Winterhalbjahr pro Tag und Mann 50— 60 Pf. und für die Frau und das Mädchen 25— 30 Pf.; im Sommer dagegen für den Mann 1 Mk. und für die Frau oder Mädchen 40— 50 Pf. pro Tag. Erwähnenswerth ist, daß Akkordarbeiten in der Provinz auf dem Lande sehr wenig in Brauch sind, daß die Arbeiter sich nur sehr ungern darauf einlassen und mit Recht sehr mißtrauisch gegen das Anerbieten von Akkordarbeiten sind. Dies hat hauptsächlich darin seinen Grund, daß einerseits die Leute außer Stande sind, sich selbst den Verdienst nachzurechnen und zweitens, weil ihnen der Arbeitgeber, wenn ihm der Verdienst nachträglich zu hoch erscheint, ohne Weiteres Abzüge macht. Außerdem aber Passiren noch ganz andere Dinge, wovon ich nur einen, damals in einer Arbeiterzeitung berichteten Fall, mittheilen will. Im Jahre 1877 lockte der Gutspächter K. zu W. im Kreise Krotoschin , als er wegen Arbeitermangels und schlechter Lohnsätze seine Kartoffelernte nicht zu bewältigen ver- mochte, eine größere Anzahl von Arbeitern dazu heran. und versprach den Leuten einen Akkordsatz von 10 bis 15 Pf. pro Scheffel geerntete Kartoffeln, verschob aber unter allerlei Vorspiegelungen den Zahlungstag bis vier Wochen nach Beendigung der Ernte hinaus und zahlte dann den Leuten durchweg einen Tagelohn von 40 Pf. aus, obgleich sie 60 Pf. bis 1,80 Mk. verdient hatten. Einer der Arbeiter, der bei Herrn K.' in Dienst stand, erlaubte sich gegen diese Willkür in bescheidenster und ruhigster Weise Einspruch zu erheben, wofür er zunächst eine tüchtige Tracht Prügel erhielt und außerdem von dem Herrn aus seiner Wohnung und aus seinem Dienst gejagt wurde. Ob der Mann sein Recht weiter gesucht hat, ist leider in der Zeitung nicht mitgetheilt; es ist aber kaum anzunehmen, daß dies geschehen, weil der polnische Arbeiter durch mehr als hundert- jährige Knechtschaft in Apathie versunken ist und dadurch allen Muth verloren hat. Zur zweiten Klasse der Landarbeiter sind die sogenannten Gärtner oder Eigenthümer, wie sie in anderen Provinzen genannt werden, zu zählen. Sie be- sitzen im Dorfe eine Hütte, mit einem daranliegenden, einige Ouadratruthen enthaltenden Garten und etwa zwei und einen halben Morgen Acker auf der Dorf- Feldmark. Selbstverständlich kann hiervon eine Familie nicht existiren und der Mann ist daher genöthigt mit der Gutsherrschaft einen Vertrag zu schließen, der ge- wöhnlich unter folgenden Bedingungen zu Stande kommt: Er erhält einen Morgen Ackerland zu Kartoffeln, ferner vom ausgedroscheuen Getreide den sechszehnten Scheffel als Drescherlohn, vom Wiesenmähen 60— 75 Pf. pro Morgen, für das Mähen des Wintergetreides einschließlich seiner Frau als Abrafferin, 1,20 Mk. pro Morgen. Wenn man diese Grundlagen annimmt, so kann man rechnen, daß der Tagesverdienst im Winter 50 bis 60 Pf., im Sommer 60— 75 beträgt; dazu kommt der Ernteertrag von einem Morgen Kartoffclland mit 75 Scheffeln im Werthe von 75 Mk. Nicht berechnen darf man 52 Sonntage, 10 Feiertage und 70 bis 80 Regentage, wo nicht im Freien gearbeitet werden kann und die Scheunenarbeit schon vollendet ist. Im günstigsten Falle verdient das Familienoberhaupt da- her, wenn nicht noch während dieser Zeit andere Hit- fälle, als Krankheiten u. f. w. eintreten, im Laufe des Jahres wenig über 300 Mark. Von den Familien- Mitgliedern— im Durchschnitt außer dem Mann vier Personen— ist außer der Frau, die auch hin und wieder zur Arbeit geht, höchstens eins als erwerbsmäßig anzunehmen; rechnet man nun den Tagesverdienst der Frau mit 40 Pf. durchschnittlich für 100 Arbeitstage, und den Verdienst des Kindes oder der Magd mit 30 Pf. für 200 Arbeitstage, so treten zu obiger Summe noch 100 Mk.; ferner tritt hinzu der Ertrag von 21/2 Mvrgen eigenen Ackerlandes, welches sehr hoch ge- rechnet 40 Mk. pro Morgen, also 100 Mk. beträgt. und wir erhalten demnach ein Einkommen von wenig über 500 Mk. Hiervon sind jedoch abzurechnen an Stenern, Gemeindelastcn(für Pfarrer, Kirche. Schule und Lehrer, Küster. Dorfwächter) und Kreisabgaben etwa 60 Mk. und bleiben daher 440 Mk. zur Ernährung und Bekleidung einer Familie von sechs Personen pro Jahr oder 1,50 pro Tag übrig.— Freilich immer noch eine glänzende Einnahme, wenn man die in einer der letzten Nummern unserer Zeitschrift mitgetheilten Hans- Haltungsbudgets von Webern aus dem Eulengebirge da- gegen hält. Die Kost besteht aus Schur(zur) als Frühstück; dies sind zu Brei gekochte Kartoffeln mit einem Zusatz von Essig, denen an Festtagen ein Stück Fett oder Speck beigegeben wird. Zweites Frühstück wird nur während der Ernte genossen und wird, da das Dominium bereits im Mai eine halbe Stunde(von 8 bis 8Va Uhr) Frühstückszeit gewährt, um diese Zeit auszufüllen, ein Stück Brot oder ein Töpfchen Schur, zur Arbeit mitgenommen. Das Mittageffen besteht meistentheils ans Sauerkohl mit Kartoffeln oder Erbsen mit Kartoffeln, und das Abendessen wieder entweder ans Schur oder einer Mehlsuppe mit Kartoffeln, der etwas Milch beigegeben ist. Von Fleischspeisen ist nur an hohen Festtagen die Rede, wobei noch zu bemerken ist. daß die Leute als strenge Katho liken in jeder Woche Freitags und Sonnabends und in den sogenannten großen Fasten, d. h. von Aschermittwoch bis Ostern, sich des Genusses von thierijcheni Fett e»t- halten und als Fettzusatz zu den Speisen Leinöl ver- wenden. Das Brot besteht aus einem Gemenge von Roggen-
und Gerstenschrot, welches gewöhnlich auf einer Hand- wühle, die man fast in jeder Familie findet, hergestellt wird. Da Backöfen nur selten anzutreffen sind, wird das Brot meistentheils in Kuchenform auf der Kochplatte gebacken, und wie unvollkommen dies geschieht, ist daraus ersichtlich, daß ein solcher Kuchen in der Dicke und dem Umfang eines gewöhnlichen tiefen Tellers oft iVa bis 2 Pfund schwer ist, während ein Stück gut ausgebackenen Brotes in denselben Dimensionen nur ein Gewicht von Va bis 3/4 Pfund hat. Die Bekleidung entspricht den wahrhaft kläglichen Verhältnissen, in denen diese Armen leben, in jeder Be- ziehung. Eine grobleinene oder Tuchhose, zwei ebensolche leinene Hemden, eine bunte Kattun- oder Tuchweste und ein blauer, nicht selten mehrere Generationen alter, Tuchrock bilden den ganzen Kleiderreichthum des Mannes. Am Sonnabend werden gewöhnlich die Hemden gewaschen und unterdessen müssen die Kinder, da sie gewöhnlich nur ein Hemde haben, selbst im Winter, nackt umher- laufen. Der höchste Kleiderluxus beim Manne ist ein blauer Mantel oder ein Schafpelz, welches Kleidungsstück, wenn er im letzten Drittel seines Lebens in dessen Besitz gelangt, mit Stolz am Sonntag beim Besuch der Kirche oder des Jahrmarktes im nächsten Städtchen präsentirt wird. Daß unter solchen Verhältnissen der Branntwein- genuß bei diesen Leuten ein sehr starker ist— fast auf jedem der größeren, sogar der mittleren und kleineren Güter findet man eine Branntweinbrennerei— darf wohl nicht Wunder nehmen, denn dieser Sorgenbrecher bildet den einzigen Genuß in ihrem elenden Dasein, und Mann und Weib, Kind und Greis ergötzen sich an ihm als dem einzigen Labsal, welches ihnen hier auf Erden zugänglich ist; ja selbst den Säugliugen wird er als etwas Gutes und Heilsames eingeträufelt. Und doch sind bei alledem diese Gärtner noch be- neidenswerth gegenüber dem Stande von Proletariern, welche die dritte Klasse der Landarbeitcrbevölkerung der Provinz Posen bilden, die Gesindeleute. Zunächst die Schaffner(Vögte), welche dieAufsicht über diePferdekuechte, Ochsenkuechte oder eine Arbeiterabtheilung führen. Sie rekrutiren sich besonders aus den Knechten und Gärtnern, wobei es keineswegs nöthig ifi, daß sie, um diesen Posten bekleiden zu können, eine besondere Kenntnis; der land- wirthschaftlichen Arbeiten besitzen, sondern-.sie gelangen sehr häufig dazu, daß sie sich entschließen, ein Mädchen zu Heirathen, welches der Gutsherr oder einer der Wirth- schaftsbeamten verführt hat. Zum Gesinde gehören außerdem noch die Schäfer, der Hofwächter, sowie die Schäfer-, Ochsen- und Pferde- Knechte und die Mägde. Grundsätzlich werden am liebsten verhcirathete Leute als Gesinde in den Dienst genommen, da die Gutsherrn durch das Halten von ver- heiratheten Leuten nicht allein eine größere-Garantie für deren Seßhaftigkeit gewinnen, sondern auch nicht uner- hebliche Ersparnisse an Auslagen für die Küche, Koch- Utensilien, Bettstellen, Betten, Licht, Brennmaterial u. s. w. machen. Die Wohnungen sind allen gleich zugetheilt, und nur der Schäfer, sowie die Vögte und sonstigen Ausseher erhalten eine bequemer belegene, etwas bessere. Das Gesinde wird sämmtlich, wie es wohl fast überall ge- schieht, auf Grund niüudlichen Vertrages nach den Be- Kimmungen der Gesinde-Ordnung vom 8. November 1810 gemiethet. Das Miethsgeld beträgt bei den Vögten tc. 6 Mk., bei den Knechten und Mägden 3 Mk. Natürlich wird man sich denken können, daß die Gutsbesitzer die schönen Bestimmungen unserer mittel- alterlichen Gcsindeordnung den armen polnischen Arbeitern gegenüber gehörig ausnutzen, namentlich den famosen Pa- ragrapheu, welckier der„Herrschaft" das Recht verleiht, das„Gesinde" durchzuprügeln, die„dummen Po lacken" wie sie sie in ihrem Jargon nennen. Die Einkünfte eines Knechtes betragen:
Vorstehende Angaben sind nach den Lokalverhält- »issen eher zu hoch als zu niedrig berechnet; es ist außerdem klar, daß diese Leute von ihrem Herrn zum Aupflauzeu der Kartoffeln nicht den besten Boden in genügender Düngung, ferner nicht das beste Getreide und für die Kuh die beste Weide, sowie im Winter, das beste Futter erhalten.
Mas voUen die Nihilisten?! Von Stepniak. Au» dem Russischen von B. N. II. Nach diesen Ausführungen liegt kein Grund mehr vor, die Nihilisten fanatische Thoren zu nennen, welche sich bestreben, eine Utopie„einer nicht darauf vorbereiteten Nation aufzudrängen". Ich muß hinzufügen, daß sie, obgleich persönlich vorzugsweise Republikaner, doch nicht einmal die Abschaffung der Monarchie verlangen, sondern nur die Abschaffung ihrer Willkürherrschaft, so daß die letzte Kontrolle in Staatsangelegenheiten einer National- Versammlung obliegt. Dies sind doch Bestrebungen, welche man durchaus nicht mit„vollständiger Untergrabung des Staates oder jeder politischen und sozialen Ordnung" identifiziren kann. Beschränkt sich aber das Ideal der russischen Nihi- listen auf eine freie Konstitution? Nein, durchaus nicht. Sie haben niemals ihre letzten Z.ele verheimlicht. Einen Beleg für diese Behauptung bietet ein anditres, wenig bekanntes Schriftstück, welches weder in englischer noch in französischer Sprache erschienen ist. Ich empfehle es deshalb der besonderen Aufmerksamkeit des Lesers. Es ist daS Programm der Partei der„Naroclnaja Volja"(Volkswille), welches praktisch das darstellt, was man wohl„Nihilismus" nennen kann. Ich will dasselbe nur in Auszügen, welche die Hauptpunkte des Programms enthalten, hier mittheilen: „1. Unserer Ueberzeugung nach", sagt dieses Schrift- stück,„find wir Sozialisten und Demokraten. Wir sind fest davon überzeugt, daß die menschliche Gesellschaft nur, wenn sie auf sozialistischer Grundlage ruht, die Ver- körperung der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit sein kann, und daß nur dann das allgemeine Wohlergehen. die volle harmonische Entwicklung des Menschen und der soziale Fortschritt gesichert ist. Wir sind ferner der festen Ueberzeugung, daß nur der Wille des Volkes die sozialen Institutionen, wie sie auch sein mögen, sanktioniren, und die Entwicklung der'Nation nur dann als einzig wahr betrachtet werden kann, wenn sie unabhängig und frei vor sich geht, und wenn jede Idee, die praktisch verwirk- licht werden soll, vorher durch den Willen und die Einsicht der Nation geprüft worden ist. „2.— In unserer Eigenschaft als Sozialisten und Demokraten müssen wir als unmittelbaren Zweck die Be- freiung des Volkes von der gegenwärtigen Unterdrückung auerkennen, indem wir eine politische Revolution in's Werk setzen, welche die Regierung in die Hände der Nation zu übertragen bezweckt. „3.— Wir glauben, daß der Wille des Volkes in seinen Vertretern, die frei von allen Bürgern gewählt sind, am besten zum Ausdruck gelangt. Wir halten eine Volksvertretung zwar nicht für die vollkommenste Mani- festation des Volkswillens, aber doch für die einzig realisirbare, und daher müssen wir sie in Ermangelung des Bessern annehmen. „4.— Wir unterwerfen uns also vollkommen dem Willen des Volkes; als Partei fühlen wir uns aber ver- pflichtet, das Land mit unserm Programm bekannt zu machen, und wir werden für dasselbe vor der Revolution Propaganda machen, indem wir es während den Wahlen den Wählern ans Herz legen und vor der Nationalversammlung vertheidigen werden. Dieses Programm enthält folgende Punkte: a) Die permanente Volksvertretung hat die Kontrolle und die oberste Leitung in allen Staatsaugelegen- Helten in Händen; b) Eine weitgehende provinzielle Selbstverwaltung, welche durch die Wahl aller öffentlichen Beamten gesichert ist; c) Die Unabhängigkeit der Gemeinde(Mir) als ökonomischer und administrativer Einheit; ck) Die Verstaatlichung des Grund und Bodens; e) Eine Reihe von Maßregeln, die dahin zielen, die Arbeiter in den Besitz der Arbeitsmittel zu setzen; f) Absolute Gewissens-, Rede-, Preß-, Versammlungs-, Koalitions- und Wahlfreiheit; g) Die Verleihung des Stimmrechtes an alle majo- rennen Bürger, ohne Unterschied der Klaffe und des Vermögens; b) Die Errichtung einer Bürgermiliz an Stelle des stehenden Heeres". — Die Hoffnung und der Wunsch, die triumphirende Revolution auf ein bloßes Wahlkomitce zu reduzire», ist, wie sehr sich auch diejenigen, die die Initiative dazu ge- geben haben, darum bemühen mögen, in der Praxis nicht realisirbar. Wenn wir wissen wollen, was eine politische Revolution hervorrufen wird, dann müssen wir die prak- tischen Bestrebungen der Elemente in der Gesellschaft und in der Nation studiren, welche aller Wahrscheinlichkeit nach daran betheiligt sein müßten. Dieser Theil des Programms ist reich an Gedanken und zeigt deutlich den Geist der Partei, welche sich so viele Jahre hindurch an der Spitze der freiheitlichen Bewegung in Rußland gehalten. Da die Nihilisten nie die Absicht hatten, anderen ihre eigenen Ansichten aufzudrängen, sondern nur auf dem Wege der Ueberzeugung sich Anhänger verschaffen wollten, so sind die Verfolgungen, deren Opfer sie ge- worden, nicht als„Vertheidigung der Ordnung", sondern lediglich als Gewaltakte zu betrachten, vergleichbar den religiösen Verfolgungen. Jedes menschliche Wesen hat das Recht, nach seinem Geschmacke den Weg zum sozialen Glücke zu finde» und ihn seinen Mitmenschen zu zeigen. Es ist dabei ganz gleichgiltig, ob er Recht oder Unrecht hat. Darüber werden schon diejenigen entscheiden, an