Oeibkatt zur berliner Düllis-ÖLciliiinc.

28.

Sonnabend, den 11. Juli 1891.

V. Jahrgang

Nur ein Gedanke: Bon Alexander Petöfi (1846). Rur ein Gedanke plagt mich kummervoll: Daß ich im Bett, auf Kissen sterben soll! Hinwelkend wie die Blume, stillverzagt, An der geheim ein Wurm die Wurzel nagt: Zerschmelzend langsam, wie das Licht vergeht, Das einsam in der leeren Stube steht! Gieb solchen Tod mir nicht, mein Gott! Nicht solchen Tod voll Hohn und Spott! Will sein ein Baum, durchzuckt voni Blitzesstrahl, Oder den Sturm entwurzelte im Thal: Will sein ein Fels, der vom Gebirg hinab Sich donnernd niederstürzt ins tiefe Grab! Wenn jedes Sklavenvolk dem Joch entflieht, Vereint dereinst ins Feld zum Kampfe zieht, Das Antlitz roth, entrollt die rothc Fahne, Drauf golden prangt, was jetzt noch gleich dem Wahne Die Weltsreibeit!" Und weit und breit Rur diese Losung Ost wie West erweckt, Und die Tyrannen ruft zum Kampf erschreckt: Dann will ich fallen dort; Auf jenem Feld der Schlacht sofort Entfließe meines Herzens junges Blut, Und haucht' ich aus das letzte Wort im freudigen Muth, So mögen es verschlingen Schwertgeklirr, Drometcnton, Geschützesdonncr, Lärmen wirr. Und über meinen Leichnam hin Setz' im Galopp das Roß, zertretend ihn, Wenn zum erfocht'ncn Sieg dahin man fliegt; Laßt dort mich liegen, bis das Recht ersiegt, Und meine Knochen man erst sammeln mag, Wenn anberaumt der große Allbegräbnißtag, Wo feierlich mit leisem Trauersang Und mit umhüllter Fahne sich bewegt so bang Der Zug, zu senken tief hinab Die Helden all in ein gemeinsam Grab, Die für dich starben todtbereit, Du heilige Weltfreiheit!

Gin Spaziergang. Bon G. I. Uspenski. Deutsch von P. Stycrhnski.

l Nach druck verboten.)

HI.(Schluß).

Der Wirth entfernte sich sofort, brachte Tinte und eine Feder, ging dann zu seiner Frau und trieb die Kinder auseinander, die im Hausflur zusammengelaufen waren und in die Stube hineingafften. O lassen Sie nur!... Ich danke sehr.. sagte der Beamte.Ihr Vor- und Familien-Name?" Gawrila Kaschin..." Das Protokoll, wurde niedergeschrieben; das Tinten- faß hielt der Wirth selbst in der Hand, da er sich für die Höflichkeit, die ihm erzeigt wurde, erkennt- (ich erweisen wollte. Sich zu rechtfertigen, zu bitten, daran dachte er gar nicht. Er wußte, daß das nicht viel nutzen konnte. Waren doch jetztandere Zeiten" gekommen, war doch jetzt eineHöflichkeit" in Mode, von der man sich auf keine Weise loskaufen konnte. Während er die ihm vorgelegten Fragen beantwortete, reichte er dem Beamten ein Streichholz zum Anbrennen einer Cigarrette, oder riethGihm, eine andere Feder zu nehmen, da diese zu weich sei; seinerseits war auch der Beamte sehr höflich. Während er Worte wiegesetzwidriger Verkauf geistiger Getränke, was nach§... des Reichs- strafgesetzbuches..." u. s. w. niederschrieb, fragte er wohlwollend und freundlich: Ihre Familie ist auch zu Hause?" Ja,... zu Hause..." Haben Sie viele Kinder?" Fünf..." O, das ist ja recht schön..." Wir danken auch Gott ... Ei, da ist eine Fliege in die Tinte gefallen... Das Jüngste ist nicht recht gesund... Wir wissen nicht, was wir thun sollen..." Sie sollten zum Arzt gehen..." Ja, wo sollen wir einen Arzt finden?!... Aber nöthig wäre es..." So etwas darf man nicht vernachlässigen... Es kann leicht schlimm werden... Haben Sie auch ein Vermögen?..." Ein Pferd habe ich." Denn ich habe," sagte der Beamte mit ironischem Lächeln,ich habe von Ihnen fünfzig Rubel einzuziehen dafür, daß ich Sie erwischt habe..." Das ironische Lächeln, das sich auf die Einkassirung der fünfzig Rubel bezog, spielte noch lange um die Lippen des Beamten. Ich weiß... ich weiß! Ich habe ein Pferd... Sdnd? Sofort!" Ich danke, es wird auch so gehen! Es trocknet auch so!" sagte der Beamte.Wollen Sie vielleicht die Güte haben, Ihren Namen darunter zu schreiben." Gawrila Kaschin unterschrieb seinen Namen. Ich danke. Es muß hier schön sein bei Ihnen... im Sommer... in dem prächtigen Walde..." O ja, es ist recht hübsch hier..." Für die Kinder ist das jedenfalls sehr gesund..."

Gewiß

Ja

. In der guten Luft..." Das ist sehr gesund!... Nun lieber Freund," wandte sich der Beamte an den Soldaten,sei so gut, unterschreib' auch Du Deinen Namen. Du warst Zeuge..." Ich kann nicht schreiben, Ew. Gnaden. Erweisen Sie mir die Gnade, befreien Sie mich davon!" Wieso? Du kannst doch schreiben! Hast Du mir nicht die Anzeige gezeigt?" Ew. Gnaden, seien Sie so gut! Ich ging ruhig und harmlos meiner Wege... Thun Sie mir den Ge- fallen, lassen Sie mich gehen!" Nein, das geht nicht!... Unterschreib nur und dann kannst Du gehen..." Jetzt ist's auch ganz gleich..." sagte der Wirth zu dem Soldaten. Natürlich," bestätigte auch der Beamte. Der Soldat sah sie beide der Reihe nach an. Was haben Sie mir angethan, Ew. Gnaden!. Das war nicht schön von Ihnen!" Er streifte den Aermel auf, nahm die Mütze ab, ergriff die Feder und war zum Schreiben bereit. Was soll ich schreiben? Ich kann nichts..." Laß endlich diese Redensarten, mein Lieber!" sagte der Beamte ernsthaft.Schreib Deinen Vor- und Fa- miliennamen. Wie heißt Du?" Sofort, sofort!... So war's ja nicht gemeint... Aeh... den Namen?" Ja, den Namen!" Der Soldat schrieb lange. Endlich war er fertig. Sein Gesicht war roth und in Schweiß gebadet. So. Und jetzt kannst Du gehen." Ach, jetzt habe ich keine Lust mehr, fortzugehen. Sie haben mich schön in den Dreck gezogen. Nehmen Sie's mir nicht übel!..." Der Beamte lachte. Auch der Wirth lächelte. In einen schö ö neu Dreck!" Der Beamte lachte diesmal laut auf und sagte zu dem Soldaten: Trink lieber den Schnaps aus!" Ich fürchte mich, ihn anzurühren..." Trink nur!" Will's doch lieber lassen. Hol' ihn der Teufel, den Schnaps nämlich! Sie bieten ihn jetzt so gutmüthig an; Hab' ich ihn aber getrunken und ist es mir erst zu Kopfe gestiegen, dann schieben Sie mir am Ende noch irgend ein Papier zum Unterschreiben unter und ich sitze dann mein Lebelang in der Sauce. Wir kennen unsere Pappenheimer, Ew. Gnaden!" Wie Du willst. Trink Du den Schnaps!" sagte der Beamte zum Diener. Ich danke sehr. Ich trinke nicht..." Meinetwegen! Auf Wiedersehen." Der Wirth geleitete den Beamten bis an die Thür. Viel Glück Ew. Gnaden!" sagte der Soldat mechanisch, als aber der Beamte mit einem höflichen Ab- schiedsgruß von der Schwelle sich entfernt hatte, fügte er hinzu: Da bin ich schön reingefallen!" Ich danke Dir, mein bester Freuud," sagte Kaschin zu ihm. erblassend. Gawrila!" Ich bin Dir sehr dankbar. Du hast mir den Garaus gemacht!" Gawriluschko, Väterchen!" begann der Soldat, aber Gawrila und seine Frau antworteten ihm nicht. Der Soldat machte ein herzlich-trauriges Gesicht und setzte sich ganz verzweifelt auf die Bank. So saßen sie regungslos, wie angewurzelt lange... lange...

Schauen Sie, wie wunderschön!" sagte der Be- amte, indem er den Seminaristen einholte, der schweigend voranging. In seinem Blick drückte sich wahres Eni- setzen aus.Sehen Sie nur, wie schön es ist." Den Bergabhang hinauf, den die Wanderer ganz übersehen konnten, stieg eine ganze Schaar Frauen, mit Rechen in den Händen, in sommerlichen Kleidern, deren 'rische, grelle Farben mit der Farbenpracht der Land- chaft wunderbar harmonirten. Ter Seminarist erwiderte nichts. Die Bauerufrauen näherten sich, und es erscholl ein Lied; der wanderude Beamte blieb stehen und ergötzte ich schweigend an dem Liede; da aber in der Nähe ein Wirthschaftsbeamter stand, der die Frauen beaufsichtigte, v trat er an ihn heran und fragte ihn über die Ver- mögensverhältnisse des Gawrila Kaschin aus: ob Dieser wohl im Stande sein werde, die Strafe zu be- zahlen. Dann legte er sich auf den Rasen nieder, lobte den heilsamen Einfluß der Landluft auf die Gesundheit, egte die Akten auseinander und begann im Gesetzbuche zu blättern. Das Lied wurde leiser. Singt doch, singt mir!" bat der Beamte, in dem Buche weiter blätternd. Der Chor aber sah ihn mißtrauisch von der Seite an und sang immer leiser.

Singt doch, bitte sehr, bat noch einmal der Natur- freund. Aber trotz der ausgesuchten Höflichkeit, mit der sich der Wanderer an die Arbeiterinnen wandte, gingen diese allmälig auseinander, ohne das Lied zu beenden. Es ist Zeit, nach Hause zu gehen!" sagte endlich der Beamte zu dem wortkarg gewordenen Seminaristen. Ich denke, die neuen Zeitungen sind schon gekommen und ich erwarte sie mit Ungeduld. Der Seminarist schwieg noch immer. Jeden Augenblick ist, glaube ich, in Frankreich der Ausbruch einer Revolution zu erwarten," raunte er leise den Seminaristen in's Ohr... Das wird interessant werden... Es ist auch schon lange Zeit..." Der Seminarist schwieg, dachte nach und suchte dahinter zu kommen, was das Alles zu bedeuten habe? Wie sollte man eine Humanität, eine Bildung nennen, die überall um sich her nur Unbehaglichkeit, Verderben und Trauer verbreitet?... Da sitzt der Soldat auf der Schwelle und quält sich mit seinen Ge- Wissensbissen ab... Da trauert und weint die ganze Familie des Kaschin bei dem Gedanken an das nahe Ver- derben und den Hunger... Die Bauernfrauen haben aufgehört zu singen,... sind auseinandergegangen... Iwan Petrowitsch !" sagte plötzlich der Seminarist. Was denn?" Wie... Wie können Sie..." stammelte der Seminarist verlegen und suchte nach einem Worte zur Bezeichnung des Geschehenen.Was machen Sie denn eigentlich?" platzte er dann heraus. Das erheischt die Ordnung, Väterchen! Anders geht's nicht," entgegnete der Beamte kategorisch und legte den Rest des Weges schweigend zurück. Er pflückte Kornblumen und Gräser und machte daraus einen Strauß für seine Frau._ Beiträge zur deutschen Kultur-«. Kiteratur- geschichte des 18. Jahrhunderts von J. H. W. (Nachdruck verboten.) II.

Man kann nun aus den ersten Blick sehen, daß die beiden anderen bedeutenden Kulturstaaten Europas , Eng- land und Frankreich , zwar denselben ökonomischen und politischen Entwicklungsgang, aber in einem weit schnelleren Tempo gegangen sind. In England hat der dritte Stand, das Bürgerthum, schon sehr frühzeitig eine so selbstbewußte Stärke erreicht, daß er im Bunde mit dem kleinen Grundbesitz dem Adel, der sich gegenseitig zer- fleischte, den Todesstoß geben konnte, er hat aber zugleich die Herrschaft des Königthums abgeworfen, dasselbe in seinen Dienst gestellt und lediglich als glänzendes Aus- Hängeschild seiner eigenen Stärke bestehen lassen. Für Frankreich beweist schon die Thatsache, daß in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts ein Wissenschaft- liches Wirthschaftssystem, der Merkantilismus an die Spitze der Verwaltung gelangte, einen höheren Stand- Punkt, dem wir um so mehr Gewicht beilegen müssen, wenn wir uns daran erinnern, daß Deutschlands Volks- wirthe erst in den ersten Dezennien dieses Jahrhunderts auftreten. Die kapitalistische Produktion in Form der Manufaktur, besonders auf dem Gebiet der Seiden- und Wollindustrie fand sich von jener Zeit an von der frau- zösischen Regierung unterstützt und hob den dritten Stand zu einer solchen Höhe, daß er vor der Revolution schon den Ausspruch stellen durfteAlles sein zu wollen", daß er das vereinigte Triumvirat: Königthum, Adel, Geist- lichkeit zerschmettern und sich selbst von allen Fesseln der Zunftverfassung losmachen konnte. Deutschland blieb vor einer solchen befreienden That bewahrt, es half noch 25 Jahre später seinen Fürsten einen Befreiungskampf kämpfen, um für sich nur Knechtschaft zu ernten, es schleppte sich noch 75 Jahre eingeschnürt in die ehr- würdige Zunftverfassung dahin. Es war eben ein wirth- chaftlich zurückgebliebenes Land und das Zurückbleiben auf ökonomischem Gebiet muß mit Naturnothwendigkcit auch eine Juferioritä:_ des Volkscharakters zur Folge haben. Wir haben gesehen, daß Deutschland das Ge- jräge des Kleinbürgerthums trug und gemäß der wirth- chastlichen Rolle, welche diese Klasse spi-lt, mußte auch ein Jdeeukreis, sein Charakter beschränkt und engherzig bleiben. Für das Kleinbürgerthum ist die Freiheit, sei es politische oder allgemein geistige, ein Nichtgebrauchs- gegenständ, und wird in seinen Händen zur Fnitze. Die deutsche Kulturgeschichte des 17. und 18. Jahr- Hunderts ist eine Geschichte tiefster geistiger Depression, und die Historiker der alten Schule können nicht genug die Verirrungen des sonst so hoch gepriesenen deutschen Geistes beklagen, der sich wenige originelle Produkte ausgenommen uns in den albernsten theologischen Haarspaltereien, oder dem überspanntesten schöngeistigen Geträtsch äußert. Karl Adolf Menzel klagt in der Vorrede zum vierten Band seiner deutschen Geschichte:*)

*) Bei Hettner.