Nr. 129.
Mittwoch, 3. September 1884.
I. Jahrg.
Berliner Volksblatt.
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,, Das Kind des Proletariers" aus der Feder von U. Rofen soweit der Vorrath reicht bition Zimmerftraße 44 gratis verabfolgt. gegen Vorzeigung der Abonnementsquittung in der Expe
Deutsch franzöfifches Bündniß. -
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Intereffe der franzöfifchen Regierung liegen, das hindert nicht, daß beide Nationen dadurch einander näher gebracht werden.
Daß diese Abmachung übrigens schon seit Jahresfrist geschehen ist, giebt derselben noch eine höhere Bedeutung.
Wir sagten, daß die wirthschaftlichen Interessen Frank reichs und Deutschlands nicht follidiren; leider kann dies von den sogenannten politischen Interessen nicht gefagt werden.
Die ewigen Grenzstreitigkeiten haben bei den machthabenden Parteien und Gewalten eine gegenseitige Erbitterung hervorgerufen, die sich auch in den Zeiten tiefften Friedens in großem gegenseitigen Mißtrauen fundgiebt. Sagt doch in Bezug auf obige Mittheilung ein französisches Blatt:" Deutschland schmeichelt uns- Frankreich halte fich refervirt."
Die jedesmalige Regierung in beiden Ländern übernimmt die Tradition der früheren, und außerdem erinnert die Annexion von Elsaß- Lothringen die Franzosen immerwährend und peinlich an ihre Niederlage. Und dieser ,, Stein des Anstoßes" wird vermuthlich noch auf lange Zeit neben vielen anderen ,, nationalen" und afterpatriotischen Eigenthümlichkeiten in beiden Ländern ein ehrliches, dauerndes Bündniß verhindern.
Wir haben schon mehrfach in diesem Blatte erklärt, daß ein deutsch französisches Bündniß die Bürgschaft des europäischen Friedens in fich trage, daß Deutschland und Frankreich keine oder doch nur geringe widerstreitende In- längere Zeit erhalten bleibt. tereffen hätten, b. h. daß ihre Konkurrenz in der Produktion und dem Handel teine sehr große sei, daß also die wirth haftlichen Berhältnisse der beiden Länder kein Hinderniß eines Bündnisses wären.
Es ist nun
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Deshalb fann man vorläufig schon zufrieden sein, wenn durch wenigstens der Frieden auf leiber so, daß die Regierungen in allen Militärstaaten und Militärstaaten find mehr oder weniger die europäischen Großßtaaten gerade durch das Großzüchten des Militarismus ab und zu auf einen„ frischen, fröhlichen Krieg" angewiesen find. Deshalb hatte" auch das sogenannte" Dreikaiserbündniß" niemals langen Bestand. Es wird vielleicht in einigen Tagen wieber erneuert werden, doch sind die politischen nnd wirthschaftlichen Interessen Rußlands und Desterreichs fo heterogen, daß die Freundschaft" zwischen diesen beiben Reichen nur eine äußerliche, fünftlich aufrecht erhaltene und es nur eine Frage der Zeit ist, daß ungarische Husaren mit russischen Kosaden handgemein werden.
Nun kommt die erfreuliche Nachricht, daß, wenn auch bon einem Bündniß nicht die Rede ist, doch die Regierungen beiber Nationen sich gegenseitig Freundlichkeiten bezeigen. langen Bestand. So schreibt die Kölnische Zeitung ":
Wir Deutsche haben zur Zeit keinerlei Anlaß, für die Sicherheit unserer in China befindlichen Staatsangehörigen zu bangen. Unsere Marinestation bort ist bestens beseßt und in gewiegteften Händen. Zudem hat die deutsche Reichsregierung in Voraussicht der Dinge, die da kommen würden, bereits im vorigen Jahre mit der französischen Regierung ein Abtom men bahin getroffen, daß die französische Macht bei friegerischen Berwickelungen in China da, wo feine deutschen Schiffe zur Hand sind, die deutsch en Interessen den französischen gleich wahren und schützen wird." Diese Freundlichkeit der Franzosen den Deutschen ge genüber ist doch mehr als Höflichkeit- dieselbe mag ja im Feuilleton.
Radbrud verboten.]
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Das Kind des Proletariers.
Sensationsroman von U. Rosen. ( Fortsetzung)
Frau Betigrew fam bei hereindämmerndem Abend in ihrer Stuhl, nahm den losen Biegelstein über dem Kamin heraus und steckte die Hand in die Deffnung. Sie war leer! Wirklich leer! Die Hoffnung ihres Lebens war ihr geraubt worden. Mit einem wilden Schrei warf fie fich zu Boden.
23. Kapitel.
Mit den nebelgrauen düsteren Novembertagen begannen
Europa starrt in Waffen- und Waffen sind zum Kriegführen da; Gelegenheit aber zum Streit kann leicht Kriegführen da; Gelegenheit aber zum Streit fann leicht gefunden werden. So lange nun der ,, bewaffnete Friebe" aufrecht erhalten bleibt, so lange ist kein Bündniß zwischen aufrecht erhalten bleibt, so lange ist kein Bündniß zwischen einzelnen Mächten dauernd- und so halten wir auch leider ein deutsch - französisches Bündniß vorläufig für unmöglich.
Leider, ja leider! Ein solches Bündniß wäre auch gar zu herrlich, als daß es zu Stande fommen fönnte. Die freilonservative Post", die zuweilen und in dieser
Rupert seufzte. Er dachte daran, wie sehr Francesca diese Blumen geliebt hatte.
überreichte.
Die Unbekannte ging weiter, und Rupert folgte ihr in müßiger Neugier, die Büge der Fremden zu sehen. Sie betrat ein Lapifferiewaarengeschäft, und Rupert, der durch's Fenster blickte, da fie ihm noch immer den Rücken zuwendete, bemerkte wie sie ihr Badet öffuete und dessen Inhalt einem Ladendiener überreichte. Die Geschäftsführerin tam herbei, zahlte dem Mädchen etwas Geld aus und breitete ein großes Stück Kanevas aus, über das fich eine längere Unterredung zu entspinnen schien. Die Fremde trug endlich die angefangene Stiderei näher zum Fenster und schlug ihren Schleier zurück. Rupert sah Francesca ins Gesicht. Laumelnd vor Freude trat er bei Seite und wartete mit zitternder Ungeduld, bis fie den Laden verließ. Er folgte ihr aufs Neue und erst als fte in einer wenig belebten Straße angenommen waren, näherte er fich ihr.
Francesca! O Francesca, warte! Ich suche schon so ,, D Rupert!" rief Francesca, ihm erfreut die Hand ent gegenstredend.
Leben der Einsamkeit und unausgesezter Arbeit, die wechsel- lange nach Dir!" Lofe Tretmühle seiner täglichen Beschäftigung bedrückte sein Gemüth. Wenn er die fühne Entschlossenheit, die Ausdauer und Beharrlichkeit des vorstorbenen Sir Gilbert, seines Vaters
Wie fonntet Ihr Euch so verbergen, Francesca? Ich Er wollte ihr das Packet abnehmen, das sie aus dem Laden gebracht hatte.
und Myra Barth's besaß, die ihn zu fördern vermochten, hatte suche schon seit Jahren nach Dir." Die Natur ihm auch die frankhafte Empfindlichkeit seiner Mutter,
Der Lady Barth verliehen.
Er war sehr schwermüthig, als er eines Nachmittags
Nein, nein," wehrte Francesca ab, ich bin jetzt daran geUnd ich nicht minder," sagte Rupert, es ihr entwindend.
früher als gewöhnlich das Komptoir verließ, um einen Auf- wöhnt, Padete zu tragen." trag bei einem italienischen Schiffskapitän zu besorgen. In trübe Gedanken versunken fehrte er durch Bischoygatestreet Und wie befindet sich Deine Mama?"
nach Hause zurüd, als seine Aufmerksamkeit sich auf eine junge Dame lenkte, die mit schnellen Schritten vor ihm herging. Ein Etwas in ihrer vornehmen Haltung und manches Wider Spruchsvolle in ihrer Erscheinung zog feinen Blid an. Sie be wegte fich wie eine Königin durch die Menge, aber fie hielt ein ziemlich großes Padet in der Hand. Ihr schwarzes Seidenfleib war alt und abgetragen, während ihr Shawltuch sehr loftbar schien, ihre Handschuhe waren von Baumwolle aber der
Sie ist wohl," erwiederte Francesca, aber ihre Heiterkeit war plöglich verschwunden.
Und wird fie fich nicht freuen, mich so unvermuthet wiederzusehen?"
Francesca antwortete nicht. Diese beiden so stolzen Frauen hatten sich und ihre Armuth so lange verborgen. Einem ehemaligen Freunde wieder zu begegnen mußte schmerzlich für sie sein. Rupert wurde besorgt und unruhig. Francescas erster Blid, ihr erster Ausruf hatten Freude
Hintertopfe zusammengesteckt waren, zeigte ein feines Spigen verrathen, aber jest war fie schweigsam und eher betrübt
ihre Waare anbot.
gewebe. Sie blieb vor einer Blumenhändlerin stehen, die ihr Die Tuberosen tosten nur zwei Pence, Fräulein. Es ist
icon spät, bitte laufen Sie die Blumen." Das junge Mädchen zögerte einen Augenblic, dann kaufte
Re den tleinen Strauß.
als froh.
Hatte sie ihn in diefen Jahren vergeffen, oder gar ein neues Band geknüpft, liebte fie vielleicht einen Anderen, oder war fle gar
Francesca," rief er verzweiflungsvoll ,,, bist Du etwa ver
heirathet?"
Frage schon mehrfach recht vernünftige Anwandlungen hat, schreibt über die Möglichkeit einer Allianz zwischen Frank reich und Deutschland folgendes:
"
,, Es wäre die Blüthe der europäi= schen Gesittung, wenn die gebildeten Nationen des Festlandes jeden Krieg unter einander für einen Bruderkrieg erkennen würden, wenn sie ihre getheilten, aber sich unterstützenden, Anstrengungen auf die Kultivirung der ungeheuren Länder= gebiete richten fönnten, die auf unserer Erde noch der Barbarei oder gar dem Wüstenzustand ver= fallen sind. Unsere Zeit hat so viele fern oder unmöglich geglaubte Ziele in die Nähe ihres Blickes tommen sehen, daß uns Lebenden vielleicht noch bes schieden ist, auch das eben genannte 3iel in einer ungeahnten wohlthätigen Nähe zu fehen."
Wenn dieser wahrhaft eble Aufschrei des konservativen Blattes auch unter der Herrschaft des Kolonialfiebers entstanden sein mag, so find wir doch vollständig mit demselben einverstanden und fügen nur noch hinzu, daß neben der Kultur, die entfernten Ländern gebracht, auch die Kultur im Innern, deren alle gebildeten Nationen des Festlandes" noch dringend bedürftig sind, dann endlich, wenn Frieden und Freundschaft die Nationen verbindet, in reichlichem Maße gehegt und gepflegt werden könnte.-
Aber durch bloße Freundlichkeiten zwischen den Regierungen wird ein solcher Zustand nicht hervorgerufen; auch wenn die gebildeten Nationen des Festlandes jeden Krieg unter einander als Bruderkrieg erkennen, werden diese Bruderkriege" doch nicht eher aufhören, bis die Nationen zugleich ihre Kriegsrüstung, ihre Waffen niederlegen- dann erst kann gegenseitiges Vertrauen erweckt, dann erst können ehrliche Freundschaftsbündnisse geschlossen werden.
Kolonieen und Reichstag.
Ganz am Schluffe der legten Seffion wurde unversehens die Kolonialfrage in den deutschen Reichstag hineingeschnellt, und eine längere Debatte veranstaltet, welche fich dadurch auszeichnete, daß sämmtliche Redner ohne Ausnahme lediglich BabIreben hielten, und daß folglich, da es sich blos um rhetorisch- agitatorische Effekte handelte, der Kern der Frage vollkommen unberührt und Alles schließlich hübsch in der Schwebe blieb.
Ein Beschluß wurde nicht gefaßt, und das Publikum war nach der Debatte genau so flug wie zuvor namentlich auch in Bezug auf die An- und Abfichten der Reichsregierung. Denn Fürst Bismarck hatte zwar zwei sehr lange Reden ges halten und in diesen zwei sehr langen Reden auch sehr viel
Francesca lachte fröhlich auf. Wer hat Dir diesen Unfinn in den Kopf gesezt?"
Die Eifersucht," erwiderte Rupert schnell. Du scheinst nicht sehr entzückt, mich wieder zu sehen, Francesca." Das Mädchen ging schweigend weiter.
Wohnt Jbr in dieser Gegend?" fragte Rupert. Ich werde Dich nach Hause begleiten, darf ich?"
Francesca gab wieder keine Antwort, aber ihre Stirn zog fich in Falten, und ihre Wangen bedeckten sich mit leisem Roth. An der nächsten Straßenbiegung blieb fie stehen. Wohnt Ihr im Bethnal- Distrikt, Francesca?" " Ja," erwiderte Francesca fleinlaut.
,, Ah! Auch ich wohne seit mehr als einem Jahre hier. Und wie merkwürdig, daß wir uns niemals begegnet find!"
Du wohnst hier, Rupert?" fragte Francesca in höchstem Erstaunen, und weiter schreitend musterte sie prüfend seinen Anzug. Er war sehr sauber und anständig gekleidet, aber seine Stiefel waren geflidt, er trug teine Haudschuhe und sein Ueberzieher sah aus, als wäre er schon vor mehreren Jahren gekauft worden. Ich glaubte, Du wärest in Bide," fuhr fie fort.
Lady Bide ist gestorben," sagte Rupert traurig. " Ja, das habe ich in der Zeitung gelesen, aber warst Du nicht ihr Erbe?"
Das sagte fie mir wenigstens noch kurz vor ihrem Tode, aber ihr Testament konnte nicht aufgefunden werden, es ist verschwunden, niemand vermag fich zu erklären, auf welche Weise, und so verließ ich das Schloß mit fünfzig Bfund in der Tasche und mit meinem Reisefoffer und meinen Kleidern. Ich bin jest Korrespondent in einem Großhandlungshause. Die Stelle ist nicht schlecht, aber es ist eine ziemlich unangenehme nnd ermüdende Beschäftigung. Meine Wohnung ist dort drüben in harestreet. Nun, schämst Du Dich noch mit mir zu gehen?"
Wir wohnen in Bird- Kagestreet," sagte Francesea herzlich." D, Mama wird sich sehr freuen, Dich wieder zu sehen. Du mußt zum Thee bei uns bleiben, wenn es Dir nicht zu ärmlich bei uns ist, denn wir verdienen unsern Lebensunterhalt burch allerlei Handarbeiten, größtentheils durch Stiden und Stricken, und das Packet, das Du unter Deinem Arm hrägst, enthält ein Kunstwert von mir, lieber Rupert."
Milly Wrigley würde in Thränen zerflossen sein, wenn fie Francesca gesehen und gehört hätte, und auch Ruper fühlte sich ins Herz getroffen.
Der