Er hatte neue spitze Stiefel an— ach wie fein und spitz.— „Eins möchte ich gern wissen. Helgesen, ist es. weil — Sie— nein das Du konnte sie nicht herausbringen — sich mit dem hübschen Fräulein Möller verloben sollen, daß wir—" Er sah sie an und lächelte ein wenig. „Wie kommst Du darauf?— Ja— wer weiß— es ist nicht unmöglich— aber davon mußt Du zu niemand reden." Nein, das würde sie nicht. „Ja, nun ist es wohl das Beste, wir gehen—" er sah nach seiner Uhr. —„Ich muß heute Abend irgend wohin.— Und ich sollte Dich ja heim begleiten—" „Nein, das ist durchaus nicht nöthig", sagte sie— „es ist so hell und ich möchte gern noch ein wenig sitzen, denn wenn Sie Eile haben—" „Ja, ja— Adieu denn Albertine— so treffen wir uns also nicht mehr— willst Du mir einen Kuß geben?" ..Ja!" Sie merkte wieder den Duft des Eau de Lubin um sich. So hatte er sie niemals geküßt— und sie klammerte sich an ihn an und küßte ihn viele Male mit langen Küssen wieder. „Ja, Adieu denn, Albertine." Er sah nach seiner Uhr. „Adieu" konnte sie kaum herausbringen— sie setzte sich wieder hin— so hatte er sie niemals geküßt. Sie sah die geraden eleganten Beine mit den braunen und weißen Streifen herunter, welche der Form folgten, die Allee entlang gehen, wieder hervorkommen und ver- schwinden und dann den geraden schlanken Rücken und den Zylinderhut. Nein, nie vorher hatte er sie so geküßt. Sie war ja rein schwindlich geworden— und mit eins kamen die Thränen wieder hervor, nicht eine nach der andern, sondern viele auf einmal, und der ganze Hafen tanzte vor ihren Augen, und die Lichter der Laternen flogen in langen, langen flimmernden Strahlen hinaus— dann könnte es auch damit enden, daß wir ganz verliebt in einander würden, hatte er gesagt— ja, das war gewiß wahr— er war so gut und vernünftig. Ob es des Fräulein Möller wegen war, daß er sich die neuen Stiefel gekauft hatte?— Sie kam doch nie- mals dazu, zu ihm„Du" zu sagen.— Plötzlich kamen die Thränen wieder und sie schluchzte tief auf und flüsterte: Gott helfe mir, Gott helfe mir!"
Aus meinem„Kauern spiegelt. Von Willibald Nagl(„Deutsche Worte'). (11. Fortsetzung.) Bezieht sich das natürliche Mißsallen auf Personen, dann wagt man dasselbe der betreffenden Person nicht ins Gesicht zu sagen; die bäuerliche Willensschwäche und lieservirtheit verhindert es. Wenn ein ärmerer Bauer zur Sommerszeit auf einen oder zwei oder mehrere Tage Leute dingt, mit denen er sonst mehr kollegial, als Gleicher, verkehrt, so getraut er sich nicht, sie zu mahnen und ihnen sein Mißfallen auszudrücken, sobald dieselben ihre Pflicht nicht recht erfüllen. Solche Arbeits- leute, Drescher, Schnitter, halten manches Bäuerlein mitunter recht zum Besten— letzteres mag sich dann bei seiner Ehehälfte bitterlich beklagen, mit ihr eifern und wettern gegen die gewissenlosen Arbeitsleute— sagen wird er diesen kaum etwas davon. Noch weniger wagt es natürlich der Knecht, dem Herrn seinen Aerger und sein Unbehagen trocken zu erklären; wenn ihn der Bauer auch ungerecht gescholten hat, er schweigt und schlägt dabei die armen Ochsen, die nichts dafür können. Und wenn der Bauer schon lange davon ist, so predigt der Knecht seinen Groll noch immer den Ochsen vor.„Gar keine Frischn haben diese faulen Ludern heut, erschlagen möcht' ich sie,"— dabei denkt er an seinen Herrn, aber zu sagen, wagt er ihm kein böses Wort. Die Ueber- tragung des Mißfallens und des Tadels von der Person, die man nicht zu tadeln sich getraut, auf andere Gegenstände, wie hier vom Bauer auf die Ochsen, ist ein gar nicht seltener Vorgang.„Ihr Rabenviecher wollt nur immer fressen und nichts arbeiten" sagt die Bäuerin wohl zu den bettelnden Hennen im Hof, wenn sie sich ärgert über ihre Schwiegermutter, welche heute nicht mit auf's Feld gehen will. Nur in zwei Fällen sagt man der mißfälligen Person sein Unbehagen direkt in's Gesicht: Wenn man dieser Person so nah steht, daß man ihr gegenüber die Manier gar nicht beobachten kann; und zweitens, wenn die Manier selber ein solches Auftreten zuläßt und gebietet. Ersteres ist bei Eheleuten untereinander der Fall. Sie, die von einander schon so viele absolut monier- widrige Eindrücke empfangen haben und Geheimnisse theilen, denen die natürlichste Natürlichkeit zu Grunde liegt, werden, wenn sie sich gegenübertreten, wohl am ehesten� der Manier sich entschlagen. Freilich sind ein- zelne Individuen von letzterer so sehr beherrscht, daß sie dieselbe vielleicht sogar— in's Ehebett mitnehmen. Von verheiratheten Betschwestern ist dies mit ziemlicher Sicher- heit anzunehmen. Aber im Allgemeinen getrauen sich die Eheleute ihr gegenseitiges gelegentliches Mißfallen, frei von jeder Manierhaftigkeit, mit der ganzen Energie und Derbheit ins's Gesicht zu sagen, deren eine ver- wahrloste Natur fähig ist. Ich möchte das nicht alles
einstecken, was mancher Bauer von seinem„Gegentheil" öfter zu hören bekommt. Auch sind diese Weiber durch Androhung von Gewalt schwer einzuschüchtern, weil sie bei ihrer schweren Arbeit, die sie neben dem Mann zu verrichten haben, physisch fast ebenso grobknochig sind, wie dieser.— Uebrigens müßte man eine Schlägerei beichten und hütet sich davor. Es giebt aber Fälle, in denen die Manier das gerade Aeußern des Mißfallens einer Person gegenüber gebietet. Es mag dem Hausherrn, dem Vater, das erste Mal aus Willensschwäche vielleicht schwer ankommen, zu rügen und zu strafen. Aber„das muß sein" steht es geschrieben im Manier-Katechismus,— und bald hat er sich hineingewöhnt und fortan kommt ihm das Tadeln und„Greinen" seinen Untergebenen gegenüber leichter an, als das Loben. Schon oben wurde gesagt, wie ungern der heutige Bauer einen Knecht lobt,— daß er selbst an dem verwendbarsten Knecht die Mängel zuerst sieht und rügt. Was Abraham a Sta. Clara in seinem „Judas der Erzschelm" I. Theil, 1687, S. 117— 122, predigt von der birkenen„Wünschelrute", wird von unfern Bauern heute im größten Maßstabe befolgt, obwohl Abraham's Voraussetzung nicht mehr richtig ist:„Ihr Eltern, Ihr thut zu viel lieben Eure Kinder." Eines von beiden: entweder werden die Kinder sich selbst überlassen, oder derb angefahren und ge- züchtigt; das„Greinen", Rügen, Schlagen ist dem Bauer gleichbedeutend mit Erziehung. Selbstverständlich kommt da jedes Mißfallen, an den Kindern diesen gegenüber zum ungesäumten Ausdruck.— Auch der Bettler wird iv halb und halb zu den Untergebenen gerechnet und muß mitunter von der Hausfrau seine Strafpredigt anhören: „Oes mögts nurgleich nichts arbeiten",„stiehlts unserm Herrgott den Tag ab" u. s. w. Es wäre noch ein dritter Fall zu erwähnen, in welchem der Bauer sein Mißfallen an einer Person dieser in's Gesicht sagt; doch ist dieser Fall ein abnormer und reiht sich daher den beiden ausgezählten nicht eben- bürtig an. Im Zorne nämlich setzt sich auch der Bauer über alle Rücksichten der Manier hinweg und Hann weiß er sämmtliche seit Jahren vorgekommeiien Verschul- düngen gegen sein wirkliches oder vermeintliches Recht, alle Kränkungen seiner heimlichen Selbstsucht mit bewun- derungswürdiger Vollständigkeit dem Widerpart in den grellsten Farben vorzurücken. Doch bricht der heimliche Groll, so vielfach er auch in den Bauerngemüthern lebt und ge- nährt wird, nur selten in offenen Zorn aus, und ein öffentlicher Streit zwischen Bauern und Bauerfamilien gehört schon zu den wichtigsten Epochen der Dorschronik. Wie verhält sich's nun mit dem Ausdruck natür- liehen Mißfallens an abwesenden Personen?— Die Manier kennt zwar das Verbot:„Man soll niemand 'was nachsagen." Dieser Satz wird denn auch gewissen- Haft immer vorausgeschickt, bevor man einen Abwesenden tadelt und bemängelt, dann folgt als Uebergang irgend ein„Aber",— und nun ist man auch schon bei der Sache.„Es soll doch nicht sein, daß man so die Raine schindet, wie der Stix oder der Teix." Mit den christ- lichen Dorfgenossen hat man noch die meiste Rücksicht; schlechter ergeht es dem Müller draußen in der Ein- schicht, dem Bezirkshauptmann, dem Jäger; am ärgsten drückt man sich aus über die Kaufleute, Juden und Ad- vokaten. Hingegen ist speziell in meiner Heimath(um Neunkirchen) der Geistliche über jeden Tadel erhaben. Wir haben bisher nicht von den Anlässen des Mißfallens gesprochen und somit stillschweigend voraus- gesetzt, daß"dieselben bei den Bauern dieselben seien, wie bei normalen Menschen. Bevor wir aber das Kapitel von dem Ausdruck des natürlichen Mißfallens schließen, müssen wir noch in Erinnerung bringen, daß wir es bei den Bauern mit einer entarteten Natur und auch mit abnormen Anlässen des Wohlgefallens und Miß- fallens zu thun haben. Dies müssen wir vorausschicken, um gewisse Aeußerungen zu verstehen, die aus der ge- kränkten Bauernbrust kommen. Ein Grundzug der entarteten Bauernnatur ist der Neid auf größere Erfolge Gleichgestellter. Dort, wo das Gefühl oder das Bewußtsein gleicher Kraft, also der Fähigkeit dasselbe oder ähnliches zu leisten, vor- Händen ist, stellt sich von selbst und unvermeidlich der Neid ein, sobald diese Kraft und das aus ihr hervor- gehende Streben durch irgend welche Motive zurück- gehalten wird. Solche Motive sind in der Regel Manier- geböte, z. B.„dies und jenes, was der Bauernsohn N. durchgesetzt hat, ist für Bauersleute eigentlich zu hoch und zu nobel, schickt sich nicht für sie". Oft ist es auch ein innerliches Motiv, z. B. Mangel an Entschluß, Trägheit, Willensschwäche. Was der Mensch leisten kann, das soll er auch, — ja, es ist ein moralisches Bedürfniß für ihn, hinter seinen Fähigkeiten nicht zurückzubleiben. Ohne Befriedi- gung dieses Bedürfnisses ist der Mensch in seiner gedeihlichen Entwicklung gehindert. Der Neid meldet sich darum in der Bauernieele mit der Heftigkeit eines verweigerten natürlichen Bedürfnisses. Er hat daher ein ungemein kräftiges Streben, sich nach außen in Worten und Stichreden zu bethätigen; er hilft sogar dem schwachen Bauernwillen, die Schranken der Reservirtheit zu durchbrechen und sucht seine böswilligen Aeußerungen, die Ausdrücke thörichten und krankhaften Mißfallens, der beneideten Person direkt in's Gesicht zu schleudern, um auf diese Art desto sicherer zu sein. daß diese Person durch den dadurch verursachten Aerger und Gram in ihrer Genugthuung über die errungenen Erfolge ge- stört und beeinträchtigt wird. Umsonst verbieten die
Religion und auch die Manier den Neid. Denn da der Neid in der von der Bauern-Religion noch nicht aufgesaugten heimlichen Selbstsucht wurzelt, so erreicht jenes Manierverbot nur soviel, daß sich der Neid aus Umwegen äußert, indem er sich auf Gründe der Manier- sittlichkeit stützt, die oft bei den Haaren herbeigezogen werden. Ich bringe hierzu nur Beispiele aus meiner eigen- sten Erfahrung. Vier Jahre trug ich als Noviz und Kleriker des Schottenstiftes in Wien den Ordenshabit des hl. Benedikt. Es ist kein Zweifel, daß sich in den verwahrlosten und verdorbenen Herzen gar vieler Landsleute damals schon der Neid regte. Aber die Regungen ihrer Natur mußten sie damals niederhalten aus Respekt für meinen heiligen Stand. Der Geistliche steht ihnen im Zentrum des Manier- Systems, und wie bei der Attacke gegen den Feind der Rittmeister von seinen sämmtlichen Dragonern geschützt und gedeckt wird,— so wird der Geistliche, sobald sich die Natur gegen ihn auflehnen will, sofort durch eine große Zahl von Manierdogmen entschuldigt, vertheidigt und geschützt. Gegen den Geistlichen komml eine Einwendung nie zur durchschlagenden Wirkung,— selbst die Betschwestern, die auch den Geistlichen kritisiren, halten ein ungün- stiges Urtheil wenigstens vor der profanen Welt geheim. Da sich also der Neid nicht in feindseligen Reden Luft machen durfte, so rückte er in Gestalt sympathischster Theilnahme heran,— zwar nicht an mich, wohl aber an meine Eltern, welche den Worten ihrer Standes- genossen zugänglicher sein mußten, als ich.„Die Fuchsin in@** hat au� einen Sohn studiren lassen." sagte z. B. eine hinkende alte Bäuxrin zu meiner Mutter,„und was das gekostet hat! Das halbe Haus ist drauf'gangen, — und wie er bald schon seine Ehmess' hält' lesen sollen, da hat's ihn gereut wegen einem Weibsbild, und er hat umg'schmissen. Ja, das Leidwesen jetzt bei seinen Leuten zu Haus! Seine Mutter hat sich die Haare ausgerauft, und gernft und geruft, unser Herrgott möcht sie erlösen. Und ist auch vor der Zeit drauf'gangen.— Wann's nur dem Euren nicht auch so geht; die Weibsbilder sind so viel zum fürchten!" Die Betschwestern allerdings stehen höher wie die andern Leute; sie fanden wunderbar schnell heraus, daß ich einem etwas liberaleren Orden angehörte; und da sie selbst meist„Tertiarier" irgend eines Ordens sind und der Frömmigkeit obliegen, so anerkennen sie zwar formell jeden Geistlichen, sympathisiren aber nur mit dem „strengen" und„auferbaulichen".„Die Schotten- geistlichen sind ja nicht brav, wie man hört," wimmerte einmal eine Betschwester meiner Mutter vor: „warum ist er denn nicht zu unsere da'gangen (Minoriten),- die braucyeten� so nothwendig ein'n Nachwuchs!" Die hat also sogar etwas TadelnswertheS herausgefunden und an Mann gebracht. Als ich dem Kloster den Rücken kehrte, da war der seit vier Jahren angehäufte heimliche Neid mit einem Male entfesselt. Es ist unbeschreiblich, was meine armen 66jährigen Eltern— selbst dem bäuerischen Jdeenkreise huldigend— nun zu leiden hatten. Vergebens wehrten sie sich gegen die von allen Seiten über mich gefällten Aburtheile, indem sie darauf hinwiesen, daß ich ja sonst ein sittlicher Mensch sei, daß ich jetzt in Wien weiter studire u. s. w.„Wo ist denn einmal'waS ge- wo rd en aus einem, der aus dem Kloster her- aus'gangen ist?" hat es geheißen; und dagegen war allerdings nichts einzuwenden, weil es keinen Präzedenz- fall gab, einen ausgenommen, wo ein Kleriker Skandal halber austreten mußte. Mit diesem wurde ich gleich zensurirt. Jeder meiner weiteren Erfolge war den Bauersleuten ein Dorn im Auge und wurde mit hämischen Glossen begleitet, die sie an meine Eltern richteten. Ich über- gehe sie, weil mir die Erinnerung zu widerlich und zu bitter ist. Nur ein Beispiel führ ich noch an, weil es die Art und Weise, wie sich der Bauernneid auf einem Umweg um ein Maniergebot äußert, recht charakterisirt. Mein Bruder und ich hatten unsere Studien glücklich vollendet und waren etliche Wochen auf Ferien zu Hause. Das legten sich die Leute zu ihrer Selbstberuhigung so- fort so aus. als wären wir„vazirend", obwohl sie doch wissen sollten, daß jeder Student Vakanzen hat. Während dieser Zeit ließ sich meine Mutter mit einem Bauer in einen Diskurs ein, die Mutter ermähnte, daß ein unbe- kannter„Reisender"(Bettler) unlängst gedroht habe, er wolle das ganze Dorf anzünden, weil er zu wenig be- kommen. Der Bauer, der über das Vorleben des Bett- lers so wenig unterrichtet war, wie meine Mutter, ant- wortete:„Ja. halt ja, so sind's diese Leut'; zuerst meinen s', sie sind weißgott was,— und wenn's ihnen hernach nicht ausgeht, dann—" Er schob also mein Vorleben, wie er es auffaßte, dem Bettler unter, so daß seine ganze Antwort eine versteckte, recht christlich wohl- wollende Prophezeiung über meine Zukunft enthielt. Sollte ich diesen Bauer zur" Rede stellen? Er hat ja nur zu meiner Mutter vom Bettler gesprochen, hat nur die Hof- fart verdammt, die vor dem Falle kommt,— das ist ja nicht Schlechtes.__ Die Kartelle. Wir haben wiederholt darauf hingewiesen, wie der Grundsatz der freien Konkurrenz in der privat-kapitalisti- schen Produktionsweise schließlich mit Naturnothwendiakeit in sein Gegentheil umschlägt. Bei fortschreitender Ent-