Ucißl'ntt zur berliner ilollis-<tril!»iinc.
7.
Sonnabend, den 14. Februar 1891.
V. Jahrgang.
Nerheißnng.
Nicht mehr barfuß sollst Du traben, Deutsche Freiheit, durch die Sümpfe, Endlich kommst du auf die Strümpfe, Und auch Stiefel sollst du haben! Auf dem Haupte sollst du tragen Eine warme Pudelmütze. Daß sie dir die Lhren schütze In den kalten Winterlagen. Tu bekommst sogar zu essen- Eine große Zukunft naht dir! Last' dich nur vom welschen Satyr Nicht verlocken zu Exzessen! Werde nur nicht dreist und dreister! Setz' nicht den Respekt bei Seiten Vor den hohen Lbrigkeiten Und dem Herren Bürgermeister! Heiurich Heine.
F e t t k u g e l. Von Guy de Mau Passant. lNachdr. verboten.) (2. Fortsetzung.) Noch immer aber war der Kutscher nicht zu finden. Schließlich entdeckte man ihn im Kaffeehause des Ortes, wo er brüderlich mit der Ordonnanz des preußischen Offiziers am Tische saß. Der Graf redete ihn an: Hat man Ihnen nicht befohlen, um acht Uhr an- juspannen?" Jawohl," entgegnete jener,aber seitdem habe ich schon wieder einen anderen Befehl erhalten." Welchen?" Ich soll nicht anspannen." Wer hat Ihnen diesen Befehl gegeben?" Nun! der preußische Kommandant." Warum?" Das weiß ich nicht, da müssen Sie ihn selbst Hägen. Man verbietet mir eben, anzuspannen, also thue ich es auch nicht." Hat er Ihnen das selbst gesagt?" Nein, mein Herr, der Wirth hat mir in seinem Austrage den Befehl ertheilt." Wann ist dies geschehen?" Gestern Abend, als ich zu Bett ging." Diese Erklärung erweckte in den drei Männern ernste Seiorgniß. Man frug nach Herrn Follenvie, allein das Dienstmädchen erklärte, daß ihr Herr wegen seines Hustens niemals vor zehn Uhr aufstehe. Er hätte ausdrücklich verboten, ihn früher zu wecken, ausgenommen wenn es im Hause brenne. Nun wollte man den Offizier sehen, allein dies war absolut unmöglich, obwohl derselbe im Gasthause wohnte Nur Herr Follenvie war ermächtigt, ihn in Zivilangelegen- heiten zu sprechen. So mußte man denn warten, und die Frauen gingen einstweilen wieder auf ihre Zimmer, wo sie sich mit allerhand Kleinigkeiten beschäftigten. Cormudet machte es sich unter dem hohen Küchen- kamin bequem, in welchem ein tüchtiges Feuer brannte. Hier ließ er sich ein Tischchen aufstellen, bestellte einen Schoppen Bier und zog seine Tabakspfeife hervor, welche unter den Demokraten fast ebensoviel Achtung genoß wie er selbst, gerade als ob sie, indem sie Cormudet diente, dem Vaterland einen wichtigen Dienst geleistet habe. Es war eine prächtig angerauchte Meerschaumpfeise, ebenso schwarz wie die Zähne ihres Herrn. Unbeweglich saß er da, die Augen bald auf die Flamme des Feuers, bald auf den Sckwum in seinem Glase heftend, und jedesmal, wenn er getrunken hatte, strich er befriedigt mit seinen dürren Fingern über seine langen grauen Haare, während er an seinem schaumbedeckten Schnurrbart sog. Loiseau ging unter dem Vorwande, sich die Beine zu erwärmen, fort und suchte bei den Krämern des Ortes seinen Wein anzubringen. Der Graf und der Fabrik- bescher begannen über Politik zu plaudern. Sie sahen schon das künftige Geschick Frankreichs   voraus. Der eine vertraute auf die Truppen von Orleans  , der andere hosite auf irgend einen unbekannten Retter, auf einen Helden, welcher auferstehen werde, wenn alles schon in �erzweiflung sei: vielleicht einen Du Guescliu oder eine Jungfrau von Orleans oder eine» zweiten großen Na- Poleon? Ach! meinten sie, wenn nur der kaiserliche Prinz uicht noch so jung wäre! Cormudet, dessen Pfeife die ganze Küche durchdnftete, hörte ihnen lächelnd zu, wie ein Mann, welcher die Geschicke der Völker längst.durch- schaut hat. Schlag zehn Uhr erschien Herr Follenvie. Schnell ward er mit Fragen bestürmt, aber er konnte nur zwei- bis dreimal dieselben Worte wiederholen: «Der Offizier hat mir gesagt: Herr Follenvie, Sie werden verbieten, daß morgen der Wagen jener Reisenden angespannt wird. Sie dürfen nicht ohne meinen Befehl abreisen. Verstehen Sie!" Nun wollte man mit dem Offizier selbst sprechen; der Graf schickte ihm seine Karte, auf welcher Herr Carrö- �amadon noch seinen Namen und alle seine Titel ver- werkte. Ter Preuße ließ antworten, daß er diese beiden
Männer vorlassen wolle, sobald er gefrühstückt habe, das heiße gegen ein Uhr. Inzwischen erschienen die Damen wieder, und trotz der tiefen Besorgniß nahm man doch einen kleinen Imbiß zu sich. Fettkugel schien unwohl zu sein und legte eine merkwürdige Bestürzung an den Tag. Man war eben fertig mit Kaffeetrinken, als die Ordonnanz jene beiden Herren abh lte. Loiseau schloß sich ihnen an; als man aber Cormudet zur Theilnahme zu bewegen suchte, damit derselbe dem Ganzen einen mehr feierlichen Charakter ver leihe, erklärte er stolz: nie wolle er zu den Deutschen   in irgend welche Beziehung treten. Mit diesen Worten zog er sich wieder in seine Kaminecke zurück und bestellte einen neuen Schoppen. Die drei Männer stiegen nun hinauf und wurden in das schönste Zimmer des Gasthauses geführt, wo der Offizier sie empfing. Derselbe hatte sich behaglich in einen Lehnstuhl ausgestreckt, die Füße auf dem Kaminsims ge- stemmt, rauchte eine lange Porzellanpfeife und war in einen grellfarbigen Schlafrock gehüllt. Er stand weder auf, noch grüßte er die Eintretenden, ja er sah sie nicht einmal an und lieferte somit ein ausgezeichnetes Beispiel für die Ungeschliffenheit, welche dem siegreichen Soldaten aller Nationen eigen zu sein pflegt. Nach längerem Schweigen sagte er endlich: Was wollen Sie?" Der Graf ergriff das Wort und erklärte:Wir wünschen abzureisen, mein Herr." Nein." Dürfte ich mir dann erlauben, Sie nach dem Grunde dieser Weigerung zu fragen?" Nun, weil ich nicht will." Dann möchte ich Sie gehorsamst darauf aufmerksam machen, mein Herr, daß Ihr Obergeneral uns eine Reise- vollmacht bis Dieppe   ausgestellt hat, und ich glaube nicht, daß unser Benehmen eine solche Strenge verdient hat Ich will nicht... das ist alles... Sie können wieder gehen." Alle drei verneigten sich und verließen das Zimmer. Während des ganzen Nachmittags herrschte eine kläg- liche Stimmung unter der Reisegesellschaft. Man konnte diese Laune des Deutschen   durchaus nicht begreifen, und die sonderlichsten Gedanken tauchten auf. Alle hielten sich in der Küche auf, wo man sich in endlosen Aus- einandersetzungen erging und die unwahrscheinlichsten Dinge sich einbildete. Vielleicht wollte man sie als Geißeln zurückhalten aber zu welchem Zwecke? oder sie in die Gefangenschaft schleppen? oder schließlich ein beträcht liches Lösegeld von ihnen fordern? Bei diesem Gedanken erfaßte Alle höllische Angst. Die Reichsten unter ihnen waren am meisten erschrocken, indem sie sich schon ge- zwungen sahen, für ihr Leben diesemunverschämten Svldatenlümmel" ganze Säcke voll Gold in die Hände zu liefern. Sie zermarterten sich das Hirn, um irgend welche annehmbare Nothlüge zu entdecken, mit der sie ihre Reichthümer verheimlichen und sich für ganz arme Leute ausgeben könnten. Loiseau häkelte schleunigst seine goldene Uhrkette ab und verbarg sie in die Hosentasche. Als schließlich die Nacht hereinbrach, steigerte sich die Angst immer mehr. Es wurde die Lampe angezündet, nnd da man bis zum Diner noch zwei Stunden Zeit hatte, schlug Frau Loiseau eine PartieEinunddreißig" vor. Der Vorschlag wurde angenommen, und selbst Cormudet, nachdem er anstandshalber seine Pfeife hatte ausgehen lassen, betheiligte sieb daran. Der Graf mischte die Karten, gab, und Fettkugel gewann das erste Spiel; so dauerte es nicht lange, bis das Interesse am Spiel die Furcht, welche alle Gemüther beherrschte, unterdrückte. Aber dem aufmerksamen Be obachter Cormudet entging es nicht, daß Herr und Frau Loiseau einander verständigten, um während deö Spiels zu mogeln. Als man sich zu Tische setzte, erschien Herr Follenvie wieder und fragte laut mit kreischender Stimme: Ter preußische Offizier läßt Fräulein Elisabeth Rousset fragen, ob sie ihre Meinung noch nicht geändert habe." Fettkugel blieb erbleichend stehen; dann ward sie plötzlich feuerroth im Gesicht, und der Zorn erstickte ihre Stimme. Schließlich polterte sie hervor: Sagen Sie diesem würdigen Herrn, daß ich nie einwilligen werde! verstehen Sie wohl? nie, nie, nie!" Nachdem der dicke Wirth wieder hinaus war, wurde Fettkugel umringt, mit Fragen bestürmt, und alle baten sie inständig, das Geheimnis: zu enthüllen Anfangs weigerte sie sich, bald aber konnte sie ihre Erregung nicht mehr bezähmen nnd rief: Was er will?... was er will?... Er will bei mir schlafen!" Niemand»ahm an dem Worte Anstoß, so heftig war d:e Entrüstung. Cormudet zerbrach sogar sein Bier glas, weil er es zu energisch auf de» Tisch niedersetzte. Von allen Seiten wurde jeuer unwürdige Patron ver- wünscht, und alle vereinigten sich zum Widerstaude, als ob man von einem jeden einen Theil des von ihr gefor- dertea OpserS verlangt hüt e. Ter Graf erklärte mit tiefer Verachtung, daß jene Soldaten sich gerade wie die
alten Barbaren betrügen. Besonders die Frauen em- pfänden für Fettkugel inniges Mitleid, während die frommen Schwestern, welche sich überhaupt nur bei den Mahlzeiten sehen ließen, schweigend den Kopf senkten. Nachdem die erste Zornesaufwallung vorüber war, schritt man zwar zum Diner; allein es wurde wenig ge- sprochen, und alle waren mehr oder weniger in Gedanken versunken. Die Damen zogen sich sehr zeitig zurück, und die Männer begannen wieder ein Kartenspiel, zu welchem auch Herr Follenvie eingeladen wurde, den man dabei schlau nach der Art und Weise zu fragen beabsichtigte, wie der Widerstand des Offiziers am besten zu über- winden sei. Jener aber war so in sein Spiel vertieft, daß er weder hörte noch sah, sondern immer wiederholte: Passen Sie auf das Spiel auf, meine Herren." Seine Aufmerksamkeit war derart in Anspruch ge- nommen, daß er sogar auszuspucken vergaß, wodurch zu- weilen ein lautes Röcheln in seiner Brust entstand. Das Pfeifen in seinen Lungen brachte eine förmliche Asthma- tonleiter hervor, von den schweren tiefen Noten bis hin- auf zu den schrillen Tönen, welche man bei einem jungen Hahn hört, wenn er zu krähen versucht. Er weigerte sieh sogar, hinaufzugehen, als seine Frau, welche sich des Schlafs kaum mehr erwehren tonnte, ihn zu Bett holen wollte. Schließlich ging sie allein._ denn sie war gewohnt, stets vor Sonnenaufgang aufzustehen, während ihr Mann zwar früh lange schlief, dafür aber immer bereit war, mit Freunden bis tief in die Nacht hinein zu plaudern. Er rief ihr noch nach: Vergiß nicht, meine Hühnermilch warm zu stellen!" Dann war er wieder beim Spiel. Als man schließ- lich einsah, daß aus diese Weise nichts von ihm zu er- fahren war. erklärte man, daß es Zeit sei aufzubrechen, und ein jeder ging zu Bett. Am nächsten Morgen standen alle ziemlich früh auf; man hegte eine unbestimmte Hoffnung, einen gesteigerten Wunsch, fortzukommen, und dachte mit Schrecken daran, daß man schließlich noch einen Tag iu diesem scheußlichen Gasthause verbringen solle. Aber, o Schrecken! Die Pferde blieben im Stalle, und der Kutscher ließ sich nicht sehen, so daß man schließ- lich aus langer Weile um den Wagen herumspazierte. In trauriger Stimmung wurde das Frühstück ein- genommen, wobei sich Fräulein Fettkugel gegenüber eine gewisse Kälte bemerkbar machte, denn während der Nacht mochte sich so manches Urtheil ein wenig geändert haben. Jetzt war man sogar fast böse darüber, daß diese Dirne nicht insgeheim des Preußen Wunsch erfüllt hatte, um damit nunmehr ihren Reisegefährten eine glückliche Ueber- raschung zubereiten. Was wäre denn einfacher gewesen? Wer würde es denn übrigens erfahren haben? Sie hätte immer noch den Schein des Anstandes retten können, wenn sie dem Offizier sagte, daß sie es nur aus Mitleid gegen ihre Genossen thue. Für eine Person wieffie, konnte es doch von gar keinem Belang sein! Aber noch immer wagte Niemand, diese Gedanken auszusprechen. Als man am Nachmittag eine tödtliche Langeweile empfand, schlug der Graf einen Spaziergang in die Umgebung des Ortes vor. Jeder hüllte sich sorg- sältig in seine Winterkleider, und so ging die kleine Ge- sellschaft fort, ausgenommen Cormudet, welcher lieber am Kamin sitzen blieb, und die frommen Schwestern, welche den Tag entweder in der Kirche oder beim Pfarrer zu verbringen pflegten. Die Kälte wurde mit jedem Tage heftiger und spielte den Nasen und Ohren der Reisenden übel mit; die Füße begannen derart zu schmerzen, daß jeder Schritt ihnen eine Qual schien, und als sich schließlich das offene Land vor ihnen ansbreitete, erschien dieses ihnen unter der endlosen Schneedecke so düster, daß alle sofort wieder umkehrten, die vier Frauen voran, während die drei Männer ihnen in einiger Entfernung folgten. Loiseau, welcher den Grund der Verstimmung begriff, frug plötzlich, ob jeneDirne" sie denn noch länger an einem solchen Orte aufhalten wolle. Der Graf aber, immer der höfliche Mann, entgegnete, daß man von einem Weibe ein so schweres Opfer nicht fordern könne, sondern daß es ihr guter Wille sei, wenn sie es bringe. Herr Carrö-Lamadon bemerkte, daß, wenn man den Gerüchten glauben dürfe, nach welchen die Franzosen einen Offensiv- stoß zurück nach Dieppe   machen wollten, der Entschei- dungskampf nur in Totes stattfinden werde. Diese Er- klärung rief allgemeine Besorgniß hervor. Wie wäre es denn, wenn wir uns zu Fuße zu retten suchten?" fragte Loiseau. Da entgegnete der Graf achselznckend: Glauben Sie, daß dies bei solchem Schnee und noch dazu mit unser» Frauen möglich ist? Außerdem würde man uns sofort verfolgen und gefangen zurück- schleppen, um uns der Gnade und Ungnade dieser Sol- boten zu überantworten." Das war allerdings wahr, und man schwieg. Tie Damen plauderten unterdessen über Toiletten- angelegeiil>eiten; dabei konnte man aber eine gewisse " pannung bemerken, welche zwischen ihnen herrschte.