Nr. 2.

Sonnabend, 3. Januar 1885.

II. Jahrg.

Berliner Volksblatt.

Organ für die Interessen der Arbeiter.

Das ,, Berliner Volksblatt"

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Finanzielle Bukunftsmusik.

Man

Wie schnell sich alles ändern kann! Als die Franzosen ihre fünf Milliarden Kriegskosten anscheinend leicht ab­trugen und als darauf auch noch eine Periode industrieller Prosperität folgte, da war Alles erstaunt über die groß­artige finanzielle Leistungsfähigkeit Frankreichs  . glaubte damals und nicht nur in Frankreich   selbst- es sei das goldene wirthschaftliche Zeitalter für die Fran­3ofen angebrochen und als die Abgeordnetenkammer noch einige Anläufe zu Steuerermäßigungen nahm, da war des Jubels kein Ende mehr zu finden.

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Und nun? Der Jubel ist verstummt, denn Diejenigen, die jetzt einen Grund hätten, sich über die finanziellen Verhältnisse Frankreichs   zu freuen, die Vampyre der Börse und ihre Genossen, streichen ihren Gewinn wohlweislich mit Stillschweigen ein, denn sie haben allen Grund dazu. Allein außer diesen hat auch Niemand Grund zu froh­locken, denn wie ein bräuender und drückender Alp lagern fich die finanziellen Lasten auf der Brust des französischen  Staates und Volfes. Die Ausgaben des französischen Die Ausgaben des französischen  Staates find so sehr gewachsen, daß nunmehr die Be­brängniß, wie dieselben zu decken sind, beinahe so groß geworden ist, wie die Betlemmung des französischen   Finanze wesens vor etwa hundert Jahren. Nur und das darf man nicht vergessen sind heute die Hilfsquellen zahl reicher und ergiebiger. Vor hundert Jahren waren die großen Güter des Adels und der Geistlichkeit, die vielleicht zwei Drittel des ganzen Grund und Bodens ausmachten, so ziemlich steuerfrei und das ist denn doch heute anders geworden.

Das französische   Ausgabebudget wird, wie eine kundige Feder in der Frankfurter Zeitung  " dargethan hat, in dieser Zeit so ziemlich die Höhe von 4000 Millionen Frcs. erreichen. Ein großer Theil dieser Ausgaben ist durch die Verzinsung der Staatsschulden nothwendig geworden, die in Frankreich   bei den vielen Staatsumwälzungen und den stets wechselnden Systemen eine formidable Höhe erreicht haben. Allein damit waren den Spekulationen der Fran­zosen feine Grenzen gezogen; sie warfen das Geld mit vollen Händen hinaus. Da tamen die kostspieligen und vielfach unrentabeln Bauten von Häfen, Eisenbahnen und Straßen durch Herrn von Freycinet, da kamen die Kriege mit Tunis  , mit Madagaskar  , mit Anam, Tonking und China  , und vorläufig ist noch Nichts erreicht, als daß die Ausgaben des französischen   Staates in rafchem Steigen begriffen sind.

Wer trägt nun diese ungeheueren Lasten? Doch nur das französische   Bolt ihrem wesentlichen Theile nach, denn die oberen Zehntausend" haben sich auch in Frankreich  

Nachdruck verboten.]

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Feuilleton.

Gesucht und gefunden.

Roman von Dr. Dur. ( Forseyung.)

,, Der Ansicht bin ich auch, und aus diesem Grunde schon allein bin ich bereit, mich in die Launen des Königs zu fügen."

"

Was Threrseits ein Opfer ist, Herr von Wredow", nahm Barr wieder das Wort, denn wie ich weiß, hätten Sie in Ihrer Heimath eine bessere Stellung bekleiden fönnen, wenn Sie es gewollt hätten; und wenn Sie es nicht gewollt hätten, so gewährte Ihnen Ihr Vermögen die Mittel, das Leben eines kleinen preußischen Nabobs zu führen."

Ich habe mein Loos selbst gewählt, Mr. Parr, ich darf mich nicht beklagen, wenn ich es auch wollte; aber ich habe keine Ursache, mich zu beklagen. Ich habe das Glück eines ziemlich bedeutenden Reichthums eingetauscht gegen das Glück der Liebe,"

Ich hätte über die Veranlassung Ihrer Entfernung aus Deutschland   gern etwas Näheres gewußt. Der König fragte mich diesen Morgen darnach, und ich versprach, ihm nächstens barüber Genaues mitzutheilen."

Die Veranlassung meiner Flucht darf Jeder wissen, lieber Herr Parr, ich mache kein Geheimniß daraus!" ant­wortete Wrebow. Wenn Sie mich in meine Wohnung begleiten wollen, so will ich Ihnen in Gegenwart meines lieben Weibes die Geschichte erzählen."

"

Parr nahm die Einladung gern an und folgte seinem Freunde in das Logirhaus, wo dessen junge Gattin, trog der vorgerückten Tageszeit, ihn noch mit einigen Er­frischungen erwartete.

Mein theurer Bruno!" rief sie, als er eintrat ,,, ich habe mich fast um Dich geängstigt, ba Du so spät fort­bliebst."

" Ei, wußtest Du denn nicht, daß ich an der König­lichen Tafel war?" allein in der fremden

" Das wohl!" erwiderte sie;

bequem zu betten gewußt und überlassen es der großen Masse, den Haupttheil der Staatslasten zu tragen. Jadirekte Steuern auf nothwendige Lebensbedürfnisse sind das Hauptmittel, um die Summen für die unergründlich scheinende Staats­tasse aufzubringen. Und daher ist nun auch noch eine wirthschaftliche Krisis eingetreten; aus allen Ecken und Enden erschallt der Ruf, daß Hunderte, Tausende von Ar­beitern brobles sind und sich in diesem strengen Winter in der äußersten Noth befinden. Daß Frankreich   nicht so dicht bevölkert ist wie etwa Deutschland  , daß sein Grund und Boden ertragsreicher sei, galt bisher bei den Franzosen und auswärts als die Grundlage besserer wirthschaftlicher Zu­stände in Frankreich  . Allein die Einfuhr von Getreide, von Fleisch und Vieh hat in Frankreich   zugenommen; mithin ist die französische   Landwirthschaft immer weniger fähig geworden, die Bevölkerung zu versorgen, und doch beweist auch das Darniederliegen der Geschäfte, daß die Konsum­tionskraft der Maffen keineswegs gestiegen ist.

Und alledem gegenüber die waghalsigen und kostspie= Ligen Unternehmungen der Regierung! Was die Kriege in Asien   und Afrika   verschlungen haben und noch verschlingen werden, davon läßt sich augenblicklich noch gar keine Be rechnung machen; man betrachte aber nur einmal die Sum men, die das regelmäßige Militärbudget verschlingt. Das Landheer kostet in Frankreich   jährlich 496 Millionen, die Flotte über 200 Millionen Franks   und dabei sind die Pen­fionen noch nicht eingerechnet.

Nun sagt man, diese beklemmenden Zustände seien eine Folge der leichtsinnigen Wirthschaft in Frankreich  . Die Minister, die Politiker, die Deputirtea hätten nicht den nöthigen Ueberblick über die Finanzzustände, man müsse für alle Sünden büßen u. dgl.

Das ist zweifellos alles richtig, allein es ist nicht die Hauptsache. Daß Frankreich   so sehr abwärts geht, liegt im staatswirthschaftlichen System und dieses ist im Ganzen und Großen bei allen europäischen   Groß­staaten dasselbe. Bei Frankreich   schreitet die Berrüttung der finanziellen Kräfte nur deshalb so schnell fort, weil Frankreich   so sehr an alten Schäden leidet und vielfach mehr als andere Staaten für alle Sünden zu büßen hat. Im Allgemeinen aber ist's überall dasselbe; die Ausgaben der Staaten für un produttive Swede wachsen und in demselben Maße wird die Konsumtions- und auch die Steuerkraft der Massen schwächer, denen doch der Haupt­theil der Staatslaften aufgebürdet wird. Vermehrte Ausgaben auf der einen, vermehrte Armuth auf der andern Seite, das ist die Eignatur der finan­ziellen Lage Europas  . Die Wenigen, in deren Händen die Reichthümer zusammenfließen, sind aber verhältnißmäßig gering belastet.

Stabt, wo man auf den Straßen nichts als wilde Tumulte, Waffengeklirr und Toben aller Art vernimmt, da wird einem bange, wenn man das theuerste Besigthum mitten in diesem Tumult weiß."

,, Du darfst ohne Sorge um mich sein. Sieh', ich habe unfern Freund mitgebracht, dem ich meine Anstellung bei Hofe verdanke."

Die junge, schöne Frau reichte dem Gaste die Hand. ,, Es ist sehr freundlich von Ihnen", sagte sie ,,, meinen Mann begleitet zu haben. Sie häufen eine Verpflichtung auf die andere; doch feien Sie überzeugt, daß Sie für Alles, was Sie uns Gutes gethan, bei mir ein dankbares Herz finden."

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Sie haben keine Ursache zu danken," antwortete Mr. Barr galant; geschieht doch den Europäern hier der größte Gefallen damit, unsere Gesellschaft vermehrt zu sehen durch einen lieben Freund und seine bezaubernde Gattin."

" Ich danke Ihnen", antwortete sie ein wenig er= röthend, für die gute Meinung, fürchte aber, in In­ dien   wenig Ehre zu erwerben, schon deshalb, weil ich hier dem Hofleben keinen Geschmack abzugewinnen ver­mag."

Du sehnst Dich zurück nach der Heimath!" sagte Wredow fast vorwurfsvoll. Bist Du nicht glücklich bei mir?"

,, Bruno, wie darfst Du daran zweifeln! antwortete fie, feine Hand ergreifend und ihm zärtlich in's Auge blickend. Aber leugnen will ich es nicht, daß ich glaube wir wären glücklicher in der Heimath, in der Nähe unserer Eltern, unserer Verwandten und aller Derer, welche wir lieben."

Geduld, Geduld, theures Weib, vielleicht kommt auch noch die Zeit, da uns die Rückkehr in die Heimath gestattet ist.... Für jeßt weißt Du, sind uns die feindlichen Väter noch ein Hinderniß.... Du hebst übrigens gerade das richtige Thema an, denn unser Freund Parr hat mich lediglich zu dem Zwecke begleitet, die Geschichte unserer Flucht und Heirath zu hören.... Ich sehe, Mr. Parr daß meine sorgsame Frau ein Abendessen servirt hat, ob­

So haben sich die finanzpolitischen Zustände überall entwickelt, unabhängig von der äußerlichen Form des Staates. Das sollte Beweis genug sein, daß die alten Rezepte der Staatskunst verbraucht sind und daß man gut thut, auf neue zu finnen.

Politische Uebersicht.

Die Schutzöllner bemühen sich, nachzuweisen, daß seit Einführung der Schutzölle eine Besserung in wirthschaftlicher Beziehung eingetreten sei, und folgern aus der angeblich vor­handenen Befferung, daß nach Einführung noch höherer Zölle, eine noch gesteigerte gewerbliche Thätigkeit eintreten werde. Die Nords. Allge. 3tg." bemüht sich ganz besonders, eine derartige Schlußfolgerung als logisch und berechtigt hinzustellen. Es sei ferne von uns, zu bestreiten, daß verschiedene Groß­industrielle thatsächlich durch den Schußsoll mehr Aufträge und auch größeren Gewinn erzielt haben; ob aber die Arbeiter an diesem Gewinn partizipirten, das ist sehr zweifelhaft. Wir haben im Gegentheil sogar Beweise, daß die Arbeitslöhne nach den Schußzöllen noch gesunken sind. So z. B. zeigt der Jahresbericht des unter Leitung des Geheimen Raths Baare stehenden Bochumer Gußstab Iwertes, daß in diesem Werke, deffen Direktor ja einer der tapfersten Vorfämpfer der modernen Wirthschaftspolitik ist, im lezten Jahre der Arbeitslohnum airta orei Prozent gefallen ist, ein Rückgang, der bei der Vertheuerung so vieler Konsum­artikel durch die Schußzölle und im Hinblick auf die bevor­stehende Erhöhung der Getreidezölle sicherlich kein Beichen da­für ist, daß sich die Lage der Arbeiter unter der Herrschaft der Schutzölle gebessert hat.

Zur Hebung der Seefischerei wurden in den legten Wochen aus verschiedenen Kreisen Vorschläge gemacht. Es wird behauptet, daß Dentschland in diesem wichtigen Erwerbs­zweig, troz günstiger Wasserverhältnisse, weit hinter anderen Ländern zurücksteht und daß für importirte Seefische jährlich viele Millionen außer Landes gehen, die sehr wohl von deutschen   Fischern, Schiffsbauern, Böttchern, Segelmachern, Kapitalisten u. s. w. verdient werden könnten. Da das deutsche Privattapital teine Neigung bat, in dieser Sache selbstständig vorzugehen, so glaubt man, wie die Köln  . Stg." hört, daß das Reich und seine Glieder anregend und unterstüßend ein­treten müssen. Von den verschiedenen Vorschlägen, welche in Bezug hierauf gemacht wurden, find zu erwähnen: 1) staat­liche Gewähr eines mäßigen Binfes einer Fischerei- Aktiengesell­fchaft auf eine Reihe von Jahren, 2) Prämien für die Fischeret ( ähnlich wie in Holland  ), 3) Trennung der gefeßlichen Vor­schriften für Rauffahrtel- und Fischerei Fahrzeuge, 4) Herab­segung der Musterungsgebühren und Lootsengelder für die Fischerei Fabrzeuge, 5) Ermäßigung der Eisenbahntarife für Fische. Also, weil die Kapitalisten feine Neigung haben, ihr Geld zu riskiren, soll der Staat, d. h. die Gesammtheit der Steuerzahler, das Resiko übernehmen!- Merkwürdig ist, daß diese Vorschläge von Leuten kommen, die dem Staat das Recht bestreiten, das Versicherungswesen und ähnliche Insti­

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gleich sie weiß, daß wir soeben von der Tafel gekommen. Mein Wein ist vielleicht nicht so gut, als der Wad­schid Ali's, aber er wird mindestens aus eben so gutem Herzen geboten und von so schöner Hand kredenzt, als dort. Lassen Sie uns also noch ein Glas mit einander trinken."

Sie fetten fich, und Ludmilla nahm in der Nähe des Tisches Platz.

Webrow begann:

Ich war Offizier in einem preußischen Husaren­regiment; mein Vater ist ein reicher Grundbesizer. Gut und Schloß Stolzenburg mit den dazu gehörigen Vor­werken gehören unstreitig zu den schönsten und solidesten Besizungen."

D, der Name ist mir wohlbekannt, obwohl ich nicht Deutscher   bin," antwortete Parr.

In der Nähe meines väterlichen Hauses," fuhr Wredow fort, und an der Grenze meiner väterlichen Be­fißungen liegen die Güter des Barons von Steinberg, des sonst eng befreundet, besuchten einander häufig, und schon Beide Familien waren als wir Beide noch sehr jung waren, lernten wir uns kennen und lieben. Die rosigste Zukunft stand uns bevor, ich der Majoratserbe eines herrlichen Guts, Ludmilla die Tochter eines ehrenwerthen, ebenbürtigen Mannes, ebenfalls reiche Erbin. Was hatten wir für die Zukunft zu fürchten?

,, Da aber nahte uns das feindliche Geschick in Gestalt eines Berwürfnisses, das unsere Väter von einander trennte. Verschiedene politische Ansichten traten schroffer und schroffer hervor, und entzweiten die ehemaligen Freunde zur völligen Unversöhnlichkeit, ja zum tödtlichen Hafje." Wie bei uns die Yorks und Tudors  !" bemerkte Mr. Parr. Oder wie die Welfen und die Ghibellinen," fügte Ludmilla lächelnd hinzu.

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,, Oder wie die Capuletti und Montecchi," sagte Wre­dow ,,, und mit dem Zwiespalt dieser legten Familien hatte der der unfrigen auch noch das Aehnliche, daß wir Kinder