Heine, das in allen Ausgaben steht. In Halle wurde Dr. Völkel, der Prediger der Freien Gemeinde in Magde- bürg, wegen Gotteslästerung mit sechs Monaten Ge- fängniß bestraft; das Urtheil nennt ihn„einen gemein- gefährlichen Menschen". Kommentar überflüssig. Nur das eine wollen wir bemerken: Es ist uns manchmal als lebten wir wieder im Jahre 1879. — Im Reichstage hatte es der Abgeordnete Bebel „für gut befunden", die Soldatenschindereien und die Selbstmorde in der Armee zur Sprache zu bringen. Darauf wurde ihm geanrwortet, das beruhe darauf, daß wir in Deutschland verschiedene Stämme und Rassen haben. Nun kennen wir allerdings deutsche Stämme, welche fast tagtäglich„Knvdel" oder„Spätzle" essen, während andere Eisbein mit Sauerkohl und dicken Erbsen oder Kartoffel mit Schmorfleisch vorziehen, auch Lieb- Haber von„Federweißen" und„Nordhäuser" sind uns bekannt, aber keinen Stamm wissen wir zu nennen, dessen Mitglieder sich so mir nichts, dir nichts, frisch, fromm, frei, mit Lust und Liebe ums Leben brächten. Kann uns einer unserer Leser vielleicht vom Gegentheil über- zeugen, eventuell, wo liegen die betreffenden Wohnsitze? — Im Abgeordnetenhause wurde die Regierung von einem Nationalliberalen— ein Helles Wunder— inter- pellirt, ob es wahr sei, daß ein Staatsmann aus dem Welfenfonds größere Summen zu Gunsten eines Verwandten entnommen habe.— Die Regierung schwieg. Schweigen ist auch eine Antwort. v— Die Grabstätte der Märzgefallenen im Friedrichs- Hain befindet sich in einem schmachvollen Zustande. Die Denksteine und-Mäler sind vermorscht oder verrostet und eingesunken, die Inschriften verwaschen. Die Stadt Berlin , die so viele Tausende frei hat, wenn es gilt Feste zu feiern und Gastereien zu veranstalten, würde doch wohl die paar Mark noch aufzubringen vermögen, welche nöthig sind, um hier etwas Würdiges zu schaffen. Wir glauben das deutsche Bürgerthum hätte alle Ursache, der Vorkämpfer des Sturmjahres sich dankbar zu erinnern. Hätten jene nicht ihr Leben hingeworfen, wer weiß, ob heute in dem Maße die Bäuche sich blähten und die Gesichter sich rundeten.— — Der preußische Unterrichtsminister Goßler ist ge- gangen und der Generalfeldmarschall aller Schwarzen katholischer Konfession, Windhorst, ist gestorben. Der Minister war einer von der Art, von welchen zwölf ein Dutzend machen und fünfzehn eine Mandel. Sein Rücktritt war nichts weniger als ein freiwilliger; er selbst sagt, er sei gegangen,„weil die politischen Verhältnisse sich in jüngster Zeit so gestaltet hätten, daß er befürchte, unter Umständen eine Last und ein Hemmniß bei den Maßnahmen der Regierung zu sein." Seltsam, der Mann, der Goßlcrs Rücktritt erzwang, starb wenige Tage nach dem Eintritt dieser Thatsache. In Windhorst per- liert die deutsche Sozialdemokratie ihren schlauesteiz und geriebensten Widersacher, das Zentrum seinen einzigen Führer; es gleicht jetzt einem Körper ohne Kopf. Auch die schwächste Sache kann von einem talentirten Mann zeitweilig gehalten werden. An dem Zentrum wird sich jetzt gar bald zeigen, ob die Grundsätze, Ansichten, Ueber- zeugungen, die es verficht, eine Zukunft haben, oder ob nur das politische Geschick des tobten Führers die Ursache war. Da ist die Sozialdemokratie in einer anderen Lage; hier verschwindet alles Persönliche vor den For- derungen einer sich entwickelnden Idee. Windhorst ist als armer Mann gestorben. Die Dotationen, die ihm seine Anhänger anboten, hat er stets zurückgewiesen. Diesen Charakterzug der Uneigennützigkeit wird auch der Arbeiter anerkennen, wenn auch eine ganze Welt zwischen seinen Ueberzeugungen und denjenigen des Tobten liegt. — Die Konzentralion des Kapitals macht Riesen- sortschritte. Noch ist die Liquidation des Weltbankhauses Naring nicht durchgeführt und schon ist ein anderes großes Bankhaus Pleite gegangen; es ist die Lveiöte de Depots et de cornptes courants in Paris . Die Leiter ließen sich gegen die Bestimmungen des Statuts in Spe- kulationen mit argentinischen Werthin ein und verspielten das ganze Aktienkapital, auch den noch nicht eingezahlten Theil. Die Bank von Frankreich mußte einen Vorschuß von 60 Millionen Franks gewähren, damit nur die in der Bank hinterlegten Einlagen zurückgezahlt werden können. Ob wohl die geplünderten und gerupften Aktionäre auch heute noch der Ueberzeugung sind, daß unser Wirth- schaftssystem das bestmöglichste ist? Der Dismarckiade zweiter Theil. Hätte et nie können ahnen noch glauben, Daß mir Zeit und Umstände würden erlauben, Von Hieronimus Jobs einen zweiten Band Einem ehrsamen Publikum zu machen bekannt. (Leben, Meinungen und Thaten »on HieronimuS Jobs, dem Kandidaten.) Ein paar Monate sind nun verflossen, seitdem der erste Band der Bismarckiade abgeschlossen ist. Es folgte das vergnügte Intermezzo in Friedrichsruh — ein Nach- trag zum Schlußkapitel, bildete sich der gute deutsche Reichsphilister ein; aber„hätte es nie können ahnen noch glauben", es folgt noch eine Fortsetzung! Wie war es doch gewesen! Wie Schuppen war es von den blöden Augen sogar des Philisters gefallen, als Bismarck nach seiner Absetzung selbst den ersten, authen- tischen Kommentar zu seinem Heldenliede geliefert hatte. Was die Intelligenten unter seinen Gegnern, die Ultra- m.ntanen und Sozialdemokraten, immer schon behauptet hatten, mit einem Male war es alles klar geworden: die » grenzenlose Lächerlichkeit dieses Mannes, der mir einem Verstand von der mittelmäßigsten Mittelmäßigkeit den großen Staatsmann gespielt hatte, der mit einer Un- wissenheit in sozialen Dingen, die sogar einem Richter Bedauern einflößte, eine Sozialreform ansing, mit den politischen Taschenspielercien, die er einem Bonaparte sogar abgelauscht hatte, große Politik trieb, und der nichts Eigenes hatte, nichts Eigenes als die preußische Brutalität. Was hatte er denn gemacht? Er war Grundbesitzer; und da er einsah, daß der Grundbesitzer gute Geschäfte macht, wenn man Zölle auf die Lebensmittel legt, oder ihre Einfuhr verbietet, so führte er die Lebensmittelzölle ein. Die anderen Grundbesitzer freuten sich; das war ihr Mann! War er nicht groß? Sorgte er nicht dafür, daß sie gute Geschäfte machten? Er war Großunternehmer, und da sah er ein, daß man durch Jndustriezölle dem Geschäft auf die Beine hilft, durch das Freizügigkeitsgesetz die nöthige fluktuirende Arbeitermasie schafft, um immer billige Arbeitskräfte zu haben, durch Knechtung der Arbeiter ihnen die Möglichkeit nimmt, höhere Löhne zu erlangen, durch Zertrümmern der Reste der feudalen Wirthschaftsgesetze die Aufsaugung der Kleinbetriebe be- schleunigt, durch Unterstützung des Börsenschwindels die Industrie treibhausartig fördert; und so gab er Sozialistengesetz und Freizügigkeitsgesetz, und alle anderen nöthigen Gesetze. Und die Unternehmer machten gute Geschäfte und lobten ihn: ist er nicht ein großer Mann? Sorgt er nicht, daß wir gute Geschäfte machen? Und er selbst machte gute Geschäfte, und obwohl er vorher ein armer Junker gewesen war, wurde er zu einem großen Millionär vor dem Herrn, dieser antike Charakter. Er war ein großer Mann! Er hatte entdeckt, worin die Größe eines Menschen besteht; sie besteht darin, daß er an keine idealistische Flausen glaubt, sondern den Geboten des„gesunde» Menschenverstandes" folgt, welche da sagen: Nimm, was du kriegen kannst. Was sind das für ideologische Narren, diese Leute, welche arm aus dem Amt gehen, in das sie hineingekommen sind!„Enrichissez vous?" ruft der gesunde Menschenverstand;„was ich habe, das bin ich", ruft der Mensch aus der Höhe deö neun- zehnten Jahrhunderts; und„Geld regiert die Welt" steht geschrieben im„Katechismus der Realpolitik, oder die Kunst in 24 Stunden ein großer Staatsmann zu werden." Die Junker machten gute Geschäfte, die Bourgeois machten gute Geschäfte, Bismarck machte gute Geschäfte — sie vertrugen sich also alle Drei sehr gut. sie waren ein Herz und eine Seele. Ein wunderbares Genie, dieser Bismarck ! Sind es nicht eigentlich drei feindliche Brüder, die er hier versöhnt hat? Sehen wir nicht in anderen Ländern und Zeiten, wie sie sich in den Haaren liegen, wie sich Aristokratie, Bourgeoisie und Staatsmacht um den Knochen beißen— und er, er hat sie versöhnt! Und wie genial einfach war das Mittel! Er gab eben Jedem einen Knochen. Da war der Streit beigelegt. Nur eins war bedenklich; wenn nun der Knochen- lieferant ungeduldig wurde! Der Knochenlieferant war das Volk; das Volk mußte durch die Vernichtung des Kleinbesitzes arm gemacht werden, damit es in die Fabriken strömte und für die Bourgeois arbeitete; das Volk mußte seinen Speisezettel kleiner machen, damit die Junker theurer verkaufen konnten; das Volk mußte Steuern bezahlen, damit man den Junkern Geschenke machen konnte; das Volk mußte niedergehalten werden, damit die Bourgeoisie es ordentlich ausbeuten konnte. Wenn dieses geduldige, demüthige, harmlose Volk nun ungeduldig würde? Aber Hieronimus Jobs hatte ein Mittel: den Knochen. Man warf ihm eben auch einen Knochen vor. Freilich, woher nehmen und nicht stehlen? Wer sollte den Knochen liefern? Jobs wurde stutzig. Der Knochen fällt nicht vom Himmel; und weder Staatsmacht, noch Bourgeoisie, noch Aristokratie wollten Etwas geben für den guten Zweck. Aber ein großer Mann findet immer Rath. Ist es kein wirklicher Knochen, so ist es ein Scheinknochen, ist eS kein materieller, so ist es ein idealer. Und so fing er denn an mit der Sozialreform. Die Kleinbürger fielen theilweise hinein, aber die Arbeiter wandten ihm höhnisch den Rücken. Und schließlich wurde es doch zu offenkundig, daß die Sache nicht so weiter ging. Man mußte es anders versuchen, und Bismarck mußte sich nach Friedrichsruh zurückziehen. Das war der Bismarckiade erster Theil. ES war klar: die Sache mußte anders gemacht werden. Dem Volk mußte wirklich Etwas geboten werden. Etwa eine genügende Arbeiterschutzgesetzgebung; oder Auf- Hebung der Zölle. Und der neue Kurs begann denn auch sofort, das in Angriff zu nehmen. Die Folge war, daß Bourgeoisie und Junkerthum die Zähne zeigten, und daß zu dem Volk, das bisher der einzige Gegner gewesen war, noch die Gegnerschaft der herrschenden Klaffen kam; nun war das Ding erst recht bedenklich. Für diese Politik war es eben zu spät. Derartige Konzessionen würden zwar vom Volke mit Vergnügen angenommen; aber deshalb wird das Volk nach wie vor gegen die Regierung bleiben, und so ist der einzige Erfolg der, daß die herrschenden Klassen auch noch erbittert wurden, und die Regierung ganz allein sieht. Jetzt ist nur noch ein Ausweg: Rückkehr zu der alten Bismarckischen Politik, welche wenigstens die An- hänglichkeit der herrschenden Klassen sichert. In der That ist sie ja eigentlich noch nicht verlassen, nur in den Ab- sichten; die Regierung hat immer nur Versuche gemacht und sich sofort zurückgezogen, wenn sie den Widerstand sah. In der That haben wir ja noch ganz das ancie« regime. Nun, weshalb da nicht den Meister deS aneien rögime zurückrufen? „Wie wenn im Sommer von schwülen Düften Ein Ungewitter entsteht in den Lüften, So geht vor dem Donner ordinär Erst ein gelindes Murmeln vorher. Gleichermaßen entstand unter den Leuten Erst ein Gemurmel von allen Seiten"— Komm zurück, Otto, Dir ist alles vergeben! Heimstätteurecht. n. ss. Die Bourgeoisie gewahrt dem AuslösungS- Prozeß der feudalen Agrikulturwirthschaft nur in seinen äußeren, gesellschaftlichen Vegleitserscheinungen: der Mo- bilisation der ländlichen Bevölkerung, dem Absterben aller hergebrachten sozialen Verhältnisse. Mit Unruhe be- obachtet sie die Ergebnisse der Statistik, welche das rapide Anwachsen der großen Städte, der westlichen Industrie- zentren und der Auswanderersiröme mit immer verblüf- fenderer Deutlichkeit der langsamen Entvölkerung des platten Landes entgegenstellen. Die zahllosen Arbeiter- schaaren. welche als„Sachsengänger" und Saisonarbeiter zwischen den Latifundien aller Himmelsrichtungen pendeln, steigern das Unbehagen der herrschenden Klaffe bis zur Nervosität. Das von der Scholle losgelöste, vom in- und aus- ländischen Kapital hin- und hergeworfene ländliche Pro- letariat durch Errichtung von Heimstätten wieder festsässiß zu machen entspricht deshalb auch ganz der bürgerlichen Denkweise. Die Seßhaftmachung wird freilich durch echt bürger- liche Raisonnements motivirt. Wie tiefsinnig ist nicht z. B. der Hinweis auf das geltende römische Recht, das alle sozialen Mißstände der Gegenwart verschulden soll, während es ja doch die Dinge nicht gemacht hat, sondern nur angenommen ist, weil es zu den Dingen paßte. Ergötzlich wirken auch die Schilderungen, welche in himmlischen Versprechungen geübte Pfaffen von dem Herr- lichen zukünftigen Heimstättenstaat entwerfen. Da hat jeder brave Arbeitsmann in Stadt und Land sein Häuschen, sein Gärtchen, sein Stückchen Land, auf dem er Gemüse, Obst, Kartoffeln und sonstige Süßigkeiten baut, sein fettes Schwein, seine Ziege und womöglich zwei Kutschpferde; am Abend, nach 14— 18 stündigem Tagewerk(eine weitere Leckerei nach der bekannten Melodie„Arbeit macht daS Leben süß"), sitzt er sein Pfeifchen rauchend vor der Hausthür und plaudert mit seinem ebenso glücklichen Nachbarn von jener schrecklichen Zeit, als das Gespenst der Sozialdemokratie durch die Welt zog und wer weiß was für Schrecken angerichtet hätte, wäre ihm nicht rechtzeitig die tapfere Heimstättenmännerschaar entgegen getreten. Es giebt in der That noch naive und harmlose Leute. Die tägliche Arbeitszeit ist im landwirthschaftlicheu Betriebe schon heute eine übermäßig lange; zu allen Bestell-, Ernte- und Saisonzeiten eine fast übermenschliche; nach der Gründung von Heimstätten, die den Arbeiter noch hundertmal abhängiger machten, als er heute schon ist, würde der Arbeitstag noch weiter wachsen; wo aber bleibt dann dem Tagelöhner noch Zeit zur Kultur seines eigenen kleinen Besitzthums? Genug, die Sache ist nicht so schlimm. Aus solche« ideologischen Beweggründen werden Arbeiterheimstätten nie errichtet werden; es wird Alles beim Alten bleiben, trotz der Reden, Broschüren und Agitationen, denn über großsprecherische Verheißungen und Pläne ist die bürger- liche Sozialreform noch nie hinausgekommen. Nein, es sind sehr materialistische Motive, die hier in Frage kommen. Der Großbesitz, von dem die Arbeiterheimstättem bewegung eigentlich ausgeht, ist gleichzeitig auch der ziel- bewußteste Vertreter des kapitalistischen Prinzips in der Ackerbauproduktion; da muß es auf den ersten Blick wundernehmen, daß er die Seßbarmachung seiner Arbeitskräfte ernstlich erwägt, doch wird uns dies begreiflich werden, wenn wir im Auge behalten, daß die landwirth- schaftliche Waarenerzeugung sich vorläufig noch in einem Durchgangsstadium befindet, daS seinen feudalen Charakter noch nicht ganz abgestreift hat und so mit der kapi- talistischen Theorie praktisch unaufhörlich in Kollision kommt. Wir erwähnten schon, daß mit der Herrschaft des Kapitalismus der Agrikulturbetrieb eine vollständige Um- gestaltung auch in Bezug auf die Bewirthschaftungssysteme erfuhr. Mit der Aufnahme der intensiven und unter Zuhilfenahme aller technischen und wissenschaftlichen Hilfs» mittel betriebenen Ackerbauwirthschaft stieg gleichzeitig die Nachfrage nach Arbeitskräften, auch wurde der Schwer- Punkt der agrikolen Produktion mehr und mehr in den kapitalkräftigeren Großbetrieb verlegt. Eine Verschiebung der ländlichen Arbeitermassen war die nächste Folge. Die großen Güter häuften beträchtliche Tagelöhnerschaare» an und zerstörten die bisherige Dislokation des Prole- tariats. Gleichzeitig aber hatte der auf Spekulation und nach Marktkonjunktur arbeitende Großbetrieb schon der rationeller funktionirenden, ausländischen Lebensmittel- konkurrenz gegenüber auf Reduzirung und Ver- ringerung der Arbeitslöhne zu sehen. Er mußte die Verallgemeinerung der bloßen Saisonarbeit anstreben, d. h. einen Betrubsmechanismus einführen, der eine Am ziehung und Abstoßung der Lohnarbeiter nach Belieben
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5 (21.3.1891) 12
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