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Beiblatt zur Berliner Volks- Tribüne.
Nr. 12.
Aus Ovid's Metamorphosen.
Es flickt ein Schneider ein Gewand
Für eine Majestät,
Und wie er'a hält in seiner Hand
Und in den Falten späht:
Wunder, Wunder! Was schaut heraus?
Eine Laus, eine Laus, eine tönigliche Laus.
Der Schneider hüpft vor Freud ' empor, Sieht sie mit Wollust an,
Und holt ein Messer flugs hervor,
Und ach! Was macht er dann?
Wunder, Wunder! Er spaltet sie,
Spaltet sie, spaltet sie, dieses tönigliche Vieh.
„ Die eine Hälfte bleibet mir
Von dieser Königslaus,
Es stecket so viel Blut in ihr,
Ein Fürst noch wird wohl d'raus."
O Wunder, Wunder! er speist sie geschwind,
Und er wird, und er wird, wird ein fürnehm Fürstenkind.
Da fragen die Gesellen ihn:
" Was aber kriegen wir?"
„ Die and're Hälft' ist euch verlieh'n,
Das ist genug für vier;
Wunder, Wunder, aus der halben Laus
Sonnabend, den 21. März 1891.
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Lebens Trost suchen, fuhren wir fort, wo finden wir ihn? Doch nur in den großen Ideen des Guten, uns Schönen und Wahren!... Sagt Euch auch das noch nicht, welche Bedeutung, welche Macht diese Worte ging besigen?
V. Jahrgang.
,, Wo habe ich nur meine Strümpfe! drang zu seine" Stimme hinüber.
Endlich hatte er die Strümpfe gefunden. Die Thür auf...„ Er" erkannte uns sofort, war aber nicht im entferntesten erstaunt, er empfing sogar die Gäste mit Wir schwiegen wieder und erwarteten, die Angreifer einer gewisseu freimüthigen Unbefangenheit. würden beschämt die Waffen strecken... Sie antworteten Er war, wie es sich später herausstellte, ein aber nichts, sondern lächelten ironisch, falt, unbarm-„ Veteran."
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herzig... Da begriff ich, daß dieses Lächeln das Ah! Da hätten wir ja Gäste! sagte er ziem Lächeln des„ Negierens" war, und knirschte damals zum lich lustig:- sind vielleicht auch alte Bekannte darunter? ersten Male:" Diese Schweinehunde!" Nein? Schade! Na, es macht ja aber einem auch Ver
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So ging es dann weiter. Dem„ Negieren" gnügen, mit neuen Menschen bekannt zu werden folgte die„ Verachtung der Autoritäten" auf dem Fuße, Marie, steh auf! Wir haben Besuch bekommen! dann kam der„ Atheismus“ dann die„ Attentate auf, Er" war offenbar ein lustiger Bruder und sogar das Eigenthumsrecht" u. s. w. u. s. w. Da fühlte ich, in gewissem Sinne ein Leckermaul. In dem Kabinet wie mir die Schuppen von den Augen fielen, da fühlte standen auf einem Tische die Ueberreste eines ziemlich ich, daß meine Zeit gekommen reichlichen Abendmahls. Ich sah gefochten Schinken, Manchmal lege ich mir die Frage vor, was wohl Käse, ein Stück Pirogg; einige Weinflaschen standen in Granowski*) von mir denken würde, wenn er noch lebte? der Ecke, eine zur Hälfte geleerte kleine Schnapsfaraffe Wäre ich wohl noch immer sein Freund? Ich verstehe reizte meinen Appetit. sehr wohl, daß diese Frage an und für sich unsinnig ist, Meine Herren, vielleicht essen Sie etwas! namentlich in der sagte er lustig auf den Schinken deutend: bei mir sie beschäftigte mich aber sehr oft, ersten Zeit meiner Amtsthätigkeit, als ich die ersten Er- waren vor ungefähr einer Stunde Freunde zu Besuch; folge als Polizeiagent zu verzeichnen hatte. Ich legte etwas ist noch zurückgeblieben. Unterdes ziehe ich mich die Frage sogar Menschen vor, die ich zur Lösung der- au: ich werde Sie ja wohl begleiten müssen, oder vielselben für kompetent hielt. Viele antworteten ausweichend: mehr: Sie werden mich begleiten? Nicht wahr? bis sich zuletzt ein sagten weder" nein", noch" ja" erwiderte ich, durch seine LaatGanz recht! Und du wirs, und du wirst ein rechter Edelmann noch sein." Hallunke fand, der mir diese Worte, ich möchte fast seligkeit bezaubert und konnte mich nicht enthalten, zu denken:„ Ach, wie gut wäre es doch, wenn alle so wären, Sie?! Sie, ein Freund des Granowski? wie er:- gastfreundlich, lieb, redselig!" Sie!... Er würde Sie am Kragen fassen und die Es passierte mir damals das erste und legte mal, Treppe hinunterwerfen, wenn Sie wagten, zu ihm zu daß ich mit gekochtem Schinken traftiert wurde. gehen!
Kommen noch, tommen fünftehalb Grafen wohl heraus."
Der Lehrling sieht sich alles an:
" Herr Meister, sagt mir jegt,
Hier, seh' ich, triegt ja jedermann,
Was krieg' ich denn zulegt?"
„ Olecke, lecke das Messer rein,
Hoffmann von Fallersleben.
jagen,
[ Nachdruck verboten.]
Die Nihilistenjagd
oder: Wie ein wirklicher Geheimer Rath
Prügel bekommt.
( 1. Fortsetzung.)
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in's Gesicht spuckte:
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Dieser Schweinehund!
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Ich hatte schon geglaubt, daß" ste" garnicht essen und trinken, und da entfaltet sich vor meinen Augen das Bild wohlbehaglichen Familienlebens, wie in einem Adelshofe auf dem Lande!... Ich war tief ergriffen. Was hatte nur diesen Menschen in den Abgrund Nihilismus zu stürzen vermocht!
des
Das war mir einfach unergründlich!
Wir leisteten der Einladung des freundlichen Wirthes Folge und merkten garnicht, wie schnell und angenehm uns die Zeit in der Gesellschaft dieses lieben Mannes verging.
Wir wurden in Sektionen" getheilt und abVon Schtschedrin. Aus dem Russischen von Paul Styczinsi. fommandirt. Es war schon spät am Abend. Er" saß am Tisch und las ein Buch. Seine Lebensgefährtin und Theilnehmerin an seiner gesezwidrigen Thätigkeit schlief Als wir schellten, öffnete er uns selbst die Pardon. Es gab ja eine Zeit, wo auch ich mich schon. zum Liberalismus bekannte; wundere Dich nicht, geneigter Thür." Er" war weder erschrocken noch sah er entrüstet Leser, und sieh mich nicht so groß an: ja, es gab eine aus. Er wunderte sich nur sehr und suchte zu be Wir unterhielten uns über alles: über Sozialismus, Zeit, wo ich Deine Bestrebungen, Deine Ansichten theilte! greifen... Endlich begriff er, was uns zu ihm führte. Ich war nicht blos ein Liberaler aus Liebhaberei, sondern Meine erste Sorge war natürlich, mich des Buches über Kommunismus, aber ohne uns zu erhizen, ohne zu streiten, mit augenscheinlicher Genugthuung. Nur ein war sogar mit einigen berühmten Vertretern des Libera- zu bemächtigen. lismus( die leider jetzt schon gestorben sind!) nahe beeinziges Mal sah ich mich gezwungen, in ziemlich strengem fannt. Wir bildeten damals einen kleinen Verein, dessen Tone meine Meinung kundzugeben und zwar aus Anlaß Mitglieder aufs engste mit einander befreundet waren sind es, die Sie zu allen Verbrechen treiben!- fagte jener Marie, die er gleich bei unserem Erscheinen geweckt und hatten alle einen Wahlspruch:" Das Gute , das ich. Ich weiß nicht mehr, wie das geschah, aber ich hatte, und die uns jetzt mit ausgesuchter Höflichkeit mit Schöne, das Wahre". erinnere mich, daß ich plötzlich das Buch auf den Boden den Ueberresten des Pirog*) bewirthete. Wir verstanden es, nicht nur zu reden, sondern warf und es wüthend mit den Füßen zu treten begann. auch lebhaft zu empfinden. Der Kampf der Romantik, Er" sah neugierig und gleichsam mitleidig meiner mit dem Klassizismus, die neuen philosophischen Systeme, Thätigkeit zu, protestirte aber mit feinem Wort gegen Hegel, Gogol , George Sand , alles das begeisterte dieselbe.
Das Buch handelte über Physiologie.
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Ja, ja mein Herr, diese verfluchten Bücher
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Sagen Sie mal: wie fommt. in ihr Haus? fragte ich ihn.
Ah
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diese Person
das ist meine Frau!... Sie haben vielleicht den Auftrag, das Schlafzimmer zu durchsuchen? Bitte geniren Sie sich garnicht; ich will Sie selbst hineinführen und Ihnen alles zeigen.
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uns. Die Ideen des Jahres 1848 revolutionierten auch In der Thür, die in's zweite Zimmer führte, erschien unsere Gemüther. Freilich fühlten wir uns nicht so sehr das blasse erschrockene Gesicht eines jungen Frauendurch ihr Wesen, als vielmehr durch ihre Großartigkeit, ihre zimmers. Nein, einstweilen ist das noch nicht nöthig, Wer ist das? Humanität angezogen... ,, Alea jacta est" ,,, la grandeur fragte ich und deutete auf sie. Hm,. Sie sagen:„ meine Frau"... Wie meinen Das ist... meine Frau. d'âme est à l'ordre du jour" sprachen wir laut und Sie das? fügte ich hinzu und warf ihn einen verUnterm Fliederbusch , unerschrocken Lamartine nach, dem Abgott der damaligen beim Klappern der schmigten, spöttischen Blick zu. Unterm Fliederbusch, jungen Generation. Störche**) fand die Hochzeit statt? Ja? beim Klap" Entschuldigen Sie! Ich kann doch nicht mehr Auf welche Art und Weise bin ich dann wieder zu einem so loyalen Bürger geworden, der feine einzige wissen, als ich weiß. Wollen Sie sich vielleicht deutlicher polizeiwidrige Ansicht mehr hat?
Hm... Das war sehr komisch,... das ging sehr merkwürdig zu
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ausdrücken?
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Wenn Sie darunter die Ehe verstehen. Ich ließ ihn jedoch nicht zu Ende sprechen. Mein Herr, was nehmen Sie sich heraus? Sie leben mit ihr in ungesetzlicher Ehe? Ja? rief ich streng, um ihn fühlen zu lassen, daß meine Höfin der verruchten, ungeseßlichen Ehe?... schrie ich, lichkeit ihm noch nicht das Recht giebt, frech zu sein.
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Ah, so! Jezt verstehe ich. Jawohl in ungcsetSo, Madame, bitte, nehmen Sie das Schriftstück entgegen!
Es kam eine Minute, eine einzige Minute, wo alle Fassung verlierend. urplöglich, wie aus unterirdischen Höhlen ein paar junge Leute mit langen Haaren und schäbigen Kleidern hervor licher Ehe... frochen und zu beweisen begannen, daß das Gute, das Schöne, das Wahre" nur leere Worte seien, die erst hier dann etwas bedeuten könnten, wenn man ihnen einen Inhalt gäbe.
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Was verstehen Sie z. B. unter dem Worte, das Gute?" fragten uns diese Menschen. Sie fragten so frech, so unverschämt, so selbstbewußt, daß wir uns schrecklich beleidigt fühlten.
Trogdem waren wir so freundlich, zu antworten. ( Notabene: wir hätten auch ebenso gut die Antwort verweigern fönnen!)
Ich erinnere mich sehr gut, daß ich damals zum ersten Mal ernstlich verlegen und roth wurde: bis dahin war mir alles so sonnentlar, so unstreitig richtig vor gekommen, und da verlangt so ein schäbiger Mensch, daß man mit ihm darüber disputiere! „ Das Gute ?!" jagten wir. Fühlen wir
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Sie" kleidete sich an und kam zu uns.
handelte.
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Nachdem wir gegessen und getrunken hatten, zeigte
er uns selbst alles. In der ganzen Wohnung war kein einziges Buch, kein einziger Papierstreifen, das ärgerte mich zuletzt.
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Sie wundern sich, daß Sie keine Bücher und Papiere bei mir finden. beeilte er sich, mir zu er
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Offenbar verstand sie noch nicht, worum es sich flären, da er in meinem Gesicht irgend eine unwillkürliche Zuckung bemerkt haben mochte. Sie werden das begreifen, wenn ich Ihnen erzähle, daß ich vom Jahre 1848 an alle Augenblicke ähnlichen Besuchen, wie heute der Ihrige ausgesetzt bin. Durch Uebung wird man Meister. Plötzlich Offen gestanden hätte mich in jedem andern Falle
Nun, nimm doch, sagte er. Aber sie konnte sich immer noch nicht entschließen, die Urkunde zu nehmen und sch uns alle der Reihe nach fragend an:„ ihn", mich, meine Kollegen verzerrte sich ihr Gesicht vor Schreck und Entseßen.. eine solche Vorsicht tief betrübt und gekränkt, diesmal
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Sie begriff, warum es sich handelte... Und was stellte sich heraus? Sie war die Tochter eines wirklichen geheimen Rathes, ein bedauernswerthes Opfer des Nihilismus! Mar ― r- sch!
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aber freute ich mich sogar über sie: so sehr hatte ich unsern lieben, gastfreundlichen und jedenfalls nicht aus eigener Schuld in den Dreck der nihilistischen Irrlehren hineingezogenen Wirth liebgewonnen. Unter dem Eindruck dieses Gefühls wurde es mir ganz weich um's Herz. Zürnen Sie mir nicht, Pawel Pawlowitsch( so Es war noch später, und„ er" schlief schon. Wir hieß„ er" mit Vor- und Vatersnamen), sagte ich; uns angeboren. Man braucht dieses Wort nur aus- 30gen einige Male kräftig am Schellenzuge, mußten aber ich erachte es aber für meine Pflicht, Ihnen zu gestehen, zusprechen, um in uns die edelste Begeisterung wachzurufen! lange am Treppenabsatz warten, bis die Thür geöffnet daß ich mich selten so wohl gefühlt habe, wie in Ihrer Schon die Frage allein erfüllt uns mit Grauen. wurde. In dem Zimmer schalt jemand laut, rannte auf lieben Gesellschaft. So sprachen wir und triumphierten im Innern, und ab und schien garnicht an's Aufmachen der Thür denn wir glaubten, die Antwort nicht schuldig geblieben zu denken.
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denn nicht alle, was das Gute ist? Dieses Gefühl ist
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zu sein. Menschen.
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erzog.
*) Ein russischer Professor, der zusammen mit dem Kritiker Nun, und was weiter? fragten die frechen und Bublizisten Bjalinsti die russische Jugend im liberalen Sinne Anm. d. Uebers. Wenn wir in den schweren Momenten unseres**) Ein russisches geflügeltes Wort aus alten Voltssagen.
Warum sollte ich Ihnen deshalb zürnen? Ja. Gott... sehen Sie... ich habe die Verpflichtung... so zu sagen, so zu sagen, die heilige Pflicht Mich mitzunehmen? Na, das thut ja nichts!
*) Eine Art Fleischkuchen.