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No. 214.

Donnerstag, 11. Dezember 1884.

1. Jabrg.

Berliner Volksblatt

Organ für die Interessen der Arbeiter.

Das ,, Berliner Volksblatt"

erscheint täglich Morgens außer nach Sonns und Festtagen. Abonnementspreis für Berlin frei in's Haus vierteljährlich 4 Mart, monatlich 1,35 Mart, wöchentlich 35 Bf. Bostabonnement 4 Mart. Einzelne Nr. 5 Pf. Sonntags- Nummer mit illuftr. Beilage 10 Pf. ( Eingetragen in der Postzeitungspreisliste für 1885 unter Nr. 746.)

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beträgt für bie 3 gespaltene Petitzeile oder deren Raum 40 Pf. Arbeitsmarkt 10 Bf. Bei größeren Aufträgen hoher Rabatt nach Uebereinkunft. Inserate werden bis 4 Uhr Nachmittags in der Expedition, Berlin SW., Zimmerstraße 44, sowie von allen Annoncen Bureaux , ohne Erhöhung des Preises, angenommen.

Redaktion und Expedition Berfin SW., Bimmerstraße 44.

Das allgemeine Wahlrecht ist in Gefahr!

Jedesmal, wenn die reaktionären Parteien in Deutsch­ land nicht mit dem Ausfall der Reichstagswahlen zufrieden find, dann hat das Allgemeine gleiche Wahlrecht daran Schuld, und es regnen Vorschläge, wie dasselbe geändert werden soll.

Und so geschieht es auch gegenwärtig wieder. Sunächst beweisen diese Abänderungsvorschläge, daß man im realtionären Lager trotz des großen Triumpfgeichreis, welches nach dem 28. Oktober erhoben wurde, auch mit dem Ausfall der jüngsten Wahlen unzufrieden ist, und daß man weiter trop der vielen Versprechungen, nicht an das Allge­meine gleiche Wahlrecht tasten zu wollen, die erste beste Gelegenheit wahrnehmen wird, das verhaßte Gesez abzu­Schaffen.

Wer erinnert sich nicht der Aeußerung des preußischen Ministervizepräsidenten von Buttkamer, daß man daß man im Ministerium daran denke, das Allgemeine gleiche Wahlrecht nicht mehr geheim ausüben zu lassen? Die Kon­fervativen und National Liberalen aber jubelten vielfach Beifall.

Jest wenden fich die reaktionären Elemente gegen die Stichwahlen, weil diefelben unnatürliche und unmoralische Bündnisse" veranlaßten.

Als ob dies nicht geschehen fönnte bei den Haupt= wahlen und besonders, wenn dabei die relative Mehr beit gilt In Sachsen , wo ein derartiges Wahlgefeh egistirt, bat man oft genug erfahren, daß vor den Haupts wahlen sich in zwei verschiedenen Wahlkreisen die Liberalen. mit den Agrariern verbunden haben, um den Fortschrittler, bem bie relativ meisten Stimmen in beiden Kreisen in Aussicht standen, vollständig zu verdrängen. Den einen Kreis erhielt dann der Agrarier, den andern der Liberale. War ein solches Bündniß nicht etwa unmoralisch? Ram bei einer solchen Wahl die Volksmeinung zum richtigen Ausbruck? Und National- Liberale und Fortschrittler haben auch dergleichen Bündnisse geschlossen, um die Sozial­demokratie, bie in den beiden betreffenden Kreisen die relative Majorität hatte, von der Gesetzgebung auszu­fchließen.

Solche Bündnisse aber, die lange vorher geschlossen wurden, dürften doch wohl unmoralischer zu nennen sein, ale bie plöglichen Gelegenheits- Bündnisse bei ben Stichwahlen zum Reichstage.

Uebrigens sind wir keine so großen Verehrer der Stich­wahlen, daß wir uns, fände man später einmal einen guten Ausweg, für die Beibehaltung derselben unter allen Umständen entscheiben möchten, aber gegenwärtig erklären wir uns gegen jebe Abänderung des Reichs

Habra verbal

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Feuilleton.

Gesucht und gefunden.

Roman von Dr. Dur. ( Forseßung.)

Leicht und mit feinem Anstande verneigte sich der Baronet und nahm die dargebotene Hand des Grafen.

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Es freut mich." sagte dieser, Sie heute persönlich hier willkommen heißen zu können. Als Sie vor einiger Beit Ihren ersten Besuch machten, war mir dies leider nicht vergönnt."

Leider nicht, Herr Graf!" antwortete D'Brian mit wohltönender Stimme und in befcheidenem, aber keineswegs unterwürfigem Tone. Und dieser Umstand eben ist es, welcher mich hierher zurückführt. Ich hörte von der Kom teffe Agathe, daß Sie frank seien, und da mein Weg mich hierher zurückführt trieben mich Dankbarkeit und Theil nahme zum abermaligen Besuch dieses Schloffes, um mich u erkundigen, ob sich das Unheil von dem Hause gewandt, dem ich so viel Gastfreundschaft und Liebe danke; und ich preise das Geschickt, das mich jetzt den Hausherrn im fast wiedergewonnenen Besik seiner Gesundheit sehen läßt."

Meine Krankheit wird hoffentlich ganz vorüber sein, Sir," versette der Graf. Ich danke Ihnen für Ihre Theilnahme und heiße Sie von Herzen willkommen. Ich höre, daß Ihr erster Besuch dadurch veranlaßt war, daß Sie mit Ihrem Gefährten sich in dem Schneegebirge verirrt

hatten."

Wir befanden uns auf einer Reise von Bladfield nach Iwerneß," antwortete der junge Mann, und hatten, ba die Wege verschneit waren, die Richtung verloren."

Ja, ja, das kann im Winter leicht geschehen! Wer hier im Gebirge nicht recht Bescheid weiß, ist der Gefahr des Berirrens stets ausgesetzt. Wir haben deshalb im inter auch selten oder nie einen Besuch Fremder in diesen Gegenden."

Auch ich würde diese Gegend im Winter vermieden haben, wenn ich nicht durch eigenthümliche Umstände dazu

wahlgefeges in Bezug auf die Wahlberechtigung, um der Reaktion nicht ein Pförtchen zu öffnen, in welches sie eindringen würde, um das ganze Wahlgebäude zu zer­sprengen.

Der Appetit kommt bekanntlich bei'm Essen. Wür den die Stich wahlen preisgegeben, so forderte man die Aufhebung der geheimen Abstimmung, dann die Verschiebung der Altersgrenze, fo daß die Wahlberechtigung erst nach zurückgelegtem 30. Lebens­jahre zu beginnen habe. Ferner würde das Wahlrecht an einen längeren Aufenthalt in dem Wohn­ort gebunden werden und so hätten wir immer noch ein Wahlrecht ohne Zensus und ohne Klasseneintheilung, und immer noch würde ein solches Wahlrecht mit dem hoch­tönenden Titel: Algemeines, gleiches und direktes" be legt werden, aber es wäre dann ebenso schlecht, wie das Wahlrecht zum preußischen Abgeordnetenhaus, welches einst Fürst Bismard in schärfster Weise verurtheilt hat.

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Auch die Kölnische Zeitung " war über den Ausfall der Wahlen so erboßt, daß sie gleich nach denselben einen scharfen Verstoß gegen das allgemeine Wahlrecht machte, indem sie zum Schluffe eines längeren Artikels, der sich mit den Stichwahlen beschäftigte, folgendermaßen schrieb:

,, Ght es aber und darüber werden wir noch etwas mehr Erfahrung abwarten müssen mit dem jezigen Wablsystem nicht, so wird radikaler vorge gangen werden müffen. Stellt sich heraus, daß das allgemeine und gleiche, unmittelbare Stimmrecht seinen Swed, den wahren Willen der Bevölkerung zun Aus­druck zu bringen, nicht erreicht, dann muß hand an die Wurzel gelegt werden. Die Menschen find eben nicht gleich, noch folgen sie lieber der Wahrheit als der Verfüh ung; und wenn hier nicht allmählich Befferung wahrnehmbar wird, so muß Aenderung eintreten; es muß die Gleich werthigkeit der Stimmen fallen, wenn die Vorausfegung derselben nicht erreicht werden kann. In nähere Erörterungen, wie die Aenderung zu treffen wäre, wollen wir heute nicht eintreten: Die Stich­wahlen sind das kleine Bedenken an unserem Reichs- Wahlsystem; thretwegen

allein würden wir nicht rather, die Art anzulegen. Da haben wir schon eine ernste Drobung von natio­nalliberaler Seite, der sich die gesammte Bureaukratie in Deutschland und die konservativen Parteien sicherlich an schließen. Höchstens wird von dieser Seite bedauert wer den, daß die Kölnische Zeitung " so früh losgeschossen hat.

Der Ausfall der fürzlich beendeten Wahlen fann aber bei der Kölnischen Zeitung " nicht allein Grund zu obiger Expektoration sein, denn in demselben Artikel finden wir ein Exempel, welches die Ungerechtigkeit des heutigen Wahlsystems nach einer anderen Seite hin beweist

genöthigt gewesen wäre, sie zu besuchen. Ich suchte eine Person, welche sich in dieser Gegend aufhalten sollte." ,, Wohl in einem der Gebirgsdörfer?" " Der Drt war mir nicht bezeichnet."

Sie verzeihen die Frage: Ist Ihr Unternehmen von Erfolg gewesen?"

Leider nicht, Herr Graf; leider nicht!"

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Ich bedauere Sie, daß Sie sich den Beschwerlichkeiten vergebens haben unterziehen müssen. Und wenn die Person, welche Sie suchten, für Sie tiefes Interesse hat, so darf ich wohl annehmen, daß Sie von Herzen traurig über den Mißerfolg sind."

,, Das bin ich in der That, Herr Graf! Die Person ist eine nahe Verwandte von mir."

Welche Jhren Namen führt?"

Nein! Ich kenne nicht einmal den Namen, unter welchem sie sich hier aufgehalten hat."

Vielleicht kann Ihnen meine Kenntniß der Gegend nüßen. Es giebt im ganzen Lande keine abelige Familie, deren Mitglieder ich nicht fenne."

Ich fürchte," antwortete D'Brian mit einiger Vers legenheit, daß ich aus Ihrem freundlichen Anerbieten feinen Nusen schöpfen kann, denn vielleicht gehört die Un­glückliche, welche ich suche, nicht einmal einer adeligen Fa­milie an; vielleicht hat Noth sie zur Bettlerin gemacht."

Das ist freilich etwas Anderes," verseßte der Graf.

Doch woher vermuthen Sie, daß Sie arm sei?"

" Jemard, welcher sie kannte, will sie in ärmlicher Kleidung in diesen Gegenden gesehen haben und zwar im Winter, um die Weihnachtszeit in der Nähe von Black­field; diefe Nachricht war's, welche mich hierher

führte."

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Um die Weihnachtszeit eine Bettlerin? Hier in ber Nähe?" wiederholte der Graf gedankenvoll und schwieg eine Weile. Näheres über die Bettlerin wissen Sie nicht?" fragte er dann und ein ganz besonderes Inter­effe schien in seinem eigenthümlich aufleuchtenden Auge zu liegen.

,, Näheres weiß ich nicht!" antwortete D'Brian. Ich

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als die Röln. 8tg." jedenfalls dies beweisen will. Hören wir also: Bei den Wahlen am 28. Oktober erhielten nach zu­verlässiger Schäßung Stimmen: 8.ntrum und Welfen 1 392 667, Deutschkonservative 884 743. Deu schireisinnige 983 293, Nationall berale 979 430, Reichspartei 331 474, Sozialdemokraten 526 241, Volkspartei 72 915. Nach diesem Stimmenverhältnis hätte unter genauer Becüd fichtigung der übrigen hier nicht aufgezählten kleineren Parteien der Anspruch auf Mandate zwischen den ge­nannten Parteien also vertheilt: 3ntrum und Welfen 98, Deutschkonservative 62, Deutichfceifinnige 69, Nationalliberale 69, Reichspartei 23, Sozialdemo traten 37, Voltspartei 5. Jn Wuflichkeit aber zählen im neuen Reichstai: Bentcum und Welfen 109, Deutsch­tonservative 77, Deutschfreifinnige 66. Nationalliberale 54, Reichspartei 27, Sojialdemokraten 24, Volks­partei 7."

Aus vorstehendem Vergleich ergiebt sih, wenn wir das rechte Seite des Reichstags nur um 4 Size, die Zentrum als Mittelpartei nicht berücksichtigen, daß die linte Seite aber um 14 Size zu furz gefommen, speziell die Sozialdemokratie um breizehn Size!

Nehmen wir aber den Einfluß an, den diese ganze Verschiebung, das Zentrum jest mit eingefchloffen, auf die Beschlüsse des Reichstags ausübt, so ist dieser Einfluß gleich Null. Die Sozialdemokratie allein hätte einen Vortheil gehabt, denn ihr müßten die Site, welche das Zentrum zu viel befigt, zufallen, während doch die Nationalliberalen lediglich ihren besten Freunden, den Konservativen und der Reichspartei die überschüssigen Size fortaehmen würden. Und das wäre doch so gehauen, wie ge= stochen."

Deshalb brauchte sich die Kölnische Zeitung " nicht so ungemein aufzuregen.

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Wir bleiben also dabei, daß wir vorläufig nicht die geringste Aenderung an dem Reichswahlgesez wünschen, so­weit diefelbe Bezug auf die Wahlberechtigung hat. Das Bolt aber möge immer die Situation vor Augen haben und bas Allgemeine gleiche Wahlrecht zu schüßen suchen, welches von der Neattion nur deshalb an­gegriffen wird, weil es ein wirkliches Vols­recht ist.

Politische Webersicht.

Zur Wahl im sechsten Berliner Wahltreise. Die Fortschrittspartei sucht wieder einmal die Arbeiter zu düpiren, indem sie der Arbeiterpartei einen fortschritt­lichen lichen Arbeiter" entgegenstellt. Wohl wissen wir, daß auch andere Leute, als speziell Lohnarbeiter die Arbeitersache

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hoffte, Näheres über die Person im Schloß Davistown zu erfahren." Ah, in Davistown!" wiederholte der Gra f. Sie waren dort?"

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Ich war bort, erhielt aber keine bestimmte, sondern eine entmuthigende Antwort. Leider war Lady Davis nicht anwesend."

,, Sie ist anwesend!" fiel der Graf lebhaft ein. Sie ist jetzt anwesend."

Auch erfuhr ich bei meinem Besuche, den ich dort machte, daß Mylady stets krant zurückgekehrt und außer Stande ist, Jemanden zu empfangen."

,, Ja krank, sehr frank!" wiederholte der Graf von Neuem in Nachdenken versinkend.

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Vielleicht, Herr Graf," nahm nach einer Pause O'Brian das Wort, könnte ich dennoch durch Sie einige Aufschlüsse erhalten. Ist Ihnen die Familie Davis bekannt? Kannten Sie namentlich Lady Davis?"

" Ich kannte sie!" antwortete er, und ein schmertvolles Bucken um seine Lippen machte sich bemerkbar. Offenbar beunruhigte ihn diese Unterredung.

,, Rannten Sie eine Dame, welche Gesellschafterin bei Lady Davis war?" fuhr D'Brian, welcher seine Unruhe nicht sogleich bemerkte, fort.

,, Nein, ich kannte sie nicht!" sagte der Graf; doch fprechen wir von etwas Anderem."

Zum Glück meldete jetzt ein Diener, daß das Früh­ftüd angerichtet sei. Der Graf erhob sich und bat seinen Gaft, ihm zu folgen. Das Frühstück war in einem mit modernem Luxus ausgestatteten Wohnzimmer angerichtet, das der alterthümlichen Einrichtung des ganzen übrigen Schlosses wenig entsprach. Feiß Rodenburg war bereits bort anwesend, begrüßte den Grafen und wünschte ihm Glück zu seinem Aussehen. Man i ste sich und es that dem Grafen offenbar wohl, in Gesellschaft von Gästen wie der ein Glas Wein zu trinken, und seine in dem ganzen Distrikte so hoch gerühmte Gastfreundschaft zu dokumentiren. Ein Schatten aber flog über sein Antlig, als er seine Tochter nicht anwesend fand.