem Mädchen freundlich sein, es zu lieben, ihm herzlich unter die Augen zu sehen, würde sich der junge Bauernbursch vor anderen schämen und ob solchen Treibens auch von der ganzen Dorfschaft als „kindisch",„läppisch" und„leichtsinnig" verlacht und ge- tadelt werden; gehen doch' selbst die Brautleute wie zwei Holzstöcke nebeneinander zum Altar. Weil aber der Geschlechtstrieb nicht an die Oeffentlichkeit darf, um sich in der edleren Liebe zu zerstreuen, so wuchert er mit der sinnlichsten Gluth im Geheimen fort, wird ärger und ärger; wer nicht mit irgend Einer zufällig zum Äeußer- sten Gelegenheit findet, befriedigt sich wahrscheinlich auf unnatürliche Weise, wenigstens weiß ich, daß bäuerliche Individuen bis zum Laster der Bestialität herabsinken, — wozu freilich das trockene, peinliche Moralsystem der Bauern, welches ein schönes Weib zu begehren als das ärgste Verbrechen hinstellt, welches allen Idealismus, allen Sinn für das Schöne über Bord wirft, erleich- ternd mithilft. Ein Städter könnte doch wenigstens das Grausen nicht überwinden!— Ich will die Aus- artungen der einzelnen, von Natur aus edlen, aber durch das bäuerliche Sittensystem unterdrückten Triebe nicht weiter aufzählen und verfolgen; es wird sich jeder selbst eine Vorstellung machen, in welcher Art die zurück- gedrängte, unterbundene Natur sich nach nothwendigen, psychischen Gesetzen von selber in Mißbildungen entwickelt; freilich werden auch die Regungen dieser so verbildeten, verdorbenen Natur, und zwar noch schärfer als die der gesunden, von dem aufgeimpften Moralsystem verpönt, und viele Bauersleute sind noch so stark, auch über die die verdorbene Natur in den hervorragendsten Punkten Herr zu werden; in manchen Individuen wieder ist die Natur, auch die verdorbene, bereits so schwach, so ver- kümmert, daß sie hierzu gar keine merkliche Mühe brauchen. Aber dieses Moralsystem reicht nicht aus für das ganze Leben des Menschen bis hinein in alle seine Details und es wird dem stillen, aber allgemeinen Wirken und Wellenschlagen der verdorbenen Natur in der Bauern- weit so wenig entgegenzuwirken vermögen, als man etwa einen Wasserschwall mit einem Fischernetze auffangen kann. Wir haben demnach in jedem Bauernmenschen, wo dieses Moralsysleiii herrscht, ein Doppelwesen vor uns: einen mehr oder minder„ordentlichen" Manier- menschen und einen minder oder mehr verdorbenen Naturmenschen. Das ist die erste Grundregel bei der richtigen Würdigung unseres Bauerncharakters. 2. Objektiv genommen wäre demnach das Treiben aller dieser Leute Verstellung, da sie sich im Verkehr und in der Oeffentlichkeit anders geben, als sie im Ge- Heimen sind. Aber dieses Urtheil wäre doch zu hart. Weil nämlich das Moralsystem das ganze äußere Leben, den ganzen Verkehr und alles mit diesem zusammen- hängende Denken und Wollen beherrscht, somit fast alles Bewußte nur im Rahmen dieses Moralsystems auftritt, so ist das Natürliche ganz oder doch zum weitaus größten Theil in's Bereich des Unbewußten zurückgedrängt und steht den bäuerlichen Maniermenschen eigentlich als un- bekannte Macht gegenüber, fast als ein feindliches Bereich, dessen Einflüssen man sich, wo man solcher gewahr wird,