to furchtbarer, als gerade die Grundlagen unseres heutigen politischen Zustandes betroffen werden. Wir Sozialdemokraten haben ja niemals in der sogenannten deutschen   Einheit, wie wir sie jetzt haben, etwas be- sonders schönes finden können. Aber der Bourgeoisie scheint sie doch als das Höchste und Größte, was hat geleistet werden können; ihr ist sie ein Heiliges, Er- habenes, ein erreichtes Ideal; und wenn auch im Hinter- gründe dieses Ideals ziemlich schmierige Geschäftskalküle schlummern, so kommt ihr das doch nicht zum Bewußt- sein; wirklich, der Gedanke des geeinigten Deutschland   ist einer der wenigen, welche für diese Leute noch eine höhere, geistige Bedeutung haben. Und die Erfüllung dieses Ideals wurde erreicht durch eine schamlose Fälschung, durch einen frechen Betrug, durch eine verruchte Lüge! Wir sind nicht sentimental. Die Geschichte operirt mit Blut, Meineiden, Kriegen, Mordthaten; und skrupel- lose Verbrecher, wie Bismarck  , sind ihre beiden Werk- zeuge. Aber die Erkenntniß, daß das so ist, und immer so gewesen ist, hindert doch nicht, das Gesindel zu brand- marken, dasdie Geschichte macht", die Henker an den Pranger zu stelle», welche die Völker in den Tod ge- trieben haben, Den unmittelbaren Anlaß zur deutschen   Einheit preußischer Fayon gab der deutsch  -französische Krieg. Die Franzosen  , von denen wir doch stets nur Gutes genossen, die nach der Revolution ihre kaiserlichen Heere nach Deutschland   geschickt hatten, um auch Deutschland   aus den mittelalterlichen Fesseln zu befreien; deren Re- vvlutionen dann das ganze Jahrhundert hindurch es immer gewesen waren, welche auch uns den Muth und die Hoffnung auf Freiheit gaben; auf die wir immer mit Verehrung geblickt hatten, als die Lehrer der Frei- heit die wurden uns mit einem Male alsErb- feinde" dargestellt. In einenheiligen Krieg" zogen wir gegen sie. Und auf dem darniedergeworfenen Körper des blutenden Frankreich   treten dann die Fürsten   zu sammen, um daseinige Deutschland  " zu Stande zu- dringen. Das war der perfideste Streich der schmachbedeckten Reaktion gewesen, die Krone ihrer schamlosen Thätigkeit: Frankreich  , das Land der Revolution und der Freiheit, mußre zu Boden getreten werden; denn nicht gegen Napoleon   führte man Krieg, sonst hätte man ja schon nach der ersten Hälfte Frieden schließen können, sondern gegen Frankreich  . Frankreich   mußte man vernichten und zu Boden treten. Dann konnte man an das zweite Werk gehen, an dieEinigung Deutschlands  ", das heißt, die Reaktion, die bis dahin immer in d.n einzelnen Staaten verschieden vorwärts schritt, zu zentralisiren, und das dumme Volk, das sich einbildete, frei zu werden, wenn sein Gefängniß größer wurde, unter eine einheit- kiche, starke Fuchtel zu bringen. Und endlich konnte man dann die Macht Rußlands   stärken, dieses uneinnehmbaren Thurmes der Reaktion. Wie prachtvoll war dieser Plan ausgedacht; wie herrlich stimmte diese politische Berechnung mit den sozialen Verhältnissen, und wie glänzend glückte sie! Ist nicht das Ziel erreicht? Was mögen für Mittel angewendet sein, um das alles zu Wege zu bringen! Welche Entrüstung wird die Nachwelt packen, wenn einst die verschlossenen Archive sich öffnen werden und alle Schandthaten, die hier be- gangen sind, zu Tage kommen! Eine wenigstens ist jetzt wieder bekannt geworden: die Fälschung der Emser Depesche. Der König von Preußen soll bekanntlich 1870 in Ems von dem französischen   Gesandten Benedetti be- seidigt sein; diese Beleidigung wurde durch eine Depesche aus Ems sofort verbreitet und dadurch die Kriegsfurie entfesselt. Zwar erklärte Benedetti. daß die Beleidigung er- logen sei; Liebknecht   veröffentlichte eine Mittheilnng von Hans Blum, daß Bismarck ihm anvertraut habe, er selbst habe die Depesche gefälscht, um die Franzosen zur Kriegs- erklärung zu bringen. Und auch Kaiser Wilhelm   gab der Wahrheit die Ehre, indem er erklärte,daß es in Ems weder Beleidiger noch Beleidigten gegeben habe." Aber auf Benedetti hörte Niemand, Liebknecht wurde wegen seines Artikels vernrtheilt, und die Aussage Wilhelm's wurde todgeschwiegen. Jetzt erzählt noch Graf Roon,'der damalige Kriegs- minister, in seinen nachgelassenen Memoiren, daßdie Sensationsdepesche über die Unterredung Benedetti's mit König Wilhelm bei der eben der König beschimpft sein sollte im Ministerrath zu Berlin   in der Wilhelm- Nraße redigirt und durch's Wolff'sche Büreau, von Ems datirt, in die Welt geschickt wurde." Daß Napoleon   den Krieg nicht wollte, mußte sich wohl jeder Mensch sagen; oder er hätte so dumm sein müssen, wie die deutschen   Spießbürger, welche den Bis- Marckschen Schwindel geglaubt haben. Aber mit Frech heit kommt man durch die Welt. Nur eine eiserne iStirn Muß man haben, dann geht alles, und so hat denn auch das Volk dem Bismarck   mit der eisernen Stirn alles geglaubt. Die Emser Depesche eine Fälschung! Es schwindelt Einen, wenn man sich das ausmalt: auf einem Ver- drechen ruht das deutsche Reich, ein Verbrecher ist der deutsche   Nationalheros, ein gemeiner Fälscher, der unter gewöhnlichen Verhältnissen mit Zuchthaus bestraft würde, der Begründer des deutschen Reichs! Früher, als Bismarck   noch im Regiment war. haben wir wohl manchmal gewünscht, diesen Menschen am Galgen enden zu sehen. Aber was wäre das für eine Strafe! Es giebt eine bessere Strafe für ihn: Mit dem Brand  - mal des Verbrechers gezeichnet soll seine blutbefleckte Ge- stalt durch das Andenken der zukünftigen Geschlechter gehen! So lange es eine Geschichte giebt, soll man seinen fluchwürdigen Namen nennen, wie man die Namen von Judas Jscharioth, Caligula  , Borgia und anderer Unge- Heuer nennt. Zur Frage der Kandagitation. E. S. Um das hohe Ziel der Menschenbefreiung zu erreichen, welches sich die Sozialdemokratie gesteckt hat, ist, wie jetzt wohl aus allen Seiten innerhalb der Partei zugestanden wird, die Gewinnung der proletarischen Landbevölkerung nicht nur für die politische Partei des Sozialismus, sondern auch vor- nehmlich für dessen Prinzipien von Bedeutung. Die vom Ackerbau lebende Bevölkerung bildet noch immer die Hälfte der gesammten Einwohnerschaft in Deutsch  - land und daraus geht schon hervor, daß ihr Einfluß auf die Staats- und Wirthschaflsverfassung nicht unter- schätzt werden darf. Die bürgerlichen Parteien sind sich auch dessen stets bewußt gewesen, daß die Anhängerschaft des platten Landes ihren Bestrebungen ein größeres Gewicht verleiht, als der politische Anhang, welcher sich ausschließlich auf die Stadtbevölkerung beschränkt und mit einem gewissen Grade von Berechtigung konnte darum seiner Zeit der verflossene Ex-Bismarck darauf verweisen, daß die landwirthschaftliche Bevölkernng stark genug sei, um ihre und des ganzen Volkes Interessen sicher zu stellen. Wenn nun auch der Umfang der ländlichen Be­völkerung von Jahr zu Jahr relativ im Abnehmen be- griffen ist, während andrerseits derjenige der städtischen Bevölkerung immer stärker anschwillt, so wird doch die Masse der ackerbautreibenden Bevölkerung noch für abseh- bare Zeiten so zahlreich sein, daß jede Umformung des Staatswesens, besonders aber die Umwandlung der privat kapitalistischen Produktionsform in die sozialistische, von ihrer Mitwirkung und ihrem Verständniß für diese Kultur- fortschritte auf die Dauer abhängig bleibt. Sehr lehr- reiche Beweise hierfür bietet uns die neuere französische  Revolutionsgeschichte, aus der sich ersehen läßt, daß durch- greifende Veränderungen im Staats- und Wirthschafts- system durch die industrielle Arbeiterklasse allein, ohne ein aufgeklärtes und zur moralischen wie physischen Unter- stützung bereites ländliches Proletariat, gewöhnlich nicht festgehalten werden können. Beachtet man serner, daß der Militarismus seine beste Kraft aus dieser bäuerlich- proletarischen Bevölkerung zieht und daß er seiner Auf- gäbe, die arbeitenden Klassen unter die Herrschaft des ausbeutenden Kapitalismus zu beugen, nur gerecht zu werden vermag, wenn ihm ein willenloses und an ein unfreies Dasein gewöhntes Menschenniaterial zur Ver- sügung steht, so ergiebt sich für eine Partei, welche den Militarismus unentwegt bekämpft, von selbst die Auf- gäbe, die Landbevölkerung aus ihrer geistigen Umnachtung zu befreien. Die ländliche Bevölkerung zum Klassen- bewußtsein und zur Erkenntniß ihrer trostlosen Lage zu bringen, bedeutet eine empsindliche Schwächung des Mili- tarismus. Die Aufgabe ist mithin der Sozialdemokratie gestellt, es erübrigt sich nur die Frage, wie sie am schnellsten und gründlichsten zu lösen sei. Früher hat man oft die Befürchtung ausgesprochen, daß die Verbreitung des Sozialisinus auf das platte Land an den verbohrten Eigenthumsbegriffen der bäuer- lichen Bevölkerung einen energischen Widerstand finden würde und unsere bürgerlichen Gegner wiegen sich gegen- wärtig noch in der Hoffnung, daß die sozialistische Idee das Landvolk nicht werde begeistern können. Daraus ist zunächst zu erwidern, daß die Proletarisirung der Massen auf dem Lande in Folge der wirthschaftlichen Entwicke- lung reißende Fortschritte gemacht hat und noch macht, und daß die Erwerbung von Grundeigenthum, welches dem Besitzer auch nur die allerbescheidenste selbständige Existenz garantirt, für sie gerade so zur Utopie geworden ist, als für den Industriearbeiter die Möglichkeit, sich durch Fleiß und Sparsinn zum konkurrenzfähigen Unter- nehmer emporzuschwingen. Für das Heer der besitzlosen Landarbeiter, das in Deutschland   schon jetzt ans beinahe eine Million Individuen angewachsen ist, trifft also der Einwand gar nicht einmal zu; aber auch für die drei Millionen Zwergbanern die Häusler, Ackerbürger, Kolonisten, Käthner und unter welchen Titeln und Würden sie sonst noch vorkommen mögen, welche durch Bebauung ihrer winzigen Parzelle noch nicht im Entferntesten ihre Subsistenz gewinnen können, ist er nur relativ be- rechtigt. Es ist nicht der juristische Begriff des Eigenthums wie unsere denkunfähige Bourgeoisie es voraussetzt an dem das Kleinbauernthum mit aller Zähigkeit festhält, sondern der wirthschaftliche Werth des Eigenthums für die Sicherung der Existenzbedingungen. Zwischen klein- bäuerlichem Eigenthum und kapitalistischem Eigenthum be- steht ein himmelweiter Unterschied. Das erstere ist dem Besitzer nichts weiter als Arbeitsinstrument, womit er be- fähigt wird das eigene nackte Leben ganz oder theilweise und unabhängig von dem Wille» eines Dritten zu er- halten; das kapitalistische Eigenthum dagegen ist für seinen Besitzer ein Mittel zur Ausübung der ökonomischen Herrschaft über dritte Personen, aus deren Arbeitsleistung sier Kapitalist Mehrwerthe herauspreßt. Es ist deshalb klar, daß der Eigenthumsbegriff ein verschiedenartiger sein muß, je nachdem man ihn vom Standpunkt des Besitzers auffaßt, für den das Eigenthum lediglich Arbeitsmittel zur freien unabhängigen Bethätigung der eigenen Arbeits- kraft ist oder vom Standpunkt des Unternehmers, für den es zu einer Quelle der Mehrwerthbildung durch Aus- beutung der Lohnarbeiter wird. Der Parzellenbauer findet in seinem Grundeigenthnm nichts anderes als die Gewinnung einer kärglichen Existenz und oftmals das nicht einmal, während das kapitalistische Eigenthum seinem Besitzer Herrschaftrechte über die besitzlose, wirthschaftlich unselbständige Menschheit zuertheilt. Das Eigenthum des Zwergbauern hat deshalb für denselben durchaus nicht jenen ideellen Werth, welchen der Kapitalist dem produktiven Privateigenthum beimißt; es besitzt aber auch seinen materiellen Werth nur unter der privatkapitalistischen Wirthschaftsordnung, wo es dem Produzenten eine wenigstens scheinbar unabhängige Existenz gewährleistet. Da der Kleinbauer seinen Lebenserwerb ausschließlich aus einer ununterbrochenen, angestrengtesten Selbstarbeit bezieht, so ist es einzig die wirthschaftliche Selbständigkeit, welche ihm das Privateigenthum an einer Scholle Landes lieb macht, nicht aber die juristische Be- deutung, welche dem Eigenthumsbegriff innewohnt. Ist etwa das Recht, das Eigenthum zu veräußern, zu ver- pfänden, zu vererben oder zu vernichten, kurzum zu machen, was man damit will, diejenige Eigenschaft, welche dem Privateigenthum seinen besonderen Reiz verleiht? Gewiß nicht, obwohl die Bourgeoisie diese knabenhafte Einbildung in die Köpfe des gesammten Kleinbürgerthums in Stadt und Land verpflanzt sehen möchte. In der sozialistischen   Gesellschaft hat nun der Klein- bauer keine Veranlassung mehr, um eine selbständige un- abhängige Existenz besorgt tu sein, sie wird ihm nicht nur garantirt durch die Gesellschaft, sondern auch be- quemer und behaglicher gestaltet, als im bürgerlich- kapitalistischen Staatswesen. Mithin fällt für den klein- bäuerlichen Eigenthümer jeder Grund weg, sich an dem Privatbesitz an Grund und Boden festzuklammern, sobald ihm eine bessere, eine glücklichere Zukunft eröffnet wird. In der sozialistischen   Gesellschaft bleibt er nach wie vor Besitzer der Bodenfläche, wenn auch nicht mit den juristischen Eigenthumstiteln der heutigen Gesellschaft. Wird der Bauer daran gewöhnt, sein Eigenthum nicht durch die kapitalistische Brille zu betrachten, so wird in ihm bald die falsche Vorstellung von dem wirklichen Werthe seines Eigenthums beseitigt werden können, er wird alsdann die Vorzüge einsehen lernen, welche die genossenschaftliche Großproduktion in der Landwirthschaft für seine Person zur Folge hat. Sein Eigenthum und dasjenige des kapitalistischen   Ausbeuters sind eben zwei verschiedene Tinge und nur volkswirthschaftlich ganz bor- nirte Köpfe, wie beispielsweise derjenige des Irrlehren- mannes Richter, können beide Dinge mit einander kon- fundiren. So sehr der kapitalistische Eigenthumsbegriff dem Sozialismus widerstrebt, so wenig wird der bäuer- liche Zwergbesitz ein Hinderniß für denselben sein. Es kommt nur darauf an, die Unterschiede in dem Wesen der beiden Eigenthumsarten auseinanderzuhalten und bei jeder Agitation scharf zu betonen, um thörichte Anschauungen über den Werth des kleinbäuerlichen Eigenthums zu zer- streuen. Daß die sozialistische Agitation an den verkehrten Eigenthumsbegriffen der Landbevölkerung scheitern sollte, ist daher mehr eine Illusion unserer Gegner, die sich an das Vvrurtheil der Landbevölkerung als an einen letzten Strohhalm anklammern. Die wohlhabenden Gutsbesitzer. die Pollbauern, die ländlichen Arbeitgeber wird die Sozialdemokratie allerdings nicht gewinnen können, denn sie nähren sich redlich von der Ausbeutung fremder Arbeitskrast, aber sie bilden auch nur die verschwindende Minderzahl des platten Landes und darum wollen wir sie ruhig den bürgerlichen Parteien überlassen. Die Voreingenommenheit der Landbevölkerung an sich gegen die Sozialdemokratie leugnen wir nicht, zumal wenn dieselbe an allen Orten Deutschlands   mit allen Mitteln der Niedertracht künstlich gepflegt wird. In- dessen bietet die heutige Staats- und Rechtsordnung so viele Angriffspunkte, daß eine Partei, wie die unsere, bei einer einigermaßen geschickten Taktik leicht das Ohr des Landmannes gewinnen kann. Man darf hierbei jedoch nicht aus dem Auge ver- lieren, daß die Landbevölkerung noch der intellektuellen Schulung entbehrt, um die ökonomische Wissenschaft mit dem gleichen Verständniß und derselben Begeisterung in sich aufzunehmen wie die zielbewußte Arbeiterklasse der Städte. Es hieße deshalb das Pferd am Schwänze auf­zäumen, wollte man, namentlich in denjenigen Ortschaften- wo man sich von der Sozialdemokratie noch die un, geheuerlichsten Vorstellungen macht, in der Agitation niit Vorträgen debutiren, welche über das Begriffsvermögen der Zuhörer weit hinausgehen oder ihr Interesse nicht zu fesseln vermögen. Eine solche Agitation käme einem vollständigen Mißerfolg gleich. Die Agitation wird zuerst den Zweck verfolgen müssen, die Landprvletarier zum Klassenbewußtsein zu erziehen, die vorhandenen Interessen- gegensätze klar zu legen und die Forderungen des Sozialismus in Bezug auf die Landwirthschaft auseinanderzusetzen. Die Art und Weise, wie die rhetorische Agitation in Orten mit einer gegen uns aufgehetzten Bevölkerung ein- geleitet wird, ist manchmal ausschlaggebend. Allgemein gültige Regeln lassen sich selbstverständlich nicht aufstellen, in erster Linie wird es aber die Aufgabe des Redners sein, die ländliche Zuhörerschaft aufmerksam und wohlwollend und sodann gelehrig für die Ziele der Sozialdemokratie zu stimmen. Dieser Grundsatz der