mit ihr wegen des darin garantirten allgemeinen und di- rekten Wahlrechts. Im Allgemeinen sucht sie die Reichs- Verfassung aber so wie sie ist zu erhalten. Und das Proletariat? Während wir in den benach- Karten Staaten, in Frankreich und England, in der Schweiz und in Belgien das Proletariat auch auf dem Gebiete des Verfassungsrechtes kämpfen und das Volk durch Fragen der Verfassungsrevision in seinen tiefsten Tiefen aufgeregt sehen, verharrt die deutsche Arbeiterklasse gegenüber der Reichsverfassung in völliger Gleichgültigkeit. Hier ist es der heiß entbrannte und immer weitere Kreise in sein Gewoge hineinziehende soziale Klassenkampf, der das ausschließliche Interesse und die ganze Kraft des deutschen Proletariats in Anspruch nimmt und der diesem keine Zeit übrig läßt, sich mit der Reichsverfassung zu beschäftigen. Bourgeoisie und Proletariat überließen das bisher einer Hand voll Professoren, die von Amts wegen dazu bestellt sind, über die Reichsverfassung in den Hörsälen der Hochschulen zu doziren und über ihre Bestimmungen in dickleibig-gelehrten Werken zu spintisiren, bei Leibe aber nicht sie anzugreifen. Aber selbst, wenn das der Fall wäre, so hätte Fürst Bismarck sicher nicht dieserhalb die Studentendeputation ermahnt, die Reichsverfassung zu beschützen und zu bewachen. So viel Ehre thut Bismarck deutschen Professoren nicht an. Er kennt sie zu genau, um nicht zu wissen, daß sie nicht ernst zu nehmen sind. Wohin zielte dann aber seine Rede? Wie wir gesehen haben, ist die Reichsverfassung von unten nicht sonderlich bedroht; sie kann es dann nur von oben sein. Und in der That zielt die Rede Bismarcks nach oben; von oben her wähnt er die Reichsverfassung be- droht. Das geht deutlich aus seinen Bemerkungen über dieZentralisation" undEgalisirung" hervor sowie aus der Mahnung am Schluß: Rathen Sie zu keiner Aenderung, mit der nicht alle Betheiligten einverstanden sind." Fragen wir nun: wer sind die an der Reichsver- fassung Betheiligten? Die Reichsverfassung selbst sagt es uns. Sie be- ginnt mit den Worten: S. M. der König von Preußen im Namen des Nord- deutschen Bundes, S. M. der König von Bayern, S. M. der König von Württemberg , K. H. der Großherzog von Baden und S. K. H. der Großherzog von Hessen und bei Rhein für die südlich vom Main belegenen Theile des Großherzogthums Hessen schließen einen ewigen Bund.... Dieser Bund wird den Namen Deutsches Reich führen und wird nachstehende Bcrfassung haben. Hier sind also alle an der Reichsverfassung Be- theiligten aufgezählt, ohne deren Zustimmung nach Bis- marcks Rath nichts an dieser geändert werden soll. Es ist charakteristisch, daß das deutsche Volk, das doch auch sozusagen an der Reichsverfassung betheiligt ist, nicht mit aufgeführt wird. Das ist aber so die Art der Diplomaten und Staatsmänner; für sie existirt nur der Fürst und nicht das Volk. Für wen ist nun Bismarck besorgt, welchen der Be- theiligten glaubt er durch eine etwaige Veränderung der Reichsverfassung gefährdet? Den Kaiser doch etwa nicht? Von wem sollte der etwas zu fürchten haben? Er ist der mächtigste unter den deutschen Bundessürsten und auch nach der Verfassung derjenige, welcher unter ihnen die einflußreichste Stellung besitzt: ihm steht daö Präsidium des Bundes zu und er hat als solcher eine Reihe der bedeutungsvollsten Sonderrechte. Der deutsche Kaiser und preußische König braucht also keine Furcht vor Verfassungsänderungen zu haben und für ihn ist Bismarck auch wohl nicht sonderlich besorgt. Etwas anders liegt die Sache schon mit den übrigen deutschen Bundesfürsten. Ihre Macht, ihre Rechte und ihr Ansehen sind seit der Gründung des deutschen Reiches nicht größer, sondern immer kleiner geworden. Sie üben die meisten ihrer Hoheitsrechte nicht mehr selbstständig und frei, sondern gemeinsam im Bundesrathe aus, wo sich die Minorität der Majorität fügen, wo also der Einzelne sich Beschränkungen im Gebrauch seiner Hoheits- rechte auferlegen lassen muß. Ja noch mehr, einzelne Hoheitsrechte sind rechtlich, andere und noch be- deutsamere tatsächlich an Preußen übergegangen? Die Rechte der Bundesfürsten sind also gefährdet, gefährdet durch Preußen, für sie erhebt Bismarck seine Stimme, sie will er vor weiteren Schmälerungen bewahren, indem er den Aufruf erschallen läßt, die Reichsverfassung zu schützen.Pflegen Sie die Verfassung, wachen Sie eifersüchtig darüber, daß die Rechte nicht an- getastet werden, die sie schützt." Der alte Angstruf. der, als er vor bald 30 Jahren erscholl, Lassalle zu sagen berechtigte: diese Verfassung iiegt in ihren letzten Zügen, sie ist schon so gut wie todt, einige Jahre noch und sie existirt nicht mehr! lind heute bewährt sich die Wahrheit seines Aus- spruches von Neuem. Was er damals von der preußischen Persassung voraussagte, das gilt heute von der deutschen Reichsverfassung: sie liegt in ihren letzten Zügen, sie ist gut wie todt, einige Jahre noch und sie existirt nicht mehr. Vergebens sucht Fürst Bismarck die Rechte der -oundesfürsten durch Erhaltung der Reichsverfassung zn retten. Vergebens ruft er die aufwachsende Generation der Bourgeoisie zu ihrem Schutz und Schirm auf. Er gleicht in diesem Thun jenen Priestern, von denen eine morgenländische Sage erzählt, daß sie den verblichenen Salomo nach seinem Tode einbalsamirt auf den Thronsessel angeleimt hätten, um dem Volke seinen Tod aus Furcht vor einer Umwälzung verheim­lichen zu können. Und es wird dem Fürsten Bismarck auch gehen wie jenen Priestern, von denen die Sage weiter erzählt:Als der tobte Salomo einst auf seinem Thron vor dem Volke ausgestellt war, da hatten die Holzwürmer den einen der Sesselbeine völlig durchnagt, so daß die Leiche sammt dem Throne umstürzte. Da sah das gläubige Volk erst, daß Salomo schon lange todt gewesen, obwohl es ihn für lebendig gehalten und es gab sich einen neuen König." Ein solcher tobtet Salomo ist die heutige Reichs- Verfassung, der Holzwurm aber, der an ihr nagt, ist der Zäsarismus. Wann dieser sein Werk vollbracht hat. wissen wir nicht. Nur das ist gewiß, daß eines Ta�cs auch die todte Reichsverfassung sammt ihrer morschen bundesstaatlichen Grundlage zusammenbrechen und an ihre Stelle eine lebendige Reichsverfassung auf einheits- staatlicher Basis treten wird. Die Entwicklung der Volkswirthschaft ebnet ihr seit einigen Jahren schon das Terrain. Aufgabe des Pro- letariats ist es, nur dafür zu sorgen, daß nicht der Zäsarismus, sondern die Demokratie sich des Bauplatzes bemächtigt. Die Sozialdemokratie«ad die Dauer»«nd Kleinbürger. Zur Kritik des Programmentwurfs. Wir sind die entschiedensten Gegner jeder Verwischung des proletarischen Charakters unserer Partei. Die Sozial- demokratie ist lediglich eine Bewegung des Proletariats und kann nur durch das Proletariat zum Siege gelangen. Aus irgend einem Grunde Konzessionen an eine natur- gemäß untergehende Klasse zu machen, wie es Bauern und Kleinbürger sind, wäre deshalb der größte Fehler, den wir begehen könnten. Hat es doch sogar schon große Gefahren, derartige Elemente überhaupt in größerer Menge in der Partei zu haben, selbst wenn sie voll auf ihrem Standpunkt stehen. Indessen kann man diese Fehler wohl verhüten und trotzdem auf diese Kreise Rücksicht nehmen. Bauern und Kleinbürger haben bei uns keine Partei, die ihre Interessen vertritt. Höchstens die Antisemiten, und das ist eine so lächerliche Gesellschaft, daß selbst der ganze Anhang, den sie gefunden haben, sich eben nur daraus erklärt, daß keine Besseren da waren. Außerdem zeigt ein Blick ans unsere Parteiverhält- nisse, daß eine relativ sehr große Zahl gerade der her- vorragendsten Genossen nicht Arbeiter, sondern Klein- bürger sind. Der Grund ist ja klar: diese Leute sind wirthschaftlich unabhängiger und riskiren nicht bei jedem Auftreten ihre Existenz, und sie haben mehr Muße und Geld wie der Arbeiter, wodurch ihnen das Studium er- leichtert wird. Endlich ist zu erwägen, daß die Bauern eine starke Stütze der Reaktion sind. Das ländliche Proletariat, obwohl in derselben Dummheit erhalten, ist weit weniger geneigt, sich als Knüppelgarde für die bestehenden Ver- Hältnisse gebrauchen zu lassen. Wenn man eben gar nichts zu verlieren hat, so machen selbst die gräulichsten Ge- schichten vomTheilen" keinen Eindruck, sondern stimmen böchstens sympathisch für dieTheiler". Wenn man sich an diese beiden der Vernichtung e.'t- gegentreibenden Klassen wendet, so natürlich nicht etwa mit Versprechungen, deren Erfüllung, wenn sie überhaupt möglich wäre, reaktionär wirken würde. Ihre Lage unter den bestehenden Verhältnissen zu verbessern, können wir ihnen nicht versprechen. Aber wir können ihnen beweisen, daß ihre Lage überhaupt nicht verbessert werden kann, daß sie zum Untergang bestimmt sind, und daß erst die neue Gesellschaft, welche das Proletariat schafft, auch sie, freilich unter ganz anderen Bedingungen, befriedigt. Aber daß jede Partei, welche ihnen durch irgend welche Mittel- chen helfen will, sie nur beschwindelt, daß es allein die Sozialdemokratie ehrlich meint, und daß, je früher das Proletariat zum definitiven Sieg gelangt, desto früher ihre Erlösung stattfindet. An diesen Ausführungen ist durchaus nichts Neues, und das hat die sozialdemokratische Partei von jeher ge- sagt. Auch im Programm ist das berührt. Was wir wünschen, ist nur, daß das im Programm deutlicher und klarer ausgedrückt wird, damit man bei der Agitation die Leute gleich darauf verweisen kann. Das Uebel, woran der Kleinbürger krankt, ist, daß das Kleinkapital nicht mit dem Großkapital konkurriren kann. Die beiden Parteien, welche sich an ihn drängeln, haben dafür jede ein Rezept gehabt: die Fortschrittler mit ihren Kassen und Unterstützungsvereinen, wodurch sie Kapital bekommen sollten, und die Antisemiten dadurch, daß sie das große Kapital auf irgend eine Weise ver- nichten wollen. Wenigstens scheint das der Kern des un- klaren Schimpfens auf Großmagas.ine u. s. w. zu sein. Den Unsinn der ersten Lösung haben die Leute wohl eingesehen, und wenn sie trotzdem noch zum Freisinn halten, so geschieht das aus dem Grunde, weil ihnen andere Parteien auch nicht mehr bieten, und hier können sie doch wenigstens etwas raisonniren. Die antisemitische Idee hat noch keine praktische Probe bestanden, und in die Lage, eine solche zu bestehen, kommt sie natürlich auch nie. Aber da der Ertrinkende sich selbst an einen Stroh- Halm klammert, und die Regierung außerdem das Hand- werk immer ihrer Sympathie versichert, so ist diese Hoff- nung doch immer noch besser als gar keine. Es müßte nun im Programm betont werden, daß die erste Lösung unsinnig ist, weil eben viele Nullen noch keine Eins machen; und die zweite, weil das Großkapital trotz aller Redereien doch die Macht in der Hand hat und sich nicht selber absetzen wird, daß es ein unwider- stehlicher Entwicklungsprozeß ist, der da vor sich geht. Außer dem Kleinbürgerthum, welches offenkundig verschwindet, existirt, namentlich bei uns, aber noch ein solches, das eine Scheinexistenz weiter fristet. Das ist derjenige Theil, welcher sich zur Hausindustrie umbildet. Hier scheint uns sogar eine unrichtige Ausdrucksweise des Programms vorzuliegen. Diese Leute werden nicht von den Arbeitsmitteln getrennt, bei ihnen ist im Gegentheil der Umstand, daß sie noch im Besitz ihrer Arbeitsmittel sind, der Grund zu einer noch ärgeren Knechtschaft, als bei dem freien Arbeiter. Auch das müßte u. E. im Pro- gramm Erwähnung finden. Etwas anders wie beim Kleinbürger liegen die Dinge beim Bauern. Da seine Produktion zu einem sehr großen Theil auf den Selbstbedarf gerichtet ist, so kann er nicht so leicht durch dieselben Umstände aus dem Sattel ge- hoben werden, wie der Kleinindustrielle, der doch nur für den Markt arbeitet. Bei ihm ist es also nicht so sehr die Konkurrenz des großen Kapitals, das ihn vernichtet, son- dern die Hypothekenbelastung. Ihm muß also erklärt werden, daß er ja eigentlich gar nicht der Besitzer seines Gutes ist, sondern nur der Frohnarbeiter für den Hypo- thekenbesitzer; daß er da womöglich noch härter arbeiten muß und noch weniger verdient, wie als Arbeiter. Wir sind neugierig, was der Herr Pastor Jskraut geantwortet hätte, wenn die Sozialdemokraten zu Worte gekommen wären und den Bauern gesagt hätten, daß die Sozial- demokratie ihnen gegenüber im Grunde weiter nichts will, als sie von den Hypotheken zu befreien. Wir glauben, daß dieses eine Argument stärker gewirkt hätte wie alle Posaunen und Predigten ihres würdigen Seelenhirten, und es wäre nicht so ganz unmöglich, daß die Leute schließlich den Herrn Pastor durchgeprügelt hätten, statt die Sozialdemokraten. Das ist alles schon dagewesen. Wenn wir unsere Ausführungen für das Programm formuliren sollten, so würden wir demnach ungefähr fol- gende Sätze vorschlagen:(Zwischen dem zweiten und dritten Absatz.) Was von der bäuerlichen und bürgerlichen Mittel- klaffe bestehen bleibt, wird gerade durch den Besitz der Arbeitsmittel noch mehr ausgebeutet: die Bauern, welche unter der Last der Hypotheken erliegen und nur scheinbar Besitzer, in Wirklichkeit Frohndner des Kapitals sind, und die kleinen selbstständigen Gewerbetreibenden, welche für den Absatz ihrer Produkte lediglich auf die Unternehmer angewiesen sind, und deren Verdienst noch tiefer gedrückt wird, als der der besitzlosen Arbeiter. Was von der Mittelklasse dieser Frohn nicht unter- liegt, wird vom Großkapital niederkonkurrirt. Das kann weder durch Vorschußvereine u. dergl. verhindert werden, weil aus vielen Nichtsen nicht ein Großkapital entstehen kann; noch durch eine Bekämpfung des Großkapitals durch die Gesetzgebung, da dasselbe ja die Gesetzgebung selbst in der Hand hat." Zahl»«gspflicht des Redakteurs im Prazehfalle. H. T. Unerörtert und unentschieden blieb bis jetzt die Frage, ob und inwieweit ein Redakteur persönlich für Geldstrafe, Haft- und Prozeßkosten zahlungspflichtig ist. Trotzdem hat diese Frage gerade für die Arbeiter- zeitungen ein großes Interesse, da deren Redakteure bei jeder geringfügigen Gelegenheit in kostspielige Prozesse verwickelt werden. Gewöhnlich besteht zwischen den Re- dakteuren und den Zeitungsverlegern ein Abkommen, dahingehrnd, daß der Verleger etwaige Geldstrafen bezahlt, sowie sämmtliche Gefängniß- und Prozeßkosten trägt. Derartige Abmachungen sind in dem Verhältniß zwischen Verleger und Redakteur etwas Selbstverständliches ge- worden. Die Verpflichtung eines Zeitungsunternehmers zur TraguN ), aller mit dem Betriebe verbundenen finan- ziellen Opfer ist auch vollkommen logisch. Er ist der Eigenthümer. in seine Tasche fließt der Gewinn; der Redakteur ist nur sein Angestellter, sein Arbeiter, der nichts als den üblichen Gehalt bezieht. Prozesse gehören im Zeitungsunternehmen zu etatsmäßigen Möglichkeiten. Der Verleger rechnet von vornherein damit; für ihn sind Strafen u. s. w. ein stehender Posten im Betriebsaufwand. Darum berücksichtigt er die Prozeß- und Gefängnißkosten bereits bei der Preisfestsetzung des Blattes. Konsequenter- weise fällt ihm dann auch die Zahlungspflicht zu, wenn der Redakteur bestraft wird. Indem er für die entstehen- den pekuniären Opfer auskommt, thut der Verleger nur das, was jeder andere Kapitalist ebenfalls thut, wenn er den Schaden trägt, der während der Arbeit ohne Schuld des Personals eintritt. Die Selbstverständlichkeit dieser Verpflichtung ist wohl der Grund, daß bisher die beregte Frage noch zu keinen Erörterungen Anlaß gab. Seitens der Verleger wurden die Geldstrafen, die Haft- und Prozeßkosten wohl ohne Weigerung gezahlt wenn vielleicht auch mit süß- saurer Miene. So wurde es nicht nöthig, eine gericht- liehe Entscheidung hierüber anzurufen. Wie aber dann. wenn es wirklich einen Unternehmer gäbe, der sich weigert, die eingegangene Verbindlichkeit zu erfüllen? Wie würde