Sein Komplize, der friihere Schreiber Werner soll sich bisvor kurzem tadellos geführt habe», dann aber in schlechte Gesell-schaft gerathen seien. Er lebte bei feiner Mutter, die Wittwe ist,und seil 5 Jahren Georgenkirchstr. S3 wohnt. Schlechten Verkehr hater nach der Angabe seiner Mutter nicht gehabt, da er stets mit ihrausging. Wie die Mutter, so traute auch der Hauswirth demIleinen unscheinbaren Burschen, den er genau zu kennen glaubte,eine schlechte That nicht zu, am wenigsten einen Mord oderdie Anstiftung dazu. Dagegen hat der Hauswirth wohldie Burschen, mit denen Werner gelegentlich wohlzusammentraf, wenn sie auf der Straße herumstanden, derSchandthat fähig gehalten. Er hat auch der Kriminalpolizeivon seinen Wahrnehmungen Mittheilung gemacht und diese istdenn auch in der angedeuteten Richtung nach thätig. Wo ihrSohn seit dem IL. d. M. geblieben ist, weiß Frau Werner nicht.Ihre Wohnung wird von Kriminalbeamten überwacht.Ein schwerer Mißgriff ist, wie berichtet wird, derKriminalpolizei passirt. Die 19jährige Tochter einer achtbarenBeamtenfamilie S. mußte in letzter Zeit des öfteren die Hilfeeines in der Chausseestraße wohnhasten Zahnarztes in Anspruchnehmen. Ende voriger Woche, morgens früh um Uhr,erschien nun ein Kriminalbeamter in der Wohnung desHerrn S.. um dessen Tochter zu sprechen. Als dieseherbeigerufen worden, ersuchte sie der Beamte, einige vonihm beschriebene Kleidungsstücke anzulegen und ihm nach demPolizeipräsidium zu folgen. Alle Vorstellungen derbestürzten Eltern, daß ihre Tochter infolge der Zahuoperationennoch leidend sei zc. blieben fruchtlos und der Beamte hatte aufdie Frage der Eltern, wessen sich ihre Tochter schuldig gemachthaben solle, nur die ausweichende Antwort: er wisse das nicht,er habe von seinem Vorgesetzten, Kriminal- KommissariusSchmidt, den Auftrag, das junge Mädchen vorzuführen. Esblieb schließlich nichts weiter übrig, als dem Beamten zu„folgen". Die Tochter kleidete sich„vorschriftsmäßig" an undfuhr mit ihrem Vater in Begleitung des. Kriminalisten nach demPolizeipräsidium, woselbst die Tochter in Abwesenheit des Vatersvernommen wurde. Man fragte, ob sie eine FrauZk., welche in demselbenHause, wo der Zahnarzt wohnen solle, besucht habe. Als dasjunge Mädchen verneinte, hielt man ihr vor, daß sie doch injenes Haus öfter gegangen und an einem bestimmten Tage nochdurch ihr leidendes Aussehen besonders aufgefallen sei. Die Ver-nommene erzählte nun, was sie dorthin geführt und bemerkte,daß sie an dem fraglichen Tage wohl infolge einer C h l o r o»form- Narkose so angegriffen ausgesehen habenmöge. Darauf gestand man mit wohlwpllendem Lächeln ein.daß ein Jrrthum vorliege und die„Sache"nunmehr ausgeklärt sei. Dem später vorgelassenenVater wurde noch erzählt, daß jene Frau X. polizeilich observirtwerde, weil sie gewissen„Dame«"Unterschlupf gewähre.Mit dieser„Genugthuung" mußten sich die schwergekräuktenEltern, denen die 19 jährige Tochter früh 7V, Uhr unter solch'schimpflichem Verdachte aus der Wohnung abgeholt wurde,zufrieden geben. Bezeichnend ist besonders der Umstand, daßdie Geheimpolizisten, die die Schuld an dem„Mißgriff" trifft,es für erwiesen erachteten, daß das junge Mädchen, weil siedas betreffende Haus betreten, nur nach der imdritten Stockwerk des Hinterhauses wohnenden Frau X.—zu keinem anderen Hausbewohner— gegangen fein mußte!Darauf basirte dann das oben geschilderte Vorgehen der Beamten!Wie die Wirthe die Gesundheit ihrer Kellnerinnenruiniren, davon wisse» bürgerliche Blätter wieder einmal aller-Hand zu erzählen. Wenig Nutzen, so wird berichtet, hat die nunschon einige Jahre bestehende Polizeiverordnung für die Schank-wirthschaften mit weiblicher Bedienung mit sich gebracht. DieUebelstände, die sie treffen wollte, bestehen nach wie vor in vollerBlüthe, nur in einer etwas andere» Form. Die Benutzungder zum theil noch sehr jungen Mädchen zur Ausbeutungder Gäste und die gesundheitliche Schädigung der bedienende»Mädchen durch übermäßiges Trinken haben nicht nur nichtaufgehört, fondern nicht einmal abgenommen. Der einzige Unter-schied gegen früher ist nur der, daß die Mädchen die Getränkenicht mehr bei den Gästen sitzend, sondern stehend oder abseitsvon, Tische des Gastes sitzend zu sich nehmen.„Animirt" wirdheute noch so gut wie früher, nur in etwas vorsichtigerer Weise.Wie weit manche Wirthe gehen, zeigt folgender Fall. Als voreinigen Tagen ein Mädchen, das gerade ein schlechtes Revier ge-habt, dem Wirthe abends 1b M. brachte, wurde eS mit denWorten:„Mit einer solchen Kasse wagen Sie sich zu mir!" an-gefahren und war damit auch seine Stellung los. Unddoch hatte das Mädchen die Hälfte des Umsatzes nochselbst getrunken. Dieses System besteht erklärlicherweisegerade in den„befferen" Stadtgcgenden und in Wirthschaftenmit besser gestellten Gästen. Hier sieht man denn auch diemeiste» betrunkenen Kellerinnen. Hierbei spielt der Kognak dieHauptrolle, weil er am meisten abwirft und daher mit Vorliebeverabreicht wird.Die Ausbentung der OmnibuSbeamten. Die Folgenübermäßiger Anstrengung zeigen sich so recht bei den Omnibus-kutschern und Schaffnern, die zuweilen IS— IL Stunden ununterbrochen im Dienst sind. Oester schlafen die Schaffner, welchevon Passanten zum Halten des Wagens angerufen werden,während der Fahrt auf dem Hinterperron stehend, sodaß sie denZuruf nicht hören, wie mir das täglich beobachten können. Wieoft kommen Zusammenstöße je. mit Omnibuswage» vor, dielediglich auf die Schläfrigkeit— infolge überlangen Dienstes—der Kutscher zurückzuführen sind. Dieser gemeingefährliche Zu-stand wird wahrscheinlich nicht eher beseitigt werden, als bisman bei Unglücksfällen die eigentlich Schuldigen, nämlich dieDirektoren vor den Strafrichter bringt.A«S der Urania.„Japan, im Lande der aufgehenden Sonne".Die beiden neuen Vorträge, deren erster heute in der„Urania"in der Jnvalidenstraße zum ersten Male gehalten werden wird,sind auf Grund mehrfacher Reisen dorthin von Dr. med. Bayardverfaßt. In ansprechender launiger Weise führt derselbe an zweiAbenden den Zuschauer„Von den Felsengestaden des Hongkonsdurch den Stillen Ozean in das Blumenparadies von Japan" und„Quer durch das Reich des Mikado". Diese mit prachtvollenProjektionsbildern ausgestatteten Borträge werden Gelegenheitgeben, einen genauen Einblick in das ferne Jnselreich des Ostenszu thun, welches gerade jetzt nach siegreichem Feldzug gegenChina im Vordergrunde des Interesses steht. Der zweite Bor-trag wird am Freitag zum zweiten Male gehalten werden.Eine Jubelfeier, die charakteristisch für das Kunst-empfinden eines übergroßen Theils des Berliner Publikums ist,wurde am Sonnabend im Olympia-Riesentheater begangen.Man führte das Ausstattungsstück, das seit Anfang Mai tägltchzweimal eine nach taufenden zählende Kostgängerschaar herbei-lockt, zum dreihundertsten Male auf. Auch bei der Festvorstellungwar der große Musterstall barbarischer Geschmacklosigkeit fast bisaus den letzten Platz gefüllt und bei jedem besonders glanzvollenKniff durchtoste Beifallgetrampel das Haus. Die Regie hatteaber auch daS menschenmögliche gethan, um die Aufführungeffektreich zu gestalten. Es schien im ersten Bilde, als ob nichtPagen, sondern Handlungsgehilfen die ungewöhnlich langeSchleppe der Königin mit dem Rufe ausbreiteten: Sehen Sie,meine Herrschaften, echte Seide, kostet vier Mark das Meter mitdrei Prozent Rabatt für Baarzahlung. Wunderhübsch machte essich auch, als mitten im Spiel einige Leute in Livreen nachneuesteni Schnitt den Hauptakteuren vertraulich Kränze in dieHand drückten, und noch schöner war es, als die Geschäftsleiterselber auf der Bühne erschienen und jede der Balleteusen miteinem Blumenbouquet beglückten. Kurzum, es war großartig!Bevorstehende Eisenbahnbauten. Dem Landtag wird imkommenden Winter eine Vorlage wegen des BaueS eine? drittenund vierten Geleises der Anhalter Bahn zugehen. Voraussichtlichwird dem Landtag gleichzeitig mit dieser eine zweite Vorlagewegen der Ueberleitung ihres Vorortsverkehrs nach dem Pots-damer Bahnhof vorgelegt werden. Die Kosten der Ueberleitungwerden etwa 800 000 Mark mehr betragen, als wenn für denVorortverkehr der Anhalter und Dresdener Bahn ein eigenerVorort-Bahnhof außerhalb-des Anhalter Hauptbahnhoss errichtetwürde.Während die Kanalisation in anderen Großstädtcuvielfach, so namentlich in Paris und Wien, eine ungeheure Ver-»lehrung der Ratten und damit eine große Plage für die An-wohner zur Folge gehabt hat, ist nach den in Berlin angestelltenBeobachtungen nunmehr kein Zweifel, daß die BerlinerKanalisation wie eine große Rattenfalle wirkt und zwar infolgeeiner Einrichtung, die man keineswegs für diesen Zweck angelegthat. Die in unsere» Kanälen angebrachten Sperrventile, welcheein Rückstauen des Wassers bei großen Regenfällen und einAussteigen desselben in die Hausrohrleitung verhindern, be-reiten auch den Ratten den Untergang. Diese suchen gern dieEinfallschächte auf. gerathen dort in das fließende Wasser undda sie gut schwimmen und ziemlich weil springen, so würden siean trockenen Stellen der Röhrenleitung sich aufhalten, wenn sieaus den Einfallschächten in die Röhrenleitung gelangen könnten:dies ist aber wegen der Sperrventile, die sich bei jedem Drucke vondem Einfallschachte her schließen, nicht möglich. Die in dasKanalrohr gelangte Ratte muß also dem Laufe des abfließendenWassers folgen, das desto größer wird und desto heftiger strömt,je mehr sie sich den großen Kanälen nähert. Da sie auf derweiten Schwimmfahrt keinen Ruhepunkt findet, so gelangt siejedenfalls nur als Leiche in eines der großen Sammelbassins aufden Pumpstationen. Ans Anfragen anderer Städte, die infolgeihrer Kanalisations-Anlage» von einer großen Rattenplage heim-gesucht werden und in Berlin anfragten, ob sich hier die gleicheErscheinung zeige und was man dagegen unternehme, wnrde dieAufmerksamkeit der Stadtverwaltung auf diese Angelegenheitgelenkt. Selbst Orte, die früher stark von Raiten heimgesuchtwurden, so z. B. die Brunnenkeffel einzelner Straßenbrunne»,sollen jetzt von diesen Schmarotzern frei sein.Selbstmord eineö KiudeS! Aus Furcht vor Strafe hatsich am Montag Nachmittag das 12 Jahre alte SchulmädchenFrieda Stock aus der Reinickendorserstr. Ltd vergiftet.Das Kind war der Schule ohne Grund ferngeblieben, die Mutterhalte Nachricht davon erhalten und wollte die nachlässigeTochter züchtigen. Ehe es aber dazu kam, ergriff Frieda Stockin der Wohnung ein Gesäß mit Karbollösung und trank davoneine große Menge. Schiver krank wurde das Kind abends gegen10 Uhr nach einem Krankenhaus gebracht, wo es heute Morgenum 3 Uhr gestorben ist.Bon einem Wagen der elektrischen Strastenbah» wurdevorgestern Abend der ui der Skalitzerstraße 24 wohnende RentierS. überfahren. Der siebzigjährige, etwas schwerhörige Mannwurde in hoffnungslosem Zustande in ein Krankenhaus gebracht.Wiederergriffen ist der 26 Jahre alte Lederarbeiter OttoDobert, der mit dem Anstreicher Lehmann zusammen am 10. d. Mabends ans der Jrrenabtheilung der Charitee entsprungen war.Aus dem Polizeibericht vom 20. Oktober. GesternNachmittag verunglückte der ans einem Kahn beschäftigte SchifferOtto Seeger beim Passiren der Potsdamer Brücke dadurch, daßdie Kurbel der Winde, durch die das Fahrzeug fortbewegt wurde,plötzlich zurückschlug und ihn am Kopfe traf. Er erlitt dabeieine schwere Verletzung an der Stirn und wurde nach derCharitee gebracht.— Auf dem Grundstücke Gr. Hambnrgerstr. ISfiel nachmittags der 2>/sjährige Sohn des in demselben Hausewohnenden Kochs Zacharias in einen offenstehenden Gulli undzog sich dabei erhebliche Verletzungen am Kopfe zu.— Beim Be-steige» eines durch die Skalitzerstraße fahrenden Wagens derelektrischen Straßenbahn fiel abends der 69 Jahre alte Boden-meister Friedrich Gebert hin und gerieth unter den angehängtenWagen. Gebert wurde eine Strecke weit mitgeschleift undtrug außer einer Rippenquetschung eine erhebliche Ver-letzung am Kopfe davon.— Der 21jährige Kaufmann Erich Jankefuhr abends mit seinem Zweirade übermäßig schnell die Kreuz-straße entlang und stürzte mit dem Rade über das Geländereiner Ausladestelle in den Spreekanal. Er hielt sich an demihm von der Gertraudtenbrücke aus zugeworfenen Rettungsballso lange über Waffer, bis er mit Hilfe eines Kahnes heraus-gezogen wurde.— Vor dem Hause Brunnenfiraße 197 lies der55 Jahre alte Arbeiter Adolf Hoffmann in der Trunkenheitgegen eine» Omnibus der Linie Gesundbrunnen-Marheinekeplatz,gerieth unter die Räder und trug eine so schwere Quetschungdes rechten Unterschenkels ddvon, daß er in die Charitee gebrachtwerden mußte.— Heute Nacht schlug der in der Rückerstraßewohnhafte Handelsmann Julius Kr. bei einem ehelichen Streitein der Trunkenheit auf seine Frau ein und fügte ihr mit einerLampe eine stark blntende Verletzung an der rechten Schläfe zu.Durch einen herbeigerufenen Schutzmann wurde die Frau nachder Sanitätswache in der Alten Schützenstraße gebracht, wo ihrein Verband angelegt wurde.Himpt und AVipdenfchaft.Das Schillertheater hat nach dem Muster des WienerRaimundtheaters sich auf eine verschollene Posse von JohannN e st r o y„Der Zerrissene" besonnen, die einst in den vierzigerJahren nicht blos in Wien, sondern auch hier im KönigstädtischenTheater ungemessenes Aufsehen erregte. Der Wiener Aristo-phanes, wie Johann Nestroy dank dem Wiener Lokal-Patriotismus gern genannt wurde, halte im„Zerrissenen"sogar den Anlauf zu einer Charakterkomödie genommen, in dieer nach seiner Weise beißende Bemerkungen verflocht.„Dererrissene" ist der Mann mit der zwiespältigen Seele; einrösus, der hungert; ein Mensch, der im Lebensüberfluß anLebensekel krankt. Er wird, da er einen Todtschlagverübt zu haben glaubt und vor der Justiz flüchtet, vonPvssentollheit zu Possentollheit gejagt, in ungewohnteVerhältnisse getrieben und so genest er schließlich. Seine Furcht,ein Mörder wider Wollen zu sein, beruhte natürlich ans einemrrthum. Heutzutage erinnert die Posse vom Zerrissenen an vergilbtelätter; halb vertrocknet erscheint uns dieKomik von damals und dieJagd nach Wortwitzen gilt uns vollends für veraltet. Dazu kommt,daß das Schillertheater dem Stück seine Lokalsarbe nahm.Nestroy dachte in wienerischer Mundart. Seine Sarkasmen sindhäufig nur aus der Beobachtung süddeutscher und speziellwienerischer Schwächen zu verstehen. Ins Schriftdeutsche über-tragen verlieren sie leicht ihre besondere Form, ihren besonderenReiz. Den Zerrissenen giebt Herr E y d e n im Schillertheater;meiner Empfindung nach ganz brav, aber nüchtern. Den grimmigenHumor, der in dieser Possengestalt mitunter durchbricht, bleibter schuldig. Die scharf komische Zeichnung in Nestroy'sManier gelang Herrn Alfred S ch m a s o w wohl am besten, derden muskelkrästigen Schlosser Hammer spielte.Ein neuer Einakter„Münchhausen" der beiden hiesigenJournalisten Manuel Schnitzer und Martin Fließ geht derNestory'schen Posse voraus; ein völlig belangloses Feuilleton; esohnt sich nicht, darauf einzugehen.Die im Schiller-Theater für Sonnabend angesetzte Erst-aussührung von Hartleben's„Ehrenwort" wurde auf Montagverlegt, heute findet eine Wiederholung von„Emilia Gnlotti"statt. Im Bürgerfaale des Rathhauses ist Sonntag, den 2ö. d. M.,aus vielfaches Verlangen„Chamiffo- Abend", dm einleitendenVortrag hält Herr Adalbert von Hanstein.Im Dhalia-Theater(vormals Adolf Ernst-Theater) findetam nächsten Sonntag— dem Beispiel der übrige» BerlinerBühnen folgend— die erste Nachmittags- Vorstellung zu halbenPreisen statt. Zur Aufführung kommen Viktor Leon's„ G e-bildete Menschen", die wegen Aufnahme de? Vaudeville'S„Prima Ballerina" nur bis Freitag dieser Woche aufdem Abend-Repertoir bleiben können.Die Militärmnsiker scheinen ihren Wirkungskreis immermehr ausdehnen zu wollen. Während Konzertgärten, sowieKonzert- und Tanzsäle an manchen Orten kaum mehr ohnezweierlei Tuch auf dem Podium denkbar sind, hat sich bisherwenigstens das Theater vom Janitscharenblech freigehalten.Herr Direktor Max Samst läßt uns jetzt folgende Mittheilungzugehen:„Die Aufführung des vom Friedrich-Wilhelm-städtischen Theater angenommenen Dramas„KönigR i n g" von Victor Laverenz findet am 2b. November statt.Die zu diesem Trauerspiel nothwendige Musik wird von derKapelle des Garde-Kürassier-Regiments unter derpersönlichen Leitung des königlichen Musikdirektors E. Ruth aus«geführt werden." Vielleicht bringt diese Botschaft die trotzaller militärischen Konkurrenz zum theil noch unbändig patrioti-schen Berufsmusiker wieder ein wenig zum Nachdenken.Naphael's„Sixtinische Madonna", die Perle derDresdener Gallerie, soll unecht sein. Vor einigen Tagen wurdevon Zürich aus die Mittheilnng an zahlreiche Zeitungen gesandt,der Hotelbesitzer Caspar Badrutt zu St. Moritz im Engadin habesich mit seinem Gemälde, das dieselbe Darstellung zeigt, wieRaphael's Sixtinische Madonna in der Dresdener Gallerie, aufdie Reise nach Deutschland begeben, um hier die„Streitfrage"zu entscheiden, ob sein Bild oder das Dresdener das Originalsei. Nunmehr nimmt zu der Angelegenheit auch der Direktorder Dresdener königl. Gallerie Dr. Karl Wörmann im„Dresd.Jouru* das Wort. Nachdem er die UnHaltbarkeit der literarischenNachweise dargethan, durch welche Badrutt den Beweis er-bringen will, daß er den echten Raphael besitze, geht er aufgrund der ihm bekannt gewordenen Photographien desBadrutt'schen Bildes auf eine kurze stilkritische Besprechung ein,die zu demselben Ergebniß führt. Zum Schluß erhebt Dr. Wör-mann entschiedenen Widerspruch gegen das Ansinnen, die„Affomptione" Badrult's neben der„Sixtinischen Madonna" zurAusstellung zu bringen.Ueber eine ncnc Eigenschaft der Röntge»- Ttrahle»,ihre Einwilkung aus die Wolkendildung, wird in der„Meteorol.Zeitschrist" beridstet. Daß Wolkenbildung auch bei Abwesenheitvon Staub entsteht, wenn die Sättigung der Lust bei plötzlid, erExpansion einen gewissen kritischen Betrag überschreitet, ist be-reits früher beobachtet worden. Unter gewöhnlichen Umständenfällt, wenn die Expansion den kritischen Betrag erreicht. einSchauer seinen Regens, und dies dauert nur einige wenige Se-künden. Wird jedoch dieselbe Expansion hervorgerufen, wenn dieLuft der Einwirkung von Röntgen- Strahlen unterworfen wird,dann ist die Zahl der Tropfen, die sich bilden, bei weitem höher,und die Tropfen sind groß genug, um einen Nebel zu erzeugen.der mehrere Minuten andauert. Diese Wirkung der Röntgen-Strahlen bestätigt sich, auch wenn die Versuche unter Be-dingungen unternommen werden, die eine direkte elektrische Ein«Wirkung ausschließen._Gerichts-Seikung.Wegen Beamtenbcleidignng hatte sich gestern GenosseJahn vor dem Schöffengeridzt des Amtsgerichts II zu ver-antworten. Am 8. August d. I. fand im Lokal von Schulz fürTreptow und Baumschulenweg eine Volksversammlung statt, inder der Angeklagte über„das Bürgerliche Gesetzbuch und dieSozialdemokratie" referirte. Im Verlaufe seiner Ausführungenerwähnte er der Aengstlichkeit gewisser Menschen vor demBeamtenlhum. Nach der Angabe des überwachenden GendarmT h i n i u s soll nun Jahn gesagt haben:„Die Menschen habenin ihrer Unwissenheit zum theil viel Angst vor den Gendarmenoder besser gesagt Herrn Wachtmeister, da muß dann aber abund zu eine Gans über den Weg gelaufen kommen, damit ihnenin der Stadt oder aus dem Dorfe nichts passirt." Durch dieseangebliche Aeußerung fühlte sich nun die Gendarmerie derdritten Gendarmerie- Brigade beleidigt und stellte gegen JahnStrafanlrag, woraufhin auch die Anklage erhoben wurde.In der gestrigen Verhandlung bestritt der Angeklagte ganz ent-schieden, die ihm zur Last gelegte Aeußerung gebraucht zuchaben.Der als Zeuge geladene Drechsler Teutsch, bestätigte durchseine Aussagen die Ausführungen des Angeklagten. Der alszweiter Zeuge vernommene Gendarm Thinius blieb indeß beiseiner Angabe, die er aber„nicht genau wiedergeben" zu könnenmeinte. Der Staatsanwalt beantragte hierauf gegen Jahn„wegenseiner vielen Vorstrafen" eine Aesängnißstrafe von 6 Wochen; inder inkriminirte» Aeußerung sei„eine schwere Beleidigung deSZeugen Thinius wie der ganzen Gendarmerie-Brigade" enthalten.Jahn wendete ein, daß nach der fraglichen Versammlung derGendarm zu Jahn an den Tisch herangetreten sei undausdrücklich in Gegenwart von Zeugen erklärt habe,daß er„sich nicht beleidigt fühle", welche Aeuße-rung auch vom Zeugen Teutsch bestätigt wurde.Nach kurzer Beralhung verkündete der Vorsitzende, daß das Ge-ridzl die Aussagen des Gendarmen als wahrheitsgemäß an-gesehen und eine schwere Beleidigung wegeß Bestechlichkeitder Beaniten in der betr. Aeußerung gefunden habe. Infolgedessen erscheine wegen der vielen Vorstrafen des Augeklagte» eineGefäugnißstrafe von zwei Monaten angemessen; ferner solldas Erkenntniß im„Vorwärts" publizirt werden.Der schon mehrfach erwähnte Prozeß gegen den Re-dakteur des antisemitischen„Geueral-Anzeigers" Karl Sedlatzekkam gestern vor der zweiten Strafkammer des Landgerichts IIabermals zur Verhaudlung. Der Angeklagte ist beschuldig:,„öffentlich Gott gelästert und dadurch Aergernißgegeben, sowie die jüdische Religio nsgesellschastoder ihre Einrichtungen und Gebräuche beschimpft zu haben.Es handelt sich um den in Nr. 80 des General- Anzeigers vomJahre 1395 uuter dem Titel„Der jüngste Ritual mord"veröffentlichten Artikel. Im Orte Garam-Kis-Sallo in Ungarnwar das S j jährige Töchlerchen des Johann Balars ermordetworden und es wurde wieder das Gerücht verbreitet,daß es sich um einen Ritnalmord handele. Der unter An-klage gestellte Artikel warf im Anschluß hieran demJudenthum vor, daß es trotz feiner schlimmen Erfahrungen derletzte» Jahre nicht einmal von dem schlimmsten Verbrechen, vondem Ermorden christlicher Kinder zu goltesdienstlichen Zwecken,ablasse. Es heißt dann weiter in dem blödsinnigen Artikel:„Und solcher Unthaten bedarf das Judeuthum alljährlich, umfein Osterfest nnd seine„große Festwoche" mit dem„Versöhnungs-tage" in einer dem Judengotte wohlgefälligen Weise feiern zukönnen. Das Blut eines hingeschlachteten Christenkindes wirdgetrocknet und zu Pulver gestoßen u. s. w."— Auf Betreibendes Denunziantenvereins deutscher Staatsbürger jüdischenGlaubens war wegen dieses Artikels die Anklage erhobenworden. Die 8. Strafkammer sprach seinerzeit den Angeklagte»frei, weil nicht»achzuweisen sei, daß er in einer bestimmtenAeußerung Gott gelästert habe und eine Beschimpfung der jüdischenReligionsgesellschasl nicht vorliege, der Angeklagte mit seinenAusführungen vielmehr die ganze jüdische Rasse gemeint habenkönne.— Die von der Staatsanwaltschaft hiergegen eingelegteRevision hielt das Reichsgericht für begründet, hob das ersteUrlheil auf und verwies die Sache zu erneuter Verhandlung andas Landgericht Berlin II.Der Angeklagte stellte abermals eine ganze Reihe Beweis-anträge für seine Behauptungen und beantragte nochmals dieLadung diverser Zeugen, welche nach seiner ausgesprochenenMeinung über die Ritualmorde näheres wissen. Der Gerichtshoflehnte alle diese Anträge ab. Das Urtheil lautete auf dreiMonate Gefängniß. Der Gerichtshof nahm in Neberei»-stimmung mit den Ausführungen deS Staatsanwalts an.daß sowohl Gotteslästerung, als auch Beschimpfung der