Beilage zum Berliner Volksblatt.
Nr. 2.
Die Militärlast in sämmtlichen Staaten
( Aus der Volks- Beitung".)
11
Die Klagen über die Höhe der Steuerlast haben sich, seitdem ein Theil der direkten Steuern abgeschafft und dafür ein Vielfaches von indirekten Steuern eingeführt worden ist, an scheinend vermindert; thatsächlich seufzt aber das Volk unter der großen Summe, welche es von seinem Verdienst an den Staat abgeben muß, und die abnehmende Konsumtionsfähigteit des gesammten Volkes, welche fich wesentlich in den verringerten Einnahmen aus den Zöllen und Verbrauchssteuern zeigt, ist ein deutliches Beichen für den Druck, welchen die hohe Steuerlaft auf weite Kreise des Volkes ausübt. Es sollte dies eine dringende Mahnung sein, den Versuch zu machen, durch eine sehr weitgehende Sparsamkeit die Mög lichteit einer herabsegung der Steuerlast zu schaffen; sehen wir uns aber den Staatshaushalt an, so finden wir nur einen einzigen Theil deffelben, welcher solche Ersparnisse gestattet, daß der Erlaß bedeutender Steuerlaften erfolgen tönnte. Es ist dies der Militäretat, welcher wenn wir von dem Marineetat ganz absehen, im Ordinarium und Extraordinarium zusammen jegt rund 370 Millionen erfordert, also pro Kopf der Bevölkerung ungefähr die Summe von 8 M., d. h. pro Familie 40 Mart.
Diese Summe muß ganz bedeutend erscheinen, es ist aber Damit noch lange nicht der Ausfall in unserem wirthschaftlichen Leben, welchen der Militäretat zur Folge hat, erschöpft, denn um diesen Ausfall in seinem vollen Umfange fennen zu lernen, muß man den Werth der Arbeit, welche die bei den Fahnen befindlichen Soldaten leisten tönn ten, wenn fie nicht eingezogen worden wären, in Rechnung stellen. Diesen Werth findet man aus dem Arbeitslohn, welchen durchschnittlich die Arbeiter bei uns erhalten, und man wird wohl nicht zu hoch greifen, wenn man den Durchschnittssat, welchen bei uns gesunde, kräftige Arbeiter in den Jahren der besten Kraft und Arbeitsfähigkeit erhalten, auf 2,50 Mait pro Tag ansett. Dies macht pro Jahr bei 300 Arbeitstagen 750 Mart Mann. Multiplizitt man diese Summe mit der Zahl der Soldaten, welche bei uns in Friedenszeiten bei den Fahnen stehen, nämlich mit 449 236, so erhält man die Summe von 337 470 750 Mart, welche Summe man zu dem Militär. Etat zuzählen muß, um die Gesammtsumme dessen zu erfahren, was dem wirthschaftlichen Leben durch die Armee entzogen wird. Es giebt dies für Deutschland die Summe von 707 998 000 Mart, was eine Be laftung von 15,5 Mart pro Kopf, d. h. an 77,5 Mart pro Familie entspricht.
pro
Das ist gewiß eine ganz respektable Summe; man würde aber sehr irren, wenn man glauben wollte, daß Deutschland allein unter einer solchen Last seufzt; die übrigen Staa ten Europas theilen das Geschid unseres Vaterlandes, und es ist vielleicht recht belehrend, einmal zu sehen, was den Bewohnern Europas wir lassen dabei Die Schweiz , welde so glücklich ist, kein stehendes Heer zu bes fißen, und die Türkei , für welche feine absolut fichere Angaben vorhanden find, ganz außer Betracht der bewaffnete Friede kostet.
Sehen wir zuerst, wie groß die Armeen sind, welche die einzelnen Staaten trop des tiefen Friedens und trotz der friedlichen und freundschaftlichen Beziehungen, in welchem alle Diese Staaten unter einander leben, unterhalten zu müssen glauben.
Dabei steht unter den Großftaaten obenan Rußland mit einer Friedens- Armee von 521 158 Mann, dann folgen: Frankreich mit 499 961 Mann Deutschland 449 236
"
FF
Desterreich
290 336
11
England
199 273
" 1
"
" 1
173 612 131 674
11
"
"
Mit Vergnügen."
Eine wunderliche Geschichte.
Ja, liebe Freundin Marie, auch in das Leben eines neunzehnjährigen Mädchens fönnen wunderbare BeDu gebenheiten entscheidend eingegriffen haben.... richtest viele Fragen an mich, die ich sehr natürlich finde. Bei welcher Gelegenheit ich meinen Bräutigam kennen gelernt habe? Db der Verlobung ein fleiner Roman vor angegangen sei, wie dies jedes Mäbchen wünschen möchte? Wie ich mich in diesem Falle als Romanhelbin benommen hätte? Nun, ich will Dir eine aufrichtige Beichte ablegen und Du wirst daraus urtheilen können, wie seltsam und merkwürdig verschlungen oft die Wege sind, die Gott Amor wählt, um zu seinem Ziele zu gelangen. Nur Eines will ich gleich vorausschicken; ich glaube, unter seltsameren Umständen hat noch nie ein Weib den künftigen Gatten Tennen gelernt, als ich
Du weißt, daß wir heuer eine kleine Badereise gemacht haben. Papa wollte ursprünglich allein reisen, denn er meinte, er brauche weder Frau noch Töchter dazu, wenn er um einige Rilo abnehmen wolle. Mama aber wußte es ihm sehr plausibel zu machen, daß man an einem Kurort leicht prächtige Bekanntschaften machen und die erwünschten Männer für die Töchter finden könne, so daß er sich schließlich entschloß, uns alle mitzunehmen. Mariechen, Du kannst Dir vorstellen, in welche Aufregung ich und Olga durch diese erste Badereise versetzt wurden! Die Aufregung beherrschte uns während der ganzen Reise, und kaum in Marienbad angelangt, hätten wir uns am liebsten gleich umgekleidet, um unter Leute zu kommen. Es war aber Abend
und Papa fühlte sich von der langen Reise zu sehr ermüdet, um noch einen um noch einen Spaziergang zu machen. Ach, die Väter find so bequem! Wir mußten also früh schlafen gehen. Nachdem ich und Dlga im Hotel ein kleines separates Zimmer neben dem der Eltern hatten und ganz ungestört waren, phantafirten wir mitfammen die halbe Nacht von unserem Badeaufenthalt. Als ich schließlich einschlief, war auch mein Schlaf voll Aufregung und ich hatte die seltsamsten Träume. Erst verfolgte mich ein großer Wolf, ein junger Rurgast nahm mich in die Arme, der Aermste konnte mich aber nicht
Sonnabend, den 3. Januar 1885.
Serbien
Dänemark
Luremburg
44 146
" 1
44 060
11
" 1
29 962
"
29 369
"
19 812
"
" 1
16 500
"
11
15 000
11 " 1
413
" "
Es find dies zufammen 2529 522 Mann, welche in Europa Jahr aus, Jahr ein unter Waffen stellen.
Wie hoch die Unterhaltungskosten für diese große Anzahl von Menschen sind, läßt sich, bei der Unsicherheit des Budgets in einer großen Anzahl von Staaten nicht mit absoluter Genauigkeit angeben; es wird uns aber, bei der sparsamen Verwaltung, durch welche fich unsere deutsche Armeeleitung aus zeichnet, Niemand der Uebertreibung beschuldigen, wenn wir den Sat, welcher in Preußen im Durchschnitt auf jeden ein zelnen Soldaten entfällt, auf die ganze europäische Armee an wenden. Es sind dies 825 M. pro Jahr, und es betragen mit demnach die Ausgaben für die Armeen in Europa Ausnahme der Schweiz und der Türkei zusammen die Toloffale Summe von 2033 855 650 M., und diese Summe muß durch die Leistung aller Steuerzahler aufgebracht werden.
-
-
Damit find aber die wirthschaftlichen Kosten der stehenden Heere in dem Umfange, wie sie jetzt die europäischen Staaten zu ihrer Sicherheit für nothwendig erachten, noch nicht erschöpft, es kommen dazu die Verluste, welche dem National- Vermögen jedes einzelnen Staates dadurch erwachsen, daß eine so große Anzahl gefunder und fräftiger Männer der produktiven Arbeit entzogen ist. Diesen Verlust haben wir oben auf rund 750 M. jährlich pro Kopf für Deutschland angeschlagen und diese Summe wird auch für die Gesammtheit zutreffend sein, denn wenn auch in einigen der fleinen wenig fortgeschrittenen Staaten und auch wohl in Rußland der Durchschnitts- Arbeitslohn niedriger ist, so ist er doch in England und Frankreich bedeutend höher und wird es sich dadurch ausgleichen. Multiplizirt man nun die Bahl der Soldaten mit 750, so ergiebt sich ein jährlicher Verlust an produktiver Arbeit im Werthe von 1897 191 500 Mt., welche Summe der oben gefundenen hinzugezählt werden muß, um den Gesammt- Verlust des National- Vermögens durch die stehenden Heere zu finden. Danach würde sich dieser GesammtVerlust auf 3 931 047 150 Mt. oder rund 4 Milliarden Mart stellen, sicherlich eine Summe, welche zum Nachdenken auffordert, um so mehr, als sich bei Gegenüberstellung der Be völkerungsziffer der angeführten Staaten ergiebt, daß zu dieser Summe jeder Einzelne 12 Mr., die Familie also durchschnittlich 60 Mt. jährlich beitragen muß.
Es wird nun, um die Steuerzahler mit dieser koloffalen Last, welche die Ausdehnung der stehenden Heere verursacht, auszuföhnen, gewöhnlich behauptet, daß die Ausgaben für die Armee das Land eigentlich nur wenig belasten, da das Geld ja im Lande bleibe, und man ist sogar so weit gegangen, das Militär- Budget mit einem fruchtbaren Regen zu vergleichen, welcher sich über das Land ergießt und Hunderttausenden Beschäftigung giebt. Das klingt sehr hübsch, es ist aber, wenn man genauer zusteht, nicht recht zu treffend.
Nehmen wir an, daß ein Handwerksmeister, welcher, um die auf ihn und seine Familie entfallende Summe des Militärbudgets, also 60 M. aufzubringen, einen Monat gearbeitet hat, nun durch die Militärverwaltung so viel Arbeit erhält, hat, nun durch die Militärverwaltung so viel Arbeit erhält, daß er wieder 60 M. Daran verdient, so ist dies doch gewiß der günstigste Fall und entspricht ganz dem befruchtenden Segen, von welchem die Schwärmer für ein hohes MilitärBudget sprechen. Dabei darf man aber nicht vergessen, daß er, um diese ihm wieder zufließenden 60 Mart zu verdienen, wieder einen Monat arbeiten muß, daß er also immer den ersten Monat hindurch seine ganze Arbeitskraft nur dem Fistus gewidmet hat, und daß, wenn ihm im zweiten Monat durch Arbeiten für das Militär wieder 60 M. zufließen, er in diesem zweiten Monat durch Arbeit für Privatleute auch eben so viel verdient baben würde, und daß er, wenn er den Verdienst jenes ersten Monats nicht an den Fiskus sei es in Form von direkten
-
retten, denn er war zu beleibt dazu; in Marienbad sind. alle Kurgäste beleibt. Dann schien es mir im Traum, als fiele ich in's Wasser, und dann nun jegt komme ich zu der großen Begebenheit! Es mochte gegen zwei Uhr Morgens sein, da vernahm ich im Traume den Ruf: " Feuer! Feuer!" Ich hörte den Ruf so deutlich, daß ich sofort erwachte und keinen Augenblick bezweifelte, das Haus brenne wirklich. Ich sprang empor, und ohne an Olga zu denken, wollte ich nur mich retten. Ich stürzte ganz verschlafen auf den Korridor hinaus, draußen aber war es pechfinster, tiefste Stille herrschte, kein Laut war Da nahm ich in der Nähe einen schwachen hörbar. Ich stand bei der Lichtschein wahr und eilte dorthin.... Ich stand bei der Treppe, auf die durch ein Fenster, das in einen kleinen Hof ging, ein schwacher Schimmer des Mondlichtes fiel. Hier blieb ich stehen und horchte.... Ich hörte nur das Hier blieb ich stehen und horchte.. angstvolle Pochen meines Herzens, ringsherum war alles still, das Haus brannte nicht lichterloh und kein Mensch rief Feuer. rief Feuer. Ich sah ein, daß mich ein boshafter Traum geneckt hatte, ich begann mich auf dem verlassenen Korridor zu fürchten und suchte nun wieder in mein Zimmerchen zu zu fürchten und suchte nun wieder in mein Zimmerchen zu fommen. Ich tappte mich im finstern Korridor fort, öffnete rasch die Thüre des Bimmers, zitternd vor Kälte, denn ich war nur leicht bekleidet. Dlga!" rief ich im Dunkeln, ich bin erfältet. Sei so gut und wirf mir meinen Shawl zu! Mit Vergnügen!" sagte eine tiefe Baßstimme, die nie die Stimme Dlgas gewesen war. Ich stieß einen jämmerlichen Stimme Dlgas gewesen war. Ich stieß einen jämmerlichen Schrei aus, denn ich begriff, daß ich mich verirrt hatte und in das Zimmer eines Fremden gerathen war. Zum Glücke hatte ich noch die Thürklinke in der Hand, im nächsten Augenblick war ich wieder auf dem Korridor, wo ich einige Minuten halbtodt vor Furcht und Schrecken herumirrte, bis mir einfiel, daß unser Zimmer das zweite von der Treppe war und ich wieder wagte eine Thür zu öffnen. Diesmal war es die richtige. Du kannst Dir vorstellen, daß ich in dieser Nacht kein Auge mehr schloß und auch Dlga nicht schlafen ließ, da ich mich entfeßlich fürchtete. Des abfcheuliche Mädchen lachte mich überbies aus, lachte immerwährend, als ich ihr meine nächtlichen Abenteuer erzählte, ihre Heiterkeit kannte keine Grenzen und währte bis zum Morgen. Doch versprach sie mir, feiner Menschenseele etwas von den Ereignissen dieser Nacht zu erzählen.
-
II. Jahrgang.
oder indirekten Steuern gezah't hätte, jest statt 60 W. 120 M. haben würde.
Es wird auch durch die Bekleidung und Ernährung der Truppen teine wesentliche Mehrarbeit geschaffer: alle diese Pers sonen würden als Zivilpersonen auch Kleider und Stiefel gebrauchen und würden effen müffen, die Einen mehr, die Anderen weniger. Als Arbeit, welche ausschließlich durch die stehenden Heere geschaffen wird, kann man nur die gesteigerte Fabrikation von Waffen und Munition bezeichnen. Diese Gegenstände würden allerdings ohne die stehenden Heere und deren ausgedehnte Waffenübungen bei Weitem nicht in dem Umfange fonsumirt werden, als dies jest geschieht; wenn wir aber selbst den Verdienst, welcher der Privat- Industrie aus diesen Fabrifationszweigen erwächst, in ganz Europa im Jahre auf 100 bis 150 Millionen Mark anschlagen, so fragt es sich doch sehr, ob dies ein Aequivalent für eine Steuerlast von vier Milliar den ist.
Wir meinen, daß gegenüber einer solchen Belastung fich die Bevölkerung der europäischen Staaten doch endlich einmal ernsthaft die Frage vorlegen müßte, ob es nicht an der Zeit wäre, dem ein Ende zu machen und durch eine gleichmäßige Abrüstung die Steuer last zu erleich tern. Es mag dies so Manchem schwierig, ja vielleicht unmög lich erscheinen; mir verkennen auch nicht die Schwierigkeiten, welche vorhanden sind, meinen aber, daß gerade der augenblickliche Beitpunkt sehr wohl geeignet ist, einen solchen Versuch zu wagen. In der Kongo - Konferenz haben sich die Mächte zusammengefunden, um ein Gebiet im fernen Afrika zu neutralisiren; sollte da der Gedanke nicht nahe liegen, daß man dieselbe Wohlthat, welche man unseren schwarzen Brüdern zu Theil werden läßt, auch den europäischen Staaten zuwenben tönnte? Die Bevölkerung der europäischen Staaten würde dafür, deß dürfen die Herren Diplomaten sicher sein, viel dankbarer sein, als die Herren Neger im Gebiete des Kongo .
Politische Uebersicht.
-
In Würzburg haben sich Volkspartier und„ DeutschFreifinnige" auf ein Programm geeinigt, daß sich von den Sonstigen Programmen der sog. Freifinnigen wesentlich unter scheidet. Daffelbe enthält u. A. folgende Forderungen: Für die Arbeiter ein Arbeiterschutzgesez, Marimalarbeitstag für die industriellen Arbeiter, Alters- und Invalidenversorgung; ferner Regelung der Frauenarbeit und Verbot der Kinderarbeit in den Fabriken. Anbahnung eines internationalen Fas brikgesezes. Für die Handwerker: Förderung britgesetes. der freien Innungen und Erwerbsgenossenschaft, ausgiebige Besteuerung der Auftions, Wanderlagers und Hauftigeschäfte, Regelung der Konkurrenz der Buchshausarbeit, Einführung von Musterlagern, Errichtung von Lehrwerkstätten, Gewerbe banken und Gewerbehallen. Für die Bauern: Staatshopothekenbanken mit zahlreichen Filialen behufs Verbilligung des Grundkredits, Darlehenskaffen für den Personalkredit, Förderung des bäuerlichen Genossenschaftswesens, öffentliche Lagerhäuser behufs Einlagerung und Belehnung von Getreide und Landesprodukten, Steuerfreiheit für die landwirthschaftlichen Brennereien bei Verwerthung selbsterzeugter Produkte, Uebernahme der für ein geregeltes Feuerlöschwefen nothwen digen Kosten durch die staatlichen und privaten Feuerversiche rungsanstalten, Aenderung der drückenden Bestimmungen der Subhastationsordnung, Herabsetzung der Beftzveränderungstaren, Ermäßigung der Staatstaren bei Hypothekenaufnahmen und Erleichterung und Uebertragbarkeit derselben, strenge Maßregeln gegen Lebensmittel, besonders Beinver fälschung. Für die Industrie und den Handel: Vermehrung der Berufskonsulate, Musterlager im Auslande, Erschließung neuer Absatzgebiete, Förderung einer maßvollen Kolonialpolitik, Anlage von Handelsstationen. Man fieht, daß die Herren dem Grundsate huldigen:„ Wer Vieles bringt, wird Jedem etwas bringen." Doch was uns am mehrsten berührt, ja, was sich wunderbar ausnimmt in dem Programm, das sind die Arbeiter betreffenden Forderungen.
-
Acht Tage habe ich mich nicht aus dem Zimmer herausgewagt, in der Furcht, einem Nachbarn zu begegnen, ber mich erkennen fönnte. Die ganze Badereise schien mir nun ein Unglück, alle Freude war mir zerstört. Ich schütte einen leidenden Zustand vor, um auf dem Zimmer bleiben zu können, was die Eltern sehr beängstigte; wenn ich mich aber auch dagegen sträubte, ärztlichen Rath einzuholen, so glaube mir, ich war wirklich leidend! Die Aufregungen ber ersten Nacht im Hotel hatten meine Nerven frank ge= macht, ich zuckte beim geringsten Geräusch zusammen und hatte Herzkrämpfe, wenn eine Thüre geräuschvoll ins Schloß fiel. Endlich, am achten Tage, zwang mich Olga, die ich gar zu sehr mit meinen Launen quälte, das Bimmer zu verlassen. Sie drohte nämlich, den Eltern Alles zu sagen, wenn ich nicht ausgehen wollte. So ents schloß ich mich denn schweren Herzens zu dem ersten Spaziergang in Marienbad . Anfangs ging Alles gut. D'e frische Luft, der goldige Sonnenschein wirften wirklich erfrischend und erheiternd auf mich, und ich begann meine Grillen zu vergessen. Nach einem Stündchen im Freien kehrten wir zum Mittagsmahle ins Hotel zurück. Wir dinirten an der Table d'hôte mit anderen Gästen. Es waren lauter fremde Gesichter. Neben mir saß eine wahre Hühnengestalt, ein preußischer Offizier von vielleicht zweis bis dreiunddreißig Jahren, mit furzgeschnittenem schwarzen Barte, der das gebräunte Geficht sehr gut lleidete. Er be nahm sich sehr zuvorkommend gegen mich. Ich hatte wies der Muth gefaßt, aber das Mahl wollte mir trotzdem, ich wußte nicht weshalb, nicht munden. Endlich kam ich beim Braten auf den Grund. Ich fand heraus, daß die Speisen ganz ungefalzen waren. Ich suche mit den Augen nach bem Salzfäßchen und bemerke es weiter unten auf dem Tische. Ich ersuche darauf meinen Nachbar, mir das Salz zu reichen. Wollen Sie so gütig sein, mein Herr?" Mit Vergnügen!" fagt eine tiefe Baßstimme, die ich Aermste ach! nur zu gut fannte. Ich fiel in Ohnmacht bei dem Klange dieser schrecklichen Stimme, welche die bedeutungsvollen Worte sprach. Man brachte mich bewußtlos auf mein Zimmer, mein Tischnachbar ließ es sich nicht nehmen, dabei hilfreiche Dienste zu leisten. Papa erklärte den Vorfall mit meinem leidenden Zustande, der mich schon acht Tage ans Zimmer gefesselt gehalten hatte, er
-
"