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Nr. 115.
Beilage zum Berliner Volksblatt.
Sonntag, den 17. August 1884.
Die Musikinstrumenten- Industrie des fäch- daß er es gar nicht weiter für nöthig hält, dieſelben zu nennen
fischen Voigtlandes.
Von
Dr. Max Quard. ( ,, Neue Zeit.")
In unserer Zeit, in der die sozialen Bestrebungen endlich anfangen, die abstrakt politischen mit mehr und mehr Gehalt zu erfüllen, sind beschreibende Darstellungen irgend eines wirthschaftlichen Einzelgebietes, bei dem bisherigen gänzlichen Mangel an solchen, dem sozialen Forscher hochwillkommene Er scheinungen in feiner Literatur. Auf der gründlichsten Kenntniß der wirthschaftlichen Wirklichkeit laffen sich ja erst Vorschläge zur Befferung derselben aufbauen. Nun helfen auf dem Gebiete der Fabrik und Groß- Industrie je nem Mangel an gehörig verarbeitetem Erkenntnisstoff feit einigen Jahren die Berichte der deutschen Fabrikinspektoren ab. Allein das Stieftind Hausindustrie ist leider noch nicht der Aufsicht jener Beamten unterstellt. Seine Einzelgebiete der fozialen Erkenntniß zugänglich zu machen, ist noch dem Eifer und der Ausdauer einzelner sozialer Forscher überlassen. Desto freudiger begrüßte die Sozialwissenschaft die Darstellungen der thüringer Hausindustrie von Dr. E. Sax, und die von fünf hausindustriellen Dorfgemeinden auf dem hohen Taunus von Schnapper- Arndt. Und desto hastiger griffen wir nach einem Buche, das vor kurzem erschien und sich als ein weiterer Beitrag in dieser Richtung ankündigte:„ Die Industrie des säch fischen Voigtlandes. Wirthschaftsgeschichtliche Studie von Dr. Louis Bein. Erster Theil. Die Musikinstrumenten- Industrie. Leipzig , Verlag von Dunder u. Humblot, 1884." Bei der näheren Kenntnißnahme von diesem Wertchen mäßigte sich unsere Hast sehr bald, fie wäre in die gänzliche Unluft umgeschlagen, feine Lektüre überhaupt zu beenden, wenn wir uns nicht verpflichtet fühlten, unsere Leser, ebenso wie wir fte mit aller Wärme auf wirklich großes und gutes in der Sozialwissenschaft hinzuweisen pflegen, ebenso mit aller Schärfe zu warnen vor allem kleinen und schlechten, das doch mit der Brätention, etwas zu sein, auftritt.
Bei den vier ersten Abschnitten des Bein'schen Buches, die handeln von der Entstehungsweise der einzelnen Gewerbs weige der voigtländischen Musikinstrumenten- Industrie und deren gewerbrechtlichen Verhältnissen, von den Gewerbever hältnissen im allgemeinen, den technischen, ökonomischen und endlich kommerziellen Verhältnissen derselben, brauchen wir uns nicht aufzuhalten. Wer da auf den langweiligen 77 Seiten, Die fie umfaffen, irgendwelche nennenswerthe Auskunft über die wirthschaftliche Entwicklung der betreffenden Industrie finden wollte, fönnte lange vergeblich suchen. Statt wissenschaftlicher Durchdringung dea Stoffes, statt lebendiger Darstellung eines interessanten wirthschaftlichen Entwidelungsganges vom Handwerk durch Manufaktur und Sunftverfaffung zum System gänzlich freier Konkurrenz, immer fich darstellend im Kampfe zwischen Kapital und Arbeit, wie Dies Sar für Thüringen so meisterhaft gelungen ist, trifft man bei Bein ein wüste Ansammlung von Notizen und Materialien der verschiedensten Archiven und Quellen, die der systematischen und pragmatischen Durcharbeitung und Gruppirung völlig mangelt. Das Ganze nimmt sich aus, wie das Wachwert cines halbgebildeten Handlungsreisenden in dieser Branche, der das Bedürfniß gefühlt hat, Alles, was er über sie hat in Erfahrung bringen können, zu einem Schriftlein zusammen
zustellen.
Der fünfte Abschnitt endlich beschäftigt sich auf nur
Dreizehn Seiten mit Den sozialen und Arbeits
verhältnissen der voigtländischen Musikindustrie, die namentlich die Orte Markneukirchen und Klingenthal mit Umgegend umfaßt. Wir werden hier nach unseres Autors eigenen Worten einen fleißigen, genügsamen und Don den frankhaften Zeitströmungen noch nicht ergriffenen Arbeiterstand" finden. Bein ist so fest überzeugt, daß Jedermann mit ihm gewiffe Beitströmungen für„ franthafte" halten muß,
Die Verbannung nach Sibirien .
Von Fürst Krapotkin. Uebersegt von Ad. Hepner. ( Frankf. 8tg.") ( Fortsetzung.)
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Ein russisches Sprichwort sagt: Gebt ihm einen Sperling der Krone zu füttern, und er ernährt davon seine ganze Familie." Und eine Goldmine ist noch etwas mehr als ein Kronensperling. Da giebt es tausende von Gefangenen mit Nahrung und Werkzeug zu versorgen; da giebt es Maschinen zu repariren, und da ist ferner das höchst einträgliche Schmug gelgeschäft mit gestohlenem Gold. An diesen Gruben besteht eine von Anfang her überlieferte, feste Organisation der Räuberei, welche selbst der despotische und allmächtige Murawieff nicht brechen fonnte.
Ein anständiger Mann wird unter dieser organisirten Räuberbande als ein lästiger Störenfried betrachtet, und, wenn nicht von der Regierung abberufen, gezwungen, von selbst zu gehen, wenn er des Krieges müde ist. Daher haben die KaraGoldgruben felten einen achtbaren Mann an ihrer Spige gesehen, wie Barbot de Marny, oder Kononowitsch, sondern fast nur Leute wie Rozguildeeff.
und näher zu charakterifiren. Es sei ja auch in diesem Be zirk selbst bis auf die jüngste Beit jene schroffe Trennung der bürgerlichen Gesellschaft in Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht in dem Maße eingetreten, wie dies in den meisten Industriegegenden der Fall ist, weshalb auch das soziale Problem hier noch nicht in gefahrdrohender Weise zur Lösung drängt. Dann wäre ja das sächsische Voigtland ein wahres soziales Eldorado inmitten des sonstigen zivilisirten Europa , Europa , in dem allerdings das soziale Problem in gefahrdrohender Weise zur Lösung drängt! In der That berichtet aber Bein selbst Seite 15 seines Buches von den Symp tomen des sozialen Problems, die sich bereits 1853 in der voigtländischen Musikinstrumenten Industrie bemerkbar machten: In dem Gewerbe der Instrumentenfabrikation herrschte zur Beit eine wahre Anarchie"; die immer mehr um sich greifende fapitalistische Produktionsweise hatte die alten gewerblichen Verbände zersprengt und drohte ,,, eine Pflanzstätte des Proletariats, der Uebervölkerung(?) und der ungenügenden Vorbildung für den Beruf" zu werden. Und auf S. 57 steht zu lesen, daß genau wie in der Sonneberger Hausindustrie, um ein bei Bein sehr beliebtes Diktum umzufehren, mit der modernen Ausdehnung der Produktion auch hier die Großhändler für den Vertrieb ausschlaggebend wurden," so, daß die Leitung der Mufttindustrie in die Hände der Großhändler tam." Bei der Hausindustrie sind eben die verhältnißmäßig wenigen Großhändler die eigentlichen Unternehmer und Arbeitgeber für die verhältnismäßig sehr zahlreichen Gesellen der sogen. selbständigen Hausindustriellen und diese selbst. Bein konstatirt dies selbst S. 83 mit den Worten: Denn im Wesentlichen steht die Masse der selbständigen fleinen Handwerksmeister den Lohnarbeitern der Hausmanufaftur gleich." Solchen von ihm selbst festgestellten Thatsachen gegenüber hat er den Muth, seinen Abschnitt über die sozialen Verhältnisse zu beginnen mit der Behauptung, daß hier bis auf die jüngste Zeit jene schroffe Trennung der bürgerlichen Gesellschaft in Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht in dem Maße eingetreten" sei, wie anderswo!
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Doch weiter, immer weiter", zu den Wohnstätten der voigtländischen Hausindustriellen. Auch hier bietet sich wieder ,, ein günstiges Bild, indem in den fiebziger Jahren durschnittlich 11,00 bis 11,45 Bewohner auf ein Gebäude kommen, im Jahre 1880 12 Bewohner... natürlich gegen frühere Beiten schon überfüllt." Das leßtere ist doch wenigstens ein Zugeständniß an die Wirklichkeit. Aber um das Günftige" an diesem Wohnungszustande ermeffen zu können, muß doch noch eine andere Größe bekannt sein: die der Wohnungen nämlich. Diese anzugeben und näher zu beschreiben, vergißt Bein aber völlig! Am Schluffe seines Absatzes nur erwähnt er so ganz beiläufig die kleinen einstöckigen Berghäuser, die doch nicht gerade zu Gunsten seines günstigen" Bildes sprechen. Darüber, daß bei der Hausindustrie gewöhnlich ein einziger Raum als Arbeits-, Wohn-, Koch und womöglich Schlafzimmer dienen muß, mit allen seinen zurückstoßenden und gefundheitsgefährlichen Ausdünstungen, der Arbeitsgegenstände, des Kochens und der Menschen, daß des zu trocknenden Holzes wegen gar nicht gelüftet werden nicht die leiseste Andeutung! Der Bezirk liefert uns eben ,, ein günstiges Bild", das genügt.
darf,
davon
Aber auch die Ernährung, für den Gesundheitszustand von großem Einfluß" welch erschütternde Wahrheit!, ift, welch erschütternde Wahrheit! ,, ift, wenn auch als eine höchst einfache, doch als eine durchaus ge nügende zu bezeichnen, bei der die Kartoffel in der ver schiedensten Zubereitung die Hauptrolle spielt(!). Wenn auch Wenn auch Fleisch, wenigstens soweit die Dorfbewohner inbetracht kommen, nicht zu der täglichen Kost gehört, sondern sich nur 1 bis 2 Mal die Woche auf dem Tische der Arbeiterfamilien befindet, so wird dieser Mangel durch desto reichlichere Kartoffel: mengen erfest," welch einfaches Rezept! ,, und bildet der Häring dabei eine beliebte Zuspeise. An Stelle der theuren Butter bedient man fich meist des Schweineschmalzes, Honigs(?), Syrups und Honigs(?), Syrups und namentlich Pflaumenmuses;
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Fälle für einen zur öffentlichen Kenntniß gelangten, famen nicht und werden niemals zur Kenntniß der öffentlichen Meinung gelangen?
Ueber die in den Privat- Goldwäschereien beschäftigten Gefangenen habe ich nur wenig zu sagen. Als ich in Sibirien war, bestand diese Neuerung noch nicht, und seit ihrer Einführung ist noch wenig darüber verlautet. Ich weiß aber, daß fich das Experiment als ein Fehlschlag erwiesen hat. Denn die befferen Befizer mögen die Gefangenen nicht miethen, weil fie wissen, wie jede Berührung mit den Beamten in Sibirien ist, es find nur die schlechteren Befizer, welche Gefangenen Arbeit miethen. Nun haben zwar die Gefangenen in solchen Minen weniger von den Verwaltern zu leiden, aber daselbst haben sie noch schlechtere Nahrung, schlechtere Wohnung und noch mehr Arbeit, nicht zu reden von der Beschwerlichkeit des langen Hin- und Rückmarsches zu Fuß durch die wilden fibirischen Wälder.
In den Salzbergwerfen nun, wo eine Anzahl Gefangene noch beschäftigt ist, ist die Arbeit am allerschlimmsten. Und ich werde nie der polnischen Verbannten vergessen, die ich in den Ustkut Salzbergwerken gesehen habe. Das Wasser der Salzfluthen wird gewöhnlich mittels der primitivsten Ma schinen gepumpt und die Arbeit, welche auch im Winter geht, gilt einstimmig als eine der erschöpfendsten. Die Lage Derer, die an den großen Pfannen beschäftigt sind, wo die Salzauflösung durch ein Riefenfeuer tonzentrirt wird, ist die allerschlimmste. Da stehen die Leute stundenlang ganz nadt, das Salz in der Pfanne aufrührend; der Schweiß strömt ihnen buchstäblich vom Körper, während sie einem scharfen, talten Luftzug ausgesett find, der zu dem Zwecke, die Ver dampfung zu beschleunigen, durch das Haus bläst. Mit Ausnabme Giniger, die nur an anderen Theilen der Arbeit beschäftigt find, habe ich dort nur farblose, entstellte Scheingestalten von Menschen gesehen, unter denen Storbut und Auszehrung eine reiche Ernte halten.
Und so geht es bis auf den heutigen Tag. Nicht nur die scheußlich Grausamkeit der Verwalter von Kara ist sprich wörtlich geworden, sondern wir brauchen nur bis 1871 zurückzugehen, um die mittelalterliche Tortur in voller Blüthe zu feben. Selbst ein so bedächtiger Schriftsteller wie Jandzintje berichtet in seinem Buche:„ Sibirien als Kolonie" Seite 207, einen Fall von Tortur, die der Verwalter Demidoff gegen eine freie" Frau und deren Tochter, die dem Gatten, bezm. Vater in's Eril gefolgt waren, anwendete. 1871", lagte er ,,, wurde dem Verwalter berichtet, daß ein Gefangener einen Mord begangen habe. Um die Einzelheiten des Verbrechens beffer zu entdecken, ließ Demidoff die Frau und die Lochter des Gefangenen der Tortur unterwerfen; lettere war 18 Jahre alt. Das Mädchen ward an Balfen so angebunden, daß sie mit den Füßen in der Luft schwebte, und der Erekutor peitschte sie vom Kopf bis an die Fußsohlen. Sie hatte schon mehrere Schläge mit der neunschwänzigen Rage erhalten, als fte zu trinken begehrte. Man reichte ihr einen gesalzenen Hering. Die Tortur würde fortgesezt worden sein, wenn der Exekutor fich nicht geweigert hätte, weiter zu schlagen." Die Menschen werden nicht auf einmal so wild, und jeder einfichtige Denker wird hinter dem einzelnen Falle eine ganze Reihe von Grausamkeiten der Demidoff's entdecken, eine entsegliche Geschichte von Barbareien, die im Bewußt fein der Straflosigkeit verübt werden. Da in dem vorliegen den Falle die Frau feine Gefangene war, so erreichte ihre Beschwerde die Behörden. Aber wie viele hundert ähnliche ihre bürgerlichen und persönlichen Rechte, sondern sind auf
Ich werde in diesem Artikel nicht von der neuesten Neuerung sprechen, der harten Arbeit und Anfiedelung von Ge fangenen in einem neuen und entlegeneren Sibirien , der Insel Saffalin. Das Schicksal der Gefangenen auf dieser Insel, wo sich Niemand freiwillig ansiedeln würde, und ihr Kampf gegen die unwirthlichen Boden- und Klimatischen Verhältnisse verdient einen besonderen Aufsatz. Ebensowenig fann ich hier die polnischen Verbannten von 1864 berühren. Denn auch dieser Gegenstand verdient mehr als eine gelegentliche Be mertung. Dafür will ich jest von der ungeheuren Klaffe der Verbannten reden, die nach Sibirien transportirt werden, um fich dort als Land- und Industrie- Arbeiter anzufiedeln.
Die zu harter Arbeit Verurtheilten verlieren nicht nur alle
1. Jahrgang.
als Getränk steht der Kaffee stark mit Milch gemischt obenan, und zwar ist der weibliche Theil der Bevöl kerung demselben besonders zugethan." Wie ungewöhnlich und wichtig! wichtig! Bu Bier gehen die Männer Abends in die verschiedenen Gastwirthschaften, doch selten mehr als zwei mal in der Woche." Wäre die Sache nicht so furchtbar ernst und traurig, man könnte versucht sein, diese Säße für eine Fronifirung der erbärmlichen Ernährungsverhältnisse der voigtländischen Instrumentenmacher zu halten, für die ebenso der alte thüringische Spruch gilt, den Sar aufbewahrt hat:
Kartoffeln in der Früh,
Zu Mittag in der Brüh,
Des Abends mit sammt dem Kleid, Kartoffeln in alle Ewigkeit."
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Vor der Annahme sträflichster Ironifirung schüßen Bein eben nur seine offenbar völlig ernst gemeinten Worte, mit denen er am Eingang dieses Absages solche Verhältnisse nicht oft ge= nug als glücklich", als die denkbar besten", als höchst ein fache, doch durchaus genügende" bezeichnen kann.
Die Sterblichkeitsziffern, die Bein anzieht und aus denen er wieder die günstigsten Verhältnisse" diagnoftirt, leiden ebenfalls an einer verhängnißvollen Ünvollständigkeit. Den Sterblichkeitsziffern der voigtländischen Instrumentenmacher hätten die der übrigen, auch besser fituirten Stände derselben
Gegend entgegengestellt werden müssen, nicht blos im allge meinen die von 141 sächsischen Städten, bekanntlich den indu striellsten und deshalb auch schon von den sozialen Schäden am meisten affizirten des deutschen Reichs. Dann hätten fich ganz andere, wahrscheinlich wenig günstige" Verhältnisse herausgestellt. Im Gerichtsamt Klingenthal fam übrigens in Sen Jahren 1865 bis 1870 durchschnittlich auf 4,50 eheliche Geburten 1 uneheliche! Diese Zahlen reden laut genug für den sozialen Forscher, der da weiß, daß die Moral uur ein Produft, eine Folge der materiellen Lebenshaltung unserer Arbeiter ist.
doch
Und nun endlich zu den Vermögens- und Erwerbsverhält niffen der voigtländischen Musikindustriellen. Sie haben we nigstens feine Saison morte, wie die Sonneberger . Von schlimmer Bedeutung ist aber schon der Umstand, daß die Frauen der Hausindustriellen durch Handstickereiarbeiten, ja, daß die Kine der selbst neben ihrem Schulbesuche in den Muẞestunden zum Erwerb der Familien ihr Scherflein beitragen" müssen einen Beweis dafür, wie gering dieser Erwerb an und für sich sein muß. Nur eine Ahnung davon, wie weit die Ausbeutung der Kinderarbeit in dem Bezirk gehen muß, laffen folgende myftische Worte Bein's durchschimmern: Obwohl man annehmen sollte, daß im allgemeinen bei Hausindustrien die den Eltern anheimgegebene Eintheilung der Arbeitszeit eine egoistische auf Kosten der Gesundheit beruhende(?) Ausbeutung der jugendlichen Arbeiter verhindern, sowie für ausreichende Räumlichkeiten gesorgt fein müßte, zeigt sich jedoch in Wirklichkeit leider gerade das Gegentheil, da der Grad von Einsicht, der den Familienvorständen zugetraut werden müßte, gar oft fehlt(?)". Da doch nicht so geschraubt und gewunden aus, Herr Bein! Sagen ift man wirklich versucht, herauszuplaßen: Drüden Sie sich Sie in flaren Ziffern: wie lange und in welchem Alter müffen die Kinder mitarbeiten??" Ein Wunder, daß für die er= wachsenen Arbeiter die horrende Arbeitszeit genau angegeben wird ein 13-14 stündiger Arbeitstag im Durchschnitt, der öfters fogar noch überschritten wird. 1 Stunde Mittag,
oft nur eine halbe, bildet ihre einzige Erholung am Tage, und Frühstück wie Vesper wird während der Arbeit verzehrt." Und dieser Arbeitszeit entsprechen nach den Einschätzungen zur Einkommensteuer jährliche Einkommen von 300-400 Diark für Saitenmacher, 500-750 Mark für Geigenmacher , 500 bis 750 Mart für Ziternmacher, 400-500 Mart für Bogenmacher; ähnliche, nie höhere Säße für die Meffing- und Holzblasinstrumenten, für die Guitarren-, Baßund Trommelmacher. Dabei bringt Bein selbst die Korrektur an, daß sich die Einkommen wegen der auf eine nicht genaue Volkszählung bafirenden Berechnung in Wirklichkeit durchschnittlich noch niedriger gestalten." Man begreift nicht, wo er auch
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immer von ihrem Mutterlande geschieden. Nach ihrer Freilaffung aus der harten Arbeit werden sie in die große Kategorie der„ Siylno- Poselentsy" eingereiht und verbleiben in ihr zeitlebens. Eine Rückkehr nach Rußland ist nicht mehr möglich, unter feinen Umständen. Diese Kategorie der angefiedelten Berbannten ist die zahlreichste in Sibirien ; fie umfaßt nicht nur die entlassenen Hartarbeits- Gefangenen, sondern auch die fast 3000 Männer und Frauen( von 1867 bis 1876 zusammen 28 382), die jährlich unter der Rubril ,, Ssylno Poselentsy" zum Zwecke der Ansiedelung nach Sibirien transportirt werden, auf Lebenszeit und mit theilweisem Verlust der bürgerlichen und persönlichen Rechte. Zu diesen in 10 Jahren, von 1867 bis 1876, transportirten 28 382 tommen noch die in denselben 10 Jahren unter der Rubrik Na Vadvorenie", d. h. zur Anfiedelung mit theilweisem Verlust der bürgerlichen Rechte Ver bannten, 23 383 und die 2551 Na Jitie", d. h. zum Leben in Sibirien " ohne Verlust der Rechte Verurtheilten. Dann kommen fünftens die in denselben 10 Jahren 76 686,, auf administrativem Wege nach Sibirien Verschickten" hinzu. Also im Ganzen ca. 132 000 innerhalb 10 Jahren, ohne die zu harter Arbeit Verurtheilten, oder jährlich 13 200. In den legten 5 Jahren ist diese Zahl noch gestiegen und zwar auf 16 bis 17 000 jährlich!
Sehen wir nun, wie es diesen Leuten in der Verbannung geht. Eine ganze Literatur ist in den legten 10 Jahren über bieses Thema entstanden, das einstimmige Resultat aller dieser Untersuchungen ist aber: Abgesehen von einigen vereinzelten Fällen,( wie der vortreffliche Einfluß der politischen Verbannten auf die Entwicklung der Industrie in Sibirien , und derjenigen der kommunenweise auf einmal transportirten Nontonformisten und Kleinruffen) versieht die große Masse der Erilirten Sibirien , anstatt mit nüßlichen Kolonisten und geschickten Handwerkern, nur mit einer unanfäffigen, flottirenden Bevölkerung, die meist hungert, weil sie unfähig zu einer nüßlichen Arbeit ist. Dies bezeugen nicht nur die Werte von Maffinoff, Lwow , Bavalishin, Novinsky, Jabrintseff. Peysen, Dr. Sperch und Anderer, sondern auch die aus den amtlichen Berichten veröffentlichten Auszüge.
Aus dieser Untersuchung ergiebt fich, daß, obschon seit 1820 über eine halbe Million Menschen nach Sibirien trans portirt worden find, auf den Listen der Lokalverwaltung jest nur 200 000 als lebend verzeichnet sind. Der Rest ist ohne Nachkommenschaft gestorben oder spurlos verschwunden. Und von diesen 200 000, die noch auf der Liste stehen, find während der legten Jahre über 70 000 verschwunden, ohne eine Spur von fich zu hinterlassen; Niemand weiß, wo sie hingekommen find. Sie find wie eine Wolfe am Himmel an einem heißen Sommertage verschwunden.
( Forthegung folgt.)