Nr. 228.

Dienstag, 30. Dezember 1884.

I. Jahrg.

Berliner Volksblatt.

Organ für die Interessen der Arbeiter.

Das ,, Berliner Volksblatt"

erscheint täglich Morgens außes nach Sonn- und Fefttagen. Abonnementspreis für Berlin feet in's Haus vierteljährlich 4 Mart, monatlich 1,35 Mart, wöchentlich 35 3F. Boftabonnement 4 Mart. Einzelne Nr. 5 Pf. Sonntags- Numer mit illuftr. Beilage 10 Pf. ( Eingetragen in der Postzeitungspreisliste für 1885 untes Nr. 746.)

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Mit dem 1. Januar 1. Js. eröffnen wir ein neues Abonne­ment auf das

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Berliner Volksblatt"

mit der wöchentlichen Gratis- Beilage

" Illustrirtes Sonntagsblatt".

Wir bliden nunmehr auf ein Bestehen von dreiviertel Jahren zurück, und der Anklang, den unser Blatt überall ge­funden hat, beweist, daß wir uns mit den Ansichten unserer Leser vollständig in Uebereinstimmung befinden.

Wir werden vom 1. Januar f. 33. ab vor allen Dingen unsere Aufmerksamkeit den parlamentarischen Vorgängen widmen; wir werden die Berichte aus den geseggebenden Rörperschaften so ausführlich bringen, daß wir mit den größten Berliner Zeitungen erfolgreich zu tonfurtiren im Stande find.

Der Abonnementspreis beträgt für Berlin wie bisher 4 Mat pro Quartal, 1,35 pro Monat, 35 Pf. pro Woche.

Bestellungen nehmen sämmtliche Spediteure, sowie die Expedition dieser Zeitung an. Für Außerhalb nehmen alle Bostanstalten Abonnements für das nächste Quartal zum Preise von 4 Mart entgegen.

heeres wieder zur Berathung steht, dann ist die Zeit für Herrn Windthorst gekommen und man wird mit dem ges schickten Staatsmann des Zentrums rechnen müssen. Ohne die Zustimmung des Zentrums ist eine Verlängerung des Septennats gar nicht denkbar. Herr Windthorst müßte aber nicht Windthorst sein, wenn er nicht die Gelegenheit beim Schopfe nehmen und den Preis für seine Zustimmung mög­lichst hoch stellen sollte. Er wird dann wahrscheinlich nichts weniger als die Aufhebung der Maigeseze verlangen, die Regierung wird diesen hohen Preis für die Zustimmung des Zentrums aber nicht zahlen wollen. Die Kämpfe, die daraus entstehen, sollen nun nach der Prophezeihung der Norddeutschen Allgemeinen Zeitung" derart heftig werden, daß sie ein Einfrieren der Reichsmaschine" zur Folge

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haben.

Unter Reichsmaschine" tann man nur den ganzen Regierungs- und Verwaltungsapparat des Reichs verstehen; ein ,, Einfrieren" würde also bedeuten, daß dieser Apparat Au funktioniren aufhörte und strifte. Und soll das Ein­frieren" auf immer oder nur auf furze Zeit vor sich gehen?

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Wir fassen diesen Ausdruck mehr als eine Drohung, benn als eine Weissagung auf. Das freiwillige" Organ der Reichsregierung beginnt seine Agitation für die Verlän­gerung des Septennats frühzeitig genug, schon jetzt." Wenn

Die neu hinzutretenden Abonnenten erhalten den bisher hr das Septennat nicht verlängert, so wird die ganze erschienenen Theil des fesselnden Romans

,, Gesucht und gefunden"

gegen Vorzeigung resp. Einsendung der Abonnements- Quittung in unserer Expedition

Zimmerstraße 44,

in einem Separatabzuge gratis und franko nachgeliefert.

Brobenummern stehen den Freunden unserer Beltung felbft in größerer Anzahl stets zur Verfügung. Wir bitten hiervon recht ausgiebigen Gebrauch zu machen, damit das Berliner Boltsblatt" in immer weiteren Kreisen Eingang finde.

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Das Einfrieren der Reichsmaschine. Mit diesem etwas mysteriösen Ausdruck hat das frei willige" Drgan des Reichskanglers, die Norddeutsche All­gemeine Beitung", einen Zustand bezeichnet, der nach der nach der eintreten wird, wenn es sich im Meinung dieses Blattes Reichstage um die Verlängerung des Septennats, d. h. um die Feststellung der Präsenzstärke des Reichsheeres auf wei­tere fieben Jahre handeln wird. Daß es bei dieser Ge­legenheit zu heftigen Rämpfen tommen wird, ist faum zu bezweifeln, wird aber dabei die ganze Reichsmaschine stille stehen und wird es nothwendig sein, daß sie steht?

Wenn die Feststellung der Präsenzstärke des Reichs­

Nachdruck verboten.]

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Feuilleton.

Gesucht und gefunden.

Roman von Dr. Dur. ( Forsehung.)

Indeffen Nena Sahib fürchtete diesen Feind nicht all­zufehr und überließ sich mit seinen Verbündeten der Freude feiner entscheidenden Siege, welche in der Hoffnung ge= feiert wurden, daß balb kein Engländer ohne Erlaubniß eines indischen Königs den Fuß an's Land setzen dürfe. So hatte sich Nena Sahib nach jahrelangen Kämpfen ein-. mal das Vergnügen einer Jagd in den indischen Wäldern bereitet. Mit einer großen Anzahl geladener fürstlicher Personen und einem Gefolge von Hunderten von Sklaven, nebst seinem ganzen Harem war er ausgezogen nach einem Punkte der bengalischen Grenze, im Lande Bhuta, wo die Jagd sich durch Großartigkeit und Mannigfaltigkeit befon­ders auszeichnete.

Hier hatte man eine förmliche Stadt von Belten er­richtet. In der Mitte stand das königliche Belt Nena Sahib's, ausgestattet mit allem erdenklichen orientalischen Bomp; daneben das Zelt seines Harems, dann die Belte feiner Generale und Beamten, und daran reihten sich die der Gäste und der Dienerschaft; rings um diese Beltstadt war eine ziemlich starke Militärbedeckung aufgestellt. Nena Sahib hatte seinen Gästen alles mögliche Vergnügen be­reiten lassen. Jeden Morgen begannen die Amüsements mit der Hinrichtung einiger hundert Gefangenen, die theils an Bäumen aufgeknüpft, theils durch die Geschicklichkeit der indischen Mefferwerfer getödtet wurden, indem man sie an Pfähle band und die Messerwerfer sie als Zielscheiben benutten, so lange bis sie verendeten. Ein anderer Theil ward von den Jagdfreunden erschossen, in­dem fie in weiter Entfernung aufgestellt wurden und ein förmliches Preisschießen nach ihnen stattfand. Nach diesem für die Unmenfchen sehr amüsanten Anfange folgte bie fleine Jagd auf wilde Enten, Reiher und anderes Ge­flügel mittelst der Jagdfalken, welche in Indien vortrefflich abgerichtet sind, dann die Jagd auf Hirsche und Rehe,

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Reichsmaschine einfrieren" so lautet eigentlich die an die Adresse des Reichstages gerichtete Drohung.

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Nun, man wird dabei nicht gleich so ängstlich zu wer= den brauchen. Wenn die Reichsmaschine wirklich einfrieren" follte, so werden dies diejenigen zu vertreten haben, die das Einfrieren" bewirken. Aber wir glauben noch gar nicht an dieses ,, Einfrieren", wenn es auch von der Norddeut­fchen Allgemeinen" in Aussicht gestellt worden ist. Wenn der Reichstag verlangt, daß die Präsenzstärke des Reichs­heeres alljährlich festgesetzt werde, so überschreitet er damit weber seine Kompetenz, noch handelt er sonst irgendwie der Reichsverfassung zuwider.

Wir gehören nicht zu den Leuten, die sich durch orakel­haft dunkle Aussprüche der Herren Offiziösen ins Bockshorn jagen lassen, und sind der Ansicht, daß die Redakteure des in Rede stehenden Blattes von dem, was die Zukunft brin­gen wird, ebenso viel oder ebenso wenig wissen als wir selbst. Ob also die Reichsregierung einfrieren wird, oder nicht, steht dahin und kann man darüber heute ebenso wenig fagen, wie über die Folgen, die ein solches ,, Einfrieren" nach sich ziehen würde.

Im Anschluß daran möchten wir den Herren Offiziösen etwas mehr Bescheidenheit anrathen. Wenn sie sich geber­ben, als hinge die Gestaltung der Zukunft Deutschlands von dem ab, was in ihren Redaktionsbureaux geschieht, so kann

ebenfalls mittelst der Jagdfalken, die so abgerichtet sind, daß sie den fliehenden Thieren folgen und ihnen im Fluge die Augen aushacken.

Eine andere Variation bildete die Jagd mit den ab­gerichteten Jagdleoparden, und den Schlnß machte die Um­stellung eines Tigers oder Löwen durch die kühnsten Jäger der Gesellschaft. Nachdem der Tag auf diese Weise ver bracht war, begannen die Vergnügungen des Abends, ein Gelage im Zelte Nena Sahib's. Wie alle orientalischen Gelage bildeten die Hauptunterhaltung des Abends die Aufführungen von Gauklern und Tänzerinnen. Die Be­Aufführungen von Gauklern und Tänzerinnen. dienung bei der Tafel wurde durch Sklaven bewirkt. Nena Sahib machte sich das grausame Vergnügen, die vornehmsten feiner Gefangenen, bevor er sie erschießen ließ, zu den niedrigsten Sklavendiensten zu zwingen, und so hatte man denn die eigenthümliche Erscheinung, daß man am Hofe des indischen Häuptlings lauter Europäer, namentlich Eng­länder, als dienstthuende Sklaven fungiren sah. Ihn er gößten die Blicke voll Wuth und Erbitterung, welche die Augen dieser Leute auf ihn und seine Umgebung schoffen. Diejenigen, auf deren Antlig man Niedergeschlagenheit, Traurigkeit und Verzagtheit las, langweilten den Tyrannen und diese konnten sicher sein, schon am nächsten Tage zu den Todesopfern zu zählen. Der Sklave, welcher den Auftrag hatte, neben dem Häuptling zu knien, um ihm, so oft er es wünschte, den weichgepolsterten Schemel unter die Füße zu schieben, war ein junger Mann von etwa zweiundzwanzig Jahren. Sein lebhaftes, feuriges Auge schoß Blize voll Wuth und Ingrimm auf den Tyrannen, und dieser machte sich das Vergnügen, durch einen Fußiritt von Zeit zu Zeit seine Wuth noch mehr zu reizen. Bei der geringsten Pflichtvernachlässigung aber, die er sich zu Schulden tommen ließ, gab Nena Sahib den hinter ihm stehenden Gepanzerten einen Wink; dann wurde der Un­glüdliche hinausgeführt, um einige Geißelhiebe zu empfangen und demnächst gezwungen, seinen entehrenden Dienst weiter zu verrichten.

Die günstigsten Momente für ihn waren diejenigen, wo der Häuptling entzüdt von den Aufführungen der Gaukler war und in Anspruch genommen wurde durch die

das bei ernften Männern nur ein Lächeln hervorrufen. Wir leben in der Zeit der raschen Veränderungen; der Dampf hat unserem Beitalter seinen haftigen Charakter aufgeprägt. Wer kann heute sagen, welche neuen Erscheinungen sich uns morgen präsentiren werden? An Propheten hat es zwar nie gefehlt, allein die Qualität ließ stets sehr zu wünschen übrig und am meisten die Qualität jener Propheten, die in den Bureaux der offiziösen Blätter steden.

Politische Webersicht.

St. Sylvester ist da, und wie üblich, mit ihm die Mas­

terabenzeit. Wenn auch die Maskenscherze im Allgemeinen nur einen privaten Charakter haben, so giebt es dennoch auch folche auf politischem Gebiet, und namentlich giebt es Leute,

welche sich bemühen, das politische Gebiet zu einem Ererzier feld für Harlequins zu machen. Zu einer derartigen Anschauung muß man tommen, wenn man den Spettafel betrachtet, welcher am Sonnabend auf Tivoli und im Saale der Bockbrauerei in Szene gesezt wurde. Die allbekannten antisemitischen Schrei­

hälse, Der Ehrenmann Libermann Don Sonnen­berg, ber Dr. Henrici und Der große Müller, hatten es für gut befunden, ihre allbekannten Phrasen einer sog. Vo Ifs rersammlung wieder einmal aufzutischen. Was die Herren dort zusammengeredet haben, hat nicht den geringsten Werth; ein unabhängiger Arbeiter würde sich schämen, in der Art und Weise zum Volte zu sprechen, wie diese Herren. Freilich darf man nicht vergessen, daß das Volf", welches den Phrasenwust dieser Helden für baare Münze nimmt, mit dem deutschen Volte nichts gemein hat. Das haben die Reichstagswahlen bewiesen. Männer aus dem Bolte gehen zu den Bolls"-Versammlungen des genannten Kleeblaits nur dann, wenn sie das Bedürfniß fühlen einmal den Jofus aus eigener Anschauung fennen zu lernen. Eine Volfsversammlung fennt teine erbliche Klingelprinzen; das Vergnügen, die Klingel stets in der Tasche zu tragen und den Berfit in der Versammlung als Privilegium gleich mitzu brin­gen, überläßt das Bolt den Leuten, welche angeblich" für seine Befreiung" eintreten. Gegner erhielten selbstver ständlich nicht das Wort; es ist nur zu bewundern, daß es immer noch Männer im Volte giebt, welche sich in solcher Ges ſellschaft zum Worte melden, um den dargebotenen Urbret zu Neu war in dem ganzen Spektakel nur die For­derung, der Reichskanzler möge doch das geheime und gleiche Wahlrecht abschaffen, damit in Zukunft nur noch Diejenigen wählen können, welche ein bestimmtes Quantum Vermögen aufzuweisen haben. Sonderbare Schwärmer diese Männ chen! Erst schimpfen sie auf das Kapital und hinterher wollen Nur so weiter, bie fie für das Kapital Privilegien haben. Sache wird wirklich heiter! Zum Militärftrafprozeß- Verfahren. In der Reichs­tags fitung vom 9. d. M. erklärte der Kriegsminister in seiner Erwiderung auf die Rede des Abg. v Bollmar, daß ein dringendes Bedürfniß, den Militär strafprozes zu ändern, für die preußische Armee nicht vorliege. Diese Er

berühren.

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Produktionen der Tänzerinnen, in welchem Falle er den Sklaven nur wenig beachtete. Dies war glücklicher Weise diesen Abend häufig der Fall. Man hatte Nena Sahib angekündigt, daß unter den Sklavinnen eine Tibetanerin sich befinde, welche nicht nur ein außerordentlich schönes Mädchen sei, sondern auch vorzüglich zu singen und zu tanzen verstehe.

Man führe sie herein!" befahl Nena Sahib.

Was war's, das in diesem Augenblicke den Stlaven zu seinen Füßen veranlaßte, aufzuspringen und eine troẞige, fast drohende Haltung seinem Gebieter gegenüber anzu­nehmen?

Nena Sahib maß ben Ungehorsamen Anfangs mit einem vernichtenden Blicke, dann aber zuckte ein boshaftes Lächeln um seine Lippen.

Nieder, englischer Hund!" rief er. Gieb auf Deinen Dienst Acht!"

Ich will meiuen Dienst verrichten," antwortete der junge Mann finstern Auges. Ich weigere mich nicht, da Sie die Macht haben, mich zu zwingen; aber eine Bitte laffen Sie mich aussprechen."

Ha, eine Bitte," unterbrach ihn Nena Sahib, das ist originell! Der englische Hund erkühnt sich eine Bitte an mich zu richten. Habt Ihr's gehört?"

Er fann einen Augenblick nach, welche exemplarische Strafe er für diese Kühnheit verhängen sollte. Wieder ward das boshafte Lächeln üm seine Lippen sichtbar, dann fagte er:

Laß' hören Deine Bitte, Engländer! Ich habe es gern, wenn Engländer mich bitten; es wird bald so weit sein, daß sie Alle zu meinen Füßen liegen, die Näuber unjeres Bandes und unserer Freiheit."

Ich bin fein Engländer, Neng Sahib," antwortete der junge Mann mit großem Freimuth, ich bin ein Deutscher und hatte nur Dienst genommen auf einem eng­lischen Schiffe. Meine Gefangenschaft ist gegen alles Völkerrecht; ich hoffe aber einst gerächt zu werden.

Ha, ha, ha!" lachte Nena Sahib und seine ganze Umgebung stimmte mit ein.

Das ist ein vortrefflicher Bursche!" nahm einer der