Beilage zum Berliner Voltsblatt.

Nr. 1.

Ueber den

Erwerb und Nuten von Kolonien bringt das englische Blatt Economist" folgenden inter­effanten Artikel: Das deutsche Volk wird sich, wie wir fürchten, enttäuscht sehen in den Hoffnungen, welche das felbe in der wilden Balgerei um unbesetzte Gebiete weiter treiben. Die Bewegung, welche aus dem Volke stammt und weniger von dem Fürsten Bismarck veranlaßt worden ist, entspricht drei Wünschen, von denen keiner vollständig er­füllt werden dürfte. Zunächst will die deutsche Nation ebenso groß und einflußreich in der ganzen Welt sein, wie sie es bereits in Europa ist. Das ist ein ganz natür­licher Wunsch, allein Deutschland im Besige von Kolonien und Handelsfaktoreien wird wahrscheinlich in Europa schwächer sein, als jest. Eeine jetige Stärke beruht hauptsächlich in der Konzentration, während der Besitz von Kolonieen es den Gegnern Deutschlands möglich machen wird, dasselbe an zwölf Punften zugleich anzu­greifen. Deutschland wird dann gezwungen sein, ent­weder eine große Flotte und eine Kolonialarmee mit großen Roften zu unterhalten oder sein ganzes Wehrsystem so zu ändern, daß die Soldaten sich zu einer längeren Dienstzeit außerhalb des Landes verpflichten müssen. Die franzöfifche Flotte, welche im letzten Kriege nirgendwo angreifen fonnte, würde dann genügend Anlaß zum Eingreifen erhalten. Und trotz all dieser größeren Anstrengungen würde würde Deutschland nicht stärker werden. Frankreich wurde wurde in seinem großen Kriege mit England aller seiner Kolonien beraubt, meil England sofort in der Lage war, die Meere zu beherrschen und nur in der Heimath selbst be= broht werden konnte. Allein selbst England ist durch seine Kolonien nicht stärker geworden. Der zweite Wunsch der Deutschen geht dahin, ein neues Deutschland jenseits der Meere zu gründen. Dieser Wunsch könnte erfüllt werden, allein dadurch würde die Stärke des Mutterlandes nicht erhöht werden. Kolonien haben stets das Bestreben, sich frei zu machen. Nordamerika vermehrte nicht die Kräfte Englands und revoltirte zuletzt. Südamerika fchwächte Spanien und revoltirte ebenfalls, Brafilien half Portugal in feiner Weise und erklärte sich unabhängig. Frankreich verliert durch den Besit von Tunis und Algier nur Sols daten und Geld. England empfängt nichts von seinen großen Rolonien und kann diefelben nur dadurch behalten, daß es ihnen volle innere Freiheit gewährt. Gelbst Indien theilt Englands Streitkräfte in demselben Maße, als es sie stärkt und jedenfalls könnte Deutschland fein zweites Indien erwerben, ohne An­strengungen zu machen, welche es daheim bedeutend schwächen würden. Der dritte Wunsch der Deutschen end­Es lich geht dahin, ihren Wohlstand zu vermehren. wäre möglich, durch Besetzung ausgedehnter Länder die Völker derselben deutschen Waaren zugänglich zu machen, allein dies bedingt die Einrichtung einer vollstän digen Verwaltung sowie die Erhaltung von Armeen und Flotten. Die bloße Aufhissung der Flagge thut es nicht, denn die wilden Völker werden dadurch nicht kauffräftiger und reicher an Bedürf nissen. Die Ostindische Kompagnie hat die Erfahrung gemacht, daß in dem Augenblick, wo sie nicht nur Handel treiben, sondern auch regieren wollte, der frühere Profit verschwand. Die Handelsstationen des Fürsten Bismarc werden auffallend ähnlich sein den Stationen der alten Ostindischen Kompagnie, und sie werden ohne Zweifel ge­wissen Firmen Geld bringen, allein nicht diejenige Art des Handels entwickeln, welcher eine Nation bereichert oder Märkte erschließt,

Neujahr.

R. C. Wer wohl diese Zeilen lieft! Am heutigen Morgen wird es wohl nicht viel Leute geben, die sich mit besonderer Aufmerksamkeit ihrer Zeitung widmen, und wer wollte es ihnen verargen? Heute ist ja der Morgen des privilegirten Kazenjammers, der Tag der guten Vorsäge und Schrecken aller Schrecken- der äußerste Termin aller unbezahlten Rechnungen. Heute nähen uns alle die­jenigen Leute, die wir nicht gerne sehen, deren Kommen uns ein Greuel und deren Verschwinden uns Labfal ist.

Das neue Jahr hat begonnen, verflogen ist der Syl­vefterrausch, alle glänzenden Bilder, welche uns gestern der feurige Bunsch hervorzauberte, sind verschwunden, in ödes, nebelhaftes Grau verfunken. Nichts ist uns geblieben wie eine verschwommene Erinnerung, und Mancher, der gestern Abend noch längere, mehr oder weniger gut durchdachte Reden vom Stapel ließ, sagt sich heute halb beschämt und halb belustigt: Alle Wetter, gestern hast Du aber mal wieder einen haarigen Blödsinn zusammengequaffelt!"

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Dafür war es aber auch Sylvester und es passirt ja auch alle Jahre nur einmal."

Und trotz alledem ist der Sylvester doch ein schöner Tag! Nachte, so gegen die zwölfte Stunde, wenn die Ge müther einigermaßen erregt find, ist es eine wahre Freude die biebern Berliner zu beobachten. Mit der friedlichen und scherzhaften Sitte des Hutantreibens ist es wohl im Allgemeinen nichts mehr, erstens wird es nicht geduldet und zweitens hütet sich jeder denkende Menfch, den feinge­plätteten Zylinder an einem folchen Abend provokatorisch zur Schau tragen. Ob die Hutmacher damit einverstanden find? Das ist füglich zu bezweifeln. Auf jeden Industries zweig fann leider nicht die gebührende Rücksicht genommen werden, schließlich werden bei derartigen Liebenswürdig feiten nicht nur die Hüte, sondern auch die Köpfe bedent­lich ramponirt, und wenn die Hutmacher es erst verstehen werden, einen Kopf mit derselben Leichtigkeit aufzubügeln wie einen Hut, bann ließe sich über die Wiedereinführung dieser urgemüthlichen Sitte vielleicht etwas mehr reden. Vorläufig aber wollen wir es getrost beim Alten lassen.

Dagegen ist es gewiß ein herzerhebender Moment, wenn pünflich um zwölf Uhr das landesübliche Profit

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Donnerstag, den 1. Januar 1885.

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welche der deutschen Industrie cinen wirksamen Anreiz geben würden. Die Nation, welche für den Schuß der Handelsstationen zahlen muß, wird dadurch nicht reicher, wenn dies auch bei einer beschränkten Zahl Personen der Fall ist. Diese Ausfüh­einzelner Personen der rungen seien, wie der Economist " ausdrücklich am Schlusse versichert, durchaus nicht zu dem Zwecke nieder­geschrieben, um den Versuch der Deutschen zur Gründung von Kolonien herabzusehen. Nichts könne, für Europa besser sein, als wenn Deutschland reich und daher Kriegen immer mehr abgeneigt werde. Die Deutschen seien überdies die besten Kolonisten, ehrliche Händler und nicht Beförderer der Sklaverei, außerdem liegen der gegen­wärtigen Bewegung tiefere Gründe zu Grunde, als bloßer Ehrgeiz, und dieselbe werde, so lange die Ursachen nicht behoben würden, unwiderstehlich sein. Man blicke doch nur auf Rußland , welches in Asien ein ungeheures Reich gegründet und fünfmal fo viel dafür ausge= geben hat, als der Handel einbringt. Dies befriedige das herrschsüchtige Rußland, bereichere es aber

nicht.

Politische Uebersicht.

Eintausend achthundert und vier und achtzig Jahre find nach der chriftlichen Zeitrechnung verflossen. Welch' ein gewaltiger Beitraum und doch wie perschwindend klein, in der Entwickelung des Weltalls! Was kann wohl für den Kultur­freund näher liegen am Abschluß eines Beitabschnittes, als ein Rückblick auf die gewaltigen Ereignisse der verflossenen Fahrs hunderte, welche mit eisernem Griffel eingeschrieben find ins Buch der Weltgeschichte. Und wenn unsere Augen auf die historischen Thatsachen der Vergangenheit blicken, wenn wir schaudernd aus ihnen ersehen, daß der Weg zu der verhältniß mäßig niedrigen Kultur, zu welcher sich die Menschheit bis jegt aufgefchwungen hat, über blutige Schlachtfelder geführt und mit Scheiterhaufen und Bräuelszenen aller Art bedeckt ist, so kann sich uns bei oberflächlicher Betrachtung wohl der Ge­danke aufdrängen, daß der Weg bis zur höheren Kultur, zur Erkenntniß, daß das Menschenthum zu edlen und schönen Auf­gaben berufen ist, nur sehr schwer und erst in feiner Zukunft passirbar sein wird. Wie viel edle Männer haben sich im Laufe der Jahrhunderte für ihre Ideen geopfert, wie viele find von der Welt gefchieden, ohne daß sie ihren Herzenswunsch, Die Befreiung der Menschheit aus Geistesnacht, in Erfüllung geben gesehen haben? Niemand vermag fie au zählen; ihre Bahl be trägt mehr denn Legionen. Nur die Namen der besonders hervorragenden hat uns die Weltgeschichte überliefert. Aber Alle hatten raube Wege zu wandeln, sie wurden von ihren Zeitgenossen wenig oder gar nicht verstanden, sogar verfolgt und gemartert. Die Anerkennung ist eine Pflanze, welche auch heute noch auf den Gräbern wuchert. Doch so trübe, wie einerseits das Bild erscheint, welches sich vor und entrollt, so beruhigend und hoffnungs­freudig wird uns bet genauer Betrachtung stimmen. Wo find fie geblieben, alle Diejenigen, welche gegen jeden Fortschritt Front machten, welche da glaubten, daß es in ihrer Vlacht Itege, die Menschheit in bestimmte Bahnen zu lenten? Auch über diese hinweg ist das Weltenrad gegangen, Keiner von ihnen war mächtig genug, in die Speichen zu greifen und daffelbe zum Stillstand zu bringen. Langsam

und allmälig entwickelte sich der Fortschritt, und wenn auch oft Perioden der Stockung eintraten, so wurden dieselben bald durch ein schnelleres Tempo der Kulturentwickelung reichlich überholt. Müßige Träumer find es daher, welche heute punkt aller Kultur bereits heute von der Menschheit erklommen Kassandra - Rufe ausstoßen, welche da glauben, daß der Gipfel­und ein weiterer Fortschritt nicht bentbar sei. Es geht ihnen, wie dem Baffagier auf einem Dampfschiffe, welcher nur auf seinen Gefährten oder auf die Wände des Schiffes fleht; er gewahrt nicht, wie die Gegenstände am Ufer nach und nach verschwinden und immer neue Formen auftauchen. Es kann niemals ein Stillstand eintreten; und selbst dann, wenn man niemals ein Stillstand eintreten; und selbst dann, wenn man

Neujahr!" ertönt. Diesen Ruf erschallen zu lassen, muß doch ein ganz sonderbares Vergnügen sein, und derjenige Mensch, der sich darüber ärgert, hat entweder keine Ahnung von einer richtigen Neujahrsfeier oder er ist ein solcher Philister, daß er höchstens nnser Mitleid verdient.

Ist es nicht in jeder Beziehung durchaus nothwendig, beispielsweise schon von 11 Uhr ab in der Leipzigerstraße das Erlöschen der elektrischen Lampen zu erwarten, um dies sen welthistorischen Augenblick endlich mit einem indianer­haften Jubelgeheu! begrüßen zu können? Demjenigen, der wirklich von dem Pflichtgefühl durchdrungen ist, daß das neue Jahr nur mit einem ganz besonderen Radau empfan gen werden darf, dem wird es ganz gleich sein, ob er sich jetzt bei dem Regenwetter einen berben" Schnupfen holt oder ob er schließlich wegen nächtlicher Ruheftörung verhaftet wird. Verschnupft ist er heute Morgen jedenfalls in jedem Falle, aber das genitt nicht, ein polizeiliches Strafmandat ist für denjenigen, der in der Neujahrsnacht seine Aufgabe richtig erkannt hat, immer ein ehrenvolles und bleibendes Beugniß treuer und redlicher Pslichterfüllung.

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Im Allgemeinen thut man viel sicherer daran, wenn man den frohen Tag entweder im Kreise seiner Familie be­geht, oder, wenn man über eine solche nicht verfügt, daß man den sicheren Platz in seiner Stammkneipe garnicht ver­läßt.

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Allerdings in der Familie wird die Sache manchmal etwas tofispielig. Karpfen sind aus gewissen Rücksichten nicht Jedermanns Sache, aber Heringssalat, Pfannkuchen oder Mohnpielen" müssen sein, und ein mehr oder weniger steifer Grogt muß dafür sorgen, daß alle diese Gegenstände im Magen nicht zu trocken liegen. Auch Blei muß ge­goffen werden, man will doch wenigstens etwas wissen, was das neue Jahr bringt das junge Mädchen betrachtet zweifelnden Blickes das krause Metall, wird der Auser= wählte ihres Herzens nun endlich in diesem Jahre die nöthige Kourage finden, um vor Vater oder Mutter hin­zutreten, und frank und frei zu fragen, ob er sich mit ihr verheirathen dürfe? Ein Anderer sucht aus dem ge ronnenen Blei zu ergründen, ob er wohl, wenn er über­haupt Lotterie spielen würde, das große Loos gewinnen tönnte? So sind die Wünsche verschieden, jeder erhofft et­was Anderes von dem neuen Jahre, und wenn auch schließ

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II. Jahrgang.

einen solchen mit Posaunen der Welt verkünden würde, so fönnten wir getrost mit Galilei ausrufen: Und sie bewegt fich doch." Darum frisch auf ins neue Jahr! Unsere Hoff­nung auf eine bessere Bukunft tann feine trügerische sein, denn ,, was die innere Stimme spricht, das täuscht die hoffende Seele nicht!"

Das erweiterte Unfallversicherungsgeseh. Aus der abgeänderten Fassung, welche der Entwurf eines Unfall- Vers ficherungs- Gefeßes für die in land- und Forstwirthschaftlichen Betrieben beschäftigten Personen in Folge der Anträge der Bundesraths- Ausschüsse erfahren hat, haben wir uns noch einige weitere Mittheilungen vorbehalten. Es würde aber viel zu weit führen, wenn wir alle Abänderungen bis ins Einzelne verfolgen wollten. So hat u. A. der umfassende zweite Ab­schnitt eine so eingehende Umarbeitung erfahren, daß wenig von der ursprünglichen Fassung stehen geblieben ist. In den meisten Punkten hat es sich jedoch nur um eine klarere und

eingehendere Darstellung ter einzelnen Bestimmungen gehan­delt. Hervorgehoben zu werden verdient aber der von der Aufsichtsführung" handelnde Baragraph( früher 34, jest 40). In dem ursprünglichen Entwurf hieß es dort: Dem Reichs­versicherungsamt treten vier nichtständige Mitglieder hinzu, von welchen zwei von den Genossenschaftsvorständen aus ihrer Mitte und zwei vom Reichstag aus der Bahl der versicherten Personen gewählt werden." Diese Be­stimmung ist folgendermaßen abgeändert worden: Dem Reichs­versicherungsamt treten vier nichtständige Mitglieder hinzu, von welchen je zwei von den Genossenschaftsvorständen und von den Vertretern der versicherten Arbeiter aus ihrer Mitte gewählt werden. Der Schluß- und Straf­bestimmungen enthaltende lezte Abschnitt des Entwurfs ist ansehnlich erweitert worden. So find u. A. folgende zwei neue Baragraphen eingeschoben worden:§ 56. Die Mitglieder der Vorstände der Genossenschaften und die Mitglieder der Genossenschaftsausschüsse zur Entscheidung über Beauftragten und Satverständigen werden, wenn sie unbefugt Beschwerden, ingleichem die in Gemäßheit des§ 39 ernannten Betriebsgeheimniffe offenbaren, welche fraft ibres Amtes oder Auftrages zu ihrer Kenntniß gelangt sind, mit Geldstrafe bis zu 1500 M. oder mit Gefängniß bis zu 3 Monaten bestraft. Die Verfolgung tritt nur auf Antrag des Betriebsunternehmers ein."§. 57. Die im§ 56 bezeichneten Personen werden mit Gefängniß, neben welchem auf Verlust der bürgerlichen Ehren­rechte erkannt werden kann, bestraft, wenn sie absichtlich zum Nachtheile der Betriebsunternehmer Betriebsgeheimnisse, welche traft ihres Amtes oder Auftrages zu ihrer Kenntniß gelangt find, offenbaren, oder geheim gehaltene Betriebseinrichtungen oder Betriebsweisen, welche fcaft ihres Amtes oder Auftrages zu ihrer Kenntniß gelangt sind, so lange als diese Betriebs­geheimnisse sind, nachahmen. Thun fte dies, um fich oder einem Anderen einen Vermögensvortheil zu verschaffen, so fann neben der Gefängnißftrafe auf Geldstrafe bis zu 3000 Mart erkannt werden." Neu ist auch der§ 58, welcher besagt: Die Bentralbehörden der Bundesstaaten bestimmen, von welchen Staats- oder Gemeindebehörden die in diesem Geseze den höheren Verwaltungsbehörden, den unteren Verwaltungs­behörden und den Ortspolizeibehörden zugewiesenen Ver­richtungen wahrzunehmen sind, ingleichem, zu welchen Kaffen die in den§§ 23, Abs. 2, 39( es handelt sich dort um die Ab­schägung zu den Gefahrentlassen und die Unfallversicherungs­vorschriften) vorgesehenen Strafen fließen."

Ueber die deutschen Staatslotterien enthält das in Würzburg herausgegebene Finanzarchiv" in seinem soeben er­schienenen Schlußbeft dieses Jahrgangs eine Arbeit des Geh. Rath Mircinameti. Aus der Zusammenstellung heben wir hervor, deß das Einfagkapital für jede Lotterie sich beziffert in Preußen bei rund 27 Millionen Einwohnern auf 13,728,000 Matt, in Sachsen bei 3 Mill. Einwohnern auf 18,135,000 Mt. in Mecklenburg Schwerin bet 577,080 Einwohnern auf 1,831,500 M., im Herzogthum Braunschweig bei 349,367 Ein wohnern auf 10,402,000 Mt., in Hamburg bei 453,869 Ein­wohnern auf 9,620,000 M., in Summa auf 53,716,600. Die Jahressumme beläuft sich unter der Voraussetzung, daß in jedem Jahre zwei Lotterien gespielt werden, auf den doppelten Betrag, mithin auf 107,433,200 Mt. Er dürfte

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lich Jeder in dem großen Lotto des menschlichen Lebens eine Niete zieht, so fängt dieselbe Geschichte im nächsten Jahre wieder von vorn an.

Im Grunde genommen ist wohl Jeder froh, wenn er glücklich ein Jahr zu Ende gebracht hat. Woran das liegen kann? Ja, wer fann's wissen! Die Zeit, die wir ers lebt haben, ist eben unser unbestreitbarer Besik, während über derjenigen, die uns noch bevorsteht, der ge­heimnißvolle Schleier der Zukunft ruht. Das Unbekannte reizt den Menschen bekanntlich ebenso sehr wie das Ver­botene, und deshalb sieht man dem neuen Jahre immer mit einem gewissen neugierigen Vergnügen entgegen.

Freilich heut' morgen ist das Vergnügen garnicht mehr so groß, die Welt macht wieder ihr alltägliches Gesicht, und 1885 fieht genau ebenso aus wie 1884.

Auf die frohen Feste folgen nun wieder die fauren Wochen, und es bedarf unserer ganzen Willensstärke, um uns wieder zu rüsten zu dem Kampf ums Dasein, wozu wären denn die guten Vorsäge da, wenn sie nicht gefaßt und schließlich auch befolgt werden sollten.

Allerdings wird uns die Ausführung heute gerade nicht sehr leicht gemacht. Hat man z. B. ein paar gute Freunde, so sorgen diese gewiß dafür, daß heute Freunde, morgen vielleicht der Merger über ein paar recht finnvolle Neujahrskarten den verhärtesten Razenjammer noch übersteigt. Ländlich, fittlich, ein Bergnügen muß muß doch boch sein, und menn ed sich der Mensch gerade darin sucht, daß er am Neujahrs­morgen seine besten Freunde und Bekannten so recht aus Herzensgrund ärgert. Auch der Aerger hat ja schließlich feine Berechtigung.

Doch weder hämische Nadelstiche noch Bosheiten sollen uns abhalten, der Zukunft mit möglichst frohem Blick ent­gegenzusehen. Zu Kampf und Streit ist der Mensch ge= boren, wie man sagt, ohne den Streit giebt es feinen Frie den. Mag sein, daß der Mensch bisweilen in dem Kampf unterliegt, schließlich aber kommt er doch wieder oben auf, und deshalb braucht Niemand zu verzweifeln. Beim Be ginn des neuen Jahres aber schickt es sich am Allerwenig= sten, den Kopf hängen zu lassen, blicken wir frisch und uns entwegt in die Zukunft, und schließlich erhalten wir doch, was wir wollen: Ein fröhliches neues Jahr!"