Nr 77.Mittwoch, 1. April 1888.II. Zabrg.Lrgan für die Interessen der Arbeiter.erschei»t täglich MorgensDas.»Berliner Volksblntt"außer nach Sonn- und Festtagen.AbonnementspreisBerlin frei tn'S Haus'vierteljährlich 4 Mark, monatlich 1,35 Mark, wöchentlich 35 Pf..Postabonnement 4 M. Einzelne Nr. 5 Pf.' Sonntags-Nummer mit illustr. Beilage 10 Pf.(Eingetragen in der P�stzeitungspreisliste für 1885 unter Nr. ,746.)3« serti uns gebührbeträgt für die 3 gespaltene Petitzeile oder deren Raum 40 Pf. Arbeitsmarkt 10 Pf.Bei größeren Aufträgen hoher Ravatt nach Uebereinkunft. Inserate werden bis 4 UhrNachmittags in der Expedition, Berlin SW., Zimmerstraße 44, sowie von allen Annoncen»Bureaux, ohne Erhöhung des Preises, angenommen.KedaKtw«: Deuthstraße 2.— Erpebition: Zimmerstraße 44.''0.Die Subskriptionslisten.'".sind heute an die Expedition, Zimmerstraße 44, einzusenden.AboulltmeutsGiiiiaduilg.Zum bevorstehenden BterteljahrS-Wechsel erlauben wir uns,alle Arbeiter Berlins zum Adonneaent auf daö„Berliner Bottsblatt"mit der Gratis-Beilage„Jllustrirtes SountagSblatt��einzuladen.Frei ins Hans kostet dasseibe für das ganze Vierteljahr4 Mark, für den Monat April 1 Mark 35 Pf., pro Woche35 Pf.Bestellungen werden von sämmtlichen lZeitungSspediteuren»sowie in der Expedition, Zimmerstraße 44, angenommen.Zu dem bevorstehenden Umzug machen w'-r unsere Lesernoch ganz besonders darauf aufmerksam, die neue Wohnungdem Spediteur rechtzeitig anzugeben, damit in der Bestellungder Zeitung keine Unterbrechung eintritt.Am 1. April weiden wir mit der Veröffentlichung eineshöchst intereffanten und spannenden RomanS aus der FederKrtedriq«erstäcker'sIm Eckfensterbeginnen.De« neu hinzutretenden Abonnenten wird— soweit derBorrath reicht— der bisher erschienene Theil des Romans„Gksicht flit gtslludtll"sowie das„JllnstrirteS SouutagSblatt"gratis und franko nachgeliefert.Für Außerhalb nehmen alle Postanstalten Abonnementsfür daS nächste Quartal zum Preise von 4 Mark entgegen.Die Redaktion und Expedition de»„Berliner Bolksblatt."vie Zukunft der Parteien.Unter diesem Titel bespricht die Münchener„All-gemeine Zeitung", die bekanntlich eine Menge vonoffiziösen Beziehungen hat, die gegenwärtige Situation ineinem au« Berlin an fie gerichteten Briefe, und meint,wenn der Liberalismus gegenwärtig auch in eine sehrbescheidene Stellung zurückgedrängt sei, so würde» doch inZukunft„die aristokratischen Elemente ausJeuilXeton.Im Eckfenster.Roman»onFriedrich verstäcker.EineUeberraschung.Mitten in Rhodenburg, einer ziemlich großen deutschenProvinzialstadt, dem alten, jetzt nur noch selten benutztenSchlosse gegenüber, wohnte in einem nicht sehr ausgedehnten,aber dafür höchst elegant eingerichteten Gebäude Freiherr vonSolberg, aus einer alten, sehr reichen Familie und durch seinbedeutendes Vermögen auch vollständig unabhängig in derWelt gestellt. Da der Mensch aber nur in Ausnahmefällenselber weiß, wann es ihm wohl ist, und außerdem auch nocheine Beschäftigung verlangt, so suchte von Solberg bald nachseiner Verheirathung den Hofdienst und bekleidete jetzt dieStellung eines Kammerherr», ohne jedoch verpflichtet zusein, de« Hofe überallhin zu folgen.Nur im Spätsommer jede» Jahre« zog auch der Hof,oft nur der Fürst allein, auf kurze Zeit nach Rhodenburg,und zwar aus ein benachbarte« Jagdschloß, und hielt dorteinen kleinen Hofstaat. Dann allerding« lagen dem Kammer-Herrn von Solderg die üblichen Funktioren ob, die oftseine ganze Zeit in Anspruch nahmen. Freiherr von Sol-berg»annte sich aber m,t Stolz einen„fürstlichen Diener",war jedoch in der Zeit nicht einmal sein eigener Herr, vielweniger ein Freiherr. �„Gegenu äitig hielt der Fürst aber fernen Hofstaat in derResidenz— es war Frühjahr in Deutschland, und zwar einso prachtvolle» Aprilwetter, daß es den Sommer schon umdiese frühe Jahreszeit hereinzauberle. Die glänzenden,klebrigen Knospenkolben der Kastanien brachen auf, dieVögel zwitscherten in allen Zweigen, und die Sonne sandteihre Strahlen so warm auf die Erde nieder, daß sie denSchnee selbst au» den höheren Gebirgen aufsog und inSturzbächen hinab in» Thal sandte.' �In dem Frlihpückszimmer de« Solberg'schen Hause»war die Familie heute Morgen versammelt— der Kammeralle» Lagern" dem.Liberalismus wieder da» Feldräumen müsse«. Das Blatt meint,„in alle» Angelegenheiten der bürger lichen und religi»ö s e n F r e i h e i-t" stehe die entschiedene Mehrheit aufSeiten des Liberalismus und„wenn erst diese Fragen»it-der die Volksseele beschäftigen", dann kann eS nichtzweifelhaft sein, wem die Sympathien des VvlkeS inWahrheit gehörten.Es wäre wohl interessant zu erfahren, wer der liberalePolitiker in Berlin ist. der dem sonst so kühl abwägendenBlmte in München einen solch gewichtige« Bären aufgebunden hat. Also weyn„die Volksseele" sich wieder mitden Fragen bürgerlicher und religiöser Freiheit beschäftigt,dann ist der Liberalismus geborgen! Hat denn dieser Ber-liner liberale Staatsmann niemals von dem vom Liberali»-mu» so kräftig betriebenen„Kulturkampf" gehört?Nun, die„Volksseele" hat erfahren, daß vom Liberalismuseigeniliche religiöse Freiheit nicht zu erwarten ist, denn derLiberalismus würde heute den Kulturkampf«it aller Schärfefortsetzen, wenn die Regierung mitthäte.Stillt«an schon alle Begriffe auf den Kopf, wennman den Liberalismus zum Verfechter religiöserFreiheit stempeln will. so ist der Versuch, den gegen-wältigen Liberalismus auch noch als den Hort bürger-licher Freiheit anpreisen zu wollen, völlig undiskutir-bar. Wir haben wahrlich zuviel Respekt vor der„deutschenVolksseele", sowie vor dem ihr zugemessenen Verständnisse,um zu glauben, daß nach all den politischen Leistungen desLiberalismus in der letzten Zeit sich größere Volkstheilenoch in den kindlichen Glauben einwiegen ließen, derLiberalismus sei fähig oder auch nur gewillt, politische oderbürgerliche Freiheiten gegenüber dem Andringen konservativ-rückläufigtr Bestrebungea erfolgreich zu vertheidigen. Manerinnere sich an daS Sozialistengesetz und wie e« verlängertworden ist, und alle Zweifel sind abgethan.Der Liberalismus kennt nur eine„Freiheit" und diesevertheidigt er mit Zähigkeit, wenn auch nicht immer«itErfolg. Das ist die anarchistische„f r e i e I n d i v i d u al i-t ä t", die„Freiheit" für den wirthschaftlich Stärkere«, sichSegmüber dem Schwächeren mit dem Ellbogen Raum zuHaffen. Diese„Freiheit" vertheidigt der Liberalismusauch jetzt wieder gegenüber allen Bestrebungen, eine zeit-gemäße Fabritgesetzgebung zu Stande zu bringen,Herr, die gnädige Frau und ihre Tochter Franziska, einliebes, lebevsfrisches junges Mädchen von etwa achtzehnJahren—, und da» kleine, freundliche, mit jedem Luxusausgestattete Gemach sah dabei überaus wohnlich und de-baglrch au». Die Fenster standen geöffnet und ließen dieMorgensonne voll herein, der große Blumentisch war' be-deckt von prachtvollen Blülben und breiten, saftigen Blätte»»,und das silberne Kaffeegeschirr blitzte und funkelte in denlichten Strahlen— aber an den Insassen dieser reichenHeimath schien das Alle»«achtlos abzugleiten. Die sonstso stolze und gefeierte Dame hatte den Kopf in die linke,feine, mit kostbaren Ringen bedeckte Hand gelehnt undsah still und trüb vor sich nieder; in Franziska'« Augenglänzten ein paar große Thränen, und selbst der imGanzen etwas�stcife und förmliche Kammerherr schien vonirgend einem Schmerz gedrückt und schaute, während er nurlangsam dann und wann an seiner Tasse nippte, still undsinnend vor sich nieder.Wieder und wieder aber flog ein Blick der Frau zumit e nem frischem Kranz umschlungenen Bilde hinüber,das über dem Sopha hing u/rd einen jungen Mann,eigentlich noch einen Knaben, zeigte, der in einer kurzenJacke,«it offenem Hemdkragen md keckem, gutmüthigemAusdruck in den jugendlichen Zügen, den linken Arm aufein neben ihm stehende» kleines schottische« Pony gestützt,einen großen Neufundländer an der Seite, stand, al» ober nur eben noch auf etwa« warte und dann fröhlich inda» fteie Land hinaustraben wolle.„Zehn Jahre," sagte endlich mit leiser, schmerzgedrückterStimme die Mutter—„zehn lange, endlose Jahre sind esheute, Rudolph, daß unser HanS un« verließ, an seinem Ge-durtstage gerade. Heute würde er dreißig Jahre alt, wenner noch lebte," setzte sie leise und kaum hörbar hinzu, undauch ihr quollen jetzt ein paar große, heiße Thränen anden Wangen nieder.._„Aber warum soll er nicht mehr leben, Mutter!"sagte die Tochter leise und mußte sich Muhe geben, dieEltern nicht merken zu lassen, wie wenig Hoffnung dafürsie selber habe—„eS sind so viel« Menschen weit in dieWelt hinausgezogen und gesund und kräftig wieder zu denwie denn gerade die Forderung eine« MaximalarbeitStagesvon de« Liberalismus entschieden bekämpft wird und vondem„entschiedenen" Liberalismus natürlich gerade am ent-schiedensten.In welchen Winkel der deutschen Volksseele— umdiesen Ausdruck einmal festzuhalten— sollten sonach nochHoffnungen auf einen rettenden und reformirenden Berufde» Liberalismus sich verkrochen haben?Ohnedies giebt der B-rliner Staatsmann der„M-gemeinen Zeitung" selbst den Grund an, warum derLiberalismus in Verfall gerathen ist. Warum? Weil sichder Liberalismus mit der Reichsregierung inWiderspruch gesetzt hat. Da» ist wahr: aberdamit ist dem Liberalismus auch alle Aussicht» für dieZukunft abgeschnitten. Eine Parteirichtung, die nur vonder Gnade der Regierung leben kann, ist abgethan, mögenauch einzelne Episode» mit günstigen Konjunkturen für fieeintreten. Gerade die„Volksseele" ist in dieser Beziehungscharfblickender al« man manchmal glaube» möchte; geradeim Volke wird der größte Werth auf die Unabhängigkeitder Parteien und ihrer einzelnen Vertreter gelegt.Da« Gestirn des Liberalismus hat einmal über Deutsch-land geglänzt; nun ist e» im Untergang begriffen undsendet nur noch einzelne verlöschende Strahlen herüber. Daßdie Volksseele sich von diesem letzten schwachen Schimmererwärmt fühlen könnte, scheint un» der Natur der Sachenach ausgeschlossen ,u sein.DolitiBcke Uebersirkt.An» Mecklenburg-Lchwerin schreibt man: Obgleich dieStrafe der körperlichen Züchtigung durch die Be-sttmmung des Reichs-Sirafgesetzbuchs auSgeschloffen ist, nachwelcher nur die in diesem aufgeführten Strafarten zulälstg find,hat doch die Stadt Stavrnhagen stch erlaubt, ihre neueHausordnung für das städtische Armenhaus mit der Androhungvon Rührchenhteben für gewisse Uedertretungen auszustatten.Diesem Vorbilde versuchte kürzlich auch der Magistrat zuMalchin zu folgen, indem er in einer mit dem Bürger«»»«schuß gemeinsam abgehaltenen Sitzung ein- Hausordnung fürdas dortige, neu erbaute Stadtarmenhaus zur Genehmigungvorlegte, nach welcher Uebertretungen der Hausordnungen nichrnur mit Haft bis zu 14 Tagen, welche durch Schmäleruna derKost verschärft werden kann, sondern auch mit körperlicherZüchtigung bis zu 15 Ruthenhieben sollten bestraft werdenIhrigen zurückgekehrt, und wo sich Einer durchschlägt, dadarfst Du'« dem Haas gewiß auch zutrauen."„Und glaubst Du denn," rief die Mutter bewegt au«,„er hätte, wenn er wirklich noch unter den Lebenden man-delte, nicht ein einzige« Mal an mich, an den Vater ge-schrieben s Und wovon sollte er gelebt haben? Da»wenige Geld, das er mitgenommen, langte jaZ nicht ein-mal auf Monate, viel weniger denn auf die langen Jahreau»! Nein, nein, mein Kind ist todt, todt und verscharrtan irgend einem fremden, unbekannten Platze: mir sagtes da« Mutterherz; meine Augen werden sein lrebeS Antlitznie, nie im Leben wieder schauen,"�Franziska seufzte schwer'; sie konnte nicht« darauferwidern, so gern sie die Mutter auch getröstet hätte, undver Kammerherr stand aus; er schämte sich, feine eigeneBewegung zu zeigen, und grng mit langen, raschen Schrittenim Zimmer aus und ab.Die Mutter weinte still vor sich hin, aber sie konntedas nicht heimlich und allein tragen, was ihr jetzt in langzurückgehaltenem Schmerz« die Brust erfüllte.„Wie still und öde da» jetzt hier im Hause ist I" sagtesie nach einer kurzen Pause,„Weißt Du noch, Rodolph,wenn Hans Morgen» vor un» ausgestanden war und un»geduldig auf da» Frühstück wartete, wie er dann da drinnenan da« Instrument ging und mit aller Gewalt, um unsherbei zu rufen, den Hochzeitsmarsch au« de« Sommer-nachtStraum spielte? Ich kann den Marsch seit der Zeitnie mehr hören, ohne daß es mir einen förmlichen Stichdurch'» Herz giebt."Franziska rollten ein paar große Thränen an den Wangennieder und fie wandte sich halb von der Mutter ab, damitdiese sich nicht noch mehr aufregen sollte. Aber plötzlichzuckte sie empor und fühlte zugleich, wie die Mutter fallkrampfhaft ihren Arm ergriff und festhielt. Auch derVater blieb mitten in ber Stube erschrocken stehen undhorchte nach dem Nebenzimmer hinüber, auS dem jetztkräftig gegriffene Akkorde herübertönten, die aber auch schonin demselben Moment eine bestimmte Form annahmen.„Heiliger.Gott," rief die Muster und richtete sich, ohne