Beiblatt zur Berliner Volks- Tribüne.

Nr. 50.

Freiheit.

Von Shelley.

Die feurigen Berge donnern sich zu, Es hallt ihr Krachen von Zone zu Zone;

Die Meere stürmen sich aus auf der Ruh', Und es bebt des Nordpols eisige Krone, Wenn erschallt des Typhons Trombone.

Einer einzigen Wolke der Blitz entwettert, Der tausend Inseln in Gluth entfacht; Die Erde bebt eine Stadt ist zerschmettert, Und hundert beben und wanken; es kracht Der Erde tiefunterster Schacht.

-

Doch heller Dein Blick als des Blizzes Schein, Und wie Du, so dröhnet die Erde nimmer;

Des Meeres Echo , der Vulkane Spet'n Uebertönst, überstrahlst Du; der Sonne Schimmer Ist vor Dir wie Irrlichtsgeflimmer.

Von Berg und Woge und jagender Wolke Glänzt die Sonne durch Nebel und dunstigen Flor; Von Seele zu Seele, von Volke zu Volke, Bon Stadt zu Dorf schwingt Dein Tag fich empor­Wie Schatten der Nacht flieh'n Sklav' und Tyrann, Wenn Dein L'cht zu leuchten begann.

( Nachdruck verboten.)

Am Krankenbette.

Von E. Ahlgren.

Nach dem Schwedischen von Georg Gärtner.

Sonnabend, den 12. Dezember 1891.

V. Jahrgang.

als Kohl wuchs, war vom Wege durch ein hölzernes von dem aus sie Beide, den Kranken und den Seelen­Stacket getrennt. hirten, beobachten konnte.

Der Pfarrer öffnete die obere und untere Thüre Ist das Euer Sohn?" fragte Letzterer. und trat ein. Der Hausflur war erst gefegt und der" Nein, aber er will mich nicht anders als Mutter" frisch gestreute Sand knirschte unter seinen Füßen. Er nennen." fühlte sich ein wenig beklemmt, nun er zum ersten Male Sie hatte eine rauhe, eintönige Stimme, die man in Ausübung seines Amtes mit der ländlichen Bevölkerung zurückstoßend hätte nennen können. Sie schien sagen zu in direkte Berührung kommen sollte, die er nicht weiter wollen: Bekümmere dich nicht um mich!" fannte, als durch das, was er auf dem Markte oder in Es trat eine Pause ein; man erwartete, daß der der Nebenkirche, wo er zweimal wöchentlich predigte, von Pfarrer zu sprechen anfangen würde. ihr gesehen hatte. Er hob die Klinke einer zweiten Thüre ,, Hat Krabb schon einmal darüber nachgedacht, was auf und sah in das Zimmer. es heißt, von Allem zu scheiden und sich vor dem Richter­

"

Bevor er sich auf den Weg begab, wußte er, daß stuhl Gottes, des Allwissenden, zu stellen?" fragte er. er ein Haus der Sünde betreten würde, und er hatte Man denkt nicht immer, was man denken soll", war sich vorgestellt, wie Alles aussehen, welche Art von die zögernde Antwort. Menschen er finden und was er zu ihnen sagen würde.

11

Um nur einmal etwas zu nennen," fuhr der Geist­Er hatte sich im Voraus mit Energie ausgerüstet, um liche fort, über das Verhältniß, in dem Ihr Beide ge­vor nichts zurückzuschrecken, nicht vor der schmutzigen lebt habt?" Er blickte von dem alten Mann auf Umgebung, nicht vor der Frau in Lumpen, noch vor die Frau.

-

Keines von Beiden anwortete.

Sie wußten nicht recht, was er meinte. Verhältniß" war kein Wort, das sie kannten.

"

"

Warum seid Ihr nicht verheirathet?" versezte er. Keine Antwort.

Warum sollten sie sich die Mühe gemacht haben,

diesem abgelebten, rauhen Gesicht, auf das der Tod sicherlich bereits seinen Stempel gedrückt haben würde. Er blieb erstaunt auf der Schwelle stehen. Ein wunderliches Gefühl bemächtigte sich seiner, in­dem er seinen Blick durch das Zimmer schweifen ließ, das, obwohl ärmlich ausgestattet, doch von Ordnung und Reinlichkeit Zeugniß gab; der Lehmboden war mit Baum- Veränderung zu bringen in etwas, das in ihrem Stande reisern bestreut, die hölzernen Möbel waren ungefärbt, so oft vorkommt? Das begriffen sie nicht. aber weiß gescheuert, und die Sonne ließ ihre Strahlen Mein Vorgänger hat Euch mehr als einmal gesagt, im goldenen Abendglanz durch die hellen, grünlichen daß Ihr Euch trauen lassen solltet", fuhr der Geistliche Scheiben dringen und auf den geweißten Mauern spielen. in strengem Tone fort. Er nahm den Hut ab. War das die Frau, die er suchte?

Pfarrer H. stand im Korridor und zog seinen Ueber­rock an. Es lag ein unnatürlich kalter Ausdruck auf diesem jungen Gesicht mit diesen ältlichen Zügen um den Sie saß, ein grobes Tuch um ihre Schultern ge­Mundwinkeln; seine schmalgeschulterte Figur war so geschlagen, vor einem Tischchen, das neben das Bett ge beugt und seine Brust so eingesunken, daß er unwill- schoben war, und hatte wie es schien aus der fürlich Theilnahme erweckt haben würde, wenn nicht ein aufgeschlagenen Bibel vorgelesen. Als der Pfarrer ein­Ausdruck der Strenge und der Selbstbefriedigung ein trat, stand sie auf und legte ihre Brille mit einerge solches Gefühl unterdrückt hätte. wissen Umständlichkeit auf das geöffnete Buch, wie um Zeit zu gewinnen.

"

Der Krante fing an unruhig auszusehen

"

Sie wollte nicht." Der Kranke machte eine Be­wegung mit dem Kopfe nach der Richtung hin, wo die Frau stand.

mit mir?"

-

Warum wollte sie nicht?" Des Pfarrers Blick begegnete ihren dunkelbraunen Augen. Weiß der Pfarrer denn nicht von diesem Das Ihr Euer Kind ermordet habt?" Er glaubte eine Verbrecherin wohl so anreden zu " Ja."

"

-

Ich brauche wohl nicht daran zu erinnern, daß wir hier mehr als irgendwo anders die Strenge des Ihr Gesicht zeigte den gewöhnlichen Bauerntypus Gesezes über der Sanftmuth des Evangeliums gelten und aller Wahrscheinlichkeit nach hatte sie die Fünfzig dürfen. lassen müssen," sagte der alte Domprediger, der mit einer schon passirt. Sie war eher klein als groß, hatte breite Hand die Thürklinke festhielt und mit der anderen die Hüften und Schultern und eine gebückte Haltung, sodaß Keine Spur von Zaudern, kein Schimmer von Bos­Pfeife zum Munde führte, um einen Zug zu thun, ihr Rücken fast den Eindruck machte, als sei er mißgestaltet. heit, nur dieselbe Unfreundlichkeit. während er die Antwort des Pfarrers erwartete. Ihr Gesicht war braun und verwittert und erinnerte an Es wäre doch besser gewesen zu heirathen als Ich werde thun, was mein Gewissen mir vor die Schale einer reifen Wallnuß, aber in diesem Gesichte so, wie jetzt Verbrechen auf Verbrechen zu häufen." schreibt," antwortete dieser in spiẞigem Tone. glänzte ein Paar heller Augen, deren Blick der Pfarrer Niemand antwortete, aber der Angstschweiß perlte Ja, ja, ja, gewiß," sagte der alte Herr gutmüthig, später nimmermehr vergessen sollte Sie waren dunkel dem Kranken auf der Stirne. Es schnitt dem jungen die Worte wie kauend; ich wollte Sie nur daran braun und so durchdringend- fragend, so forschend- auf- Manne durch die Seele, aber er glaubte, es sei seine erinnern, daß wir es hier zu thun haben mit einer jener merksam, wie die eines mißtrauischen Hundes, der Unrath Pflicht, streng zu sein. freien Verbindungen, die wir die Diener der Kirche wittert. Kann mir nun das Abendmahl nicht gereicht so energisch auszurotten streben." Sie streckte ihre Hand nicht aus, wie die Armen zu werden?" fragte der alte Mann, nachdem er den vor­thun pflegen, sondern blieb still, in Erwartung stehen. wurfsvollen Blick des Predigers auf sich hatte ruhen Erst als der Pfarrer ihr Gutentag sagte, erwiderte sie fühlen; und über das bleiche Gesicht flog ein Ausdruck dessen Gruß mit einem Nicken, ohne einen Moment ihre der Angst. Augen von seinem Gesicht abzuwenden.

-

11

" 1

, Es ist ein wenig spät, mit diesem Ausrotten am Sterbebette zu beginnen," antwortete Pfarrer H. in sarkastischem Tone, der gerade nicht von besonderer Ehr­furcht gegen seinen Vorgesetzten zeugte.

" Ja, ja, ja, gewiß," antwortete dieser etwas ver­legen, aber ich habe nie lernen können, diese Menschen zu beugen."

" Ich hasse solch ein leichtsinniges Leben!" rief der junge Mann; und ich werde es verfolgen, unerbittlich, bis in seine verborgensten Schlupfwinkel."

" Ja, ja, aber doch mit Sanftmuth," sagte der Alte halb fragend; man kann durch Güte viel ausrichten." Wir haben gesehen, wie weit man mit Güte kommt; das Unkraut schießt an allen Orten üppig empor; was nun erforderlich wird, ist energisches Handeln."

"

P

sehend.

, Schläft er?" sagte der Pfarrer nach dem Bette

Nein."

-

Für diesen alten Mann beruhte die Seligkeit seiner Scele auf dem" Ja"- oder Nein" des Geistlichen. Es kam nur darauf an, ob er ihm das heilige Abend­mahl reichen wollte oder nicht.

,, Sie ging um den Tisch herum zu dem Kranken. Soll man das Aberglauben oder Glauben nennen? Hier ist der Pfarrer", sagte sie, sich über das Der Prediger begann zu sprechen, wie sein Amt es Bett neigend. Man hörte eine heisere Stimme etwas erhetschte. Er sprach über die Gnade, über die Be­sagen; die Frau half nun dem Kranken sich im Bette kehrung, das Krankenbett, über Gottes Barmherzigkeit emporseßen, worauf sie sorgfältig die Kissen zur Stüße und den seligmachenden Glauben. Der Kranke hatte sich um seinen Rücken aufstapelte. wieder gelegt und faltete die Hände, aber es war Der junge Geistliche wurde nun eine andere Figur deutlich, daß er den Worten des Seelsorgers nicht gewahr, die er bis jetzt noch nicht bemerkt hatte. Es folgte.

Ja, ja. und Jedermann beurtheilen nach war ein langer, aufgeschossener Junge, der, verkrüppelt Nach seiner einfachen Ansicht blieb die Frage stets den Gaben, die er besitzt. Per Krabb ist doch in jedem und ausgemergelt, halb saß, halb lag in einem roh- ebenso einfach: entweder der Pfarrer würde ihm das Falle ein guter Kerl gewesen." hölzernen Rollstuhl. Das unnatürliche graublaue Gesicht Abendmahl reichen und alles würde gut werden, oder sah alt und abgelebt aus; es war unmöglich, sein Alter der Pfarrer würde so lange zögern, bis es zu spät sei, zu bestimmen; er konnte ebenso gut zwanzig als fünfzehn Jahre alt sein. Er war blind.

Ein guter Kerl?.. und er lebt mit einer Frau zusammen, die ihr Kind ermordet hat!?"

Ja, das ist ein Elend, das ist ein Elend," murmelte der Alte, an dem Mundstück seiner Pfeife kauend, indem er hineinhumpelte.

Der alte Mann im Bett streckte die Hand aus. Das war gut von dem Herrn Pfarrer, daß er sich Der Pfarrer hing die lederne Tasche um, in der zu diesem Gang herbeiließ", brachte er mit Anstrengung sich Alles befand, was für die Verabreichung des heiligen hervor, indem sein Bestes that, das Husten zu unter­Abendmahles erforderlich war, und begab sich auf den Weg. drücken.

Er hatte ungefähr eine Viertelmeile zu gehen. An- Der Pfarrer nahm die Hand des Kranken in fangs folgte er einem ziemlich ungebahnten Weg durch die seine.

die Haide, später einem kleinen Pfade, der zwischen den Natürlich kam ich gerne", sagte er; wie geht es?" Feldern dahinführte.

"

D

und dann würde er für ewig verdammt sein. Alles hing von dem Geistlichen ab. Der junge Mann begriff, was in dem Gemüthe des Kranken vorging und es machte auf ihn einen sehr peinlichen Eindruck.

Er hatte es hier mit einer so weitgehenden Un­fenntniß zu thun, mit einem Gedankengang, so fremd dem seinen, daß seine Gelehrsamkeit ihm hiergegen kein Mittel bot. Mit welchen Worten sollte er sich diesen Menschen begreiflich machen? Es war ihm, als ob er ihre Sprache nicht fannte und sie die seinige nicht.

der Ungeduld blicken, that nichts, um die Entscheidung zu beschleunigen. In die Hand des Priester's hatte Gott die Macht gelegt, ihn zu erlösen, und auch die Macht, ihn für alle Ewigkeit verloren gehen zu lassen. Er

tödtlich frank!" antwortete der Der Sterbende lag fortwährend still mit gefalteten Der Himmel wölbte sich weißlichblau über den ab- Sieche, in ein rasselndes Husten ausbrechend. Händen. Obwohl er schon sehr mühsam Athem holte gemähten Roggenfeldern und den Aeckern mit wogendem Er hat das seine gehabt", murmelte die Frau und der Pfarrer schwieg, so ließ er doch auch kein Zeichen Weizen; kein Wölfchen war zu sehen, nur am fernen an der anderen Seite des Tisches, wohin sie sich zurück Horizont zeigten sich wollartige Wolfenmassen mit schwefel- gezogen hatte. gelben Rändern. Mutter, ich bin so müde", klang eine flagende Es war warm und schwül, kein Zephyr seufzte. Stimme aus dem Rollstuhl. Der Pfarrer ging schnell, vornüber gebeugt, mit Die Frau anwortete nicht. Sie schüttelte die Kissen beugte sich dieser Macht mit derselben stummen Ergeben­kleinen, hastigen Schritten, eine Gewohnheit, die er sich auf der schmalen Bank, die zwischen Thüre und Ofen durch vieles Gehen auf den Straßen der Städte an- stand, etwas auf, ging dann zu dem Jüngling, legte geeignet hatte. Nachdem er ein Wäldchen von ver- einen Arm unter seine Kniee, den andern um seinen schrumpften Birken durchschritten hatte, war er, wo er Rücken, hob ihn empor und trug ihn mit schwerem, sein mußte. festen Tritt durch das Zimmer, sodaß der Sand unter Es war ein niedriges Haus mit rothem Giebel und ihren Holzschuhen krachte, obschon sie dieselben so vor einem mit Moos bewachsenen Schilfdach; an jeder Seite sichtig als möglich niedersezte, um kein Geräusch zu Und er empfand es als einen Vorwurf, als die von der Thüre befand sich ein kleines Fenster; das Ganze machen. Nachdem sie den blinden Knaben auf die Bank Frau ihre braunen Augen mißtrauisch auf ihn richtete; von einem kleinen Garten umgeben, in welchem nicht sniedergelegt hatte, kehrte sie an ihren vorigen Platz zurück, sie machte auf ihn keineswegs den Eindruck tiefer Ver

heit, mit der viele von seinem Stande alle Sorgen und Verdrießlichkeiten, die ihnen die Welt auferlegt, tragen.. Dem jungen Mann war die Kehle wie zugeschnürt. Beugte diese wortlose Ergebenheit nicht von einem ganzen Leben schwerer Entbehrung, aufgegebener Wünsche, frucht­losen Strebens?