Beilage zum Berliner Volksblatt.
Nr. 175.
Lokales.
г. Ueber Mängel in unserer Strafrechtspflege wird jegt von allen Seiten lebhafte Klage geführt. Verurtheilungen und Verhaftungen Unschuldiger find nichts Seltenes und die Herren Juristen find häufig gern geneigt, die Schuld auf die neue Geseggebung zu werfen, während ein großer Theil des Bublifums die allerdings nur unflare Empfindung hat, als ob die Herren Juristen selbst, wenigstens in den meisten Fällen, die Schuld an solchen Fehlgriffen der Justiz tragen möchten. Bu dieser, die öffentliche Meinung gegenwärtig stark bewegenDen Frage, liefert das Folgende einen beachtenswerthen Beitrag: Ein hiesiger Kaufmann wird unter dem Verdachte des betrüglichen Bankerotts gefänglich eingezogen. Die Angehörigen übertragen die Vertheidigung einem hiesigen vielgenannten und wohlrenommitten Rechtanwalt, dessen forenfisches Talent fo eminent sein soll, daß er selbst in solchen Sachen die Vertheidigung zu übernehmen im Stande ist, wo ihm der Auftrag hierzu erst eine Stunde vor dem anberaumten Termine zur hauptverhandlung gegeben wird. Diesem Rechtsanwalte wurde also die Vertheidigung übertragen; trozdem ist es dem Verhafteten, der fich feit fünf Monaten im Gefängnisse befindet, nicht möglich gewesen, mit seinem Vertheidiger zu fonferiren, nur deffen Substitut hat mit dem Gefangenen verhandelt, und wie dessen Interessen gewahrt worden sind, geht aus dem Umstande hervor, daß erst vor einigen Tagen der Untersuchungsrichter den Angeschuldigten darauf aufmerksam machen mußte, daß es in seinem Intereffe läge, nun doch einen Antrag auf Haftentlaffung zu stellen, da sich inzwischen das Vergeben des Angeschuldigten piel milder, nämlich nur als einfacher Bankerott herausgestellt hat. Trogdem nun bereits am vergangenen Sonnabend bei dem mit der Vertheidigung betrauten Rechtsanwalt um die Ginreichung dieses Antrages auf Haftentlassung von den Angehörigen des Verhafteten gebeten worden war, ist dieser Antrag bis Dienstag noch nicht eingereicht gewesen. Solche Verzögerung ist in keinem Falle gerechtfertigt. Sind die Herren mit Arbeiten überbürdet, so sollen fie neue Aufträge nicht annehmen; an jüngeren und weniger beschäftigten Kollegen fehlts ihnen in Berlin wahrlich nicht. Die Bedeutung des Vertheibigers in der Voruntersuchung ist für das neue Strafverfahren von der größten Wichtigkeit und aus seiner Nachlässigkeit kann großer Schaden für den Angeklagten entstehen; diese wenden fich deshalb an gut renommirte Anwälte, und es wäre eine gröbliche Unfitte, wenn diese etwa zahllose Aufträge und die recht beträchtlichen Honorare dafür annehmen, auch allenfalls im Haupttermin eine fulminante Rede halten, sonst aber die armen Klienten ruhig ihrem Schicksale überlaffen wollten. Für Diejenigen, welche so sehr für Justizreformen schwärmen, ist dieser wunde Punkt vielleicht recht beachtenswerth. g Auf dem städtischen Zentralviehhofe erschienen am Donnerstag gegen 2 Uhr der Stadtrath und Kämmerer Runge, der Stadtrath Stort und mehrere andere Mitglieder des Kuratoriums des Bentralviehhofes, um besonders die Fleischschau und die Schlachthäuser einer eingehenden Besichtigung zu Unterwerfen. Geführt wurden die Herren von dem Dirigenten des Schlachthofes und der Fleischschau, Herrn Oberthierarzt Dr. Hartwig. Wie wir erfahren, haben die getroffenen Einrichtungen, besonders jene bei der Fleischschau, die volle Anerfennung der Herren gefunden. Die Besichtigung währte bis
gegen 5 Uhr,
N. Ein interessantes und anscheinend sehr werthvolles Fundstück ist dem Königlichen ethnologischen Museum durch den hiesigen Schriftsteller Freiherrn von Schirp als Geschent überwiesen worden. Es ist dies eine in Marmor gemeißelte Maste, einen Todten( Mumie?) darstellend, die beim AbRußland durch den Bergingenieur Friedr. Klene gefunden wurde. Das Fundstück wird von sachverständiger Seite für einen Gögen angesehen, doch stehen darüber noch weitere Er
mittelungen bevor.
Sonntag, den 26. Oktober 1884.
Neuvermählten" von Björnson neu in Szene. Außerdem bringt das Repertoire dieser Woche Wiederholungen von ,, Wil helm Tell ",„ Die große Glocke"," Der Probepfeil" und" Die Welt , in der man fich langweilt"." Heute, Sonntag, wird ,, Die große Gloce" gegeben.
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Das Louisenstädtische Theater giebt nunmehr auch äußerlich zu erkennen, das die Erfolge des Zwerggastspiels eine neue Aera des Aufschwungs und der Blüthe für den be scheidenen Musentempel in der Dresdenerstraße bedeuten. Es wird zur Zeit eine vollständige und um die Vorstellungen nicht zu behindern schrittweise Renovirung des Zuschauerraums, Erneuerung der Logen- und Parquet- Size u. s. w. vorgenommen. Kaffen - Erfolge und Beifall des Liliputaner Gastspiels halten sich andauernd auf der gleichen beneidenswerthen Höhe.
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Im Kriege mit dem Deutschen Reich? Bei Gelegenheit der Thatsache, daß der Herzog von Cumberland von der Braunschweiger Erbfolge ausgeschlossen wird, weil er das Deutsche Reich nicht anerkennt, dürfte es sich empfehlen, auch folgenden Vorfalls zu gedenken: Als im Juli 1878 der Landgerichtsrath Kloß zum ersten Male im 6. Wahlkreise kandidirte, ließ er sich, wie er dies gewöhnlich thut, durch einen Anderen die Wahlrede halten. Dieser Andere wurde in einem Saale auf der Brunnenstraße damals gefragt, warum er nicht selbst als Kandidat auftrete, und ertheilte die Antwort: Meine Herren, ich habe das Deutsche Reich noch nicht anerkannt." Der Andere ist der jegiye Kandidat der Deutschfreifinnigen im 2. Wahlkreise, Professor Virchow . Db er wohl jetzt das Deutsche Reich anerkennt?
N. Echt amerikanisch. Auf eine sehr spekulative Idee, die fich zur Nachahmung sehr empfehlen dürfte, ist ein im Often Berlins wohnender Restaurateur gekommen. Derselbe hat seit einiger Zeit in seinem Lokale ein Plakat angebracht, auf dem er seinen Gästen anzeigt, daß fie bei Entnahme von Speisen und Getränken gratis raftrt werden. Die Folge hierSpeisen und Getränken gratis raftrt werden. Die Folge hier von ist, daß jenes Lokal schon in den Morgenstunden, besonders Sonnabends und Sonntags, von Gästen, welche sich ihres überflüssigen Bartwuchses entledigen wollen, start frequentirt wird und die Kellner, sämmtlich gelernte Barbiere, vollauf zu thun haben. Da es nicht möglich ist, sofort den Wünschen aller Gäfte gerecht zu werden, so steht sich die Mehrzahl veranlaßt, beim Glase Bier zu warten, bis die Reihe an fie tommt. Wirth, Kellner und Gäste kommen dabei stets in bester Harmonie auseinander.
g. Ueber mehrere gefundene Werthbeträge und Werthgegenstände wird am 27. Dezember d. Js. vom Kgl. Amtsgericht I( Abth. 54) wiederum nach den gesetzlichen Bestimmungen entschieden werden, falls fich die bisher nicht ermittelten Verlierer nicht mit ihren Eigenthumsansprüchen inzwischen gemeldet haben sollten. Unter diesen Objekten befinden fich ein am 5. Januar d. Js. in der Pallisadenstraße 23 gefundener Betrag von 76 M. 60 Pf., ein am 18. Juni d. Js. im Thiergarten gefundenes 20- Markstück, ein am 1. August d. Js. in einem Laden des Hauses Mariannen- Platz 13 gefundener Betrag von 30 M.( ein 20 und ein 10- Wiarkstück), ferner ein am 26. Auguſt im Ausstellungspark gefundenes goldenes Armband, ein am 28. April d. J. von einem Droschkentutscher in seiner Droschke gefundenes goldenes Armband nebst einem goldenen Ringe, eine am 26. Mai d. Js. im Friedrichshain gefundene filberne Ankeruhr.
Eine junge Dame, die eine Stelle zur Unterstüßung der Hausfrau suchte, hatte sich, nachdem ihre anderweiten Bemühungen fruchtlos geblieben waren, an ein Stellen- Vermittelungs- Bureau gewandt. Sie hatte zunächst 9 M. Einschreibegebühren zu zahlen und einen Revers zu unterschreiben, Jahreseinkommen 5 pot. zu zahlen. In der That erhielt sie
durch das Bureau eine Stelle mit einem jährlichen Gehalt von 180 M. Darauf erhielt fie folgende Rechnung, auf die ste faum gefaßt sein mochte: Gehalt 180 M., Station 360 M. und Wohnung 100 M., mit dem Bemerken„ orteüblich", zusammen 640 M. Hiervon 5 pCt., also 32 M., eingezahlt 9 M.,
November ,, Der eingebildete Krante" von Moliére und, Die bleiben zu zahlen 23 M. Um sich also vor Ueberraschungen
ermedt.
Ein gefesseltes Genie.
( Erzählung nach einer wahren Begebenheit.)
( Forsetzung.)
Was Roffiter betraf, hatte der Anblick der Mrs. Baffett leinen Gedanken an seine verlassene Familie in seinem Geiste Großhändlersfrau für seine Gattin nicht mehr gewesen, als irgend eine andere wohlhabende Lady, welche ihr Arbeit schickte. Au sein Denken tonzentrirte fich auf sein großes Gemälde, und frohlodte über den glänzenden Empfang, der ihm von Seiten der Journale und des Kunstliebenden Publikums gewor Den war. Das Leben hatte für ihn keine Freude, feinen Schmerz, teine Rüderinnerung und feine Hoffnung, welche fich nicht auf die Schöpfung seines Genies bezog. Sein früheres häusliches Leben mit seinen Beschwerden, seinen Mühen, seiner Armuth, seiner sozialen Isolirtheit war ihm eine verhaßte Erinnerung. Er wollte nicht daran denken. Er verbannte immer jede Erinnerung daran, wenn er es fonnte.
Als er fie vor sechs Jahren verließ, war die
taschen Schritten. Wie alle Einwohner der Stadt, legte fich auch Roffiter an jenem ewig denkwürdigen Sonntags abend des 8. Ottober 1871 ruhig zu Bett, mit einem legten
Minuten war der ganze Bau eine Flammengarbe. Alles loderte wie Seidenpapier.
Roffiter stöhnte dumpf auf. Es war, als ob sein Leben ihn verließe in diesem Augenblick.
Er wußte nun nicht mehr, was folgte. Die tobende Menschenmasse führte ihn mit fich fort wie die Woge ein Blatt
oder einen Sparren trägt.
Als er seine Situation wieder begriff, fand er sich selbst mit Tausenden von anderen Flüchtlingen an dem Ufer des Michigan - See's fauernd, Funten und Asche regneten auf fie, das unersättliche Feuer rafte hinter ihnen, und nur der See vor ihnen hemmte die Flammen.
Jemand drängte ihn, auf einen der Hafendämme hinaus zu kommen, während er in einem ganz finnverwirrten Bu stande den Brand eines Dampfers anstarrte. Er war so betäubt durch den Schlag, den ihm der Verlust seines Gemäldes versezt hatte, daß er nichts völlig verstehen konnte. Er dachte, daß er das Spielzeug irgend eines furchtbaren Traumes sei.
Endlich, am frühen Morgen des Dienstag, lam ein Schleppdampfschiff an den Hafendamm, brachte eine Ladung Baffagiere
von dort fort, und führte fte durch verbrannte Brücken und an Scenen der Verwüstung und des Ruins vorüber zu dem noch
Gedanken an den bevorstehenden Triumph seines Bildes. Er Fasten und Aufregung und von der Nachtwache, wanderte ziellos versant in tiefen Schlaf, denn er war ermüdet von der Reise
und vor Aufregung. Inmitten all' des Lärmens auf den Straßen und des Geläutes der Glocken und all' der furchtbaren Schrecken jener für Chicago so verhängnißvollen Brandnacht schlief er fest, bis man ign, mit anderen Bewohnern des Hotels, erwedie. Sein erster Gedanke war das Jool seiner Seele
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sein Ge
mälde. Auf seine Frage: Was brennt?" lautete die ent fegliche Antwort: Alles die ganze Stadt wird ver
nichtet!"
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Wild stürzte er hinaus in die flammenhellen Straßen und
umber. Endlich feste er sich mit einigen Anderen auf die Stufen einer Kirche nieder, gerade am Saume des verbrannten Distriktes. Jemand fragte ihn, ob er schon ein Frühstück gehabt habe. Der Mann wiederholte die Frage zweimal, ehe Rossiter in seiner Betäubung fte verstehen fonnte.
"
Nein ja," antwortete er müde.
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Wann?" fragte der Andere.
Rossiter dachte einen Moment nach.
Gestern Morgens. Ein Mann auf dem Damme gab mir einige Stüde Bwiebad ," sagte er.
Schneeflocken. Das prächtige Opernhaus war in Flammen. sprechen. Seine dumpfe Verzweiflung hatte verhindert, daß
in die wogenden Menschenmaffen. Der heulende Wind trug große Feuerbrände auf seinen Schwingen durch die Luft, und die Funken fielen so dicht wie Häuserfronten brannten rechts und links, vor ihm und hinter ihm, nur im Süden der Washingtonstraße waren einige Blocks oder Häufergruppen unberührt, obwohl auf drei Seiten vom
Er rannte die State Street hinab, bis er die Academy of
Design feben fonnte.
Einige Umſtehende lachten trotz der Schrecken, die ste umgaben, über den Mann, der vor mehr als vierundzwanzig Stunden sein Frühstück gegeffen hatte. Roffiter nahm Brod, das man ihm gab und aß es, ohne ein Wort zu er Hunger gefühlt hätte. Dann warf er fich zum Sterben ermüdet auf den Steinboden der Kirche nieder, statt eines Riffens seine Arme gebrauchend, und versant in tiefen, traumlofen Schlaf. Nach einigen Stunden erwachte er und wanderte nun wieder durch die gedrängt vollen Straßen. Die Luft war versengend und der Sonnenschein heiß und
für
fich achtlos auf einen Mauerreft in der Wabash Avenue,
Da stand fie unverletzt. Sein Herz pochte zum Ersticken, und dann gerade vor seinen Augen schien von einem Gebäude geöffnet, deren Wohnungen in Asche lagen. Rossiter setzte in einiger Distanz eine Flamme fich zu erheben und nach der Alademie zu fliegen, ein Feuerregen folgte ihr, und in wenig leerte seine Taschen und fand nur wenige Cents fleines Geld
1. Jahrgang.
zu wahren, wird man, wie die Voff. 3tg." meldet, gut thun, fich in gleichem Falle über die aus der Unterschrift des Res verses erwachsenden Verpflichtungen zu informiren.
N. Ein empfehlenswerther Stadtreisender. Ein Be trüger, vor dem eine Warnung dringend am Plage erscheint, brandschaßt seit einiger Beit, wie uns geschrieben wird, Kaufs leute, Bigarrenhändler 2c. im Südwesten der Stadt. Derselbe in Mitte der vierziger Jahre und von mittelgroßer Figur soll an verschiedenen Stellen versucht haben, Waaren auf Kredit zu entnehmen, was ihm auch in einigen Fällen geglückt ist. Sein legtes Manöver hat er bei einem in der Friedrichstraße in der Nähe des Bellealliance- Plazes wohnenden Bigarrenhändler in Szene gefegt. Er entnahm dort vor einigen Tagen, unter dem Vorgeben als Stadt- Reisender für das Ge schäft B. thätig sein zu wollen, 5 Risten Bigarren und am nächsten Tage noch 15 Kisten im Gesammtwerthe von ca. 200 m. mit dem Versprechen, das Geld dafür bis zum Abend deffelben Tages abliefern zu wollen. Seit der Zeit ist der saubere Stadtreisende verschwunden. Als besonderes Merk mal wird angegeben, daß der Mensch eine schiefe Schulter hat, etwas hinkt und rothes Haar hat.
Wilde Männer und Frauen find nicht allein in der städtischen Frrenanstalt zu Dalldorf eine Plage; auch die Pros vinzial- Jrrenanstalten haben ihre Rämpfe mit solchen Geistes franken. Die Direktion der Landarmen- und Irrenanstalt zu Wittstock hat hierher angezeigt, daß die in der dortigen Anstalt untergebrachte Geistestrante, unverehelichte Pauline Bied, 27 Jahr alt, aus Seligsfelde bei Belgard , in der Nacht zum 16. d. M. unter Entwendung von 130 Mt aus der Anstalt entwichen ist. Die Bied war bekleidet mit grau und weiß fariertem Umschlagetuch, schwarzer Kappe, blaubedrucktem und schwarzwollenem Kleide.
a. Zwei als Markt- und Ladendiebinnen mehrfach vorbestrafte Personen, die Wittwe R. und die verehelichte P., wurden am 21. d. M. Mittag von einem Kriminalpolizeibeamten die Prinzenstraße entlang gehen gesehen, indem sie einen gefüllten Marktforb und ein umfangreiches Paquet trugen. Der Beamte folgte ihnen, wurde aber von den beiden Frauen ebenfalls bemerkt, und diese liefen nach der Sebastianstraße wo fie in ein Haus eintraten und bald darauf ohne Korb und Paquet wieder herauskamen und die Flucht ergriffen. Der verfolgende Beamte fand hinter der Hausthür jenes Hauses den Korb und das Paquet. Der Korb enthielt Butter, Käse, Würste, Speck und andere Nahrungsmittel, und das Paquet enthielt Hemden, Schürzen, Socken, Trifotjacken und dergl. mehr. Die Nahrungsmittel hatten die beiden Frauen bei einem Rolonialwaarenhändler in der Fruchtstraße gestohlen, das gegen ist der Eigenthümer der vermuthlich gleichfalls gestohlenen Wollwaaren noch nicht ermittelt. Frau B. und Wittwe R. find gestern zur Haft gebracht worden.
a. Gegen die verhaftete Hochstaplerin Rita di Candia find während der letten Tage noch weitere Anzeigen von Modisten und Konfektionären wegen der von der Candia verübten Betrügereien bei der Kriminalpolizei eingegangen. Unter den Geschädigten befindet sich eine Modistin, welche im vorigen Jahre von der damals als„ Gräfin " de Gandia aufgetretenen Betrügerin um 2000 M. geschädigt worden ist.
a. Der schon seit längerer Zeit von der Kriminalpolizei gesuchte Hundedieb Gaudig, welcher wegen Hundediebstählen schon dreimal und zuletzt mit Buchthaus vorbestraft ist, ist gestern Abend zugleich mit seiner Buhälterin H. festgenommen und zur Untersuchungshaft gebracht worden. G. hatte die auf der Straße von ihm gestohlenen Hunde an einen Destillations- n- haber in der Tresdomstraße verkauft, der diese Hunde schlachten ließ und seinen Gästen als schmackhaft znbereiteten Hundebraten hauptsächlich zur Nahrung für Schwindsüchtige beſtimmt, welchen bekanntlich Hundefett, resp. fettes Hundefleisch sehr dienlich sein soll. Der Destillateur hat die von Gaudig gebrachten und angeblich ehrlich erworbenen Hunde gekauft und es liegt nichts vor, was dafür spricht, daß der Käufer den strafbaren Erwerb der Hunde Seitens des Gaudig gewußt hat. Die mit G. festgenommene H. war früher in der erwähnten Destillation
bei sich. Sein Portemonnaie und seine Taschenuhr hatte er im hotel unter seinem Kopftiffen gelaffen. Auch sein Koffer war im Hotel geblieben, und Alles mit diesem ein Schutt und Aschenhaufen geworden. Er blickte lange auf die wenigen Münzen in seiner Hand.
Nur das noch liegt zwischen mir und dem Betteln! Es ist mein Alles in der Welt!"
Sein Haupt sant auf seine Hände.
Ein Bettler! murmelte er. Nach all' diesen Jahren des Hoffens und der Arbeit nichts als ein Bettler!"
Niemand fragte ihn, Niemand schien ihn bemerken zu wollen. Menschen ohne Obdach und Geld saßen in dumpfer Verzweiflung überall auf den letzten Resten der in Ruinen ge stürzten Häuser, oder auf dem nackten von Kohlenstaub geschwärzten Boden. Ein Mann wie Roffiter war eine zu gewöhnliche Erscheinung, um Neugier zu erregen. Ihm gegen über befand sich eine Kirche, und als die Nacht tam, und er Hunger fühlte, schlich er über die Straße und stellte sich dort in die Reihe Jener, welche die christliche Nächstenliebe und Wohltätigkeit in Anspruch nahmen.
Dies war sein Leben mehrere Tage lang. In der Nacht schlief er in irgend einer stehen gebliebenen Kirche auf dem harten Steinpflaster, und während der Tageszeit wanderte er ziellos unter den Ruinen umber. Er war zu fremd gewor den in Chicago, um Bekannten zu begegnen. Bisweilen sprach ihn ein Fremder an, denn in diesen schreckensvollen Stunden biente das gemeinsame Unglück anstatt einer gegenseitigen Vor stellung.
Haben Sie viel verloren?" fragte ihn Jemand. " Alles!" stöhnte er mit einem ftieren Blick ins Blaue. " Das war meine Office," erwiederte der Andere, indem er auf einen Haufen Ziegel und Steine mit Brandtrümmern das zwischen zeigte. Ich habe nichts gerettet. Aber Chicago wird wieder aufgebaut werden. Ja, Sir! In zehn Jahren- ja Sir, da wird keine Spur des grenzenlosen Unglücks mehr vorhanden sein!"
Für Roffiter aber war dies Alles nichts. Er dachte nicht an die Zukunft Chicago's. Sein Gemälde war Alles, was er schäßte! Es war dahin. Sonst fümmeete ihn nichts."
Es tam ihm nicht ein einziges Mal in den Sinn, daß vielleicht auch fein Weib und seine Kinder in den allgemeinen Ruin eingefchloffen sein könnten. Er bemühte fich nicht, irgend einen feiner ehemaligen Freunde zu finden. Chne Biel, ohne Blan wanderte er ſchweigsam umher in seinem Elend.
Seine Gattin jedoch dachte an ihn. Ihre Wohnung war glücklicherweise von dem Feuer verschont geblieben. Tag und Nacht war ihre Phantafte geschäftig, sich die Art seines Todes oder das Elend auszumalen, das er ertragen mochte, wenn er
lebte.
( Fortseßung folgt.)