.ßciblatt zur Nr. 49.
Das Hohe«« d Tiefe. Bon Campanella(um 1600) Ihr Weltbewohner, habet eure Blicke Zum ersten, höchsten Sinn, Dann wird euch klar, Wie tief, o tief am Boden Tyrannei (Obwohl bekleidet mit dem schönen Namen Des Adels und der Tapferkeit) euch festhält, Und niederdrückt, Dann schaut die Heuchelei; (Einst war sie Gottesdienst!) Erschrocken schaut Die Heiligkeit, jetzt bübische Verfolgung, Die Weisheit, jetzt sophistischer Betrug, Sophisten trat einst Sokratcs entgegen; Tyranen Cato ; Christus selbst beschämte Mit seinem Himmelslicht der Heuchler Vunft; Und alle opferten ihr Leben hin, edoch, was Hilsts, enthüllen den Betrug, gttlosigkeit und Unrecht, auch dabei Sein Leben wagen? Wenn nicht Ihr, ihr Menschen, Ihr Nationen, euren Sinn aufschwingt, Zum höchsten Sinn, zum Sinne für Recht und Wahrheit,
�Nachdruck»«Bote».] Der Regenschirm. M�Nacki?demI�ranzöstschens,besIG u v d eZM aüpassanr,g Frau Oreille war sparsam. Sie kannte den Werth eines Sou und einen ganzen Schatz der strengsten Grund- sätze über die Vermehrung des Vermögens. Ihre starke Seite war es, einem den Brotkorb hoch zu hängen, und es hielt immer schrecklich schwer, ehe Herr Oreille sein Taschengeld bekam. Sie standen sich ganz gut und hatten auch keine Kinder, und trotzdem war es für Frau Oreille immer ein schweres Angehen, wenn sie die schönen harten Geldstücke ausgeben mußte. Es zerriß ihr Herz, und jedes Mal, wenn sie irgend eine größere Ausgabe gemacht hatte, schlief sie die nächste Nacht schlecht, und wenn es noch so nothwendig gewesen war, Oreille hielt seiner Frau immer vor: „Du mußt nicht so knickerig sein; wir können unsere Zinsen ja in unserm ganzen Leben nicht aufzehren!" Sie antwortete: „Man weiß nie, was kommen kann. Lieber zu viel als zu wenig." Es war ein kleines Frauchen, vierzig Jahre alt, lebhaft, eigen wie ein Kätzchen. Ihr Mann beklagte sich immer, was sie ihn Alles entbehren ließe. Manchmal war es für ihn sehr un- angenehm. Er war Direktor beim Kriegsministerium und blieb in seiner Stellung nur, weil es seine Frau so wollte, damit das Kapital größer wurde. Nun kam er seit zwei Jahren immer mit demselben geflickten Regenschirm in's Bureau, der bei seinen Kollegen schon seit lange die unglaublichsten Scherze hervorrief. Schließlich aber wurden ihm die Witze doch zu viel und er stellte an Frau Oreille die kategorische Forderung, ihm einen neuen Regenschirm zu kaufen. Sie kaufte einen für acht Franken und fünfzig Centimes, einen Schund aus einem billigen Bazar. Als die Beamten das Ding sahen, fingen sie wieder mit ihren Witzen an, und der arme Oreille mußte schrecklich dulden. Der Schirm war auch nichts Werth. Nach drei Monaten war er nicht mehr zu gebrauchen und die Heiterkeit wurde allgemein im Ministerium. Man machte sogar ein Gedicht darauf, das nun von früh bis spät geträllert wurde in dem ganzen ungeheuren Gebäude, vom Boden bis zum Keller. Jetzt wurde es Herrn Oreille zu arg; er befahl seiner Frau, ihm einen neuen Schirm anzuschaffen von feiner Seide, für zwanzig Franken; und er wollte auch die Rechnung haben. Sie kaufte einen für achtzehn Franken und erklärte ganz erbost: „Da, der hält mindestens fünfzig Jahre." Der Eindruck im Bureau war gewaltig. Als er des Abends nach Hause kam, untersuchte seine Frau mißtrauisch den neuen Schirm: „Du darfst ihn nicht mit dem Gummiband zuknöpfen, davon wird die Seide brüchig. Achte nur ordentlich auf, Du kriegst nicht alle Tage einen neuen." Sie knöpfte den Ring auf und schüttelte die Falten, Aber was war das? Mitten im Schirm ein rundes Loch, so groß wie ein Centime! Das war von einer Zigarre gebrannt. Sie stammelte: „Was hast Du denn da gemacht?" Ihr Mann anwortete ganz ruhig ohne sich um- zusehen: „Was denn, was hast Du denn?" Der Zorn erstickte sie; sie konnte kaum noch sprechen: „Du.... Du.... hast den Schirm verbrannt. Herrjeh, Herrjeh, was hast Du da gemacht!" Er fühlte, wie blaß er wurde; er drehte sich hastig um:„Was meinst Du?" „Den Regenschirm verbrannt hast Du!" Und ganz wüthend hielt sie ihm das kleine kreis - runde Brandloch vor das Gesicht.
Merliner II Sonnabend, den 5. Dezember 1891.
Er war fassungslos. „Ja, ja, was ist denn das? Ich weiß nicht, ich habe nichts gemacht, wahrhaftig nicht! Ist es denn auch wirk- lich mein Regenschirm?" Sie schrie: „Ja, Du wirst wohl Dummheiten im Bureau damit gemacht haben; Du hast ihn aufgemacht und herum- gezeigt." Er antwortete: „Ich Hab' ihn nur ein einziges Mal aufgemacht, um zu zeigen, wie gut er war; weiter nichts, wahrhaftig weiter nichts." Aber sie zitterte vor Wuth und machte ihm eine jener ehelichen Szenen, welche einem friedfertigen Mann den Herd seines Hauses fürchterlich machen, wie ein Schlachtfeld, wo die Kugeln nur so herumfliegen. Sie schnitt aus dem alten Schirm ein Stück Seide aus und flickte damit das Loch, aber die Farbe Paßte nicht; und am andern Tag schob Oreille los, ganz niedergeschlagen, seinen geflickten Schirm unterm Arm. Er stellte ihn in den Ständer und dachte nur noch mit einem gewissen Gruseln an die Geschichte, Aber kaum war er wieder zu Hause, da riß ihm seine Frau den Regenschirm aus den Händen und machte ihn auf; und richtig wieder etwas und diesmal nicht auszubessern; er war mit kleinen Löchern besäet, welche offenbar hineingebrannt waren, wie wenn Jemand glühende Tabaksasche darüber geschüttet hätte. Sprachlos starrte sie den Schirm an; sie brachte kein Wort über die Lippen. Auch er sah ihn an bestürzt, verblüfft, entsetzt. Dann schauten sie sich ins Gesicht; dann sah er zur Erde; dann warf sie ihm den Schirm an den Kopf; dann schrie sie: „Du Kanaille! Das hast Du gethan! Aber Du sollst ihn bezahlen! Du sollst nie wieder einen kriegen." Und die ehelichen Freuden begannen von Neuem. Nach einer stürmischen Stunde konnte er endlich sich aus- sprechen; er betheuerte, daß er von nichts was wußte; daß das nur ein Racheakt sein konnte. Es klingelte. Es war ein Freund, der bei ihnen speisen sollte, Frau Oreille legte ihm die Sache auseinander. Einen neuen Regenschirm kaufen— nein, das stand fest, ihr Mann kriegte nie einen wieder. Der Freund warf besonnen ein: „Aber, gnädige Frau, dann verdirbt er seine Kleider!" Die kleine Frau antwortete in ihrer Wuth: „Dann nimmt er einen Küchenschirm, ich kaufe keinen neuen seidenen." Aber das war Herrn Oreille doch zu viel: „Dann nehme ich meinen Abschied. Mit einem Küchenschirm gehe ich nicht ins Ministerium." Der Freund antwortete: „Lassen Sie diesen doch neu überziehen, das kostet ja nicht zu viel." Frau Oreille stammelte ganz empört: „Es kostet mindestens acht Franken, wenn man ihn überziehen läßt. Acht und achtzehn macht sechsund- zwanzig! Sechsundzwanzig Franken für einen Regen- schirm, das ist ja Verschwendung, das ist ja Verrücktheit!" Der Freund hatte einen Einfall: „Lassen Sie ihn doch von der Feuerversicherung bezahlen— die Versicherungen müssen ja verbraunte Gegenstände bezahlen, wenn der Schaden zu Hause passirt ist." Auf diesen Rath beruhigte sich die kleine Frau; sie dachte nach und sagte dann zu ihrem Mann: „Morgen, bevor Du in Dein Ministerium gehst, sprichst Du im Bureau der Versicherung vor, läßt den Zustand Deines Regenschirmes feststellen und forderst das Geld." Herr Oreille war entrüstet: „Niemals! Die achtzehn Franken sind verloren, das ist Alles. Davon sterben wir nicht." Und er ging am andern Tage mit einem Spazier- stock. Es war zum Glück gutes Wetter. Aber Frau Oreille konnte sich nicht zufrieden geben über ihre achtzehn Franken. Sie hatte den Regenschirm auf dem Tisch vor sich liegen und wendete ihn um und um, ohne zu einem Entschluß zu kommen. Der Gedanke an die Versicherung kam ihr jeden Augenblick wieder, aber sie wagte es nicht, sich den spöttischen Blicken der Herren auszusetzen, welche sie empfingen, denn sie war schüchtern vor den Leuten; sie wurde bei jeder Kleinigkeit roth, war verlegen, wenn sie mit Unbekannten sprechen sollte. Aber die achtzehn Franken, die achtzehn Franken! Sie wollte nicht mehr daran denken, aber es schmerzte, es schmerzte; was thun? Die Zeit verging und sie kam zu keinem Entschluß. Aber mit einem Mal war sie entschieden. „Ich gehe, wir wollen doch einmal sehen!" Sie mußte erst den Regenschirm zurichten, damit der Schaden vollständig war und zu ihren Gründen paßte. Sie brannte zwischen den Fischbeinen ein handgroßes
«Tribüne. V. Jahrgang.
Loch hinein, rollte ihn zusammen, schnürte ihn mit dem Gummiband zu, nahm Hut und Umhängetuch und ging eilends nach der Eue de Eivoli, wo das Versicherungs- Bureau war. Aber je näher sie kam, desto langsamer wurden ihre Schritte. Was sollte sie sagen? Und was würde man ihr antworten? Sie sah zu den Hausnummern auf. Es waren nur noch achtundzwanzig, sie konnte sich noch überlegen; sie ging immer langsamer und langsamer. Mit einem Male stand sie vor der Thür, über der die Firma in Gold- buchstaben stand. Schon! Sie blieb eine Sekunde stehen; sie war ängstlich; sie genirte sich, sie ging vorüber und kam noch einmal zurück. Endlich sagte sie sich: „Nur zu, nur zu! Lieber zu früh als zu spät." Während sie in das Haus trat, fühlte sie, wie ihr das Herz klopfte. Es ging ein Herr vorbei, der Papiere unterm Arm trug. Sie blieb stehen und fragte leise und furchtsam: „O, entschuldigen Sie, könnten Sie mir wohl nicht sagen, wo man sich hier die verbrannten Sachen bc- zahlen läßt?" Er antwortete mit einer tiefen Baßstimme: „Rechts vorne." Zuerst hatte sie wieder Angst und sie hatte Lust umzukehren, nichts zu sagen und ihre achtzehn Franken laufen zu lassen. Aber achtzehn Franken! Sie wurde wieder muthig und ging hin. Vorn bemerkte sie eine Thür; sie klopfte. Eine helle Stimme rief: „Herein!" Sie trat ein und fand sich in einem großen Zimmer, wo drei Herren standen und mit einander sprachen. Einer fragte sie: „Was wünschen Sie, gnädige Frau?" Sie fand die Worte nicht recht und fing an zu stottern: „Ich komme.... ich komme wegen einem Unfall." Der Herr zeigte auf einen Stuhl: „Bitte, setzen Sie sich einstweilen; ich stehe sofort zu Ihrer Verfügung." Dann wendete er sich wieder den beiden Anderen zu und sprach weiter. „Die Gesellschaft will Ihnen nur vierhunderttausend Franken auszahlen. Die hunderttausend Franken, die Sie mehr verlangen, können wir Ihnen nicht zugestehen. Auch die Schätzung..." Der Eine der Beiden unterbrach ihn: „Genug, das Gericht wird entscheiden. Es bleibt uns nichts übrig, als uns zu empfehlen." Sie grüßten steif und gingen. Ach, wenn sie doch hätte mit ihnen gehen können; sie hätte es gethan. sie wäre fortgelaufen und hätte alles gelassen. Aber konnte sie denn? Der Herr kam auf sie zu und fragte: „Was steht zu Befehl, gnädige Frau?" Sie brachte die Worte kaum über die Lippen: „Ich komme deswegen." Der Direktor sah ganz erstaunt auf das Ding nieder, das sie ihm entgegenhielt. Sie versuchte mit zitternden Fingern das Gummi- band aufzulösen; es gelang ihr erst nach einigen An- strengungen; zuletzt öffnete sie das Gestell mit einem Schlag. Der Mann bemerkte mitleidig: „Er scheint übel zugerichtet." Sie erklärte zögernd: „Er hat zwanzig Franken gekostet." Er erstaunte. „Donnerwetter, ja! „Ja. aber er war auch ganz ausgezeichnet. Ich möchte, daß Sie seinen Zustand feststellten." „Gewiß; ich sehe; natürlich; aber ich weiß nicht, was ich damit soll." Sie wurde unruhig. Vielleicht bezahlte diese Ge- sellschaft gar keine kleinen Gegenstände; sie sagte: „Ja... er ist ja verbrannt." Das sah der Herr auch ein: „Gewiß, natürlich." Sie wußte nicht mehr, was sie sagen sollte; aber plötzlich erinnerte sie sich und erzählte hastig: „Ich bin Frau Oreille , Wir sind hier versichert; und ich möchte mir den Schaden hier ersetzen lassen." Sie fügte noch gleich hinzu, damit sie nicht endgültig abgewiesen würde: „Ich verlange nur die Reparatur." Der Direktor war ganz verblüfft. „Aber, gnädige Frau, wir handeln doch nicht mit Regenschirmen, mit solchen Reparaturen können wir uns nicht befassen." Die kleine Frau fühlte, wie ihr der Much wieder kam. Sie mußte kämpfen: nun gut, sie würde schon kämpfen! Sie hatte keine Furcht mehr, sie sagte: „Ich verlange nur das Geld für die Reparatur. Ich will die Sache schon selbst besorgen." Der Herr wurde noch verwirrter.