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Nr. 227.

Sonntag, 28. Dezember 1884.

I. Jabrg.

Berliner Volksblatt.

Organ für die Interessen der Arbeiter.

Das ,, Berliner Volksblatt"

erscheint täglich Morgens außer nag Sonn- und Festtagen. Abonnementspreis für Berlin   frei in's Haus vierteljährlich 4 Mart, monatlich 1,35 Mart, wöchentlich 35 F. Boftabonnement 4 Mart. Einzelne Nr. 5 Pf. Sonntags- Nummer mit illuftr. Beilage 10 Pf. ( Eingetragen in der Postzeitungspreisliste für 1885 unter Nr. 746.)

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Redaktion und Expedition Berlin   SW., Bimmerfraße 44.

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,, Berliner Volksblatt"

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Illustrirtes Sonntagsblatt".

Wir bliden nunmehr auf ein Bestehen von dreiviertel Jahren zurüd, und der Anklang, den unser Blatt überall ge­funden hat, beweist, daß wir uns mit den Ansichten unserer Leser vollständig in Uebereinstimmung befinden.

Wir werden vom 1. Januar t. Js. ab vor allen Dingen unsere Aufmerksamkeit den parlamentarischen Vorgängen widmen; wir werden die Berichte aus den gefeßgebenden Körperschaften so ausführlich bringen, daß wir mit den größten Berliner   Zeitungen erfolgreich zu fonturriren im Stande find.

Der Abonnementspreis beträgt für Berlin   wie bisher 4 Mail pro Quaital, 1,35 pro Monat, 35 Pf. pro Woche. Bestellungen nehmen sämmtliche Spediteure, fowie die Expedition dieser Beitung an. Für Außerhalb nehmen alle Bostanstalten Abonnements für das nächste Quarial zum Preise von 4 Mark entgegen.

Die neu hinzutretenden Abonnenten erhalten den bisher erschienenen Theil des fesselnden Romans

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Gesucht und gefunden"

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Probenummern stehen den Freunden unserer Zeitung selbst in größerer Anzahl stets zur Verfügung. Wir bitten hiervon recht ausgiebigen Gebrauch zu machen, damit das Berliner  Voltsblatt" in immer weiteren Kreisen Eingang finde.

Die Tagelöhne in Schlesien  .

"

Für die Bewohner einer der reichsten Städte Deutsch­ lands  , in welcher auch der Arbeitslohn, obgleich für die Verhältnisse dieser Stadt gering genug, den Lohn in den übrigen Gegenden Deutschlands   übersteigt, dürfte es von Intereffe sein, über die Höhe der Tagelöhne in einer der ,, ärmsten Gegenden" Deutschlands  , in Schlesien  , Näheres zu erfahren.

Zunächst aber wollen wir bemerken, daß man Schlesien  nur in foweit, arm" nennen kann, weil unendlich viele arme Leute dort wohnen; sonst ist es gefeguet genug mit Schäßen des Land- nnd Bergbaus, schöne Flüsse durch­

Rachdruck verboten.]

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Feuilleton.

Gesucht und gefunden.

Noman von Dr. Dur. ( Forfezung.)

Die Zeiten haben sich geändert. Nach Deinem Ver­schwinden nahm er Anfangs Deine Vettern und Kousine Lucie Rodenburg als Erben in Aussicht. Den Intriguen Ambergs ist es aber gelungen, diese aus seinem Herzen und aus seiner Nähe zu verdrängen, und den alten schwa chen Mann zu bethören.... Lucie Rodenburg hat sich Tängere Zeit zu seiner Pflege in seinem Hause aufgehalten; durch allerlei Intriguen ist sie aus demselben entfernt worden.... Ich lernte sie kennen in Berlin   bei alten Freunden von mir."

...

,, Sie ist die Schwester des Arztes, welcher den Grafen M'Donuil in feiner Krankheit behandelte."

Was, der junge Arzt, den wir dort kennen lernten,

wäre Dein Better?"

Ja, mein Vetter! Er weiß natürlich nichts davon. Ja habe ihn später schäßen und lieben gelernt und mit ihm Freundschaft geschlossen, da die Bande der Verwandt­schaft, welche uns aneinander ketten, ihm Geheimniß bleiben müffen."

Merkwürdiges Zusammentreffen! Der verstoßene Sohn und der verstoßene Erbe schließen einen Freundschaftsbund! Deine armen Verwandten sind zu beklagen, fie scheinen Alle nicht gut fituirt; Lucie bestreitet durch ihrer Hände Arbeit ihren Unterhalt."

Schändlich! Eine solche Nichtswürdigkeit aber durfte man dem Amberg   zutrauen!"

,, Es hat mich innerlich auch empört, Felix." " Durch meine Rousine erfuhrst Du zugleich ,, Nicht durch sie! Ich vermied es, ihr gegenüber irgend ein Interesse an den Tag zu legen, um bei ihr und meinen Verwandten keinen Argwohn zu erregen... Ich wandte mich an eine viel bessere Quelle, an eine Person, welche, wie ich schon sagte, gegenwärtig der beste Freund Deines

rauschen das Land, prachtvolle Waldungen zieren es und leuchtende Wiesen liefern dem zahlreichen Vieh saftige Nahrung.

Also arm ist die Provinz an sich nicht Arbeiter in derselben sind arm, sehr arm.

-

aber die

Bei Gelegenheit der Berechnungen für die Krankenver ficherung find befanntlich von den Behörden in Deutschland  bie ortsüblichen Tagelöhne festgestellt worden. Den baaren Löhnen find Tantiemen und Naturalbezüge( freie Wohnung, Feuerung, Beköftigung, Viehweide u. 1. w.), nach Orts­durchschnittspreifen veranschlagt, hinzugerechnet worden. Die Gemeinden hatten die Angaben gesondert zu machen: a. für erwachsene( mehr als 16 Jahre alte) männliche; b. für er­wachsene weibliche; c. für jugendliche( unter 16 Jahren) männliche und d. für jugendliche weibliche Arbeiter.

Das Ergebniß dieser Lohnfeststellung soll nun nach den in den Amtsblättern veröffentlichten Angaben für die Pro­vinz und die einzelnen Regierungsbezirke nachstehend ange= geben werden.

Der Durchschnitt des ortsüblichen Tagelohns( wohlge= merkt, inbegriffen der Naturalbezüge) beträgt demnach nach Pfennigen: in der Prov. im Bezirk im Bezirk im Bezirk Schlesien Breslau Liegnig Oppeln

für erwachsene männ liche Arbeiter

103

101

110

98

für erwachsene weib

liche Arbeiter

67

65

70

66

für jugendliche männ liche Arbeiter

57

55

56

60

für jugendliche weib­

44

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44

liche Arbeiter. 44

Die Lebensmittel in der Provinz Schlesien   find nun allerdings etwas billiger, als in Berlin  , besonders quan­titativ gerechnet. Faßt man aber die Qualität derselben ins Auge, bedenkt man, daß bei guter Qualität die Duan­tität der Nahrungsmittel nicht so groß zu sein braucht, dann ist in Bezug auf die Ernährung der Preisunterschied der Waaren in Berlin   und Schlesien   kein so sehr großer.

Wohnung und Feuerung allerdings find in Schlesien  merklich billiger, als in Berlin  .

Doch wenn man auch dies berücksichtigt, so sind doch die schlesischen Durchschnittslöhne gradezu Hungerlöhne. Sechs Mart für sieben Tage! Wie damit ein erwachsener Arbeiter auskommen soll, der noch dazu Frau und fleine Kinder hat, das ist nicht recht zu begreifen! Auch dabei redet man so gern von dem gefegneten deutschen Reiche!"

Nun wollen wir aber auch unsern Lesern zu den Durchschnittslöhnen auch noch die höchsten und niedrigsten

Vaters ist. Ich begab mich nach Neustadt und hatte dort mit Amberg   eine Unterrebung."

"

Und das Resultat, Mar?"

,, Das zu hören, ersparte ich Dir gern."

,, Erspare mir nichts...! Alles, was mich an Leiden trifft, betrachte ich als eine Strafe."

,, Eine Strafe ist's allerdings, aber feine gerechte, die Dich trifft... Wohl aber ist es für Deinen Vater eine gerechte Strafe, daß er einsam und allein in der Welt da­teht, Niemand hat, der sich seiner annimmt, der ihm Freundschaft und Liebe erweist, als jenen- Heuchler."

Sagtest Du ihm, daß Du in meinem Auftrage

kämst?"

Ich sagte ihm, daß ein Freund von mir Interesse an Herrn Rodenburg nehme und mich beauftragt habe, nach Deutschland   zu reisen, um mich nach dem Befinden des alten Herrn zu eskundigen."

,, Und er antwortete?"

Löhne angeben. Dabei stellt sich das Verhältniß in den betreffenden Regierungsbezirken folgendermaßen:

1) Für männliche erwachsene Arbeiter a. im Bezrik Breslau  : höchster Mt. 1,60( Stadt Breslau  ), niedrigster Mt. 0,80( Kreise Militsch  , Münsterberg, Wartenberg); b. im Bezirk Liegnig: höchster Mt. 1,80( Stadt Görlig), niedrigster Mt. 0,90( Kreis Grünberg  - Land und Kreis Rothenburg D.-L.); c. im Bezirk Oppeln  : höchster Mt. 1,20 ( Städte Beuthen  , Königshütte, Kattowig, Tarnowih), niedrigster Mt. 0,80( in den Landgemeinden neun verschie dener Kreise).

2) Für weibliche erwachsene Arbeiter a. im Bezirk Breslau  : höchster Mt. 1( Stadt Breslau  ), niedrigster Mt. 0,50( Kreise Guhrau  , Militsch  , Münsterberg, Neu­ markt   und Trebnik  ); b. im Bezirk Liegnig: höchster Mt. 1 ( Städte Görlitz  , Liegniß, Lauban  ); niedrigster Mt. 0,45 ( Kreis Rothenburg D.- 2.); c. im Bezirk Oppeln  : höchster Mt. 0,80( in 13 verschiedenen Städten), niedrigster Mt. 0,50 ( Kreis Kreuzburg  - Land, Kreise Lublini, Rosenberg, Rybnik  ).

3) Für männliche jugendliche Arbeiter a. im Bezirk Breslau  : höchster Mt. 0,80( Stadt Breslau  ), niedrigster Mt. 0,40( Kreife Neurode und Wartenberg); b. im Bezirk Liegnig: höchster Mt. 0,80( Stadt Görlig), niedrigster M. 0,30( Kreis Rothenburg D.-L.); c. im Bezirk Oppeln  : höchster M. 0,80( Städte Beuthen  , Königshütte, Kattowiz, Neisse); niedrigster Mt. 0,40( Kreis Rybnik  ).

4) Für weibliche jugendliche Arbeiter: a. im Bezirk Breslau  : höchster Mt. 0,60( Stadt Breslau   und Kreis Reichenbach  , niedrigster Mt. 0,30( Kreise Guhrau  , Militsch  , Wartenberg); b. im Bezirk Liegnig höchster Mr. 0,60 ( Städte Görlig, Liegniß, Muskau  ); c. im Bezirk Oppeln  : höchster Mt. 0,70( Stadt Neisse  ), niedrigster Mt. 0,30 ( Kreise Lublinit, Rosenberg).

Aus dieser Zusammenstellung ersieht man, daß nur in den Städten Breslau   und Görlitz   von den Tagelöhnern ein Lohn von 1 Mark 60 Pfennigen erzielt werden kann und zwar als höchfter, ausnahmsweiser Sah, während sich zahlreiche männliche Arbeiter mit 80 Pfennig begnügen müssen das ist ein Wochenlohn von 4 Mark 80 Pfen nigen! Daß Frauen nicht mehr als 50 Pfennige und jugendliche Arbeiter nicht mehr als 30 Pfennige täglich verdienen ohne irgend eine andere Vergütung, ist kaum begreiflich. Jugendliche Arbeiter im kräftigsten Wachsthum können ja kaum die Ernährung mit 30 Pfennig bestreiten! Dieselben müssen bei solchen Löhnen törperlich und mo­ralisch zu Grunde gehen.

Wahrlich, solche Zustände dürften doch wohl geeignet sein, die maßgebenden Faktoren in Deutschland   anzufeuern, den Arbeitern raschere Hilfe zu bringen, die Sozial­

Also man weiß es?"

"

,, Das schien mir in der That so, denn er erwähnte auch das gleichzeitige Verschwinden des Herrn von Wredow."

,, Man weiß Alles! Mein Name ist einregistrirt in die Liste der gemeinen Verbrecher."

Leider mußte ich das nach Amberg's   Andeutungen ebenfalls annehmen."

,, Woher aber rührt die Nachricht von dem Tode Felix Rodenburg's?"

Der preußische Konsul in Pondichery   hat diese Nach­Es ist kein richt Herrn Rodenburg zukommen lassen. Zweifel, die Identität eines bei Madras ermordeten Dffi­ziers mit der Person des Felix Rodenburg, alias D'Brian, ist vollständig erwiesen."

"

,, Und alle Welt glaubt an den Tod des Geächteten?" ,, Natürlich glaubt alle Welt daran." Es ist vielleicht so am besten, Max. Du hast " Daß der alte Herr sich leiblich wohl befinde und ganz doch nicht die Unvorsichtigkeit begangen, diese Nachricht zu zufrieben lebe. Ich fragte, ob Herr Rodenburg nicht widerlegen." Er einen Sohn habe; darauf ward mir die Antwort: " Ich dachte das, was Du eben aussprachst, daß es vielleicht am vortheilhaftesten so sei." hatte einen Sohn.""

" Et

Ja, mein unglücklicher Vater hatte einen Sohn! Sein Sohn hat ihn undankbar verlassen, hat den Schimpf eines Verbrechens auf seinen unbefleckten Namen geladen, und ist Schuld daran, daß sein Alter vereinsamt ist, daß er freudlos und liebeleer die legten Tage seines Lebens verbringen muß." Man hält

So war die Antwort nicht gemeint.. nämlich den Sohn für todt."

,, Ah!" rief Felix erstaunt. Wie kommt man zu der Annahme?"

Herr Amberg   erzählte mir, was ich natürlich wußte, daß der Betreffende auf eine räthselhafte Weise aus Deutsch  land verschwunden sei, daß man später erfahren habe, er halte sich in Indien   auf, und daß man von dort her die Nachricht seines Todes erhalten habe."

"

Und über das Verschwinden sagte er nichts?" " O ja, doch! Er brachte das Verschwinden in Verbin­bung mit einem Verbrechen."

,, Ja, es ist am besten so, ja; aber besser wäre es für mich, wenn die Nachricht nicht eine falsche, sondern eine Für mich giebt es nur Erlösung durch den

wahre wäre. Tod."

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,, Lieber Felix, die Neue fühnt die That, und Deine Reue ist so tief und anfrichtig gewesen, daß die That, welche ja nur im Affekt der Leidenschaft verübt wurde, ja eigentlich nichts war, als eine fahrlässige Tödtung, längst gefühnt ist. Die Zeit wird die Stimme Deines Ge­wiffens zum Schweigen bringen... Es wäre ja entsetz­wissens zum Schweigen bringen... lich, zu denken, daß ein Mann, so jung, so voll Lebens­fraft, so voll ebler Grundfäße, am Leben verzweifeln und hoffnungslos feine Tage hinschleppen sollte."

,, Du malst das Loos meiner Zukunft... Aber sage, wie nahm mein Vater die Nachricht von meinem Tode auf?"

,, Nach Amberg's   Bericht sehr gleichgültig."