DolbBerlinerTMm.Sozial-Politisches Wochenblatt.A«» der Mache.— Au» Kelgien.— Das Gemetzeli« Fa«rmirs.— Gin Derbrechrr.— Zur Frage derLand-agitation.—Gedicht.— Novelle.— Warum getzt Rußland aufEroberungen aus? III.— Kornzölle in Deutschland nachder Geschichte und der Statistik I.— Produktion undTechnik.— Derfchiedene«.— Dom Reichstag.Aus der Mache.-se-. Die Zuckerfabrik, an welcher der Oberpräsidentder Provinz Hannover, Herr von Bennigsen, betheiligtist, hat im Laufe der Jahre das Aktienkapital zweimalabgeschrieben und im letzten Jahre 18 pCt. Dividendevertheilt. Wenn in der Gemeindevertretung des letztendeutschen Nestes ein Fall zur Verhandlung und Ab-stimmung kommt, der die Vermögens- und Geschäfts-Verhältnisse eines der Anwesenden direkt berührt, so istdieser durch das Herkommen gezwungen, sich zu ent-fernen. Die Herren des Großbürgerthums plagen na-türlich solche Skrupel nicht. Sie stehen jenseits vonGut und Böse, bei ihnen kommt nur das Verdienen inFrage. Und so hat denn auch der Operpräsident vonBennigsen, dieser„gefeierte" Parlamentarier, diese Zierdeund dieser Stolz der deutschen Bourgeoisie, bei der Be-rathung des neuen Zuclersteuergesetzes eine mächtigePauke für die Weilerbewilligung der Erportprämie los-gelassen. Er hat sich also als Reichstagsabgeordneteretwas in seine eigene Tasche bewilligt.— Der Prinz von Wales, wenn das englischeVolk will, einstiger König von England, ist ein Lebe-mann in Prachtausgabe. Er spielt und wettet, die be-rühmten Sängerinnen und Tänzerinnen kennen ihn, undden Londoner Schneidern macht er das Modeorakel.Aber eine Tugend besitzt er, die in den Augen aller hart-gesottenen Bourgeois nicht im mindesten als solche gilt:Er macht Schulden, das alles kracht. Gegenwärtig sollensich dieselben zu dem netten Pöstchen von 10 MillionenMark summirt haben. In früheren Zeiten war es füreinen englischm Prinzen ein Kinderspiel, seine Schuldenloszuwerden; im Nothfall sprang das Parlament einund zahlte, ohne zu müssen. Aber die Zeiten ändernsich; die im Unterhaus sitzenden Krämer sind hartleibiggeworden, sie kommen nur mehr für diejenigen noblenPassionen auf, welchen sie selbst fröhnen; der Prinz vonWales wird an die lieben Eltern schreiben müssen.Uebrigens der Familiengeldbeutel hält's ja aus. Alsorin in's Vergnügen.— In der Verwaltung des Peterpfennigs ergabensich große Unregelmäßigkeiten. Das ist der Weltunter-gang. Wenns erst in der Verwaltung des unfehlbarenPapstes zu fehlen beginnt, dann, dann ist das Ende nahe.-— Ein schönes Beispiel des Entbehrungslohnes,welchen die Kapitalisten einstreichen, bietet der Rechnungsabschluß der Zuckerfabrik Droebel in der Provinz Sachsen.Bei einem Aktienkapital von 150000 Mark hat dieseFabrik im Jahre 1890/91 aus Zucker und seinen Neben-Produkten nicht weniger als 1 075 702 Mark erlöst unddavon, einschließlich 11 912 Mark Abschreibungen, mir896 257 Mark an Betriebs- und Geschäftsunkosten vcr-ausgabt. Der erzielte Gewinn beläuft sich somit auf179 445 Mark, also auf 120 Prozent des Aktienkapitals. In einem Jahre haben also die armen Aktionäreihr Kapital mehr als verdoppelt. Und auch diese Fabrikgenießt die Ausfuhrprämien, welche ihr der Staat ausden Stenergcldern des arbeitenden Volkes zuschiebt.— Hundert und zwanzig Prozent Dividende aus dereinen Seite und auf der andern das grinsende Gespenstdes Hungers. In Baden-Baden wurde am 9. Mai einPlann, der auf dem Markte Wurzeln und Abfälle auf-hob und gierig verschlang, von einem Schutzmann zurWache gebracht; der Verhaftete erschoß sich aber vor demPolizcigefängniß. Die bürgerlichen Blätter werfen dieFrage auf, ob der Mann nicht im Wahnsinn gehandelt.Möglich ist es, daß ihn der Hunger wahnsinnig gemacht.Ist es denn heute nicht schon der hellste Wahnsinn, wenneiner geboren wird und er kann sich nicht als der imgeheiligten Ehebette eines reichen Vaters erzeugte Sohnausweisen?— Der deutsche Botschafter in Wien, Prinz Reich,hat eine neue Messe in C-moll komponirt und dieselbein der Hofburgkapelle zur Aufführung bringen lassen. DasUrtheil über das Kunstwerk ist ein verschiedenes. DieDiplomaten behaupten, der Prinz sei ein ausgezeichneterMusiker, die Musiker wieder meinen, der Komponist seiein hervorragender Diplomat. Stimmt beides, dann istder Mann ein Genie und Deutschland kann sich nurGlück wünschen, einen solchen Vertreter zu besitzen.— Der Staat Portugal hat offen seinen Bankerotterklärt. Ein Dekret bewilligt zur Regulirung aller fälligenZahlungsverpflichtungen einen sechstägigen Aufschub. Gleich-zeitig wurde der Papiergeldzwangskurs dekretirt. Seitdem Jahre 1888 wurden in Deutschland für 469 367 200 Mk.portugiesische Werthe auf den Markt gebracht. Der Sturzder„Portugiesen" wird also auch bei uns wieder eineganze Menge Mittel- und Kleinkapitalisten zu den Todtenwerfen und die Kapitalskonzentration beschleunigen. DieMühlen des aussaugenden Militarismus mahlen sicher.Ein Vivat dem nächsten Staatsbankerott.— Der Rechtsanwalt Wölffel in Merseburg hat eineEinladung des volksthümlichen(sozialistischen) Wahlvereinszurückgewiesen mit der Erklärung, er pflege überhauptnicht in Versammlungen zu sprechen, für welche ein Ein-trittsgeld erhoben wird„gleich einem Affentheater." DerMann kann erstens einmal, trotzdem er Rechtsanwalt ist,nicht deutsch schreiben. Doch das geht uns hier nichtsan; es besteht kein Gesetz, welches die Kujonirung derMuttersprache verbietet. Aber das Eine müssen wir denHerrn fragen: Hält er sich wirklich für so hervorragend,daß er meint, es sei blos ihm zu Ehren ein Eintritts-preis für das„Affentheater" festgesetzt worden?— In einer Berliner Schuhmacher- Versammlungwurde unlängst der Antrag gestellt, die Tellersammlungnach Schluß der Versammlung fortzusetzen und den Ueber-schuß dem Polizeipräsidium zu überweisen, damit beiStreiks die Hochwohllöbliche auch auf die Arbeiter schaue.Die Versammlung wurde nicht aufgelöst, der Antragstelleraber notirt. Die bewußten drei Tausend werden HerrnKühnemann jetzt wahrscheinlich in Bälde wieder zugehen.— X Ueber die Gemetzel in Fourmies berichten wir ananderer Stelle. Genau eben so grundlos wie in Fourmiessind die Metzeleien im Komitat Bökös in Ungarn. Hierwurde die Menge durch den Hohn des Beamten provozirt, derihnen ihre Fahne nahm, sie stundenlang hinzog und dann,als die Soldaten angekommen waren, sie hetzte. Und auchhier wieder wurde jenes furchtbare Wort der Bergleuteim Ruhrrevier wiederholt; die Arbeiter riefen der Sol-dateska zu:„Wir haben nichts zu verlieren, wenn wirsterben, so thut das nichts".,,Wir haben nichts zu verlieren!" Hört Ihr nochnichts?— In Barcelona wurden mehrere Petarden abge-brannt und dadurch eine Unzahl Fensterscheiben zertrümmert.Die üblichen Verhaftungen sind vorgenommen, desgleichenist die Soldateska einmarschirt. In St. Martins deProvenials kam es zwischen Ausständigen und der Polizeizum Kampf mit Revolvern, Messern und Knütteln. Einige60 Ausständige und Polizisten wurden verwundet; eineUnzahl Verhaftungen wurde vorgenommen. Auch dieProvinzen sind im Aufstand und setzen die nöthigenSoldaten in Bewegung.— Die internationale Verbindung der Arbeiter-Or-ganisationen, die von England aus angeregt wurde,scheint Fortschritte zu machen. Es wurde s. Z. einAufruf veröffentlicht, welchen die englische Gas- und all-gemeine Arbeiter-Union erließ und in welchem ersuchtwurde, für jedes Land einen internationalen Arbeiter-Sekretär zu ernennen, durch den im Falle von Streiksu. s. w. die Nachrichten ausgetauscht werden sollten, sodaß die Arbeiterbewegung eines Landes über die Vor-gänge in dem anderen unterrichtet werden kann. Wiewir Londoner Zeitungen entnehmen, haben die Organi-sationen der verschiedenen Länder dem Projekt zugestimmtund zum Theil schon ihre Sekretäre erwählt. Frankreich,Italien, Schweiz, Spanien, Norwegen und Dänemarkhaben bereits ihre internationalen Arbeiter-Sekretäre er-nannt, durch die ein Austausch der Nachrichten über dieArbeiterbewegung vor sich gehen kann. Oesterreich,Ungarn und Deutschland haben mit Rücksicht auf diepolitischen Schwierigkeiten, die der Wahl eines inter-nationalen Arbeiter- Sekretärs entgegenstehen, vorläufigvon der Wahl eines solchen abgesehen, doch hat fürDeutschland die Generalkommission der Gewerkschaftenin Hamburg, für Oesterreich und Ungarn die Redaktionder dortigen Parteipresse es unternommen, die Kommuni-kationen mit der ausländischen Arbeiterbewegung aufrechtzu erhalten.— In der Aufsehen erregenden Rede des Kaisers inDüsseldorf wird vor Allem ein Satz, der die Festtheil-nehmer zu Beifall zwang, in der ganzen Welt lautenWiederhall finden, der Satz:„Könnte ich nur deneuropäischen Frieden in meiner Hand halten, ich wolltejedenfalls dafür sorgen, daß er nicht mehr gestört werde."Leider sind die Verhältnisse manchmal stärker alsder Wille der Fürsten, wie wir das namentlichauch bei Preußen so oft erlebt haben. Wie hatnicht König Wilhelm I.„gerungen", bis die„Ver-hältniffe", repräsentirt von seinem Minister Bismarck,ihn schließlich doch überwältigten! Und wie hat 1870das bis an die Zähne gerüstete und schlagbereite Preußenerst von der Krigeserklärung Napoleons III. überraschtund gezwungen werden müssen, bis es zuschlug und dienun ihrerseits überraschten französischen Heere aufrollte!Die„Macht der Verhältnisse" hat Preußen immer„ge-zwungen", wenn es kriegsbereit und kriegsgerüstet war.Wir hoffen aber, daß die Versuche Kaiser Wilhelms II.,den Frieden zu erhalten, glücklicher sein werden alsKönig Wilhelms I., der bei solchen Versuchen niemalsGlück hatte.— Der Kaiser bei den Bonner Studenten. DerKaiser, der früher selbst dem Korps der Borussia inBonn angehört hat, wohnte einen Kommers der BonnerKorpsstudenten bei. Er nahm seinen Platz nicht amTische seines eigenen Korps, sondern begab sich zu demTische des nach der herkömmlichen Ordnung geradepräsidirenden Korps Rhenania und ließ durch dessenErsten mittheilen, daß er selbst das Präsidium beimKommerse führen wolle. Mit dem Stürmer und in derKneipjacke der Borussen eröffnete der Kaiser sofortden Kommers mit dem üblichen Salamander aufeinen fröhlichen Verlauf desselben.„Kein noch so er-fahrener Korpsbursche", so schreibt die„Köln. Ztg.",„kann sich rühmen, des Komments, der bei solchem Anlaßnicht geringe Anforderungen an Gedächtniß und Geistes-gegenwart stellt, so sicher Herr zu sein, wie der Kaisersich erwiesen hat." Die jungen Semester habe ein„freu-diges Entzücken erfaßt, daß sie unter den Augen ihresKaisers sich als brave Korpsburschen und Füchse zeigenund bewähren durften. So oft ein Lied beendetwar, verkündete der Kaiser„mit seiner schmetterndenund doch so freundlich wohlklingenden Stimme:„Silentium, Lied ex! Schmollis den Sängern!"Dann hielt er eine längere Rede, in der er unteranderem die Ueberzeugung aussprach,„daß ein jungerMann, der eintritt in ein Korps, durch den Geist,welcher in demselben herrscht, und mit diesem seine wahreRichtung für das Leben erhält, denn es ist die besteErziehung, die ein junger Mann für sein späteres Lebenbekommt, und wer über die deutschen Korps spottet,der kennt ihre wahren Tendenzen nicht.„Weraber Korpsstudent, wie ich gewesen ist, weiß dasam besten." Der Kaiser erwähnte sodann die Studenten-mensuren und fuhr etwa also fort:„Wie im Mittelalter