Nr. 121.

Beilage zum Berliner Volksblatt.

Sonntag, den 24. August 1884.

Der Einfluß der Familie auf die physische mittleren Lage zwischen den Unverheiratheten und Verheira

und moralische Gesundheit.

Der französische   Statistiker Jacques Bertillon  , deffen Vater sich schon sehr große Verdienste um die Volkskunde er­worben hat, machte hierüber interesante Mittheilungen, deren hier gedacht werden soll.

Seine erste Mittheilung betrifft die Sterblichkeit. Aus dem Material, welches die statistischen Tabellen in Frankreich  während der Jahre 1856-65 lieferten, stellte er mit vieler Mühe und Sorgfalt die Todesfälle nach den drei Rubriken: verheirathet, unverheirathet und verwittwet zusammen und stieß dabei auf bemerkenswerthe Resultate, aus denen sich folgende Gefeße formuliren laffen:

1. Die Sterblichkeit der verheiratheten Männer ist am geringsten; größer die der Junggesellen, noch größer die der Wittwer. Ein Junggeselle von 25 Jahren hat ebenso viele Chancen zum Sterben als verheirathete Männer von 50 Jahren.

2. Eine Ausnahme, aber auch eine erschreckende Ausnahme von diesem Geseze, giebt es nur für ganz junge Leute unter 25 Jahren. Ihnen taugt die Ehe absolut nichts und zwar um so weniger, je jünger fie find. Sobald sie sich verheirathen wird ihre Sterblichkeit 5 mal größer, als die der jungen Männer von gleichem Alter. Noch erschreckender ist ihre Sterb lichkeit, wenn fie in so jugendlichem Alter schon Wittwer wer­den da steht in der That das frühe Jugendalter mit dem spätesten Greiſenalter ganz gleich.

Man bemerkt auch sogleich, daß die verheiratheten Frauen am besten gestellt sind, mit derselben Ausnahme bezüglich der noch sehr jungen Frauen, freilich nicht in dem furchtbaren Ver­hältnisse, wie bei den jungen Männern.

Was die Wittwer betrifft, so befinden sie sich in einer mittleren Lage zwischen den Unverheiratheten und Verheira­theten. Unter ihnen giebt es mehr Fälle von Selbstmord, was sich aber wenigstens theilweise aus ihrem Alter erklären ließe, denn man weiß, daß die Greise mehr dem Selbstmord zuneigen als die jungen Leute. Anderseits begehen die Witt­wer etwas weniger Verbrechen. Auch das darf man ihrem Alter zuschreiben, da die Statistik uns lehrt, daß Verbrechen im Greifenalter seltener find als in der Jugend.

Indeffen folgende Thatsache ist weit beachtenswerther: man beobachtet, daß Leute, welche Kinder haben, welche von einer zahlreichen Familie umgeben sind, weniger häufig von all den Unglücken betroffen werden, als diejenigen, welche keine Kinder befizen, deren Anblick fie zu ihren Pflichten zurückruft, und fie mitten in den Miseren der Eriftenz aufrecht erhält.

Der Einfluß der Kinder auf die Moralität des Mannes erscheint noch stärker als die Gegenwart einer Frau. Von einer Million Chemännern ohne Kinder werden jährlich 287 Verbrechen begangen( Statistit von Frankreich   von 1860-68); von der gleichen Bahl Wittwer mit Kindern nur 237.

Der gleichzeitige Einfluß von Frau und Kindern ergiebt das günstigste Resultat, nämlich jährlich nur 186 Verbrechen, während Wittwer ohne Kinder 262 Verbrechen liefern. Für die Garçons steigt die Biffer auf 403.

Frauen find in allen gesellschaftlichen Lagen weniger zum Verbrechen geneigt, als Männer. Der Ziffer 403 für Garçons steht für unverheirathete Frauen die Biffer 89 gegenüber. Ver­heirathete Frauen mit Kindern begehen unter je einer Million bloß 32 Verbrechen.

Bertillon wirft weiterhin die Frage auf: Ist der Geistes­zustand, welcher die Menschen zum Selbstmorde treibt, häufiger bei Greisen oder bei der Jugend? Die Leute, meint er, welche gewohnt sind, mehr durch Raisonnement über die Dinge zu

Gegen das männliche Geschlecht macht sich in dem Verurtheilen, als durch Erfahrung, sind über diese Frage nicht in hältniß der unverheiratheten Frauen und Wittwen etwa vom 40. Lebensjahre an ein Unterschied geltend, Dort überragte die Wittwerkurve alle übrigen das ganze Leben hindurch. Hier aber wird von dem genannten Zeitpunkte an die Sterblichkeit der Jungfrauen etwas größer als die der Wittwen. Die ge­ringere Sterblichkeit der Wittwen in späteren Jahren mag darin begründet sein, daß ältere Wittwen in der Regel eine Familie zur Seite haben, die ihre legten Lebenstage mit findlicher Liebe und Sorgfalt erleichtert.

Merkwürdiger Weise zeigt sich auch bei dem weiblichen Geschlechte, daß junge Wittwen am schlechtesten von allen Altersgenossinnen daran sind. Doch ist ihre Sterblichkeit bei weitem nicht so enorm als unter Männern; fie erreicht von 20 bis 25 Jahren ein Marimum, um dann wieder abzunehmen.

Es ist von Wichtigkeit zu bemerken, daß man die angege benen Resultate, auch in allen übrigen Ländern, wo entsprechende Erhebungen gemacht worden sind, bestätigt findet. Belgien  , Holland  , Schweden  , die Schweiz   und Italien   zeigen daffelbe Gefes.

In Brüssel   hat Herr Janssens, Vorsteher des Bureaus Der Volkshygiene, die Forschungen speziell auf die Schwind­sucht ausgedehnt.' Wiederum sind die Wittwer am schlimmsten gestellt. In jedem Lebensalter sterben 2 mal mehr Wittwer an der Schwindsucht, als Verheirathete oder Unverheirathete. Nur in den späteren Lebensjahren, von 60 an stehen sie den verheiratheten Männern ungefähr gleich dafür maht fich der Wittwerstand auch wieder in dem frühen Mannesalter um 10 verhängnißvoller geltend.

In zweiter Linie bemerkt man, daß die Krankheit im Ganzen unter den verheiratheten Männern häufiger ist, als unter den Junggesellen, wenigstens bis zu 25 Jahren und über die 40er Jahre hinaus.

Der Mensch, der im Rahmen der Familie lebt, hat we­niger Sang zum Selbstmord, zum Srrfinn, zum Mord. zum Diebstahl, furz zu allen Uebeln und Lastern, denen die Mensch­heit unterworfen ist. Das Familienleben zeigt sich nach allen Richtungen von günstigstem Einfluß.

Berliner   Sonntagsplauderei.

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R. C. Man hat schon verschiedene krumme Dinge gesehen, aber das frummste war entschieden immer eine Prezel darf man heute gewiß fagen in Hinblick auf den Kongreß deutscher Bäckermeister. Alle möglichen und unmöglichen Dinge werden ausgestellt, die Berliner   ,, Damen  " werden sich nächstens noch den Magen verderben an all' den Süßigkeiten, von denen fie fosten, die fostbarsten und lodendsten Erzeugnisse der Bäderei thürmen sich vor unseren Augen auf, und gewiß ist es eine ichöne Sache um den Kuchen; um ihn allerdings probiren zu fönnen, muß man ihn mindestens haben. Es fällt uns hierbei eine alte Geschichte ein, die vielleicht des Reizes der Neuheit

zu werden.

Kurz vor dem Ausbruch der großen französischen   Revolu tion drängte fich einmal die ,, misera plebs" vor dem Louvre und bisweilen erhob sich ein gewaltiges Geschrei. Die junge Kö­nigin Marie Antoinette   fag in ihren Pruntgemächern und schließlich fiel ihr draußen der Tumult auf. Weßhalb schreien die Leute da draußen so sehr?" fragte fie endlich eine ihrer Hofdamen. Majestät," war die etwas offenherzige Antwort, ,, die Leute schreien nach Brot."" Nun, wenn die Leute fein Brot haben," fragte die Königin ganz erstaunt zurüd, weß halb effen sie denn keinen Kuchen?"

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Was nügt uns Marzipan, was hilft uns Bisquit und wie alle Aehnlich verhält es sich mit der Bäckerei- Ausstellung. diejenigen Produkte heißen, die verwöhnte Gaumen figeln, wenn die Schrippen alle Tage kleiner werden und das Vier­groschenbrot" nach dem uralten Rechenerempel immer noch fünf Groschen tofstet? Es wäre mindestens ebenso erwünscht, wenn die Herren Bädermeister darüber nachgedacht hätten, wie es wohl zu ermöglichen gewesen wäre, ein Paar Stullen" mehr vom Brote abschneiden zu fönnen, als daß fie wie eine Fata morgana dem überwiegenden Theil der Berliner   Bevöl ferung Genüffe zeigen, die demselben so gut wie niemals zu

Theil werden fönnen.

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wer fein Schwarzbrod faufen tann, soll sich mit Kuchen be Denken die Bäckermeister vielleicht auch so, daß sie meinen, gnügen? Uebel wäre die Sache garnicht, wenn fte nur zu ihren vielfachen Konfituren wenigstens auch gleich das Rezept gegeben hätten, wie man sich zur Erlangung dieser Herrlich­

gegen eine Burschaustellung solcher culinarischer Erzeugnisse

garnicht viel einwenden.

Doch was reden wir vom Geld! Als ob das heut' zu Zage fehlen würde! Es giebt doch soviel Leute, die garnicht wiffen, was sie damit anfangen sollen. Freilich ein guter Theil unferer Mitbürger ist damit zufrieden, wenn er des Sonntags, nach der Last und Mühe von sechs Arbeitstagen noch ein paar Groschen übrig hat, und eine ganz gewöhnliche Landparthie, die allerdings nicht zu theuer werden darf

Verlegenheit, wenn auch getheilt in ihrer Meinung. Wenn man ihnen diese Frage stellt, entgegnen die Einen, daß die Jugend das Alter der Illusionen ist, das Alter, dem Alles rosenfarben erscheint und dem folglich schwarze Gedanken sehr ferne liegen, also daß der Selbstmord in diesem Alter selten. Aber," antworten sofort die Andern, die Jugend ist das Alter der Leidenschaften und folglich das Alter der Stürme; freilich ist es auch das Alter der Illusionen, aber wenn diese Illufionen zu rasch gestört werden, welcher Lebensüberdruß! welche Lebensverachtung! Beweise: Werther, Hamlet  , Romeo und alle ihre Nachfolger: es find Alles junge Leute. Im Gegentheil, man denke doch, mit welcher Verzweiflung manche Greise sich an's Leben klammern; der Tod, welchem die Jugend trogt, ohne selbst daran zu denken, erscheint den Greisen um so furchtbarer, je näher er ist. Sicherlich muß der Selbstmord bei den jungen Leuten häufig sein, bei den alten hingegen felten."

Dieses legte Raisonnement ist das glücklichste von der Welt. Leider giebt die Erfahrung ihm Unrecht, wie der Statistit schon längst bekannt ist. Man vergleiche nur die Statistik von Frankreich   und von Schweden  , zweier Länder Don sehr verschiedenem Menschenschlage. Bezüglich der Jugend stimmen beide vollständig überein, die schwedischen Greise hingegen haben weniger Lust zum Sterben als die franzöfifchen. Trogdem sieht man sowohl in Schweden  , wie in Frankreich  , daß die Greise einen Geschmack am Selbstmord finden, welcher der Jugend absolut unbekannt ist. Sie bringen sich drei bis viermal häufiger ums Leben als junge Leute.

Man bemerkt ferner in allen Lebensaltern, daß die Frauen weniger zum Selbstmord geneigt find als die Männer. Mit diesem Unterschiede herrscht im übrigen derselbe Gegensat zwischen jung und alt; die Neigung zum Selbstmord nimmt mit dem Alter zu.

Wenn hier nur von zwei Ländern, von Frankreich   und Schweden  , die Rede ist, so geschieht das, um Monotonie zu vermeiden. Wo man noch Untersuchungen angestellt hat in

unternehmen fann. Aber in gewissen Kreisen zieht" das nicht mehr. Ein Kremser pfui, wie gemein, man fist da so dicht bei einander, es ist so heiß, außerdem ist man so furchtbar beobachtet. Man kann sich wirklich beim besten Willen nicht so gehen lassen, wie man wohl möchte, man darf faum ein Wort sprechen, ohne daß es aufgefangen würde. Wozu hat man auch das Geld, wenn man sich nicht Vergnü­gungen ganz anderer Art schaffen will? Man ist ja glücklicher Weise, wie es die jeßige Mode erfordert, Sportsmann, wozu hat man das theure Segelboot angeschafft, wenn man auf dem­felben nicht auch einmal ein paar vergnügte Stunden zubrin gen darf, hier auf der weiten Fläche des Sees ist man unbe­lauscht, hier giebt es feine Späher, bier kann man ganz unge­nirt, den wilden Mann machen. Es gehört aber auch min­

destens ein Naturereigniß ganz besonderer Art dazu, um auch einmal einem gewöhnlichen Sterblichen einen Einblid in die Gepflogenheiten der besser fituirten" Kreise thun zu lassen.

Ein socher Einblid wirkt wenig erquidend, und wenn man auch im gewöhnlichen Leben zu sagen pflegt: ,, ein jedes Thierchen hat sein Blaifirchen," so bilden derartige Scherze, wie sie die Mitglieder einer gewissen Finanzwelt belieben, doch immer Vergnügungen, von denen der niedere" Stand bisher zu seinem Vortheile immer noch rein geblieben ist, und wenn man in jenen Kreisen mit gerümpfter Nase von der Ver­rohung und Verwilderung" der unteren Volksschichten spricht, so genügt wohl der Hinweis auf ein derartiges Vorkommnis vollständig, um wenn das überhaupt möglich wäre- ge­wiffen Leuten die Schamröthe ins Gesicht zu treiben, um den fortwährend zu Schimpfereien und Verhöhnungen des Arbeiter­standes weit aufgerissenen Mund für einige Zeit wenigstens zu ſtopfen.

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Da sehe man sich die Singhalesen an! Sie leiden ja auch nicht an einer allzugroßen Fülle von Bekleidungsgegen­ständen, aber wir glauben nicht, daß sich eine singhalesische Dame zu einer ähnlichen Kahnparthie verführen lassen würde. Freilich, es mag immer noch ein Unterschied sein zwischen einer Berliner   Biermamsell und einer jungen Dame aus den Ge­filden von Ceylon. Und wenn man beide Vertreterinnen des weiblichen Geschlechts der braunen und der weißen Raffe in Bezug auf ihre Sittsamkeit prüfen würde wer weiß, zu wefen Gunsten der Vergleich ausfallen würde. Wer tann auch außerdem wiffen, ob es unter den braunen Söhnen der indischen Insel Leute giebt, die ähnliche Beluftigungen goûtiren wie unsere jeunesse dorée?

Es ist nur das einzig Merkwürdige bei der Geschichte, daß gerade diese Sorte von Leuten immer warme Vertheidiger findet, daß es immer Leute giebt, welche gerade gewiffe Vor­gänge zu vertuschen suchen. Es wäre ja auch unerhört, wenn das gewöhnliche Pack allzu viel von den noblen Passionen der Finanzbarone erfahren würde, das giebt nämlich zu allerlei Schlüffen Veranlassung, und solche Schlüffe gerade jetzt bei

1. Jahrgang.

dieser Beziehung, hat man dieselben bemerkenswerthen Resultate gefunden. Beispielsweise giebt die Statistik von Morselli, die in Mailand   so eben erschienen ist, ganz analoge Bahlen.

Fragen wir weiter. Welchen Einfluß hat die Ehe auf den Selbstmord? Hierauf giebt schon Bertillon senior die Antwort: 1. Wittwer und Wittwen bringen sich häufiger ums Leben, als Ehegatten. 2. Die Gegenwart von Kindern in einer Fa­milie scheucht den Gedanken an Selbstmord fern. Die Gegen­wart von Kindern ist gleich wohlthätig für verheirathete Leute, wie für den verwittweten Stand, für Männer wie für Frauen. Für Alle vermindert der Anblick dieser kleinen Wesen die Selbst­mordgedanken mindestens um die Hälfte.

Die schwedische Statistit von 1876 giebt weitere bemerkens­werthe Aufschlüsse. Zunächst über die verheiratheten Männer. Wenn sie noch sehr jung sind, so verfallen sie dem Selbst­morde eben so häufig, wie die Unverheiratheten von gleichem Alter. Mit steigendem Alter nimmt die Lust zum Selbstmorde ziemlich langsam zu, bis sie im Alter, welches das Maximum zeigt( Mitte der 50er Jahre) ungefähr 2% mal größer ist, als in der Jugend. Später eine sehr bemerkenswerthe That­fache nimmt fie progressiv ab.

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Aber welcher Unterschied bei den Nichtverheiratheten! Die aufeinander folgenden Ziffern bilden fast eine geometrische Reihe. Mit 25 Jahren wird der Selbstmord schon doppelt so häufig als bei Verheiratheten vom selben Alter; mit 70 Jahren wird er 11 mal häufiger! Ohne Unterlag wächst für sie die Ge fahr; statt eine Periode des Stillstandes zu erreichen, wie bei den Verheiratheten, wächst die Zahl der Selbstmorde ohne Ende.

Hinsichtlich der Frauen ergeben sich ähnliche Erscheinungen: fie sind nur nicht so sehr in die Augen fallend, da ja überhaupt die Frauen weniger zum Selbstmord hinneigen.

Man kann folgende Gesetze aufstellen:

1. Der Selbstmord kommt in jedem Alter( vielleicht die Beit vor 20 Jahren ausgenommen) bei den Verheiratheten weniger häufig vor als bei solchen die es nicht sind oder nicht mehr sind.

2. Er nimmt mit dem Alter bei beiden Klassen zu. Aber während diese Zunahme für die Verheiratheten nur sehr gering ist und sogar schließlich wieder abnimmt, wird sie für die Un­verheiratheten reißend und erschreckend.

3. Wenn die Statistit schon seit langen Jahren die Zu­nahme der Selbstmorde als Geses hinstellte, so verdankt man dieses Resultat fast ausschließlich den Ehelosen und Wittwern. 4. Dieselben Geseze gelten für die Frauen, nur treten ste weniger intensiv zur Erscheinung.

Die Gründe für diese Geseze find wohl dieselben, wie früher angegeben. Von besonderer Wichtigkeit scheint jedenfalls die Regelmäßigkeit des Familienlebens.

Was den Selbstmord speziell betrifft, so verdient eine Ursache dazu besonders für Schweden  , hervorgehoben zu wer den. Nämlich die Trunksucht, die ohne Zweifel unter den Chelosen verbreiteter ist als unter den Verheiratheten. In Dänemark  , dem Lande des Hamlet   und dem ,, klassischen Boden des Selbstmordes", wie Morselli sagt, veranlaßt die Trunksucht 31 pCt. der Selbstmorde und so ist es fast überall.

Habe ich nöthig zu sagen, schließt Bertillon   seine Aus­einandersegungen, wie sehr diese Resultate von dem allgemein verbreiteten Glauben abweichen? La Fontaine hat nur die allgemeine Empfindung getroffen, als er folgende schöne Verse in seiner Fabel vom bolzhauer"( Bucheron) deffen Elend er schildert, niederschrieb: Seine Frau, seine Kinder, die Gläubi­ger und der Frohndienst machen aus ihm das vollendete Bild eines Unglücklichen. Schließlich, da er nicht mehr kann vor Leiden und Schmerz, ruft er den Tod. Onein! Er ruft nicht den Tod oder wenigstens er ruft ihn feltener wenn er in der Familie lebt. Das zeigt uns die zahlenmäßige d. h. wissenschaftliche und ernste Beobachtung. Die Familie wirft wohlthätig auf dic physische und auf die moralische Natur des Menschen.

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den bevorstehenden Wahlen ziehen zu lassen, ist unter Um ständen höchst gefährlich.

Berichtet

Und trogdem kommen die Krallen unter Dem Sammetpfötchen immer wieder zum Vorschein. da kürzlich das Blatt, welches fich hier in Berlin   schon längst das Bürgerrecht dadurch erworben hat, daß es fich zum notorischen Beschützer aller Unfittlichkeiten, die in den Kreisen seiner Anhänger passiren, aufwirft, von einem standalösen Vorgänge, der auf dem Spittelmarkt bei den Leichen­ausgrabungen vorgekommen sein soll. Man denke, ein oder mehrere Arbeiter ließen sich, natürlich unter den landesüblichen rohen" Redensarten, einen Menschenknochen zuwerfen, be­fühlten denselben und rieben ihn sogar an den Mauersteinen. Welche Fülle von fittlicher Entrüstung wird bei diesem ,, standa­lösen" Vorgang nicht aufgeboten! Polizei, Schugmannschaft und wer weiß, was nicht noch Alles, soll gleich kommen und diesem gräßlichen Treiben ein Ende machen. Hat das Blatt auch nach der Strompolizei geschrieen, um draußen die Herren Segler zu fontrolliren? Wir haben nicht gelesen, daß das Berl. Tgbl." verlangt hätte, eine Abtheilung der Sittenpolizei mit Segel böten auszurüsten, um das obscöne Treiben gewiffer Leute auf den Gewässern rings um Berlin   unmöglich zu machen! Bauer, das ist ganz was anderes!

Aus Kampf und Streit besteht das menschliche Leben, ohne Zwiespalt und Meinungsverschiedenheiten wäre es schaal und ohne Würze. Das hat man auch im Lager der Berliner  Konservativen vulgo Antisemiten erkannt und um sich

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die Zeit würdig zu vertreiben, liegt man sich dort etwas in den Haaren. Man munkelte seit einiger Zeit davon, daß die Partei Liebermann von Sonnenburg wo es eine solche giebt oder auch nur geben fann, ist uns allerdings gänzlich unverständlich der Partei Stöcker- Cremer- Köller den Krieg erklärt hat. Was mag den unseligen Bruderzwist veranlagt haben? Was treibt die Urgermanen mit den famosen Ehrenscheinen dazu, ihr ihr fostbares Blut zu versprißen? Mit Herrn Bleibtreu, dem brillanten Ropisten, möch ten wir ausrufen: Wer weiß es?" Aber es glücklicher Weise nicht wahr, Alles ist erlogen, die bösen Juden wollen nur wieder einmal Haß und Zwietracht in die Reihen der braven, toleranten und hochberzigen Antisemiten tragen, und noch zur rechten Zeit ruft ein aus der Breiten Straße   fubventionirtes Blatt in überschäumendem Ingrimm aus: Jn Folge der anhaltenden Hiße ist in der Redaktion der Berliner   Bolts- Beitung", welche diese Nachricht zuerst brachte, die Tollwuth ausgebrochen. Das bisher dort vor­handene geringe Quantum von geſundem Menschenverstande ist bis auf Weiteres zur Disposition beurlaubt." Die Toll­wuth unter den Berliner   Journalisten schrecklich! Wenn es nur nicht nächstens auch noch eine Journalistensperre giebt! Einer ganzen Anzahl wird diese Maßregel übrigens garnicht einmal so sehr drückend erscheinen, sie werden doch auch

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