seinem gepreßten Herzen über die Enthüllungen dieser Artikel imReichstag unter dem Schutze der Immunität sich Luft zu machen,die den Abgeordneten verfassungsmäßig zusteht, hat eineNebenperson gegen den verantwortlichen Redakteur der„Franks.Zeitung" Strasantrag wegen Beleidigung gestellt. Es ist diesHerr Landgerichtsrath und Landtags-Abgeordneter Olzem inSaarbrücken, der lediglich herangezogen war, um den weitgehendenEinfluß Stumm'S zu illustriren. Obwohl Herr Olzem national-liberaler Abgeordneter war, hat er doch dem Frhr. v. Stumm, dener ursprünglich in der Wahlbewcgung bekämpfte, bestimmte Diensteerwiesen, nachdem er mit Hilfe Stumm'S Landtags-Abgeordneter geworden war. Es handelt sich dabei insbesondere um das Berhältnißzur„Saarbrücker Ztg.". die sich bekanntlich die Ungnade Stumm'szugezogen hatte, weil sie über einen Bortrag des Herrn PfarrerNaumann berichtete und„sogar" hinzugefügt hatte. Herr Nau-inann habe vielen Beifall gefunden. Da die„Saarbrücker Ztg."sich dem Stumm'schen Machtgebot nicht fügte, vielmehr eine ihrangebotene Subvention im Interesse ihrer Unabhängigkeitstandhaft zurückwies, kam es späterhin zur Gründungdes bekannten„Schleifstein", wobei Herr Olzem wiederholtim Sinne des Frhrn. v. Stumm thätig war. Dies hatteder Verfasser, jener Artikel kurz zusammengefaßt in einerBemerkung, die sich mit dem politischen Abhängigkeitsverhältnißdes»ationalliberalen Abgeordneten von dem sreikonservativcnFührer befaßte. Durch diese Charakterisirung fühlte sich Olzembeleidigt; er stellte Strafantrag aus§ 185 R.-Slr.-G„ wonachdas Gericht das Hauptverfahren gegen den damals zeichnendenRedakteur der„Frkf. Ztg.", C. G. R Oeser, beschloß. Die Ver-Handlung sollte vor einer Frankiurter Straikammer statt-finden. Bertheidiger des Angeklagten war Herr JustizrathDr. Neukirch. Der Angeklagte hatte sich schon vorherbereit erklärt, den Beweis der Wahrheit anzutrete»und dafür eine Reihe von Thatsachen und Zeugen benannt.Der Gerichtshof kam nach längerer Verhandlung zu der Ueber-zeugung, daß die Verhandlungen ohne Erhebungen über das vondem Angeklagten angebotene Material, von dem erst ein kleinerTheil zur Besprechung gelangt ist, nicht zu Ende geführtwerdest kann. Er beschloß Vertagung und Vernehmungder namhaft gemachten Schntzzeugen. Dabei soll auch darüberUntersuchung erhoben werden, wie das Verhalten des Zeugen inder nationalliberalen Partei aufgefaßt wurde. Es liegt hierfürbekanntlich ein Herrn Olzem von 700 nationalliberalen Wählernin aller Form ausgestelltes Mißtrauensvotum vor. das ihmgleichfalls bescheinigt, er habe sich durch sein Verhalten in derSchleifstein-Affäre„in vollen Widerspruch gesetzt zu der Unab-hängigkeit nationalliberaler Abgeordneter". Da die Mehrzahlder Zeugen sich in Saarbrücken befindet und deshalb ihre kom-missarische Vernehmung nöthig ist, wird die Schlußverhandlungerst in einiger Zeit fein können.—Montjoie, 20. Oktober. Amtliches Wahlrefultat.Bei der heute im ersten Wahlbezirk des Regierungsbezirks Aachenstattgehabten Landtags-Ersatzwahl für den WahlkreisSchleiden, Malmedy, Montjoie wurden insgesammt 230 Stimme»abgegeben. Dabei erhielten Oberpfarrer Dr. Pauli(Zentrum)117 und Bürgermeister a. D. Dr. Würmeling(Zentrum)113 Stimmen. Elfterer ist mithin gewählt.Interessant an dieser Nachwahl in einem der sicherstenZentrumS-Wahlkreise ist der Bruderkampf der beiden Zentrums-kandidaten.—— DaS sächsische Kriegsministerium erläßtfolgende Bekanntmachung:„ES wird hiermit zur allgemeinen Kenntniß gebracht, daßden Unteroffizieren und Mannschaften dienstlich ver-boten ist: l. jede Betheiligung an Vereinigungen,Versammlungen, Festlichkeiten, Geldsammlungen, zu dernicht vorher desondere dienstliche Erlaubnißerthetlt ist, 2. jede dritten erkennbar gemachteBethätigung revolutionärer oder sozialdemokratischerGesinnung, insbesondere durch entsprechende Aus-rufe, Gesänge oder ähnliche Kundgebungen, 3. das Haltenund die Verbreitung revolutionärer oder sozialdemo-kr a tisch er Echrrften, sowie jede Einführung solcherSchriften in Kasernen und sonstige Dienstlokale. Fernerist sämmtlichen Angehörigen des aktiven Heeresdienstlich befohlen, von jedem zu ihrer Kennt-niß gelangenden Vorhandensein revolutio-närer oder sozialdemokratischer Schriften inKasernen oder anderen Dien st lokalen sofortdien st liche Anzeige zu erstatten. Diese Verbote undBefehle gelten auch für die zu Uebungen eingezogenen und fürdie zu � Kontrollversammlungen einberufenen Personen desBeurlaubtenstandes, welche gemäߧ 6 des Militär-Strafgesetz.buchs uud§ 33E 1 deS Reichs-Mililärgesetzes bis szum Ablaufdes Tages der Wiederentlassung bezw. der Kontrollversammlungden Vorschriften des Militär-Strafgesetzbuches unterstehen."Aehnliche Verordnungen sind außerhalb des Bereiches deskgl. sächsischen Armeekorps schon früher erlassen worden. Wirhaben schon damals darauf hingewiesen, daß die Erziehung zurDenunziation uns schlecht mit der vielgerühmten Charakter-bildung im Heere zu stimmen scheint.—— Auch die sächsische LandeSsynode hat sichgegen die Bctheiligung der Geistlichen als Agitatoren und Führervon sozialpolitischen Bewegungen erklärt.—— Zur Handwerker. Vorlage ist zu berichten, daßder Vorstand des Zentral-Ausschnsses der vereinigten Jnnungs-verbände den Handelsminister Brefeld über seine Stellung zu derVorlage interpellirt hat. Er erklärte gleich seinen Vorgängernim Amte, nach Möglichkeit den Wünschen des Handwerker-standes entgegenkonimen und für die Organisations-Vorlage,welche aller Voraussicht nach noch in diesem Jahre dem Reichs-tag werde vorgelegt werden können, mit voller Kraft eintretenzu wollen.Etwas allgemein und nicht allzu verbindlich klingt die Notiz.Weimar, 20. Oktober. Der heutigen Sitzung desdeutschen Gewerbekam mer-Tages wohnten Geh.Regierungsrath Wilhelmi vom Reichsamt des Innern, sowieGeh. Regierungsrath Slevogt und Oberbürgermeister Pabst, beideaus Weimar, bei. Die Versammlung erklärte sich mit demGrundprinzip des Entwurfs der Handwerker- Organisation aufder Basis der Zwangsinnungen einverstanden. Dafür sprechensich u. a. aus: Bremen, Chemnitz, Dresden, Hamburg, Leipzig,Lübeck, München, Plauen, Würzburg, Weimar, Zittau; dagegenLudwigshasen. Nürnberg und Stuttgart.Aus Gotha wird berichtet, daß aus Befehl des Herzogseine Verordnung erlassen worden ist, wonach aus-ländische(nicht reichsan gehörige) Arbeiter,wenn sie in landwirthschaftlichen, forstwirthschaftlichen und ingewerblichen Betrieben des Herzogthums Beschäftigung an-nehmen, binnen 1ä Tagen nach dem Eintritt in die Arbeit ihreStaatsangehörigkeit durch Bescheinigung einer öffentlichen Be-Hörde nachzuweisen haben. Zuwiderhandlungen werden mitGeldstrafen bis zu 60 M. bestraft.Welche Polizeiweisheit mag sich hinter dieser Verordnungverbergen?Mainz, 10. Oktober.(Eig. Ber.) Mit welchen Mittelnman uns hier das Reichstagsmandat zu entreißen gewillt ist,zeigt folgender Vorgang. Die hiesigen kalholischen Schwesternvom heiligen Franziskus sind ob ihrer Thäligkeit als Kranken.Wärterinnen in weiten Kreisen beliebt, da sie ihre Tdäligkeitohne Rücksicht auf die Konfession der Kranken ausüben. Währenddes Wahlkampfes jedoch scheinen sie, jedenfalls auf geistlichenZuspruch, auch politisch thätig sein zu wollen. Kamda dieser Tage eine Krankenschwester mit ihrer Sammel-büchse i» der Hand an die Thüre eines unserer Partei-genossen, um sich einen kleinen Beilrag zu holen. Dabei vergaßsie aber nicht, die Frau zu fragen, ob ihr Mann auch wählendürfe und mahnte, als dies bejaht wurde, doch ja dahin zuwirken, daß ihr Mann dem Kandidaten des Zentrums seineStimme gebe. Sie wollen dann sehen, was sich sür die beidenKinder thuen lasse. Unser Genosse, als er diese saubere Agitationerfuhr, setzte sofort die Redaktion unseres Partei- Organ? inKenntniß und auf deren Rath schickte er, wenn auch wider-strebend, seine Frau in das Kloster, um den Beweis dieserunsauberen Agitation in Händen zu haben. Was brachte siezurück? Zwei alte geflickte Kinderhöschen nebst einem Jäckchen.Und für diese alten Lappe» soll der Arbeiter sein höchstes Recht,sein Wahlrecht preisgeben. In dem Redaktionslokal der„MainzerVolkszeitung" sind nunmehr die Gegenstände als Argumenteultramontanen Stimmenfangs zu jedermanns Einsicht ausgestellt,um alsdann an die Spenderin ins Kloster zurückgeschickt zuwerden. Ja, ja, der Zweck heiligt die Mittel.—— Die Folgen des M i li tariS muS haben die Be-wohner der schwäbischen Alb des Oberamts Münsingen nunam schwersten zu verspüren. Nachdem ihre Grundstückeseitens des Militarismus zu dem großen Exerzierplatz aufgekauftivurden, stehen die Bauern nun arbeitslos und theilweise mittel-los da, da sie die auf den Grundstücken lastenden Hypothekenablösen mußten. Wie uns aus Böttingen gemeldet wird, ivarkürzlich Pastor Arnold aus Danzig daselbst anwesend, um imNamen der ostpreußischen Ansiedelungs-Kommission die Bauernzur Auswandemng und Ansiedelung nach Ostpreußen an-zuregen. Tie Leute sind aber wieder dadurch an dieScholle gefesselt, daß ihnen der Militärmoloch wohl ihreGrundstücke abgekauft, aber ihre Häuser gelassen hat, welchletztere ihnen niemand abkaufen will, da in dortiger Gegendkeine Industrie und jetzt auch kein bebaubares Feld vorhandenist.— So fördert der Militarismus den Bauernstand.—— Die Broschüren von Personen, die sich aus irgendeinem Grunde bei der württembergischen Regierung oder sonsteiner Behörde mißliebig gemacht haben, vermehren sich von Wochez» Woche. Der wegen seiner Meinungsäußerung gemaßregeltePfarrer Fr. Strudel veröffentlicht eine Broschüre, betitelt:„Meine Abrechnung mit der württembergischen Landeskirche":außerdem brachte der frühere Gymnasialvikar H e r t l e i n eineBroschüre auf de» Markt detitelt:„Meine Gegenwehr gegen dieSchulbureaukratie, zugleich Beleuchtung einiger wichtiger Fragendes höheren Schulwesens". Die Fälle Steudcl und Hertleinbrachten wir seinerzeit im„Vorwärts" zur näheren Kenntniß.—— Die Mannheimer Nationalliberalen sindnun bei den Stadtverordnetenwahlen gründlich geschlagenworden. Auch in der Abtheilung der Höchstbesteuerten sielenihre Kandidaten durch.—— Major v. Miß mann soll nicht mehr nach Afrika zurück-kehren. Gouverneur v. Wißmann gehörte, gemessen an den Leist,Wehlan und Peters, zu den sympathischen Gestalten unserer Kolonial-leute, so daß sein Abgang bei dem völlige» Mangel an geeignete»Kolonialbeamten bei allen uneigennützigen Vertretern der deutsche»Kolouialpolitik das lebhafteste Bedauern erwecken wird. ObgleichWibmann's Gesundheit durch den langen Aufenthalt unter denTropen sehr schwer gelitten haben soll, sind es nicht Gesuudheits-rücksichten, die seinen Rücktritt veranlaßt haben. Man istes aber der Oeffentlichkeit schuldig, ihr die Gründe der DemissionWißmann's offen darzulegen. Ein wenig mehr Licht kam jadurch Dr. Kayser's bedeutsame Erklärungen in das Dunkel unsererKolonialpolitik, weitere Aujklärungen über die Verhältniffe inDeulsch-Afrika werden aber nur von Vortheil sein, mögen dieSchröder, Arendt, Peters und ihr Anhang auch über solche Er-klärungen noch so sehr wehklagen.—Frankreich.PariS, den 19. Oktober. Der letzte Sonntag brachte zweigroße politische Reden.(Siehe die gestrige Nummer.) Ministerdes Innern B a r t h o u sprach in seiner Geburlsstadt Oloronin Slldfrankreich, der frühere radikale Ministerpräsident LöonBourgeois in Carcassonne. Herr Barlhou berührte zunächstdie jüngsten Ereignisse und in Sonderheit die Beleidigungssachezwischen ihm und dem Herausgeber der„Lanterne" und gingdann zu der politischen Lage über und zu derjenigen desMinisteriums gegenüber dem Wiederzusammentritt des Parla-ments. Er nahni das Kabinet Meline gegen de» Vorwurf inSchutz, daß es mit der Rechten und den Klerikalen paktire, underklärte, daß die Minister unentwegt eine Politik ver-folgen würden, die ebenso weit vpn der Reaktion als von derRevolution entfernt sei. Sodan» wendete sich Herr Barthougegen das Programm der Radikalen und des MinisteriumsBourgeois. Er setzte die Mängel und Fehler der von dieserPartei verlangten Reformen auseinander und besonders diejenige»der Finanzkombinationen des früheren Ministers Doumer undder Revisionsvorschläge Bourgeois. Gleichzeitig bekämpfte derMinister die sozialistischen Theorien des Herrn Jaurös und die-jenigen der Kolleklivisten. Schließlich sprach er sich auch überdie Pläne des Kabinets näher aus und theilte mit, daß dasMinisterium Meline zu Beginn der Wintersession zunächstein die Errichtung einer Kolonialarmee betreffendes Projektvorlege» werde, welches die endliche Verwirklichung einer schonzu lange aufgeschobenen Einrichtung ermöglichen soll. Daranwird sich eine Reform des Hypothekenwesens anschließen, welchedie Besitzer von den unmoderne» Formalitäten zu befreien be-zweckt. Auch die Gerichisbarkeit wird reorganisirt, die Vereineund Wahlkörperschasten solle» größere Vorrechte erhalten. DiePräfekturrälbe werden abgeschafft und an die Stelle dieser be-raihenden Versammlungen der Departements treten 18 großeRegionsräthe.— Die Quintessenz der Rede Löon Bourgeois'war die Verfassungsrevision, und zwar denkt sich derfrühere Ministerpräsident dieselbe alseine beschränkte. Erlegte dar, auf welche Weise eine solche in absehbarer Zeitzu erreichen sei, und erklärte für die erst« Bedingung, daß derSenat eine demokraiische Majorität erhalten müsse. DessenMachtbefugnisse niüßtc» mehr begrenzt werben und sowohl infinanziellen Angelegenheiten wie in gesetzgeberischen müsse derKammer das letzte Wort gelassen sein. Ueberhaupt dürften dieMinister nur gegenüber der Kammer, also gegenüber den direktenVertretern des souveränen Volkes, verantwortlich gemacht werden.Sowohl in der Kammer ivie im Senat müsse man auf eineresormatorische Majorität hinarbeiten. Es würde der Mühenicht verlohnt haben, die Republik in Frankreich einzuführen,wenn die Republik nicht die definitive Einsetzung der Demokratiein Institutionen, Sitten und Gesetzen zum Zweck habe.So schreibt man unS aus Paris. Die Beleidigungssache,von welcher Herr Barlhou spricht, betrifft die Anklagen, welcheder Redakteur der„Lanterne", Carnudet, gegen ihn erhoben, unddie er einem Eh'.engericht vorgelegt hatte. Dort hat er aller-Vings bewiesen, daß er die Spitzbübereien, die ihm vorgeworfenwurden, nicht verübt hat. Allein damit ist sein sehr, sehr langespolitisches Sündenregister nicht entlastet worden.Die Kolonialarmee, von der Herr Barthou träumt, wirdihm und seinen Kollegen wohl den Hals kosten; denn dieseArmee soll in Madagaskar verwandt werden, wo die Lagefür die Franzosen so schlimm geworden ist, wie für die Spanierin Kuba. Und da Herr Meline und seine Parteigenossen an derKolonialpolitik schuld sind, so werden sie auch die Strafe zutragen haben.Die Rede deS Herrn Bourgeois war herzlich unbedeutend.Es war eine Rede, um etwas und nichts zu sagen. Vor demKamps legt man die Karten nicht aus den Tisch.—— Ein unfreiwilliger Witz deS Zaren. DerZar schenkte der Pfarrkirche von Chatellerault, dessen Waffen-fabrik dem russische» Heere 500 000 Gewehre lieferte, eine Glockemit der von ihm selbst bestimmteu Inschrift:„Läute Frieden undVölkerverbrüderung."Die Wassenfabrikanten in Chatellerault werden ob dieserWidmung dem Zaren nicht allzusehr gram sein, denn sie glaubenja doch nicht, daß es ihrem besten Kunden mit dieser Friedens-drohung allzu ernst ist.—Italien.Rom, 17. Oktober.(Eig. Ber.). Während in den sizilischenSchwefelgruben-Distrikten der Ausstand noch immer fortdauert,weil die Grubenbesitzer sich trotz der gestiegenen Schwefelpreisezu keine» oder doch nur ungenügenden Lohnerhöhungen herbei-gelassen haben, hat sich die sozialistische Partei in Sizilien, diesich in der letzten Zeit in eine revolutionäre und eine gesetzlicheFraktion gespalten hatte, wiederum zu einem ganzen vereinigt.De» Anlaß dazu hat die in neuester Zeit von dersizilischen Landesregierung eingenommene gegnerische Haltunggegen die Sozialisten gegeben. Während nämlich das Landes-Ministerium sich zwar der ausständigen Schweselarbeiter bis zueinem gewissen Grade annahm und zu deren gunsten zu ver-mittel» suchte, und während es bei der Zentralregierung Anträgewegen Verbesserung der ländlichen Arbeitskontrakte stellte, verbotes doch gleichzeitig eine sozialistische Delegirtenversammlung inCorleone, die sich gleichfalls mit der Frage der Ackerbaukontraktebeschäftige» wollte. Ohne ein günstiges Berhältniß zu den Sozia-listen wird aber weder die Landes-, noch die Zentralregierungstark genug fein, in Sizilien ernsthaste soziale Reformen durchzusetzen.Es war der früher von de» Crispi'schen Militärgerichten ver-urtheilte, unter der jetzigen Regierung amnestirte Sozialisten-führer Barbato, welcher in Palermo die Versöhnung� zwischenden„revolutionären" und den parlamentarischen Sozialistendurchsetzte, indem er ausführte, daß die Revolutionäre, angesichtsder llnreife des arbeitenden Volkes, es keineswegs binnen kurzerFrist aus eine revolutionäre Erhebung abgesehen haben können;und daß andererseits auch die„Parlamentarischen" sich nicht derIllusionen hingäben, alles aus rein parlamentarischem Wege zuerreichen. Die tiefe Verderbniß der in den sizilischen Gemeindenherrschenden Bourgeoisie, wie sie neuerdings wieder in dem immergrößere Dimensionen annehmenden finanziellen Krach der Ge-meinde Palermo hervortritt, dürfte der Regierung die Roth-wendigkeit nahelegen, sich mit dem einzige» unverdorbenen Be-völkerungselement der Insel, dem Arbeiterstand, wie er in dersozialistischen Partei organisirt ist, auf guten Fuß zu stellen.—In Florenz hat ein Kongreß der italienischenCooperativ-Ge nossenschaften stattgefunden. Indiesen Genossenschaften sind bisher sozialistische und nicht-sozsalistische Elemente»eben einander her gegangen, diesozialistischen vornehmlich in den auf die Uebernahme öffent-licher Arbeiten gerichteten Genossenschaften, die nicht-sozialistischen vorzugsweise in den Spar- und Vorschuß-vereinen vertreten. Ein Antrag des sozialistischen Parlaments-Abgeordneten Agnini, alle diese Genossenschaften unter dieLeitung eines Ausschusses der Arbeiter-Konsulate zu stellen, stießans Widerstand, wusde aber schließlich angenommen. Bei demMangel an privater Industrie in Italien haben die zur Ueber-nähme von Arbeite» gegründeten Genossenschaften sich wesentlichdarauf beschränken müssen, öffentliche, also Staats- oder Gemeinde-arbeiten in Akkord zu nehmen. In den Verhandlungen wurdenalso vorzugsweise die Mißstände betont, welche durch die Ver-gebung öffentlicher Arbeiten an Privatunternehmer anstatt anGenossenschasten herbeigeführt werden.—— Ein neuer Crispi-Skandal beschäftigt dieitalienische Presse. Die„Gazzetta Piemontese", der„Secolo"und andere Blätter behaupten, der verhaftete MillionendiebMartinez, der Schatzmeister der Sladt Palermo, habe vor Jahres-frist das Kommandeurkreuz des Kronenordens um 300 000 Fr.von Crispi gekauft.—Schweden.— Handelsvertrag. Dem Christianier„Morgen»bladet" zufolge sind die norwegischen und schwedischen Mitgliederder Kommission zur Vorberathnng des schwedisch- norwegischenHandelsvertrages damit einverstanden, daß ein neuer Vertragabgeschlossen iverden muß; indessen ist eine Einigkeit über ver-schiedene Einzelheile» dieses Vertrages noch nicht erzielt worden.Nach dem vorläufigen Enlivurf soll der Vertrag sich auf Zoll-f r e i h e i t gründen; jedoch sind hiervon industrielle Pro-dukte und verschiedene landwirthschastlicheErzeugnisse ausgenommen.— Militärische Anforderungen. Die schwedischeRegierung beabsichtigt, vom Reichstage bei Gelegenheit der nächstenSession größere Kredite zu verlangen, und zwar 10 Millionensür den Bau eines Panzerschiffes, serner größere Beträge fürTorpedoboote und Kreuzer, sowie etwa 6 Millionen zur Einleitungeines größeren Festungsbaues in Norbotten.—Ruhland.— Die russische Regierung und die An-Hänger von Tolstoi. Die»topistische Lehre von Tolstoiüber das Ueberwinden der soziale» Uebelstände mittels lediglichpassiven Widerstandes, welche selbst ein charakteristisches Produktdes Lebens des russischen Volkes ist, welches in seiner grobenMajorität unter so rückständigen ökonomischen Verhältnissenlebt, daß es nicht im stände ist, sich zu einem planmäßigenaktiven Widerstande gegen den bestehenden Gesellschasts«zustand aufzuraffen, findet in der letzten Zeit selbstmancherorts Anklang im Volke, welchem sie eine Formelgiebt sür Anschauungen und Bestrebungen, die in ihm durch dietraurige russische Wirklichkeit wachgerufen worden sind. Sowurde die Lehre des Tolstoi von den Duchoboren auf demKaukasus akzeptirt, in der letzten Zeit findet sie Verbreitungunter den Etundisten, wie auch bei anderen Elementen ans demLande, sür welche die Akzeplirnng dieser Lehre das Erwachenvon einer dumpfen Resignation und vollständig unbewußtemVerhalle» der Unigebung gegenüber bedeutet.Dieser Unistand, wie auch die scharfen Angriffe, welcherTolstoi in seinen letzten Schriften die russischen Verhältnisse aus-setzt, veranlaßt die russische Regierung, der Ausbreitung derAnschauungen von Tolstoi in der letzten Zeit ihr besonderesAugenmerk zuzuwenden und im Auftrage von Pobcdonoszew wirdgegenwärtig eine Zusammenstellnng aller Stellen in denSchriften von Tolstoi mit anarchistischem Charakter gemachtmit dem Zwecke, bei Nikolaus II. auf grund derselben die Aus-Weisung des Grafen Tolstoi ins Ausland zu beantragen.Die Repressalien der russischen Regierung gegenüber denDuchoboren, diesen Tolstoisten aus dem Volke, wurden seiner-zeit im„Vorwärts" geschildert. Wir wollen hier noch eine un-menschliche Maßnahme festnageln, welche einem der energischstenPropagandisten der Lehre von Tolstoi, dem Fürsten Chilkow(einem Verwandten des Ministers der Kommunikalionswege)gegenüber getroffen wurde. Chilkow war zuerst nach demKaukasus verbannt worden, wo er einen ernsthaften Einfluß ausdie Duchoboren ausübte, welche er in den Kreis der Tolstoi'schenAnschauungen einzog. Infolge dessen ist er später nachdem esthländischen Gouvernement(in den Ostseeprovinze»)verbannt worden. Chilkow hielt es nicht sür vereinbarinit seinen Anschauungen sich kirchlich trauen zu lassen(einestandesamtliche Trauung giebt es in Rußland nicht) und seinein„ungesetzlicher" Ehe geborenen Kinder ließ er nicht taufen.Die Mutter von Chilkow, eine einflußreiche Hofdame, erzielte inden letzten Jahren der Regierung Alexander III. einen Ukas,welcher ihr gestattete, mit Hilfe der Polizei ihrem Sohne dieKinder wegzunehmen. Nachdem sie dies ausführte, ließ sie dieKinder taufen, sie bekomm den Namen der Fürsten Chilkow unddürfen ihre Ellern nicht mehr sehen. Nach dem Regierungs-antritte des Nikolaus II. schrieb diesem Tolstoi einen scharfenBrief, in welchem er gegen die empörende Rücksichtslosigkeit derGefühle einer Mutter gegenüber Protest erhob. Nikolaus schriebaus dem Briese des Tolstoi die folgende Resolution nieder:„Diekaiserlichen Guadenerweisungeu werden nicht rückgängig gemacht,