Keivkatt zur Merliner Voklis�Cribüne.

Nr. 26.

Sonnabend, den 27. Juni 1891.

V. Jahrgang.

Wir sind so gemein. (Nach dem Englischen.) Wir Pflügen und säen! Wir sind so gemein, Zu schaufeln, zu graben im Grunde, Bis Wiese und Rain, bis Flur und Hain Bon Früchten strotzt in der Runde. Wohl sehen wir's ein, wir sind so gemein, Und werden es niemals vergessen; Wir kneten das Brod, wir schießen es ein,. Doch find zu gemein, es zu essen. Wir steigen hinein wir sind so gemein In der Kohlen finstere Minen, Wir graben das herrlichste Edelgestein, Das je noch in Kronen geschienen; Fehlt Geld im Schrein, wir schaffen es fein Nicht die im Neberfluß schwimmen, Zum Zahlen sind wir nicht zu gemein, Doch viel zu gemein, um zu stimmen. Wir sind so gemein, wir sind so gemein! Doch mauern und bau'n unsre Hände; Zu des Reichen Haus fügen Stein wir an Stein, Zu Kirch' und Palast ohne Ende.! Wir bauen das Schloß, wir schmücken es aus, Wir müssen es scheuern und bohnen; Wir sind zu gemein nicht, zu bauen das Haus, Doch viel zu gemein, d'rin zu wohnen. Wir sind so gemein, o wir sind so gemein! Doch spinnen wir Seide und Wolle, Daß glänzend das Lein' um des Reichen Gebein In wärmenden Falten sich rolle. Wir kennen den Spruch,»vir kennen den Fluch, Was helfen uns Jammer und Klagen? Wir sind zu gemein nicht, zu weben das Tuch; Doch viel zu gemein, es zu tragen. Wir sind so gemein, o wir find so gemein! Doch wenn die Trompeten erklingen, Da stellen wir Armen uns in die Reih'n, Das Schwert für die Reichen zu schwingen. Wir sind so gemein! Doch setzen wir ein Das Leben, den Sieg zu ereilen; u tödten den Feind sind wir nicht zu gemein; ohl aber die Beute zu theilen. Wir sind so gemein- doch soll es so sein? Soll's immer so bleiben auf Erden? Dein Reichen den Wein, den Glanz und Schein; Dem Armen nur Last und Beschwerden? Wir sind so gemein. Doch sagen wir: nein! Wir müssen die Rechnung beschließen. Wir füllen den Schrein; und wir sollen's auch sein, Unserer Arbeit Frucht zu genießen?!

Gin Spaziergang. Bon G. I. Uspenski. Deutsch von P. Stycrynski.

fliach druck uttbottn.]

I.

... Es ist mir zu Ohren gekommen, daß in dem Dorfe Jemjeljanowo in einem Wirthshaus von dem Pächter desselben, Gewrila Kaschin, gesetzwidriger Verkauf von geistigen Getränken betrieben werde; Ew. Wohl- geboren benachrichtige ich hiermit davon und beauftrage Sie, den Sachverhalt an Ort und Stelle festzustellen und mich davon zu benachrichtigen.. Wie denn'? Mußt Du wieder auf's Land?" fragte eine zierliche, elegant gekleidete Dame, die über die Schulter ihres ebenso wie sie hübschen und jungen Mannes hinweg den Brief las, den der Polizeidiener soeben gebracht hatte. Das ist ganz gut. Da machst Du wieder einmal einen Spaziergang. Das Wetter ist prachtvoll.. Ist's weit?" Zwei bis drei Werst." Das wird Dir ganz gut thun... Du sitzest den ganzen lieben Tag zu Hause... Was lasest Du da eben?..." Es war die letzte Nummer der Zeitschrift... Ich las gerade einen sehr interessanten Aufsatz..." Geh' nur. geh'! Mache den Spaziergang!" sagte die junge Frau in der Zeitschrift blätternd.Ah... da ist ja etwas von Turgenjew ... Das lese ich«ms alle Fälle! Wie lieb!... Aus dem Volksleben?... Wundervoll!..." Ist der Diener zu Hause?" unterbrach sie der Mann, der nach dem interessanten Aufsatz auf dem Sopha ausruhte.Ich muß mich erkundigen, was das für ein Kunde ist dieser Gawrila Kaschin" Er ist da... in der Küche... Ah!Nach Heine"... Was ist denn das?Das Lied vom Hemd"..." Sie seufzte und sagte nach einer Weile nachdenklich: »Der arme Kerl muß Strafe zahlen?!" Wer?" fragte der Mann ungeduldig, da er in den Worten der Gemahlin keinen rechten Zusammenhang ent- decken konnte.Wen meinst Du?" Den Bauern..." Ah so!... Nun, natürlich... der muß brummen..." Um den Mann nicht weiter zu reizen, fügte die Frau hinzu: Wenigstens kannst Du Dich ein wenig erholen."

n.

Am nächsten Tage machte sich der Mann auf den Weg. Der Spaziergang sollte zu Fuß gemacht werden Um zwölf Uhr Mittags stand er mitten im Hofe und steckte die Hände in alle Taschen, um sich zu überzeugen ob er auch Alles mitgenommen. Ja!" sagte er und wandte sich an die Frau, die ans der Schwelle stand.Beinah' hätt' ich's vergessen Gieb dem Iwan unter keiner Bedingung die Zeitungen von dem kriegt man sie dann nicht so leicht wieder heraus!... Hab' ich das Gesetzbuch mitgenommen?" Ich hab's zu den Akten gelegt... Das ist doch das Buch mit Goldschnitt?..." Ja, mit Goldschnitt!... Wo ist's nur. Hast Du es mir ganz bestimmt mitgegeben?" Schau doch nach... ich glaube." Na ja, da haben wir's, ich glaube!... Wie kann man nur so..." Der Diener, der den Herrn begleiten sollte, hatte die Akten unter dem Arm. Er sah nach und fand das Buch Da ist's ja!" sagte der Ehemann beruhigt.Feh nichts?... Und die Eigarretten?" Die Hab' ich auch mitgenommen," erwiderte der Diener. Also... auf Wiedersehen! Laß Dir die Zeit nicht allzu lang werden... Auf meinem Schreibtisch liegt der neue Roman von Spielhagen:In Reih' un!> Glied"... Ein gutes Buch... Lies es! Den Knütte! will ich nur auch mitnehmen; man ist hier vor Dieben nie sicher..." O ja, Spitzbuben giebt's hier mehr als ordentliche Menschen," meinte auch der Diener. Während der Knüttel gesucht wurde, näherte sich der Gruppe ein junger Mann. Es war dies ei« ehe maliger Seminarist, der aus dem Seminar ausgewiesen worden war; er lebte in großem Elend und wurde von allen seinen Verwandten verachtet und geschmäht. Iwan Petrowitsch, " sagte er,erlauben Sie, daß ich mit Ihnen gehe?" Oh, mit dem größten Vergnügen!" Der Seminarist dankte. Bald war auch der Knütte! da und nach einer halben Stunde befand sich die ganze Gesellschaft mitten auf dem Wege. Es war ein heißer Sommertag. Ringsherum herrschte lautlose Stille. Der Seminarist unterhielt sich mit dem Diener, der ihm über die vielen Diebstähle in der Gegend erzählte. Woher kommt das wohl?" fragte der Seminarist Ach Gott... von dem großen Elend... Weiber die einen Topf Milch nach Hause tragen, werden von Dieben angehalten..." Der Seminarist versiel in Nachdenken. Der Beamte genoß die Schönheit der Natur und überdachte den Plan wie er wohl am leichtesten den Gawrila Kaschin über rumpeln und ihn womöglich auf frischer That ertappen könnte. Iwan Petrowitsch, " sagte plötzlich der Seminarist, ich wollte mit Ihnen über etwas sprechen." Ueber was denn?..." Ach... so... Seh'n Sie... Ich komme fast um vor Langerweile und möchte mir auch außerdem etwas Geld verdienen, denn ich habe fast nichts zu essen... Könnten Sie mir nicht durch Vermittlung Ihrer Be kannten irgend eine Anstellung verschaffen?" Was für eine Anstellung?" ,,Jch möchte am liebsten eine Lehrerstelle annehmen... Das entspräche am meisten meinen Neigungen. Ich weiß, daß ich das Geld ehrlich verdienen werde, das ich be- komme. Außerdem würde mir eine solche Beschäftigung viel Vergnügen machen. Gut, ich will mal seh'n..." Ich würde Ihnen sehr dankbar sein. Sehen Sie nur, was für eine Finsterniß in den niederen Schichten des Volkes herrscht. Sollte denn da wirklich nichts, gar nichts zu machen sein? Man muß doch endlich einmal ernsthaft daran denken..." Gewiß, gewiß!" bestätigte der Beamte mit großem Interesse. Das Herz blutet ja einem beim Anblick all' der Roth und des Elends. Ich kenne das Volk, ich wäre bereit, ohne Gehalt zu arbeiten, wenn ich nur nicht Hungers zu sterben brauchte... Man muß das Volk aus dem Schlafe auferwecken, es erziehen, seine guten Eigeuschaften zur Geltung kommen lassen. Und es hat gute Eigenschaften, das weiß ich..." Der Beamte drückte in den wärmsten Worten seine Zustimmung aus, die den Seminaristen in noch größere Extase versetzten. Was für ein edler Mensch!" dachte er zuletzt bei ich.Es giebt also noch Menschen, die edel denken und 'ühlen!..." Sie näherten sich unterdeß einer Schänke, die an !)er Straße stand. Hier müssen wir Halt machen; vielleicht erfahren wir hier etwas," sagte plötzlich der Beamte, nachdem er eben irgend eine Phrase über Volksbildung ausgesprochen jatte.Man muß nur schlau zu Werke gehen, denn die Kanaillen sind auch nicht aus den Kopf gefallen.. Du," wandte er sich an den Diener,bleibst draußen,

Du darfst Dich, mit den Akten unterm Arm, drinnen nicht zeigen!..." Den Seminaristen versetzte das einigermaßen in Er- staunen; er beruhigte sich aber bald wieder, hatte er es doch mit einem edlen, anständigen Menschen zu thun! Im Wirthshaus saß hinter dem Schenktisch eine junge Frau und schlummerte. Die Wände des kleinen Stübchens waren mit Fetzen verschiedenfarbiger Tapeten beklebt: zwischen dem Schänktisch und der Wand standen einige Fässer Wein; die Luft war mit Schnapsgeruch gesättigt: eine Menge Megen waren in der Stube. Guten Tag!" grüßte der Beamte freundlich. Die Wirthin erwiderte den Gruß in derselben Höf- lichen Weise. Kann ich bei Ihnen ein Glas Bier trinken?" O ja, aber es ist nicht gut!" Ist's wenigstens kühl?" Na Gott, wie man's nimmt!... Sie können's ja kosten." Bitte, bringen Sie mir welches!" Die Wirthin entfernte sich. Der Beamte sah sich in der Schänke austnerksam um. Die haben ihr Patent,..." sagte er dann leise zu dem Seminaristen. Dieser sah ihn verwundert an. Bald trat in das Zimmer eine andere Frau, die sich später als die Mutter der Wirthin zu erkennen gab, verneigte sich tief und ehrerbietig und blieb schweigend dicht an der Thür stehen. Sie schien bald wieder fort- gehen zu wollen. Sie blieb aber noch eine Weile, die beiden Gäste aufmerksam musternd, stehen und wußte mit großer Kunst die Aufmerksamkeit zu verbergen, mit welcher sie jeder Bewegung, jedem Worte der beidenHerren" folgte. Ist es weit von hier nach Jemjeljanowo?" O nein, es ist nicht schlimm... Im Gegentheil es ist sehr nahe, Väterchen... Warum wollen Sie es aber wissen, Väterchen?" Ach... so! Wir machen einen kleinen Spazier» gang..." Die Alte nickte mit dem Kopfe zum Zeichen des Einverständnisses. Man brachte das Bier. Das Bier ist gar nicht schlecht," sagte der Beamte. Wo bekommt man hier noch welches?" In Buschilowo," sagte die Alte nachdenklich, zwanzig Werft von hier... Das ist das nächste Wirthshaus..." Und in Jemjeljanowo?" fragte die Tochter mit gutmüthiger Miene. Wieso denn in Jemjeljanowo?" erwiderte die Alte mit schlauem Lächeln;da giebt's doch überhaupt keine Wirthshäuser." Der Beamte schlenkerte mit dem Bein und ergötzte ich am Anblick der beiden Frauen. Es müßte denn Jemand dort mit geistigen Ge- tränken Handel treiben!" sprach die Alte undeutlich und verlegen und der Seminarist bemerkte, wie ihre Augen einen lebhaften und strengen Ausdruck annahmen. Die Tochter schwieg. Wir fragen nur so! Wir machen einen Spazier- zang!" erklärte der Beamte.Der Herr da möchte gern n den Wald gehen," fügte er hinzu, auf den Seminaristen deutend. Das Wetter ist auch sehr schön..." Und... sagen Sie, Mütterchen. giebt's hier auch Wälder in der Nähe?" fragte der Beamte und machte dazu das unschuldigste Gesicht von der Welt. Kleine Gebüsche sind wohl da, aber ordentliche Wälder giebt's nicht." Wir sind auch mit Gebüschen zufrieden... Wenn wir nur ein bischen Schatten haben!... Die beiden Frauen nickten ihnen zu und tauschten mit einander verständnißvolle Blicke aus. Der Beamte lezahlte die Zeche und ging hinaus. Was er er- ahren wollte, das hatte er erfahren. Ohne sich im Geringsten zu geniren, blätterte er in den Akten, über- zeugte sich, ob auch der Bleistift da sei und achtete gar nicht auf den Schreck der beiden Frauen. Ja, ja, machen Sie nur den Spaziergang!" rief ihm die Alte nach.Im Walde ist's jetzt wundervoll!" Wir sind auch mit Gebüschen zufrieden...." brummte der Beamte vor sich hin, indem er irgend etwas notirte.Adieu, lebt wohl!" Viel Glück!" Das hättest Du auch für Dich behalten können!" vernahm der Seminarist die Stimme der Alten, welche der Tochter Vorwürfe zu machen schien. Diese Kanaillen!" flüsterte ihm der Beamte zu. Der Seminarist riß die Augen weit auf.

III. An einem Ende des Dorfes Jemjeljanowo stand eine Schänke, in der aus gesetztiche Weise Wein verkauft wurde. Der Beamte war überzeugt, hier die genauesten Informationen über Gawrila Kaschin einziehen zu können. der ebenfalls eine Schänke am andern Ende des Dorfes einem einzeln stehenden, verlassenen Häuschen besaß�

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