Holl!Beninerü'liliiiiie.Sozial-Politisches Wochenblatt.politische Zlotixe«.- Die Resolutionen des KrnllelrrKongresses über den Militarismus.Gedicht.— ZlooeUe. Zola«nd der Krieg. I.—Die Verhandlungen der Anarchisten in vrussrl. EinStreiflicht auf das Wiener Kleingewerbe.— verschie-denrs.Politische Notizen.— Auf den 30. September fiel der Jahrestag derAufhebung des Sozialificngcfclzes. Die bürgerlichenZeitungen glauben sehr weife zu sein, indem sie unsloben, daß wir in der Zeit keine Dummheiten gemachthaben; kannten sie uns besser, so würden sie wissen,daß wir diese Dummheiten unseren Gegnern überlassen.Die Partei ist noch ganz genau so, wie sie vor 1878war. Damals haben wir auch nicht mit Petroleum undDynamit„Revolution gemacht". Wenn also unsereGegner meinen, daß das Sozialistengesetz„erzieherisch"gewirkt habe, indem unsere Agitation weniger gewalt-thätig geworden sei— so ist das nur ein Zeichen vonGedächtnißschwäche. Wir sind vorher eben so„gut gezogen" gewesen. Unsere Partei unterscheidet sich ebendadurch vor anderen, daß unsere Leute keine naivenKinder sind, sondern ernste und überlegte Männer, dieganz genau wissen, was sie wollen. Wären die bürger-licheu Preßkosaken nicht gar so dumm, so müßte ihnengerade der Umstand, daß wir so„gut gezogen" sind,Angst niachen. Mit ein paar Radaumachern wird manbald fertig, mit oder ohne„Erziehung". Aber mitLeuten, die so ruhig und zielbewußt vorgehen, ohnesich stören zn lassen— das ist doch eine ganz andereSache.Was wir sonst über die Bedeutung der Aufhebungjenes Gesetzes denken, haben wir schon oft genug gesagt:das ist ein rein formaler Akt. Das Sozialistengesetzhatte sich als unzulänglich erwiesen und wurde in derletzten Zeit deshalb nur noch schwach gchandhabt. Sobestand für die Regierung das Odium eines Ausnahme-gesetzes, das sich doch als gänzlich unbrauchbar erwiesenhatte. Deshalb fand sie es bequem,„volksfreundlich" zusein und das Gesetz� aufzuheben, um das, was überhauptzu erreichen ist, durch Anwendung des gemeinen Rechtszu erreichen. Das ist das Ganze. Von einem„neuen Kurs" kann da gar keine Rede sein.— Daß es thöricht ist, von einem„neuen Kurs"zu reden, zeigt ja die Haltung der Regierung in derHungerfrage ganz deutlich. Der Geist, der die Korn-zölle in einer solchen Lage des Volkes erhält, ist ganzderselbe, der sie geschaffen hat. Selbst die Reptilien sindzu der Ansicht gekommen, daß etwas geschehen muß; soschlägt die„Nordd. Allg." vor, Joseph in Aegypten nach-zuahmen. Das ist zwar dumm, aber man sieht dochwenigstens den guten Willen. Die„Deutsche Volks-wirthschaftl. Correspondenz", hochschutzzöllnerisches Organ,verlangt sogar, daß die Reichsregierung zollfreies Getreideeinführen solle, und so weiter. Natürlich ist das allesUnsinn; aber man sieht doch wenigstens, daß selbst dieseBlätter nicht mehr die Stirn haben, den Nothstand zuleugnen, und dann muß es doch wahrhaftig weit genuggekommen sein! Aber die Reichsregierung thut gar nichts;sie läßt die Dinge laufen, wie sie wollen. Und so wirddas Elend immer schlimnier: zunehmende Theuerung,ivenn auch momentan durch einen kleinen Preisfall unter-brochen, begleitet von zunehmender Arbeitslosigkeit inFolge der Geschäftskrise, die in ihrer Koniplikation mitden Wirkungen der letzten Schutzzölle furchtbarer wird,wie je eine gewesen ist.Und das Entsetzliche ist, daß, selbst wenn dieseHungerzeiten unter Noch, Krankheiten, Todesfällen, überstanden sind, keine Aussichten auf wirkliche Besserunggemacht werden können. Und außerdem bewirkt die gegen-wältige Roth eine Verelendung der Lebenshaltung desVolkes, wie sie seit dem Ende des dreißigjährigen Kriegesnicht existirt haben kann. In den häufigen Zeitungs-notizen, welche vom Rückgang des Fleischkonsums berichtenfindet man in den offiziellen Angaben der Schlachthäuserneben der ständigen Rubrik für geschlachtete Pferde aucheine solche für Hunde! Diese Ziffern werden so ganzals ob sich das von selbst verstände, neben den Zahlender geschlachteten Rinder und Schweine angeführt!— Und dabei immer noch die drohcude KricgS-gefahr. Zwar hat der Reichskanzler in einer Rede vcrsichert, daß der Frieden niemals so gesichert gewesen seiwie jetzt; und die geistreichen bürgerlichen Blätter, stattden Schluß zu ziehen, daß also dem Reichskanzler daranliege, daß der brave Bürger sich nicht aufregt, sondernruhig ist, schließen daraus, daß wirklich„der Friedenniemals so gesichert gewesen sei". Unterdessen kontrahirtRußland seine Kriegsanleihe, schickt beständig neue Truppenan die Westgrenze, sodaß es gegen die Türkei schon ganzentblößt sein soll, schick- Frankreich Pulver nach Rußlandund versorgt sich selbst mit Getrerde, Mehl und Fleischaus Chikago— aber„der Friede ist niemals so gesichertgewesen". Wenn Rußland jetzt nicht auf Deutschlandlosschlägt, dann müßte noch ein sehr gewichtiges Momentdazwischen kommen; wenn nicht alle Berechnungen trügenso haben wir den Weltkrieg vor uns.— Wenigstens wird jetzt die russische Kriegsanleihenicht in Deutschland aufgelegt. Die Herren Warschauerund Mendelssohn haben sich von dem„Geschäft" zurück�gezogen, sie sahen wohl ein, daß die deutschen Philisterdenn doch kopsscheu geworden waren. Darüber ist nurein Mensch in Deutschland traurig— Bismarck. Ihmwäre es ganz ,lieb, wenn wir eventuell besiegt würdendenn dann wäre es doch mit der Sozialdemokratie ausDie Sozialdemokratie hat ja diese perfide, gemeine Politikschon längst erkannt, uns hat er mit seinen Phrasen nichtgetäuscht. Aber jetzt giebl er es selbst zu in seinen„Hamb. Nachrichten":„Die Sozialdemokratie har eine sehr richtige Empfindungfür die Gefahr, die ihr eventuell von Rußland aus droht; derbürgerlichen Gesellschaft Europas sollte das zu denken gebenund sie von jenem blinden Wüthen gegen alles Russische ab-bringt»."Gewiß, wie wir schon kürzlich schrieben: das istdiesen„Patrioten" ganz egal, ob sie unter dem wutki-duftenden Regiment des Zaren stehen, wenn nur dieSicherheit des Geldsacks garantirt ist. Und der Zar isteben die letzte Garantie. Deshalb wird sich diesesBourgeoispack gegebenen Augenblicks nicht eine Minutebesinnen, dem Zaren in die Arme zu fallen; ihr Ober-Herr hat es jetzt selbst direkt ausgesprochen.— Bei diesen Zuständen ist es nicht verwunderlich,daß die Auswanderung außerordentliche Dimensionenannimmt. Sie war auch im August d. I. wieder größerals im entsprechenden Monat der Vorjahre. Es wandertennämlich aus 8919 Personen gegen 8110 im August 1890,7484 im August 1889, 7477 im August 1888, 8061 imAugust 1887 und 6727 im August 1886. Seit Beginndes laufenden Jahres bis Ende August sind im Ganzen80 610 Personen aus Deutschland augewandert gegen63 733, 64 726, 71 315 und 72 608 im gleichen Zeiträum der Vorjahre bis 1887 zurück. Im Vergleich zumJahre 1890 ist also die Auswanderung um 16 877 Personen oder 26 pCt. gestiegen. Von den Auswandererndes laufenden Jahres kamen 55 561(1890 41 952) ausPreußen, 7654(6907) aus Bayern. 4532(4275) ausWürttemberg, 2902(2287) aus Baden. 2557(1621)aus Sachsen, 1320(1250) aus Hamburg und 1309(1357)aus Hessen; der Rest entfiel auf die übrigen Staaten.Verhältnißmäßig ist also die sächsische Auswanderungam meisten gestiegen. Unter den preußischen Provinzensteht obenan Posen mit 14 732(1890 8842) Auswanderern; dann folgen Westpreußen mit 10 956(7068),Pommern mit 7458(66�7), Hannover mit 4360(4110)und Brandenburg einschließlich Berlin mit 3762(2808)Auswanderern.Der Prozeß der Verarmung und Entvölkerung einesLandes geht immer schneller vor sich, wo die bestenKräfte durch den Militarismus aufgesogen werden, wozu Gunsten einer kleinen Minderheit das Volk einerHungersnoth ausgesetzt ist, und wo die letzte Existenzbe-dingung einer waarenproduzirenden Gesellschaft, der Absatz-markt, täglich mehr und mehr beengt wird.— In den Abgrund von Elend und Verkommenheit,die derartige Zustände schaffen, gewährte die Gerichts-Verhandlung in der Braun'schen Mordsachc einen Blick.Die Prostitution und das Verbrecherwesen thaten sich hierin ihrer ganzen Scheußlichkeit auf und der Zusammen-hang dieser Erscheinungen mit unseren»nglücklichensozialen Verhältnissen war so klar, daß ihn sogarbürgerliche Blätter einsahen. Nur die„Kreuzzeitung"hatte die Stirn, dem gegenüber— eine Verschärfung derStrafgesetzbuchparagraphen zu verlangen, genau dieselbeMethode wie mit dem Trunksuchtsgesetz, wo man dieUrsachen akzeptirt und aus die Folgen losgeht.Die Angeklagte, eine Frau in den Fünfzigern, krank,gebrechlich, ohne jede Reize; Zeuginnen, junge und ältere,aber so elend und jammervoll, und eben so verthiert;die Zuhälter, eben solche Erscheinungen— das ist dieWelt des„Lasters", das von den.albadernden Moral-Pfaffen sehr„verführerisch" geschildert wird. Einembürgerlichen Blatte entnehmen wir folgende Schil-derung.„Eine Fülle schrecklicher Gesichte offenbarte die Ge-richtsverhandlung, das ist wahr, und welche tiefe Wndenund bösartige Schwären sie am Leibe unserer Gesellschaftbloslegte. das kann nur der recht empfinden, der dieHelden der brutalen Vorkommnisse von Angesicht zu An-geficht sah, den eleganten Herrn Sohn des„Pallisaden-karls" mit dem feinen Salonrock, den zierlichen Hand-schuhen und dem schön gewichsten Schnurrbart, wie diearmselige, stumpssinnige, im rothen, groben Umhängetucherscheinende Michaelis, die trotz ihrer siebzehn Jahre nichteinen einzigen jugendlich-frischen Zug im fahlen, bleichenGesicht sich bewahrt hat, und seit Jahren schon ihr Brotauf der Straße suchte. Fallobst, Fallobst ist alles, wasman da sah, daran liegt es. Wie in Tolstois gewaltigerDichtung von der Macht der Finsterniß das arme, freud-lose, halbwüchsige Mädchen im Bauernhause stumpfeuSinns Laster und Schrecken erfährt, so geht es mit derErziehung der Verbrecherwelt im Allgemeinen. Die ent-setzliche Roth und die stumpfe Unwissenheit erklären dasGrauenhafte dessen, was sich dieser Tage an schamlosemZynismus im Gerichtssaale aufthat. Wer die ganzeGallerie der Zuhälter und Dirnen, die in auserlesenenExemplaren auf den Zeugenbänken saßen, aufmerksammusterte, der mußte davon überrascht sein, wie wenigIntelligenz alle diese Gesichter verriethen. In Gemeinheitund Finsterniß waren die Leute aufgewachsen und auchdie jüngsten unter ihnen schauen verdrossen, stumpf aus,wie Menschen, denen jegliches jugendliche Behagen, jedeJugendfröhlichkeit abhanden gekommen ist. Sie wachsenin Höhlen auf, in denen ihr Kinderaugen Elend undLaster im geschwisterlichen Verein hausen sehen, und siewerden vor der Zeit abgestumpft, das graue Paar Nochund Verbrechen verliert für sie allmählich jede Schreck-haftigkeit. es kommt ihnen garnicht zum Bewußtsein, daßsie sich zu freundlicheren Höhen empvrraffen könnten;sie halten es für selbstverständlich, daß sie bleiben, wohinie verschlagen wurden und, sind sie ehrgeizig, so wollenie was Rechtes werden nach den Begriffen ihrer Gesell-chaft und dann rühmen sie sich, wie Bellevue, der Sohndes Pallisadenkarls, ihres Geschlechts, ihrer rohen Gewaltsamkeit, ihrer verbrecherischen Findigkeit.Die Welt der„Gerechten" ist ihnen eine fremde,nach deren Achtung oder Nichtachtung sie nicht fragen;und wie der Intellekt in ihnen vernachlässigt wurde, sowuchsen ihre impulsiren Triebe in Haß und Zuneigunggewaltsam in ihnen auf. Um einer Knoblauchwurstwillen ruft die Frau Heinze ihrem Gatten zu:„Wächter-Mörder" und in der Hysterie, in dem ewigen Jammer,den sie wie ein gehetztes Thier lebt, macht sie Selbst-Mordversuch um Selbstmordversuch; und ein andermalschreibt sie, die nie durch Lebesannehmlichkeiten und durch