Er beugte sich vvr und sah sie recht genau an. Sollte die Nai'e ein wenig zu spitz sein— nein— Hel- gesen war ein großer Dummkopf. „Hübscher als Oline." Er erhob sich vorsichtig und ging hinter die Portieren in den röthlichen Schimmer hinein und rumorte darin vorsichtig mit etwas herum. Er war wieder hereingekommen und setzte sich wieder, um sie zu betrachten und murmelte: „— ein großer Dummkopf." Er hatte lange gesessen— zuletzt nahm er eine Mandel und knackte sie auf. Sie schlug die Angen auf, sah sich verwundert um und richtete sich schnell und ver- legen in ihrem Stuhle auf. „Gott — es ist gewiß spät— nun muß ich gehen, — entschuldigen Sie— ich war so furchtbar müde, ich habe heute Nacht nicht geschlafen." „Sitze noch ein wenig und nimm zuerst ein Glas Wein, du siehst so elend aus." Ihr wurde von dem Wein sonderbar im Kopf und zugleich gleichsam freudig. Winther schenkte noch ein Glas aus der Karaffe ein und fing wieder an Mandeln zu knacken. Sie trank.— Aber plötzlich wurde ihr bange — sie konnte leicht dazu kommen etwas zu thun, was recht verkehrt war und es war ihr, gleich als wenn alles umgedreht und das Verkehrte richtiger als das Rechte war— sie erhob sich und bat, ob sie gehen dürfte. Sie bat, wie man einen Lehrer bittet— und es war etwas an ihm, gleich als wenn er ein recht strenger Lehrer war. „Kann ich nun gehen—?" Aber es war ihr, als wenn sie um etwas Verkehrtes bat. und sie schämte sich fast es zu thun— und sie wußte, während sie bat, daß sie die Erlaubniß nicht bekommen würde. Sie sah seinen kurzgeschnittenen, dunklen Scheitel, über die Mandeln gebeugt, die kurzen weißen Hände, welche die hellrothe Schale vorsichtig ablas. „Nein," sagte er, setz' Dich wieder hin. Es lohnt nicht, daß Du jetzt gehst, denn dann wirst Du auf- gegriffen."— Er sah nach der Uhr. —„Nein— es lohnt nicht— es lohnt durchaus nicht— denn dann könnte geschehen, daß Du arretirt wirst.— Setze Dich nur wieder."— Er nahm die Karaffe und füllte ihr Glas. Sie wollte dort nicht bleiben— da würde sie eher noch vorziehen aufgegriffen zu werden, aber es war wohl am besten, wenn sie sich zuerst wieder setzte, wie er ge- boten hatte. Sie setzte sich und trank ein wenig Sherry. Plötzlich erinnerte sie sich wieder an gestern Abend — und sie wurde mit einmal so müde, so gräßlich müde, daran zu denken. Er legte ihr ein paar Mandelkerne hin. „Iß davon, Albertine— sie sind gut— sehr gut. sehr gute Mandeln." Sie nahm eine— es war, als wenn sie nicht mehr essen durfte.„Trinke Sherry!" Nein, nun wollte sie gehen— nun wollte sie sich erheben und fragen, ob sie nicht gehen dürfte. „Kann ich jetzt gehen?" Sie hatte sich erhoben— das war ja die reine schwarze Pelzmütze, die er auf dem Kopf hatte— aber einiges graues Haar dazwischen. „Setz' Dich," sagte er, ohne aufzusehen. Ja— nein— sie wollte nun gehen, ganz gewiß, aber sie konnte ja auch noch ein wenig warten, wie er gesagt hatte, und sie setzte sich wieder hin. Er knackte Mandeln und sie setzte sich, um die feine, grüne, weiche Tischdecke mit den rochen Rosen darin und der gelbbraunen Borte rundum anzusehen— es war ihr, als wenn sie sie bereits sehr genau kannte— was die wohl kosten mochte?— Nun wollte sie gehen. „Trink— trinke Sherry— Prosit— trink sage ich— Du siehst elend aus. Es ist am Besten, Du gehst dort hinein und ruhst Dich ein wenig auf dem Bette drinnen aus. Und er zeigte mit einer Wendung des Kopfes nach den Portieren. Es war dunkel hinter ihnen mit einem röthlichen Schimmer. Sie erhob sich langsam— Gott wie müde sie war, — und so wüst im Kopf. — Sie wunderte sich über sich selbst, als sie sich auf der Thürschwelle sagen hörte: „Ja, aber ich lege meine Kleider nicht ab." „Ja!" antwortete er ohne auszusehen—„es ist am besten, wenn Du Deine Kleider ablegst.— Ja, das ist am besten." Die Wände waren dunkel und es lag ein röthliches Halblicht von einer Ampel darüber ausgebreitet. Das Zimmer war schief— die Wand zur Rechten war viel kürzer als die zur Linken— das erschien ihr sonderbar. Das Bett stand an der schrägen Wand gerade gegenüber der Thür. Sie hatte gut gesehen, da» es so stand und von Mahagoni war. Sie hörte, daß er sich drinnen er- hob. Er ließ zuerst die eine, dann die andere Portiere nieder. Es blieb ein langer leuchtender Streifen in der Mitte zurück. Auf dem Boden lag ein großer Teppich. Sie kleidete sich aus, es war, als wenn es so sein sollte— und sie legte ihre Strümpfe unter die anderen Kleioer, denn sie erinnerte sich daran, daß Löcher darin waren. Sie war gräßlich müde. Wozu er wohl all' die Flaschen brauchte? Ach, das war gewiß Odelübeng— sie war zu müde, um hinzugehen und nachzusehen. Sie stieg in das Bett und legte sich tief hinein— und wippte wieder empor. Ja so— das war, was man eine Sprungfedermatratze nannte. So hatte sie niemals geruht. Es war schön, dort zu liegen, und ihr Haupt sank nach und nach tiefer in das weiche Kissen— im Anfang war es, als wenn sie nicht recht dürfte. Gott ,
wie grob und gries ihr Hemde gegen all' das seine Weiße war! Plötzlich verschwand der hellgelbe Streifen zwischen den Portieren und es kam jemand hinein. Es kam jemand und klopfte ihr auf den Kopf und küßte sie auf die Stirn. Eau du Lubin! Jemand kleidete sich aus— zuerst stieß ein Stiefel auf den Bodenteppich und kurz darauf ein zweiter. Sie hörte eine Uhr aufziehen und dann wurde dieselbe an der Wand über dem Bett: aufgehängt. Sie bekam einen Kuß auf die Stirn, und sie bog den Kops hintenüber, um den feinen Duft besser einathmen zu können— und da bekam sie einen langen Kuß auf den Mund— und noch einen— und dann noch viele lange, heiße, glühende hintereinander. Plötzlich wurde ihr Alles klar und sie kratzte und schlug und biß und schrie. „Pst, halt's Maul," sagte eine heisere Stimme dicht neben ihrem Ohr. — Es wurde ein Kampf wie auf Leben und Tod, aber zwei Eisenarme hielten sie fest und sie schloß die Augen. Eine Weile darauf drang ein flackernder Schein durch ihre Augenlider. Ein Streichholz wurde angezündet und sie sah Winther vor dem Waschbecken stehen mit einer Stearinkerze daneben. Das Haupt mit dem schwarzen, kurzgeschvrenen Nacken war vornübergebeugt.— Gott, wie sie ihn haßte! Aus meinem„Kauernspiegel�. Von Willibald Ragl(„Deutsche Worte'). (12. Fortsetzung.) Wir wenden nun unsere Aufmerksamkeit den Aeuge- rungen des durch die Manier vermittelten Wohlgefallens oder Mißfallens zu. Vielleicht findet man es für un- wahrscheinlich, daß thatsächlich innere Gefühlsvorgänge durch die Manier verursacht werden könnten, vielleicht meint man, die Manier könne eben mir Worte machen. Allein dann müßte man einen absoluten und vollstän- digen Widerspruch zwischen der Rede und dem gleich- zeitigen Gefühlszustand annehmen, eine Voraussetzung, die ich nicht bestätigt finde. Allerdings regt sich in den Bauern gewiß oft ein der Manierrede widersprechendes Gefühl, aber dieses wird, als ungehöriges und unbe- rechtigtes, zurückgehalten und unterdrückt, und die der Manierrede vorausgehende Geistesarbeit erzeugt nackt Innen zurücktvirkend das entsprechende Maniergesühl, während sie nach Außen gleichzeitig die Rede ausschickt. So stimmt also Gefühl und Aeußerung doch wieder zu- sammen. Diese Maniergefühle, speziell die des Wohl- gefallens, werden sich um so leichter einstellen, als die natürlichen Gefühle des Wohlgefallens größtentheils ver- schwiegen und dadurch allgemach ertödtet werden, so daß eine gewisse Unbestimmtheit, eine gewisse Leere sich ein- stellt, welche man dann, gelegentlich der manierhasten Wohlgefallensäußerungen, durch die diesen entsprechenden Gefühlsakte auszufüllen strebt. Diese erworbene Fähig- keit zu Maniergefühlen wird bei verschiedenen Individuen verschieden sein, größer bei älteren Leuten, geringer bei jüngeren; die einzelnen manierhaften Gesühlsvorgänge selbst werden ebenfalls bei den Arbeitern tiefer gehen als bei den Jungen, die erst 10—15 Jahre im bäuerlichen Manier- und Moralsystem leben, weben und sind,— Dies sei vorausgeschickt, dem Leser zur Gewißheit, daß wir es im Folgenden thatsächlich mit„Aeuße rungen", d. i. mit der sprachlichen oder sprachähnlichen äußeren Wiedergabe wirklich vorhandener innerer Vorgänge zu thun haben. Dabei leugnen wir indes nicht, daß einzelne Personen in ihren Manierreden auch bloße Heuchelei und Verstellung ausüben, So lange aber nur ein leiser Gefühlsakt der Manierrede entspricht, dürfen wir— trotz eventuell gleichzeitigem und entgegengesetztem natürlichen Gefühle— immer noch von einer wirklichen „Gefühlsäußerung" sprechen. Die Aeußernngen manierhaften Wohlgefallens werden nur in gewisser, meist stereotyper(feststehender) F»rm, nur bei gewissen Gelegenheiten oder nur über gewisse Objekte gethan. Form, Gelegenheiten und Objekte sind durch das bäuerliche Maniersystem fixirt. Das Wohlgefallen an sich, ohne sonstigen Zweck, wird auch in der Manier nur selten und in sehr mäßigen Ausdrücken geäußert. Der Zweck kann religiöse Er- bauung sein, die man Gott, den Engeln, den Heiligen, den Geistlichen oder der eigenen Seele zum ewigen Heile thut; oder aber, man will durch eine?leußerung des Manier-Wohlgefallens einem anderen Menschen eine Ge- fälligkeit erweisen in Lob oder Dank. Besprechen wir hier einstweilen nur das manierhafte Lob, den manier- haften Dank. Ein Bauernpaar— Mann und Weib— gehen am Pfingstmontag auf Besuch zu ihren Gevatterleuten, die in einem 2— 3. Stunden entlegenen Dorfe ansässig sind. Sagen wir, die Gäste heißen Döbler und ihre Gevatter- leute, welche den Besuch erhalten, heißen Windbacher. „Da schaut's, da schaut's, der Döbler— die Döblerin", so schallt es beim Eintreten der Gäste,„ja, das ist ja gar was Seltsams! G'halt auf, g'halt auf, Döbler, seid's ja auf keinem fremden Ort! Setzt's enk her da gleich auf die Lehnbank,— wir sein just mit dem Mittagmahl fertig geworden, hm." Damit ist ein Nach- mittag inszenirt, der ausschließlich im geflissentlichsten Kulte der Manier zugebracht wird. Da muß es ein- mal Lob regnen. Die Windbacherin ruft zum Fenster hinaus:„Wo sein denn die G'sindl(Kinder)? Sepperl, Hanni, kemmt's einer(herein)!" Die Kinder kommen verdutzt herein.„Sein ja so viel nixnutzig, ganzen Tag gassenhauen möchten s', ich muß mich oft so viel Horben
mit dö G'sindl.— Na, so geht's doch handpaschen dem Göd und der Godl!" Nun kommen die Gäste zu Worte. „Ja, die sind ja gar als wie brav," sagt gedehnt der Döbler, und die Döblerin fügt hinzu:„Da muß man ihnen ja gleich ein Kipferl geben einem jeden. weil's gar so brav sein." Die Mutter wettert d'run- ter:„Seid's nit so ung'schickt, thut's den Finger aus dem Maul!— wenn's nur nicht gar so dumm wär'n!" „Aber nein," beschwichtigt wieder der Döbler,„sie sein ja ohnedem als wie., als wie.. als wie—" und heftet, in Ermanglung eines passenden Wortes, den wohlwollendsten, vielsagendsten Blick auf die sprachlos dastehenden Hascher. Die Hauswirthin macht sich, schein- bar unbemerkt von den Gästen, in der Küche zu schaffen, und bald bringt sie frischen Kaffee und ein„Schöberl". Dazu bringt der Windbacher einen Krug Aepfelmost aus dem Keller, oder Wein, wenn er solchen baut. Da brechen die Gäste in fast unwillige Ausdrücke des Stau- nens aus über diese große„Aufwartung".„Wie haben Euch nie'was Gescheidtes fürzustellen, wenn Ihr zu uns kommt; und Ihr macht so viel Umständ' da mit uns!" Bissen für Bissen lassen sie sich nun nöthigen,„ehren", aber sie zahlen die Ehre auch Bissen für Bissen mit den schönsten Lobeserhebungen bar zurück.„Ich weiß nicht." sagt die Döblerin,„ich kann halt nicht so gut um- gehen mit Schmalzsachen; ich nähmet eh'(ohnehin) Eier genug und das bessere Mehl, es wird halt nicht so gut." Mit solchen Worten setzt sich die Döblerin selbst herunter, damit die Hausfrau desto höher steige. — direkt sagt man auch in der Manier einem Er- wachsenen das Lob nicht gern in's Gesicht.„Ja freilich", ironisirt die Geschmeichelte,„weil auch weiter so viel d'ran ist?!"„Wohl wohl," bestätigt die andere,„Hab' mein Lebtag noch-nie kein so gutes Schöberl 'gessen." Und so geht es fort. Mittlerweile ist die „Aufwartung" verzehrt— bis auf einen gewissen Reff, welcher der gastlichen Wirthin besagen soll, sie habe reichlich aufgetragen. Nun geht es an die Besichtigung der Wirthschaft. Jetzt ist das Loben an ihm, dem Döbler. Der Herr des Hauses begleitet ihn als Cicerone. Im Keller halten sich die beiden etwas länger auf,— dort fängt der Döbler erst an, beredt und seiner nun folgenden Auf- gäbe gewachsen zu werden, während er sich bisher ziemlich passiv und schweigsam verhalten.„Sackerlot", sagt er kostend,„von diesem Faßl, der ist schon sakrisch geistig. steigt einem beim ersten Schluck ordentlich in'n Kopf" --„und der isi noch besser wie der frühere"—— „nein, aber so, wie der jetzt ist, haben's bei uns drüben nirgends einen!" Und so lobt der Döbler jetzt weiter, den Keller hindurch hinauf in die Scheune. in den Stall, in die Getreidekammer u. s. w. Ja, er sagt dem Windbacher wolfl gar direkt:„Du mußt Dich halt dennoch in allen Dingen viel besser zu lenten(orientiren) wissen, wie ich." Nicht nur ein Besuch,— überhaupt schon ein nä- heres Zusammentreffen mit Leuten aus fremden Häusern ist ein Anlaß zum Manierlob, wenn man diesen Leuten nicht allzu nahe steht oder vielleicht gar von Neid gegen sie erfüllt ist. Es wird daher ein Bauer oder Bauernsohn viel mehr Lob und Anerkennung hören zu Beginn eines Unternehmens, wo der Erfolg noch zweifelhaft isi, als später, wenn das Unternehmen schon allem Anscheine nach gelingen wird. Hanptanlässe zum Manierlob sind aber Hochzeiten auch Kinds taufen und ähnliche Festlichkeiten, bei denen Diejenigen, welche die wesentlichen Kosten einer solchen Festlichkeit zu tragen haben, be- sonders reichlich mit Lob bedacht werden. Freilich redet man dann hinter ihrem Rücken oft das Gegentheil, weil ein Extrem, wo es besonders zugespitzt wird, nothwendig sich durch das andere Extrem ergänzt, Die Form des Manierlobes ist in obigen Beispiele« schon einigermaßen angedeutet. Die meisten Lobes- äußerungen sind nur Formeln,— und der auf dem Lande besser versirte Leser wird gewiß manche von den oben angeführten bereits kennen. Die Ausdrücke sind nicht sehr reich an Abwechslung, besonders ist ein Ein- gehen ins Detail des zu lobenden Gegenstandes eine Seltenheit, weil es einige Mühe für das Denkvermögen ist, wenn man die Details erstens hervorheben, dann außerdem noch über jedes derselben ein Urtheil, und zwar ein günstiges, fällen soll. Der Bauer ist gar nicht originell in seinen Beobachtungen und Ausdrücken. Doch kommt's wohl auch öfter zur(bloßen) Nennung der Details,— die freudezeigende Miene und Stimme hat dabei als jenes„günstige Urtheil" zu gelten. Sachen und Einrichtungen lobt man rückhaltlos mit den höchsten Ausdrücken, welche die allerdings beschränkte Auswahl jener stereotypen Phrasen zur Verfügung stellt. Personen lobt man, wie erwähnt, auch in der Manier selten in'S Gesicht, und nie, ohne durch eingeschaltetes „dennoch",„wögn dem"(trotzdem),„halt doch" u. s. w. ein scheinbares inneres Widerstreben mit unterlaufen zu lassen.„Du mußt Dich halt dennoch in allen Dingen viel besser zu lenten wissen, wie ich." Ich sage absicht- lich„ein schein bares Widerstreben," denn das„dennoch" wird nur künstlich eingefügt, als ob man durch den äußeren Thatbestand sogar wider Willen zur Anerkennung gezwungen wäre. Objekt des Manierlobes kann bei den erwähnten Anlässen Alles sein, was nicht manierwidrig ist. gleich- giltig. ob es positiv Lob verdient oder nicht. Es giebt aber auch Objekte, welche durch die Manier so geheiligt sind, daß sie regelmäßig, auch ohne jeden manier- mäßigen Anlaß, gelobt werden, so oft auf sie die Rede