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Sozial-Politisches Wochenblatt.
A«« der Woche.— Koziale» au» Oesterreich. Der Handelsvertrag mit Gefterreich-Ungarn im Lichte der Kozialreform.— Die Stellung de» Kaitrrs in der Derfassnug und in der Wirklichkeit.— Au« dem Sudget der Europäischen Staaten.— Au« dem sozialen Lrdem Gedicht.— UoveUe.— Da» Jahr ÄVttv.— Soldatenbriefe.— Ueber die Vernichtung de« Aauernstande«. Arbeiter-Aristokratie.- Die Hungerkur.
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Aus der Mache. -se- In Mannheim waren zwei Ersalzreservisten, weil sie eine Kontrollversammlung versäumt hatten, zu einer 48stündigen Arreststrafe verdonnert worden. Damit ihnen die ganze Schwere ihres Verbrechens so recht zu Gcmüthe geführt wurde, gab man ihnen während der ganzen Zeit auch nicht eine Brotrinde zu essen. Die beiden Reservisten scheinen sehr gut genährte Leute ge- Wesen zu sein, sonst wäre es ihnen jedenfalls so ergangen, wie dem blödsinnigen Bettler in Oesterreich , den man über die Feiertage ins Loch steckte, vergaß, verhungern und halb von den Ratten auffressen ließ. Billig ist ein der- artiges Verfahren, das stimmt! die Heimathsgemeinde des — Arbeitsunfähigen war mit einem Schlage die Armen- Unterstützung los.— — Tie französische Akademie hatte unlängst einen Preis von 20 000 Franks für das beste Werk in Geo- graphie oder Geschichte zu vergeben. Ihr Ausschuß schlug den ersten zeitgenössischen Geographen Elysee Reclus als den der Auszeichnung würdigsten vor. Aber da kam sie schön an. Die Wissenschaft und ihre Lehre ist frei, aber ihre Träger müssen Sklaven des Kapitalismus sein, wenn sie vorwärts kommen wollen. Nun ist Reclus unbestritten der erste seines Faches, er ist aber auch einer der Haupt- Vertreter des theoretischen Anarchismus; deshalb erhielt nicht er den Preis zuerkannt, sondem die Wittwe eines verstorbenen Geschichtsschreibers, den außer seinen engeren Fachgenoffen niemand kannte auf der ganzen Welt. Das Bürgerthum ist konsequent auch in seinem Haß. — — Der Stöcker hat eine für das öffentliche Leben wichtige Erfindung gemacht. Im konservativen Wahl- verein des 2. Wahlkreises hielten die Konservativen un- längst eine Versammlung für die Beibehaltung der Korn- zölle ab. Bei der Abstimmung waren 15 Personen gegen die regierungsfreundliche Resolution. Da erhob sich der Stöcker in seiner ganzen Größe und sprach: Ich konstatire che einstimmige Annahme, die Leute, welche dagegen siiminten. zählen nicht, auf den Einladungen stand, daß wir uns hier für die Zölle erklären werden. Bravo . Stöcke?! Die Jesuiten brauchen nicht mehr zurückberufen werden. Sie sein schon da.— — Mit welchem Uebermuth manche Behörden gegen das Volk vorzugehen sich erlauben, beweist folgende That- lache. In Ingolstadt in Bayern gaben die Bezirksämter bekannt, daß während der Monate Juni bis September
zur Abhaltung von Tanzmusik keine Bewilligung ertheilt wird, da„diese Vergnügungen durchaus nicht in Einklang stehen mit den allenthalben vorgebrachten Klagen über schlechte Zeiten." Kurz vor Ausbruch der französischen Revolution rief ein Hofmann dem nach Brot schreienden Volke zu:„Freßt Gras!" Die Zeiten ändern sich, aber der Hochmuth der Dickbäuche wird erst mit seinem letzten Träger aussterben — Der preußische Unterrichtsminister sucht jetzt auch die Lehrer an die Scholle zu fesseln. Sie sollen in keinem anderen Regierungsbezirk angestellt werden, ohne die Ge nehmigung der Regierung des Bezirkes, in welchem sie bisher amtirten. Dadurch will man erstens die Lehrer auf schlechtbezahlten Stellen festhalten; der heutige Staat ist gerade so schofel wie der letztbeste Arbeiterschinder. Zum andern scheint m:n den Lehrern, die man jetzt als Vorposten im Kampfe gegen die Sozialdemokratie ver- wenden will, nicht recht zu trauen. Also Zaum und Zügel her, damit das Arbeitspferd,— für was anderes hat man ja den Lehrer auch nie angesehen— nicht zu üppig wird, und am Ende gar über die Stränge springt, und — der rothen Fahne nachläuft. — Bei dem festlichen Schlüsse des preußischen Land tages war der Vertreter für Ober- und Niederbarnim , Abgeordneter von Veltheim auf Schönfließ bei Herms- dorf in der Mark der Einzige, welcher schwarze enge Hosen und Wadelstrümpfe angelegt hatte. O, wie weit liegen hinter uns die Zeiten der alten Germanen. Unter so viel hundert Personen wagt ein einziger, seine Waden zu zeigen! Es ist rein zu Verzweifeln. — Bismarck hat zu dem Vertreter des deutschen Ziegler- und Kalkbrcnnervereins vor einigen Tagen ge- sagt:„Ihr Gewerbe war mir vom Anfang an sym- pathisch." Das glauben wir ihm aufs Wort. Ihm war seit jeher alles sympathisch, das ihm Geld brachte. Bei dieser Gelegenheit erfuhr die Welt auch, daß Bismarck Ziegeleibesitzer und Kalkbrenner sei. Der Mann ist viel- seitig. Schnapsbrenner, Papierfabrikant, Holzhändler und Kornvertheurcr— fast jeder Paragraph des Zollgesetzes vermehrt seine Einnahmen. Und da sagen noch immer welche, er wäre kein großer Mann. X Das Wildschadengeseiz ist im Abgeordnetenhause in namentlicher Abstimmung mit 175 gegen 97 Stimmen angenommen worden. 161 Abgeordnete fehlten! Für dies Gesetz stimmten fast sämmtliche Konservativen und Freikonservativen, die Mehrheit der Zentrums- partei(35 dafür, 24 dagegen, 36 fehlten!) und einzelne Nationalliberale. Durch Annahme dieses Gesetzes hat die Mehrheit des Abgeordnetenhauses, welche bei der Korn- zolldebatte von Bauernfreu nd lichkeit überfloß, einmal für jeden Bauern klar und deutlich gezeigt, weß Geistes Kind sie ist. Jeder Ersatzanspruch bei Wechsel- wild wurde gestrichen. An Stelle der Schadenersatz- Pflicht der Jagdpächtcr trat die Erfatzpflicht der Ge- mein de(!) für den innerhalb ihres Jagdgebiets ent- stehenden Schaden. Die Gemeinde kann sich durch den Pachtvertrag Wiedererstattung der Wildschadenbeträge durch den Jagdpächter ausbedingen. Jedes gerichtliche Verfahren in Fragen des Schadensersatzes ist einfach ausgeschlossen; die Ortspolizei und der Kreisausschuß entscheiden. Treffend hat der nationalliberale Abgeordnete Francke die Schadenersatzpflicht der Landgemeinde unter Streichung der Regreßpflicht der Waldbesitzer und Groß- grundbesitzer von mehr als 300 Morgen im Abgeordnetenhause dahin charakterisirt! »Denken Sie sich, es kommen zwei Bauern A und B zu einem großen Herrn. Der eine klagt:„Ihr Hund hat meine Suh tobt gebisicnl' und der zweite klagt:„Ihr Hund hat auch meine Kuh tobt gebissen 1" und beide bitten um Schadenersatz. sOer bett. hohe Herr erwidert:„Schadenersatz wollt Ihr haben? Der Bauer A bezahlt dem Bauer B dessen todtgebissene Kuh,
und der Bauer B bezahlt dem Bauer Ä dessen todtgebissene Kuh."— Auf diese Weise arbeitet man dem Zug der Sozial- demokratie aufs Land entgegen. — Ju Krakau begann vor einem Erkenntnißgerichte ein Geheimbundsprozetz gegen acht junge Leute, Studenten
im Alter von 22 bis 26 Jahren. Dieser Prozeß gilt als Epilog der vorjährigen Studentenunruhen an den galizischen Hochschulen und die Untersuchung dauerte über ein Jahr. Die umfangreiche Anklage erzählt den Verlauf der Studentenbewegung seit den letzten drei Jahren und sucht aus den bekannten Thatsachen, welche im Vorjahre die Relegiruug einer Anzahl von Studenten zur Folge hatten, den Beweis zu erbringen für das Vorhandensein einer geheimen Verbindung. Namentlich bespricht die An- klage sehr ausführlich die in Lemberg abgehaltene Studenten- Versammlung, deren Resolutionen sich gegen die Hand- habung des Vereins- und Versammlungsgesetzes und gegen den Militarismus wandten. Auf Grund von Korrespon- denzen, welche theilweise im Redaktionszimmer derStudenten- Zeitschrift„Ognisko" vorgefunden und theilweise auf der Post ausgespitzelt wurden, wird den Ilngeklagten vor- geworfen, daß sie mit den bekanntesten polnischen So- zialisten im In- und Auslande Verbindungen unter- hielten.(!) Ferner wird der Gründung eines Verbandes aller polnischen Studentenvereine Erwähnung gethan und der Nachweis versucht, daß das Programm dieses Ver- bandes sozialistische und zum Theile auch„patriotisch- revolutionäre" Ziele verfolgt. Die einzelnen Angeklagten haben theils an der Gründung des Verbandes, theils an der Zeitschrift„Ognisko" theilgenommen. Die VerHand- lung wird mehrere Tage in Anspruch nehmen. — Ueber den Besuch des Kaisers beim Offiziers- korps des 4. Garderegiments z. F. auf den Schießständen bei Spandau wird noch Folgendes mitgetheilt: Ein Offizier machte den Vorschlag, auch ein Wettlaufen zu veranstalten; der Kaiser ging sofort darauf ein. Es wurde eine Strecke von 200 Metern gemessen und eine große Anzahl nahm an dem Laufen theil. Auch der Kaiser stand nicht davon zurück. Sieger blieb Hierlei ein junger Sekondelieutenant v. Maltzhahn, der Kaiser erreichte gleich nach ihm, als zweiter, das Ziel. — Redakteur Fusangel wurde im Bochumer Steuer- Prozeß— verurtheilt und zwar wegen„Beleidigung" diverser Ehrenmänner in 13 Fällen zu 5 Monaten, Redakteur Lunemann zu 2 Monaten Gefängniß! Das hat er davon, wenn er besonders hervorragenden Ehren- männern auf die Haube steigt und sie entlarvt: er wird eingesperrt, der entlarvte Sünder bleibt nach wie vor „Ehrenmann", wenn auch in partibus infideliurn. — Wahrhaft erfrischend ist die Nachricht von dem Berspekulirc» des Peterspfennig-Fonds. Vor einigen Tagen wurde gemeldet, in demselben sei ein Defizit von 10 Millionen Lire entdeckt worden; dann hieß es, der Papst habe alle Finanzbeamten des Vatikans aus dem Dienst gejagt. Jetzt meldet der Londoner „Chronicle", in Folge schlechter Anlagen seien 13 Millionen Lire ver- loren gegangen. Geschieht dem Papst recht. Warum sammelt er Schätze, welche die Motten und der Rost fressen! Es wäre interessant, zu erfahren, wo eigentlich die vatikanischen Finanziers das viele Geld zugebrockl haben. Wenn sie es in Hypotheken oder sicheren Papieren angelegt hätten, so könnte dieser Krach wohl schwerlich eingetreten sein. Wahrscheinlich aber sah man mehr auf hohe Zinsen als gute Sicherheit. Das Zinsnehmen ist zwar bekanntlich durch die Bibel und diverse päpstliche Bullen verboten, aber bei den Pfaffen hat es stets ge- heißen:„Richtet Euch nach meinen Worten, nicht nach meinen Werken." Vielleicht erfährt man noch, ob der Papst seinen Schatz in gut christlichen„Anlagen" verloren hat; es war ja viel die Rede von der„Katholisirung des Kapitals." Vielleicht aber hat der Papst praktische Er- fahrungen in der Nationalökonomie machen wollen, die er für feine Encyklika über die Arbeiterfrage gebrauchte. — Nein, diese Barbaren! Tscheng-Ki-Tong, der bisherige chinesische Gesandtschaftssekretär in London , mußte wegen VerÜbung kolossaler Schwindeleien seinen Posten verlassen und wurde in China zum Tode ver- urtheilt. Daran merkt man, daß das Land viele Ein- wohner hat. Wenn man bei uns alle Schwindler auf- hängen wollte, so würde das Land bald entvölkert sein.