Nr. 3.

Sonntag, 4. Januar 1885.

II. Jahrg.

Berliner Volksblatt.

Organ für die Interessen der Arbeiter.

Das Berliner Boltsblatt"

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Redaktion und gapedifion Berlin SW., Bimmerstraße 44.

Vom Giftbaum.

Die legten Katastrophen in den Wiener Börsenkreisen, die mit Selbstmorden und Verhaftungen endigten, haben allerwärts Aufregung hervorgerufen, doch nicht in dem Grade, als es vielleicht früher der Fall gewesen sein würde. Man gewöhnt sich mit der Zeit an Alles; in aufgeregten Beiten ist ganzen Völkern schon das Sterben als etwas Gewöhnliches und Alltägliches erschienen, und solche Ratastrophen, wie die jüngst in Wien vor sich ge­gangenen, find in unseren Tagen so häufig, daß man sich nicht mehr besonders überrascht fühlt, wenn solche gemeldet werden. Ist es doch noch gar nicht so lange her, daß fich ein Chef des Hauses Rothschild erschossen hat und die Auf regung war teine sonderliche; sollte man sich nun beson­ders bewegen lassen, weil ein paar obffure Wiener Börsenspekulanten mit Krach!" von der Bühne abge­treten sind?

Diese neuesten Früchte, die am ,, Giftbaum der Börse", um mit Herrn Maybach zu reden, gewachsen sind, geben aber immerhin wieder zu denken; sie konstatiren abermals die tiefgehende und weitreichende Unsicherheit, die im Geschäftsleben überall da Plaz greift, wo die Börse in daffelbe hineinreicht. Und wo reicht die Börse nicht in das Geschäftsleben hinein? Sie ist verwachsen auf's Engfte mit all' ben tausend und abertausend Adern, in denen das geschäftliche Leben pulsirt.

Was die Börse eigentlich sein sollte, ist sie feines­wegs. Wenn sie ursprünglich nur eine 3entral- und Vermittelungsstelle für den Waarenver kehr und auch den Waarenumtausch war, so ist sie heute in den Händen einer Anzahl von Glücksrittern, Spekulanten und Auffäufern ein Mittel geworden, Papier wische in blankes Gold zu verwandeln auf Kosten Anderer, anscheinend aus Nichts Werthe zu schöpfen und sich zu be­reichern und die guten wie schlechten Konjunkturen nach Kräften und möglichst raffinirt und rücksichtslos auszu­nußen. Manche haben es in diesem Fach zu großer Ge­wandtheit und Fertigkeit gebracht Namen brauchen wir Namen brauchen wir hier nicht zu nennen, da sie Jedermann kennt. Allein die Werthe werden nur scheinbar aus dem Nichts geschöpft; sie müssen eine positive Grundlage haben und diese bildet die raftlose und unermüdliche Hand des Arbeiters. Die Kosten des Börsenspiels wälzt bei dem tollen Tanz ums goldene Ralb" Einer auf den Anderen ab und schließ­lich bleiben sie da hängen, wo sich die schwersten und brückendsten Lasten der Gesellschaft vorfinden, auf den breiten Schultern der Volksmasse, die in ihrer wimmeln den Zahl" den Biedestal bildet zu dem Tempel, in dem fich der ,, Tanz um's goldene Kalb abspielt.

Nachdruck verboten.]

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Feuilleton.

Gesucht und gefunden.

Roman von Dr. Dur. ( Forserung.)

Sein

Raum war der schwere eiserne Riegel in seine Pfanne gefallen, als der Menschenfresser angetrabt tam. Kopf war mit Blut bedeckt, sein Nachen dampfte von frischer Megelei.

Hier stand er nun, sie wild durch das Eisengitter an= blickend, mit aufgeblafenen Nüftern und starten Augäpfeln ein graufiges Ungeheuer.

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Das Pferd vor dem Brougham zitterte wie Espenlaub bei dem Tone feines ungeduldigen Schnaubens.

Nachdem es durch die Eisengitter geglott, hin- und hergelaufen war einen Eingang zu finden, und überall Eisen ihm entgegenstand, drehte er sich, wüthend über die Vereitelung, um, schlug mit dem Hufeisen gegen die Stäbe und lief dann mit erhobenem Kopf und gefpizten Dhren fort, die Straße abwärts.

Am Ende derselben hatte sich bereits eine Schaar indischer Reiter aufgestellt, welche mit Schlingen aufgestellt

waren.

Durch ein geschicktes Manöver gelang es, ihm eine Schlinge über den Kopf zu werfen und ihn nieder zu reißen. Dieser Zwischenfall war Schuld daran, daß Parr mit feinem Begleiter etwas zu spät im föniglichen Palast zum Frühstück anlangte.

Zu ihrer Entschuldigung erzählten sie von diesem Er­eignisse. Der König hörte mit großem Interesse zu.

" Ja, ja, er ist ein wüthendes Thier", sagte er lachend, eine Bierde meiner Menagerie; doch habe ich nicht geglaubt, baß er einen so tapferen Angriff machen kann."

"

Er ist wilder als ein Zieger", erwiderte Parr . Wilber als ein Tiger? Gut, er soll mit einem Tiger tämpfen! Wir wollen sehen, welchen Eindruck Burrhy auf ihn machen wird."

Burrhy war der Name eines Lieblingstigers des Königs.

ihnen die Daumenschrauben der Gesetzgebung angelegt werden. Nur muß dies auf zweckentsprechende und wirk­fame Weise geschehen.

Politische Uebersicht.

Und was für Leute sind es, die den Tanz aufführen? Eine ganze Menge fast ehrenwerther Leute sind darunter, die, vielleicht oft mit innerem Widerwillen, genöthigt find, diesen Tanz mitzumachen, weil die Börse heute einmal die große Seele des Geschäftsverkehrs ist. Aber da drängen sich auch die dunklen Existenzen" heran, die" Jobber" und Firer", die Abenteurer, die hier ihren Goldburst zu be­friedigen hoffen und die, wenn es ihnen gelingt, sich empor­zuschwingen, von der Höhe ihres arbeitslosen Erwerbs herab die arbeitende Menschheit mit jenem Hochmuth und fener Brutalität behandeln, die dem Parvenu fast immer eigen sind. Diese Art von Barvenus ist, wie ein geistreicher Schriftsteller fagt, das Lumpenproletariat auf der Höhe der Gesellschaft". Sie bauen fich glänzende Paläste, fahren der Gesellschaft". Sie bauen sich glänzende Paläste, fahren in prächtigen Karossen durch die Straßen, behängen sich und ihre Frauen mit Juwelen und blicken mit ihren ge­wöhnlich nichts weniger als aristokratischen Gesichtern voll lächerlicher Vornehmthuerei auf die Thoren" hinab, die sich ihres Lebens färgliche Nothdurft und Nahrung in harter Arbeit und im Schweiß ihres Angesichts erschwingen" Bei der zweiten Lesung hat die deutsch - freifinnige Bartei aus müſſen.

Aber ein Fluch haftet an ihnen; ihr Goldburst ist so unersättlich wie der jenes Römers, dem seine Feinde, nach­dem sie ihn erschlagen, geschmolzenes Gold in den Mund goffen. Der Dämon des Glücksspiels läßt die, so sich ihm einmal verschrieben haben, so leichthin nicht mehr los. Da flammern sie sich denn weiter an das rollende Glücksrad und werden zurückgeschleudert in den Schlamm, dem sie entstiegen sind. Daraus entstehen dann jene Katastrophen, entfliegen sind. Daraus entstehen dann jene Ratastrophen, wie wir so häufig sie sich abspielen sehen, sei es in dieser, sei es in jener Form.

Man darf sich nicht wundern darüber, daß diese Er scheinungen und ihr Treiben dem Börsenwesen eine Menge von Feinden erweckt haben, die mit allerlei Mitteln dem Unwesen beizukommen suchen. Allein bis jetzt mit wenig Erfolg, denn das Börsenwesen von heute ist ein Ausfluß der Plan- und Regellosigkeit in Produktion und Komsum tion. So lange es dem Unternehmungsgeist" und dem Privatinteresse Einzelner überlassen bleibt, den Bedarf an Nahrungs- und Genußmitteln für die Gesellschaft zu lie­fern, statt daß dieser Bedarf mehr planmäßig festgestellt und seine Deckung bestimmten Wirthschaftsfaktoren über­tragen wird, so lange wird die Börsenspekulation immer Spielraum haben.

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Das kann allerdings nicht hindern, daß man heute das an der Börse vielfach graffirende Unwesen kräftig be­kämpft. Ein bekannter Börsenmann hat gesagt: Mit Sittensprüchen baut man feine Eisenbahnen!" Nun,

mit bloßen Sittensprüchen kann man auch den Spekulanten das Handwerk nicht legen; es wird also gut sein, wenn

Die Thiertämpfe gehören an indischen Höfen zu den hauptsächlichsten Beluftigungen und namentlich die zwischen größeren Raubthieren.

Burrhy durfte, da er des Königs Liebling war, nie mit andern Tigern oder mit Elephanten kämpfen, sondern es wurden ihm nur leicht zu besiegende Thiere gegenüber gestellt.

Schon der nächste Morgen ward bestimmt zu dem viel­versprechenden Zweikampfe zwischen dem Pferd und dem Tiger.

Der Zirkus, in welchem die Thiertämpfe stattfinden, ist ein runder Plaz, mit hohen und starken Bambusstäben eingefriedigt, welcher etwa zweihundert Fuß im Durch messer hat.

An einem Ende des Plages befindet sich eine Deff­nung, vor welche die Käfige der zum Kämpfen bestimmten Thiere gefahren werden, so daß an dieser Stelle die Käfige selbst die Arena schließen.

Dieser Stelle gegenüber befinden sich unter prächtigem Beltdach die Size für den Rönig und seinen Hof. Der Hintergrund des Baldachins ist wieder durch eine Gaze= wand abgeschlossen, hinter welcher sich die Frauen des Harems befinden.

Zur Seite des Königs find die Pläge der übrigen ge­ladenen Zuschauer.

Mit großer Behaglichkeit erwartete der König den Be­ginn des Kampfes, sich rechts und links mit den europäischen Hofbeamten unterhaltend.

Hinter ihm standen wie gewöhnlich die Mädchen mit ihren Fächern.

Durch eine werthlofe Stute hatte man das wilde Pferd in diesen Raum gelockt.

Auf Befehl des Königs wurde nun Burrhy's Käfig an das Bambusgitter herangefahren.

Ein lautes Beifallrufen ließ sich unter den Zuschauern vernehmen, als man das prächtige Thier in seinem Käfig erblickte.

Das Gitter wurde geöffnet, und der Tiger sprang mit einem Sage in den innern Raum, die Seiten mit seinem einem Sage in den innern Raum, die Seiten mit seinem langen Schweife fchlagend und wüthend nach dem Gegner

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Nochmals die 20 000 Mart. Troß alles Ableugnens in der deutsch - freifinnigen Presse wird von den Deutsch- Frei­finnigen der Entrüstungssturm" sehr ernst genommen. Die früheren Sezessionisten find so verschüchtert gewor den, daß sie nicht müde werden, zu erklären, bei der dritten Lesung würde die Abstimmung eine andere sein. Aber Eugen Richter und das Groß der Partei? In der Berliner Zeitung ", einem dem Fortschrittsführer sehr nabestehenden Blatte, finden wir einen Artekel, überschrieben: Bur dritten Lesung." Derselbe ist augenscheinlich von Eugen Richter selbst inspirirt. Dort wird der deutsch - freisinnigen Partei der direkte Rath ertheilt, bei der dritten Lesung die Position zu bewilligen. Das wird ein großer ,, Umfall" werden! Das Motiv aber zu diesem Umfall" ist: sachlichen Gründen gegen die Position gestimmt; bei der dritten Lesung wird sie aus politischen Gründen für die Position stimmen!" Um aber den Umfall", den der Höchstkommandirende" befiehlt, zu beschönigen, schreibt das oben genannte Blatt Folgendes:

,, Unter solchen Umständen erscheint der wüste Lärm, der durch die Reden im Parlamente vorbereitet, in der Preffe und in den Versammlungen der legten Zeit entfesselt wurde, darauf berechnet, eine Spaltung innerhalb der deutsch - frei­finnigen Partei hervorzurufen, deren Bildung bekanntlich schon im vorigen Jahre den Kanzler in großen Born verfest hat. Nicht die Auflösung des Reichstages, auf welche nur die Heidelberger in der Hoffnung spekulirten, den Deutsch Freifinnigen noch einige Mandate abjagen zu können, war, wie wir unter sorgfältiger Abwägung aller begleitenden Um­stände meinen, das Ziel der sehr geschickt inszenirten Agitation gegen den Reichstagsbeschluß vom 15. Dezember- sondern die Spaltung berdeutsch freisinnigen Partei, deren Einigkeit und Gefchloffenheit der Re attion ein Dorn im Auge ist. Auch scheint es uns nachgerade, als ob man durch die unerhörten Beschimpfungen, welche gegen die Reichstagsmehrheit geschleudert werden, eine Bewilligung der am 15. Dezember abgelehn­ten Position durchaus verhindern will, um unter allen Umständen die ungerechten Anklagen, welche einmal erhoben sind, aufrecht erhalten zu dürfen."

Die Einigkeit und Geschlossenheit der deutsch - freisinnigen Partei" fie fann Niemanden ein Dorn im Auge sein, weil fte niemals eristirt hat und nicht eristirt. Uebrigens verthei­digte daffelbe Blatt, die Berliner Beitung", gleich nach der Abstimmung die Majorität des Reichstages in scharfer Weise und hielt einen Umfall" für schädlich. Wir haben gleich ge­wußt, daß eine größere Bahl der Deutsch- Freifinnigen in den Ferien umgestimmt würden, doch daß die ganze Partei,

blickend, der sich immer noch mit seiner Stute beschäftigte, die ihm ängstlich auswich.

Ein schöneres Thier wie Burrhy war in ganz Indien nicht wieder zu finden.

Sein glattes, gleichmäßig gestreiftes Haar stach außer­ordentlich von der rauhen Haut und dem schlechten Aus­sehen der Stute ab, selbst das wohlgepflegte Aeußere des Hengstes hielt in dem Glanz keinen Vergleich aus mit dem feidenglatten Felle Burrhy's.

Man hatte ihm seit dem vorigen Tage weder Speise noch Trank gegeben, um ihn auf den Angriff vorzu­bereiten.

Mit wildem Blicke nach dem Pferde begann er lang= sam um es herumzuschleichen.

Sobald dieses ihn erblickte, wandte es seine Aufmerk samkeit von der Stute ab und richtete dieselbe auf diesen Gegner.

Mit vorgestrecktem Ropfe heftete es sein Auge fest auf den Tiger und erwartete den Angriff; es wendete nur den Kopf, wie sich der Tiger bewegte.

Die kleine Stute war starr und vor Furcht gelähmt, augenscheinlich unfähig, auf ihre Sicherheit zu denken; in einer Ede niedergeduct stehend, erwartete sie ihr Schicksal. Mit leichten Sprüngen hing Burrhy auf ihrem Rücken; ein Schlag seiner Tage warf sie zu Boden.

Seine Krallen gruben sich in ihren Nacken, und er trant gierig ihr Blut.

Das wird Burrhy nur wilder machen," meinte der König, sich vergnügt die Hände reibend.

Fünf Minuten mochte der Tiger etwa sich seines Blut­trantes erfreut haben, als er von Zeit zu Zeit den Kopf nach dem Hengst umwandte, nach ihm hinschielend. Regungs­los stand dieser immer noch mitten in der Arena in der Stellung des Abwartens.

Male.

Er drückte keine Unruhe aus und schnaubte nur einige

Endlich war Burrhy befriedigt; er zog feine Krallen aus dem todten Thiere, schüttelte sich dabei und begann leise, wie eine Kage, um den Hof herum zu gehen. Ganz geräuschlos segte er cine der breiten Pfoten nach der andern