unter den Bewerbern um einen bestimmten Platz, das) er ganz nach Belieben seine Bedingungen euch vor- schreiben kann. Diese Bedingungen sind oft demüthigen- der, das Einkommen ist oft kärglicher als bei denjenigen, auf die ihr als auf Proletarier herabzusehen gewohnt seid. Denn diese sind schon aus dem Schlummer er- wacht. Der gewaltige Ruf: Proletarier aller Länder vereinigt Euch! ist an ihr Ohr gedrungen und hat sie aufgeweckt. Sie haben allmählich sich eine menschen- würdigere Stellung ertrotzt, haben im gemeinsamen Vor- gehen eine ungeahnte Quelle der Kraft gesunden und fangen an, dem Unternehmerthum Bedingungen vorzu- schreiben. Ihr dagegen werdet niedergedrückt aus den allerniedrigsten Satz, bei dem noch eben eine Lebens- führung möglich ist, ja ihr werdet viel öfter als jene mit Hungerlöhnen abgespeist. Auch für euch giebt es nur eine Rettung: Fühlt euch als Proletarier! Ver- einigt euch, wie Jene, und mit ihnen! Kämpft gemein- sam den Kampf, den sie schon lange zu kämpfen be- gönnen haben! Mit ihnen allein könnt auch ihr steigen und frei werden, ohne sie verfallt ihr einer immer schimpflicheren Knechtschaft. „Endlich, findet ihr Verwendung im Staatsdienste, so ist allerdings euer Leben geregelter. Der Lohn für eure Arbeit mag gering sein, aber er wird doch in den meisten Fällen ein erträgliches Dasein ermöglichen. Auch ist, wenn ihr einmal in den ruhigen Hafen eingelaufen seid, ein plötzlicher Wechsel zum Schlimmen kaum zu befürchten. Ihr werdet anständiger behandelt und besser versorgt, als im Dienste des blutsaugerischen Kapitals. Aber dafür müßt ihr das größte Opfer bringen, das ein freier Mensch bringen kann, euch selbst. Was man von euch verlangt, das ist Verleugnung eures eigenen Willens und aller eigenen Erkenntniß, Mit dem Augen- blick, da ihr Staatsdiener werdet, hört ihr auf, freie Menschen zu sein und werdet zu Maschinen. Die Auto- rität tritt an die Stelle des eigenen Willens und der selbst erworbenen Erkenntniß. Nichts straft der Staat so hart, nichts verfolgt er so unnachsichtlich, als wenn es seinen Dienern einfällt, selbst zu denken. Ob ihr subaltern seid, oder in hohem Amte steht— und es ist für ein feines Gefühl fast noch demüthigender, seines- gleichen zu kommandiren, als sich von ihnen komman- diren zu lassen— immer seid ihr die Diener der Auto- rität, des Herkommens, Sklaven einer überwundenen Weltanschauung! Denn darüber ist doch ein Zweifel nicht möglich, der heutige Staat ist der Ausdruck einer längst überwundenen Kulturepoche. Die allermeisten Beamten des Staates sind in ihren Privatanschauungen darüber hinaus. Sie theilen weder seine Moral noch seine Politik. Sie müssen sich künstlich in diese ver- witterten Anschauungen hineinleben, die sie zu vertreten haben. So klafft zwischen ihrer offiziellen und ihrer privaten Meinung eine unübersteigliche Kluft, die erst allmählich im Laufe der Jahre sich ausfüllt, indem ein Theil ihres selbständigen Denkens nach dem andern darin verschwindet, bis am Schluß eine goldene Brücke der Mittelmäßigkeit hergestellt ist, die sich über dem Grave ihrer Selbständigkeit und Freiheit wölbt. „Zu dem allen kommt endlich noch die Ungleichheit. die durch die verschiedene soziale Stellung der Eltern hervorgerufen wird. Während der eine sich mühsam durch die Studienzeit hindnrchgeschlagen hat und am Ende derselben auf das Einkommen angewiesen ist, das er sich selbst erwerben muß, darf es sich der andere er- lauben, seine eigene Thätigkeit nur als Sport zu be- trachten und seinen Verdienst als Taschengeld anzusehen, da er in der Wahl seiner Eltern oder Schwiegereltern die nöthige Vorsicht beobachtet hat. Der eine arbeitet, um zu leben, der andere, um die Zeit tobt zu schlagen und eine höhere soziale Stellung zu erreichen. Mit anderen Worten, das Kapital reißt den Stand der Ge- bildeten auseinander, indem es selbst seine Vertreter hinein entsendet. Wie ist da ein Wettkampf unter den gleichen Bedingungen möglich? Muß nicht der Unbe- mittelte gewaltsam zurückgedrängt werden? Wird sich nicht unter normalen Verhältnissen der kapitalkräftige Konkurrent, der warten kann, zuletzt immer in den Vor- dergrund drängen? Und auf wessen Kosten sonst, als auf die seiner mittellosen Mitbewerber? So entstehen gerade im Stande der Gebildeten diese krassen Unterschiede, diese Höhen und Tiefen, die nur zum aller- kleinsten Theile in der verschieden großen Fähigkeit und Tüchtigkeit ihre Begründung haben. So schwelgen die einen im Uebcrfluß, während die andern darben. Die heutige Gesellschaftsordnung begünstigt die Vorlauten und Gewissenlosen auf Kosten der Ehrlichen und An- ständigen, sie begünstigt die aus höherem sozialen Stande hervorgegangenen auf Kosten derjenigen, die sich mühsam emporgearbeitet haben, sie begünstigt die Knechtsseelen auf Kosten der Mannesseelen. So wird durch die ver- kehrte soziale Einrichtung das beste Wollen erstickt, die beste Kraft vergeudet; mit all eurem Arbeiten und Schaffen erreicht ihr nicht den zehnten TheU von dem. was erre cht werden würde, falls die Gesellschaft auf eine neue Grundlage gestellt und der wirthschaftlichen und sozialen Entwickelung gemäß gestaltet würde. „Nun wohl, die Sozialdemokratie beseitigt alle diese Ungleichheiten. Sie macht die materielle Ueberlegcnheit unmöglich; sie nimmt der Konkurrenz ihren Stachel, indem sie euch vor materieller Entbehrung schützt. Sie macht euch unabhängig, denn sie beseitigt die Zwangs- jacke. die euch der Staat, und die viel härtere, die euch das Kapital anlegt. Sie macht das ziellose Widerstreben der Kräfte unmöglich: sie ordnet alles einem großen Zwecke unter. Wenn ihr heute oft nur für wenige Aus- erlesene, vielleicht nur für die Laune eines Einzelnen arbeitet, werdet ihr dann das große Bewußtsein haben, wirklich für die Gesammtheit zu schaffen. An Stelle des chaotischen Gewirrs des gegenwärtigen Staates tritt die harmonische Ordnung eines großen Organismus, in dem ein jeder ein nvthwendiges Glied ist und so mithilft, eine immer höhere Vollendung zu schaffen. Ja, in dem sozialdemokratischen Staate findet auch ihr Erlösuug von der gegenwärtigen Knechtschaft." Ter Verfasser plaidoyirt sehr gut. sieht man, aber, wie gesagt, es werden sich unter den Angehörigen seiner Klasse wohl nicht Viele finden, die ihm beistimmen. — Durch die Eröffnungsrede des Kaisers zur Schul- konferenz ist eine andere Seite im Loose der„Gebil- beten" in den Vordergrund getreten, die Existenz der eigentlichen geistigen, dort sogenannten„Abiturienten- Proletariat". Der Kaiser wies auf die Gefahren hin, welche der bestehenden Gesellschaft von Seiten des Pro- letariats„drohen", und hier wäre scheinbar ein An- knüpfungspunkt für uns, den der Verfasser der Broschüre außer Acht gelassen hat. „Die sämmtlichen sogenannten Hungerkandidaten, namentlich die Herren Journalisten, das sind vielfach verkommene Gymnasiasten, das ist eine Gefahr für uns". Das hier genannte Abiturientenprolelariat umfaßt alle sogenannten verfehlten Existenzen alle Diejenigen, welche nicht in die Lage gekommen sind, ihre Kenntnisse in dem Beruf, ans den sie vorbereitet wurden, zu ver- werthen. Das hier gemeinte Proletariat steht zu den ent- sprechenden übrigen bürgerlichen Elementen in einem ähnlichen Verhältniß, wie die industrielle Reservearmee und das Lumpenproletariat zum eigentlichen Proletariat. In der That, wir haben es mit der Reservearmee der bürgerlichen Berufe zu thun. Das Unternehmerthum, nicht zufrieden damit, den Arbeitslohn auf das Minimum gestellt zu sehen, muß nothwendig auch danach streben, das Gehalt seiner an- gestellten Beamten, der Techniker, Ingenieure u. s. w. auf den möglichst niedrigsten Punkt zu drücken. Schließlich sind diese Leute überhaupt ja doch nichts anderes, als qualifizirte Arbeiter, ßu diesem Zwecke ist eine Reserve- armee nöthig, und sie wird geschaffen, indem durch Gründung von möglichst viel Gymnasien eine große Menge überschüssiger Gebildeter produzirt werden, die dann um jeden Preis Arbeit suchen und die Ansprüche herunterdrücken. Das Zugrundegehen des Kleinkapitals liefert die uöthigen Rekruten; der Kleinbürger, welcher den Untergang seiner kleinen Unternehmung vor Augen sieht, möchte seinem Sohn ein besseres Schicksal bereiten, indem er ihn studieren läßt; und so bezieht jetzt Mancher die Universität, der zu der Zeit des„goldenen Bodens" Handwerker oder Kaufmann geworden wäre. In Ueber- einstimmung mit dem Lumpenproletariat besitzt dieses Proletariat auch kein Solidaritntsgefühl, so daß das Unternehmerthum seine Pläne bei ihm vollständig erreicht. Das Lumpenproletariat ist den bestehenden Ge- walten niemals gefährlich gewesen; im Gegentheil es hat sich ihnen immer als Landsknecht verkauft und auch von diesem Proletariat ist nichts für die bestehende Ordnung zu befürchten. Das ist fast alles Gesindel, und das Ge- sindel ist noch nie revolutionär gewesen. Es verkauft sich; und um gerade von den Journalisten zu sprechen, so ist das größte Pack jedenfalls aus der konservativen Seite zu finden, weil sieh in Konservatismus augenblicklich das beste Geschäft machen läßt. Aber auch wenn das nicht der Fall wäre— die Bourgeoisie hat billige Arbeitskräfte nöthig, das Klein- bürgerthum will sich in die Klasse der Gebildeten retten, und so verlangt unter der Bildungsphrase jetzt jeder Krähwinkel sein Gymnasium, und welcher Krakehl wird entstehen, wenn diesem„Bildungseifer" nicht genügt wird! Malthus! Der Kapitalismus hat für seine Erhaltung die Existenz der industriellen Reservearmee nöthig, das heißt die Existenz einer Anzahl überschüssiger Arbeiter, welche keine Verwendung finden, und, da sie um jeden Preis Arbeit haben müssen, um nicht zu verhungern, den Lohn auf das möglichst niedrige Niveau drücken. Wo eine solche industrielle Reservearmee noch nicht existirt, da wird sie künstlich geschaffen, indem man den Landarbeitern ihren Boden wegnimmt, sie dadurch arbeitslos und er- werbslos macht und vermittels des Hungers zu den Fabri- kanten treibt. Natürlich genirte das Einen, wenn man das so offen heraus sagen sollte. Das geht doch nicht, daß man erzählt: damit wir unsere Profite machen können, müssen Taufende von Proletariern jährlich auf der Landstraße umkommen. Nein, das ging nicht. Man mußte die Schuld an dem Elend den Arbeitern selbst in die Schuhe schieben. Und da hatte der Pfaffe Malthus den guten Einfall: die unmoralischen Arbeiter machen eben zu viele Kinder. So sollten weniger Kinder machen, dann wäre das Elend gehoben, dann würden blos fo viel Arbeiter existiren, wie Arbeit bekommen können. In Frankreich fand Malthus Glauben. Die Franzosen fanden, daß er Recht hatte, wurden moralisch und be- kamen von nun an immer blos zwei Kinder. Freilich, die industrielle Reservearmee wurde dadurch in Frankreich nicht aus der Welt geschafft, sie existirte nach wie vor. Aber allmählig machte sich dafür eine andere Folge bemerkbar: das Land entvölkerte sich. Nun wäre ja die Entvölkerung an sich kein Fehler für den Bourgeois, wenn nur die Profite bleiben. Aber sie hat die fatale Folge, daß sie das Land militäruntüchtig macht. Der Militarismus aber läßt nicht mit sich spaßen. Die„Magdeburger Zeitung" bringt folgende Notiz: „Verhältniß der Geburten zu den Todesfällen in Preußen und Frankreich . Wir ersehen aus diesen Zahlen die bedeutsame That- fache, wie Preußen an Zahl der Geburten Frankreich weit voraus ist, während die Zahl der Todesfälle in Frank- reich weit größer ist, als in Preußen. Während die Einwohnerzahl Frankreichs nur sehr langsam zunimmt, finden wir in Preußen eine stetige Zunahme, die Frankreich weit überflügelt. Folgende Tabelle zeigt den Ueberschuß der Geburten über die Todesfälle in Preußen und Frankreich . Ueberschuß der Geburten über die Tadesfälle:< Preußen Frankreich 1880.... 335967 62940 1881.... 330425 108229 1882.... 335476 97027 1883.... 317348 96803 1884....332 801 78 974 1885.... 347 542 87 661 1886....331 565 52616 1887.... 398825 50536 1888.... 425 789 44 772 1889.... 411 785 85 646 Wir erkennen hieraus, wie sehr in späterer Zeit Preußen gegenüber Frankreich bei einem Revanche-Kriege im Vortheil sein würde; je später der Krieg, desto größer die Mannschaft Preußens gegenüber der Frankreichs ". Hier ist wieder einer der Punkte, wo sich die Jnter- essen der besitzenden Klassen gegen einander kehren— eine nothwendige Folge der allgemeinen Anarchie unserer Zustände.— Konservative Unverschämtheit. Die„Kreuzzeitung " vom 4. Dezember schreibt: '„In Wirklichkeit ist das Verhältniß umgekehrt. In Preußen ist nicht die sogenannte Verfassung Quelle des Königlichen Rechts, sondern das Königliche Siecht Quelle der Verfassung. Se. Majestät hat in Preußen im Jahre 1850, als der revolutionäre Janhagel zerstoben war, allergnädigst auf einen Theil der Allerhöchsten Siechte verzichtet." Das ist doch wirklich stark erlogen„Mit Gott für König und Vaterland"! Die Kreuzzeitung, welche ja 1848 begründet wurde— sie hieß damals noch allgemein „Galgenzeitnng"— sollte doch den wirklichen Hergang der Sache wissen! Man läßt sich nicht gern an Stunden erinnern, wo man einmal schwach gewesen ist, und deshalb ist es für eine Zeitung immer eine kitzliche Sache, die alten Srevolutionscrinnerungen heraufztlbeschwören. Aber zu- fällig haben wir einen Zeugen, einen ganz unverdächtigen Zeugen, Siodbertus, den loyalen Rodbertus, den Vater der gegenwärtigen Sozialpolitik, den Junker, das Ideal unserer gesammten gegenwärtigen Strebergenerativn. In einer Schrift„Mein Verhalten in dem Konflikt zwischen Krone und Volk", sagt Siobertus:„Es war vielleicht eine zu hochherzige, eine zum welt- liehen Gelingen übertriebene sittliche Idee, als das Preußische Volk, im mächtigen Vertrauen zu seinem Königs gefchlecht, im März, in den Tagen, wo die Exekutivgewalt in Betäubung dalag(nämlich, wo das Volk das Schloß, in dem der König war, besetzt hielt und den König zwang, die Mütze vor den gefallenen Revolutionshelden abzuziehen—) s e l b st sie wieder in ihrer ganzen Vollgewalt aufrichtete, und sich über die Verfassung mit dem Gegner nur vereinbaren wollte." Für diese„hochherzige, übertrieben sittliche Idee", hat das Volk nun die Genugthuung, von der Galgen- zeitung als„Janhagel, welcher zerstiebt", beschimpft zu werden. Kraft- und Saftsprüche von Dr. Marti« Luther» dem DolKsmann. „Die Schrift nennt die Obrigkeit Stockmeister, Treiber und Anhalter, durch ein Gleichniß. Wie die Eselstreiber, welchen man allezeit muß auf dem Hals liegen und mit den Ruthen treiben, denn sie gehen sonst nicht fort; also muß die Obrigkeit, den Pöbel, Herrn Omnes treiben, schlagen, würgen, henken, brennen, köpfen und radebrechen, daß man sie fürchte und das Volk also in einem Zaume gehalten werde. Denn Gott will nicht, daß man das Gesetz dem Volke allein fürhalte, sondern daß man auch dasselbe treibe, handhabe und mit der Faust ins Werk zwinge. Denn so man es allein für- hielte dem Volle und nicht triebe, so würde nichts daraus." Als Treiber des Gesetzes müsse die Obrigkeit den..rauhen, ungezogenen Herrn Omnes(den großen Haufen) zwingen und treiben, wie man die Schweine und wilden Thiere treibt und zwinget". (Sämmtl. Werke 33. 380.) ** *
Ausgabe
4 (13.12.1890) 50
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