Nr. 257.
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Norwärts
Jahrg. 13.
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Redaktion: SW. 19, Beuth- Straße 2.
Die Blamage von Opalenika.
Sonntag, den 1. November 1896. Expedition: SW. 19, Beuth- Straße 3:
der Verhandlungen zu Meserit über das Vorleben des! Helden von Opaleniza zu fage gekommen ist. Es stellte Es gelingt nichts mehr!" Dieser Stoßseufzer muß sich nämlich heraus, daß er wiederholt in frivolster Weise unferen eifrigsten Patrioten entfahren sein, als ihnen die Menschen niißhandelt hatte, auch mit dem Gäbel, daß aber Gerichtsverhandlungen über den Krawall in Opaleniza zu die Sachen immer wieder vertuscht waren. Das Boltsurtheil Gesicht kamen. Ein Entrüstungsrummel wider das Polen über diesen preußischen Musterbeamten prägte sich während tum war in der gesammten Patriotenpresse angefacht der Vorgänge in Opaleniza in dem Warnungsruf aus, der worden, als die ersten Nachrichten in alle Welt hinaus dem Erzbischof auf dem Bahnsteige zugerufen wurde, als telegraphirt wurden, daß ein ebenso edeler wie harmloser Herr v. Carnap dort umhertobte: Nehmen Sie sich deutscher Beaniter, der Distriktskommissar Herr v. Carnap , vor dem in Acht! Wenn der betrunken ist, dann ist er beim Empfange des Erzbischofs von Posen in Opaleniya durch verrückt!" die polnische Bevölkerung ruchlos mißhandelt worden sei. Von
Bismard's Antwort.
Nachrichten":
Und ein Mann, der durch wiederholte Gesetzesüberpolnischer Seite wurde damals sofort eine ganz andere tretungen, durch wiederholte Mißhandlungen, durch ganz Darstellung des Vorfalls verbreitet. Wir haben die beiden unsinnigen Unfug gröbster Art, wie den frivolen Feuerlärm Lesarten als einen Beweis dafür, wie entgegengesetzt Augen in dem Doife Pszenica , in einen solchen Ruf gerathen war, zeugen einen derartigen Vorfall zu beurtheilen pflegen, hat Jahre lang ein hohes Staatsamt ausüben können?! nebeneinander gestellt, ohne uns für die Richtigkeit der Das verleiht der Blamage von Opaleniza noch ihre einen oder anderen Auffassung bis zur näheren Klärung der eigentliche Bedeutung. Angelegenheit auszusprechen. Dieser Zurückhaltung befleißigten sich unsere Patrioten nicht. Im Gegentheil. Mit unanständiger Gier fiel alles, was einen Ruhm darin sucht, den deutschen Patriotismus hervorzukehren, freisinuige Der Herzog von Lauenburg hat nun endlich die Blätter nicht ausgeschlossen, über die Geschichte von der Miß- Sprache wiedergewonnen. Er schreibt in den Hamburger handlung des Herrn v. Carnap her, um sie zu einer Bolenbeße auszubeuten. Polizeiliche Zwangsmaßregeln gegen die Polen zum Schuße des Deutschthums! Das war der Rehrreim der Hezartikel der bürgerlichen Presse. Nur die Zentrumsblätter stimmten in das Geheul nicht ein. Wie beschämend war es nicht an und für sich, daß die Deutschen 3u ihrem Schuh" gegen die Polen , die auch dort, wo sie im Dften in der Mehrheit sind, gar keinen Einfluß auf den rein deutschen Verwaltungsapparat befizen, nach der Polizei schreien. Zu einer doppelten Blamage für die Urheber der Heße ist dieses feige Gebrüll jezt umgeschlagen, da es sich in der Verhandlung vor dem Schwurgericht zu Meseriz herausgestellt hat, was denn an der Sache wirklich ist.
Ueber allen Zweifel ist festgestellt, und zwar festgestellt durch die widerwillig abgegebenen Aussagen der dem Herrn v. Carnap wohlgesinnten Zeugen, daß der Distriktstommiffar an dem fraglichen Tage übermäßig schnell mit einem nicht beleuchteten Wagen im Dunkeln in eine Menschenmenge hineingefahren ist und daß er, als sein Wagen aufgehalten wurde, die Menge durch plumpe Schimpfereien noch mehr gereizt hat, bis ihm eine gehörige Tracht Prügel verabreicht wurde. Dann hat er einen Gendarmen vergeblich zum Schießen auf die Menge veranlassen wollen und wie ein Wahnsinniger mit gezücktem Säbel auf dem Bahnhof umbergetobt. Der Gerichtshof habe geglaubt, einem der jenigen, die den Provokanten geprügelt haben, eine Strafe von drei Monaten Gefängniß, einigen anderen Geldftrafen zudiktiren zu müssen. Was die Staatsanwaltschaft nunmehr gegen den Urheber des ganzen Skandals, Herrn v. Carnap , unternehmen wird, bleibt abzuwarten.
Weit interessanter und charakteristischer für die Zustände in der Provinz Posen ist aber das, was im Laufe
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Rienzi.
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an dem deutschen Eroberungsfriege gegen Rußland nicht her. zuleiten. Der ganze Dreibund in corpore fönnte, wenn Ruß land dazu bereit wäre, mit letterem ganz dasselbe Abkommen treffen, was bis 1890 zwifchen Rußland und Deutschland bestanden hat; er würde deshalb auf seinen Hauptzweck, die gemeinsame Bertheidigung gegen russische Angriffe, nicht zu verzichten brauchen, und es würde gewiß allen Freunden des Friedens in Europa eine erhebliche Beruhigung gewähren, wenn die drei verbündeten Regierungen der russischen gemeinsam ihre Neutralität für den Fall eines unprovozirten Angriffes auf Rußland zusagten. Wenn bei der russischen Regierung Neigung dazu vorauszusehen wäre, so würde es sich unserer Ansicht nach empfehlen, noch heute denselben Vertrag zu erneuern, dessen Fortsetzung im Jahre 1890 von uns abgelehnt wurde und dessen jetziges Bekanntwerden in so hohem Maße die sittliche Entrüstung aller derjenigen Parteien in der Presse erregt, welche vor 1890 dem Reiche unfreundlich und kämpfend gegenüberstanden, nach 1890 aber sich für die Stüßen desselben ausgaben.
Wir finden bei dieser Eachlage die Behauptung, daß " Staatsgeheimnisse" zum Nachtheile des Deutschen Reiches preisgegeben worden wären, unbegründet und werden in dem leider nicht mehr bestehenden russischen Vertrage stets einen Beweis der Einsicht und der Gewissenhaftig= teit der Regierung Kaiser Wilhelms I er. blicken.
Einmal geben wir nicht zu, daß diplomatische Vorgänge Die Theorie des Friedrichsruher Herzogs, daß Staatsder in Rede stehenden Art zu den strengsten Staatsgeheimnissen" aften, die der Geschichte und den Archiven angehören, gehören. Die besprochenen ruffisch deutschen publizirt werden dürfen, ist zwar sehr vernünftig, wird aber Berhandlungen gehören der Geschichte an
und den Archiven; ihre Geheimhaltung war für von den Staatsmännern vor und nach Bismard ebensouns wie für den Dreibund von Hause aus ein Be wenig getheilt wie von Bismarck während der Zeit, wo er dürfniß, sie erfolgte lediglich auf russischen Wunsch an der Spize der Geschäfte stand. Man weiß, wie ängstund die Situation, auf welcher dieser Wunsch damals berubte, lich er die Geschichtsforscher, von Herrn v. Sybel, dem beauf besteht heute nicht mehr. Jm deutschen Interesse hätte unserer tragten Verkünder seines Ruhmes, abgesehen, von der Ansicht nach die volle Veröffentlichung gelegen, da der ganzen Einsicht in die die Atten die der Archive fernhielt, Sache für uns nicht etwa ein Pudendum( etwas, dessen wir sich auf Ereignisse seit 1815 bezogen. Wir selbst uns zu schämen haben) au grunde liegt, sondern ein berechtigter haben, ohne Widerspruch zu zu finden, vor einigen Anlaß für alle friedliebenden Angehörigen des Reiches wie
des Dreibundes, mit Genugthuung auf den Vorgang zurück Tagen darauf hingewiesen, daß eine Veröffentlichung der zublicken. Staatsmänner, die den Frieden überhaupt pflegen friederizianischen Deutschrift über den siebenjährigen Krieg wollen, die sich die Schwere der Verantwortlichkeit stets vor für jedermann ein höchst peinliches Strafverfahren zur Folge Augen halten, welche die Schuld an einem Kriege der größten hätte. Auch sei auf den Fall Arnim hingewiesen, den Fürst europäischen Mächte unter einander mit sich bringen würde, find Bismarck mit einem Uebermaß von Schneid führte, und auf sich der Pflicht bewußt, jedes fich ihnen bietende Mittel zur Bismarcks, Rede im Herrenhause, die von den Schweigepflichten Erhaltung des Friedens, welches mit den Interessen des entlassener Minister handelte. Nach der herrschenden und eigenen Landes verträglich ist, auch anzuwenden und zu vers von Bismard bis 1890 vertretenen Rechtsauffassung haben Die Behauptung, daß das 1890 abgelaufene deutsch - russische über die Geheimhaltung von Staatsatten lediglich die am Abkommen mit der Treue gegen den Dreibund nicht verträglich Ruder befindlichen Machthaber und nicht jeder x- beliebige wäre, ist vollständig aus der Luft gegriffen für jeden, der es Hoist Kohl, Chrysander oder Herzog von Lauenburg fennt und der die Dreibund Verträge auch nur oberflächlich zu befinden. Wie ganz anders hat Bismarck über solche liest. Schon dieser Text wahrt der österreichisch ungarischen Indiskretionen gedacht, als er den Geheimrath Gefften Monarchie in bezug auf etwaige neue deutsch - französische Ver- wegen der Veröffentlichung des Tagebuches des Kron wickelungen die Freiheit, sogar bei einem Angriffe prinzen, das doch sicherlich der Geschichte angehörte, in Frankreichs auf Deutschland neutral zu bleiben und niemandem Moabit einsperren ließ!
treten.
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ist es eingefallen, deshalb von einer Duplizität der öster
In dem Lob der Gewissenhaftigkeit der Regierung reichischen Stellung im Dreibunde zu sprechen. Auch wenn, Kaiser Wilhelms I. wird man mehr als ein Selbstlob, mehr wie man theoretisch bei aller praktischen Unwahrscheinlichkeit sich zurecht legen tann, Rußland vom Deutschen Reiche un- als einen Tadel der Caprivi und Hohenlohe lesen. provozirt angegriffen würde, so wäre aus dem Dreibunds- Wenn endlich der Herzog von Lauenburg vorgiebt, daß vertrage eine Verpflichtung zur österreichischen Betheiligung eine gleich doppelzüngige Politik den Leitern der aus
träumerisches Nachdenken versunken, faß er bewegungslos
Das ist seine Wiedereinsetzung. Seht, das ist alles, da. Vielleicht mußte er im Geheimen zugeben, daß die was ich verlange." Ansichten der Signora eine reifere Politik enthielten, als" Und dann, schöne Römerin, wird an mir die Reihe er offen gestehen wollte. Judem sein Auge endlich dem sein, hoffen zu dürfen," sagte der Kardinal, vor der Signora beobachtenden Blick der Römerin wieder begegnete, sagte er ein Knie beugend und ihre Hand ergreifend. mit gezwungenem Lächeln: Für einen Augenblick fühlte die stolze Römerin, daß sie
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" So wie Euer Stolz," fuhr die Signora fort, so ist auch der gerechte Stolz Rienzi's . Er ist stolz darauf, daß" Entschuldigt, Signora, aber ich darf nicht vergessen, ein Weib sei, sie erröthete, sie zitterte; aber nicht aus Liebe er seinen Ruhm sich selbst zu verdanken hat. Solche Männer, während wir die Politiker spielen, daß ich Euer Anbeter oder aus Schwäche, sondern aus Abscheu und aus Scham. wie der Tribun Roms, waren die Gründer edler Ge- bin. Gure Ansichten mögen richtig sein, aber weshalb Sie überließ jedoch geduldig dem Kardinal die Hand, schlechter. Sie haben ihren Vorfahren nichts zu ver- nehmt Ihr diese lebhafte Theilnahme an dem Schicksal welche dieser mit Küssen bedeckte. danken, aber ihre Nachkommen ihnen oft alles. Genug Rienzi's? Wenn die Kirche durch seine Befreiung auch viel- So begeistert," sagte Albornoz, indem er sich erhob, davon! Ich bin allerdings von edlem Geschlecht, aber meine leicht einen Verbündeten erhält, ist Giles d'Albornoz darf ich an dem Erfolge nicht mehr zweifeln. Morgen will Familie, wie so viele andere, fanden ihren Untergang durch sicher, daß er dann nicht für seinen eigenen Nebenbuhler ich Euch wieder besuchen." die Gewaltthätigkeiten der Orsini und Colonna, gegen sie gewirkt hat?" ,, Er drückte ihre Hand an sein Herz, die Signora fühlte ist meine Rache gerichtet. Aber ich bin noch mehr als ,, Würdiger Herr!" sagte die Signora, fich halb er es nicht. Er seufzte sein Lebewohl, sie hörte es nicht. Erst eine Italienerin, ich bin ein römisches Weib, ich weine hebend, Ihr gewährt mir Eure Neigung, aber Euer Rang einige Augenblicke, nachdem er fort war, gelangte die Sigblutige Thränen über das Unglück meines Vaterlandes. Es fann mich nicht in Versuchung führen, Guer Gold mich nora zu dem Bewußtsein, daß sie allein sei. tränkt mich, daß selbst Ihr, edler Herr, ja, daß ein Nicht nicht erkaufen. Wenn Ihr mich liebt, so habe ich das Oh!" rief fie mit leidenschaftlichem, wildem Tone, römer, so mächtig und groß er sein möge, um Rom trauert. Recht, über Eure Dienste zu gebieten. Wenn ich je eine was habe ich angehört, was habe ich gesagt! Ihm unIch wünsche Rom wieder glücklich zu sehen." Neigung erwidere, so wird es die des Mannes sein, getreu zu sein, selbst in Gedanken! D, nie! nie! Heilige Rienzi aber würde nur an sein eigenes Glück denken." der meinem Vaterlande seinen Helden und seinen Retter Mutter! beschüße mich und gewähre mir Kraft!" Sie Nein, Herr Kardinal; Ihr täuscht Euch. Stolz und zurück giebt." meinte bitterlich, sant auf ihre Kniee und betete. Als sie ehrgeizig mag er sein große Geister sind so aber„ Schöne Signora!" sagte der Kardinal, Eure Worte fich erhob, war sie todtenbleich und große Thränen floffen sein eigenes Glück war immer mit der Wohlfahrt Roms ermuthigen meine Hoffnung, aber fie treten meinem Ehrgeiz ihre Wangen hinab. Sie ging an das Fenster, öffnete es enge verknüpft. Doch abgesehen von seinen Interessen, die entgegen, denn ich wünsche, daß die Liebe, und nicht blos und lehnte sich hinaus. Die Abendluft erfrischte sie und ich nicht vertheidigen will, wollt Ihr die päpstliche Macht die Pflicht mir den Schah gewinne, den ich suche. Aber gewährte ihrem fieberhaft aufgeregten Blute Kühlung. in Rom wieder herstellen? Euren Senatoren ist dieses hört, schöne Dame, ihr überschätzt meine Macht, ich kann mißlungen. Demagogen können sich nicht behaupten, nur Rienzi nicht befreien, er ist der Rebellion angetlagt, er ist Rienzi tönnte wieder mit Erfolg auftreten, er allein tann exkommunizirt wegen Regerei!" die übermüthigen Barone demüthigen, er allein vermag das Bolt zu leiten und ihm zu gebieten. Laßt Rienzi frei, setzt ihn wieder ein als Tribun, und auf Rienzi wird die Macht des Papstes fest begründet in Rom !"
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Der Kardinal schwieg einige Augenblice. Wie in
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" Ihr könnt aber seine Sache untersuchen lassen." Vielleicht, Signora." e
Dann ist er gerettet, und eine Privataudienz bei Seiner " Jawohl."
Heiligkeit-"
Hoch und düster erhob sich vor ihr ber Thurm, in welchem Rienzi als ein Gefangener lag. Sie blickte lange und forschend die öden Mauern an, und als sie sich fortwendete, zog sie aus den Falten ihres Kleides einen fleinen scharfen, Dolch.
Thu will ich retten für den Ruhm," flüsterte sie, und dieser soll mich retten vor der Schande!" ( Fortsetzung folgt.)