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Nr 81

Mittwoch, 8. April 1885.

II. Jabrg.

Berliner Volksblatt.

Organ für die Interessen der Arbeiter.

Das Berliner Volksblatt"

erscheint täglich Morgens außer nach Sonn- und Festtagen. Abonnementspreis für Berlin   frei in's Haus vierteljährlich 4 Mart, monatlich 1,35 Mart, wöchentlich 35 Pf. Postabonnement 4 Mt. Einzelne Nr. 5 Pf. Sonntags- Nummer mit illustr. Beilage 10 Pf. ( Eingetragen in der Postzeitungspreisliste für 1885 unter Nr. 746.)

2.­

Redaktion: Beuthstraße 2.

Bum Kapitel der Auswanderung. Die Einen fagen, die Noth treibt die Leute aus dem Lande, die Andern erklären, es ist ein Zeichen der Wohl­habenheit, wenn die Leute nach fernen Gegenden ziehen.

Das erste ist im Allgemeinen richtig, das zweite ist grundfalsch. Doch diese Frage soll uns heute nur so nebenbei berühren. Es ist ein ganz anderes Motiv, welches uns zu dem vielfach schon erörterten Kapitel der Auswanderung die Feder in die Hand drückt.

Uns ist nämlich ein liberales Blatt aus dem Jahre 1882 in die Hände gefallen, in welchem wir nachstehende an den damaligen Bericht des Reichskommiffars für das Aus­wanderungswesen geknüpften Aeußerungen lesen. Der Bericht konstatirte nämlich den ungemeinen Aufschwung der Auswanderung im Jahre 1881 im Verhältniß zu den früheren Jahren. Die Auslassungen des liberalen Blattes find nun folgende.

Fragt man nach den legten Ursachen, welche so ungeheure Schwankungen in der Bahl der Auswanderer hervorbringen, so wird man nie zu einer völlig erschöpfenden und überzeugen. den Antwort tommen. Es wirten zu viele einzelne Motive und Ursachen zusammen, die bald einen Rückgang, bald ein epidemieartiges Anschwellen der Auswanderung herbeiführen. Nichts ist leichtfertiger, als auf bestimmte politische oder wirth. schaftspolitische Beweggründe solche Erscheinungen zurückführen zu wollen. Wir lesen häufig genug, die politische Re attion, oder der Kulturkampf, oder die neue Wirthschaftspolitik uno dergleichen treibe die Leute massenhaft über's Meer. Daß eigentlich politische Motive bei dem Entschluß zur Auswanderung mit wirken, wird man ernstlich doch höchstens bei einem ganz ver schwindenden Prozentiaß von Heimathsflüchtigen annehmen tönnen, und was den wirthschaftlichen Druckt als angeblichen Beweggrund zur Auswanderung betrifft, so ist es durchaus nicht gerechtfertigt in der wachsenden Zahl von Auswanderern den Beweis einer besonders gedrückten materiellen Existenz zu erblicken. Das gebt schon aus der Thatsache hervor, daß die stärkste Auswandererzahl nächst dem Jahre 1881 die Jahre 1872 und 1873 aufweisen, die sog. Gründerjahre, die doch Niemand zu den unter einem besonderen wirthschaftlichen Druck leidenden rechnen wird, während die notorisch dürftigsten Jahre in der zweiten Hälfte des achten Jahr zehnts einen starten Rückgang der Auswan. dererzahl aufweisen. Bum Auswandern gehört eben Geld, und es find keineswegs die bedrängtesten Eristenzen, die fortziehen. Der Bericht des Auswanderungstommissars ton. statirt ausdrücklich: Die im Jahre 1881 aus den deutschen Häfen beförderten Auswanderer schienen ihrer äußeren Erschei nung nach fast durchgängig einer bemittelteren klaffe als die Auswanderer früberer Jabre anzuge hören." Der wirthschaftliche Aufschwung Ameritas wirkt nachweisbar auf die Bunahme der deutschen Auswanderung zurück. In dieser Hinsicht ist bemerkenswerth, daß etwa 20 Pro zent der deutschen Auswanderer auf Billets befördert wurden

Stadbrud verboten.]

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Feuilleton.

Im Eckfenster.

Roman von Friedrich Gerstäder. ( Fortsetzung.)

Jezt erst, da das Gespräch ins Stoden tam, erinnerte sich Max an seinen Magen, denn das Essen war heute auf unverantwortliche Weise hinausgezögert worden. Wer von Allen, die Kinder vielleicht ausgenommen, dachte auch baran!

Essen wir denn noch nicht bald, Grethe?" knurrte er und zupfte dabei die Tante an der Schürze.

Das Rind hat Recht," sagte der Vater, welcher die Worte gehört hatte; laß das Essen hereinbringen, die Leute dürfen nicht so lange warten."

Das junge Mädchen verließ das Simmer, um den Auf­trag zu besorgen, und Karl's Blid haftete jetzt zum ersten

Mal auf den Kindern.

Und das ist die Bärbel?" fegte er, als er mit thränenden Augen das kleine Mädchen betrachtete. Du großer Gott, fie wurde noch auf dem Arm herum getragen, und den kleinen Burschen kenn' ich nicht ein mal!"

"

,, Es ist Deiner tobten Schwester Lisbeth Kind, der Max. Wir haben ihn erst vor zwei Jahren zu uns ge= nommen." willst Du nicht Deinem

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Komm her zu mir, Mar Dntel die Hand geben?" Nein," fchrie der Rnabe ,,, ich fürchte mich vor Dir!" und barg dabei sein bides, rothes Gesicht in der Groß­mutter Schürze.

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Und Bärbel fennt mich auch nicht mehr?" Das Kleine Mädchen wich ebenfalls scheu vor ihm zurück und hielt die Hände hinter sich, daß er keine davon er­greifen konnte.

Rarl feufzte recht aus voller Brust, und still vor sich niedersehend, fagie er leise und kaum hörbar; D, bas thut weh, recht weh!"

Bärbel, geh hin zu ihm," bat die Mutter.

Insertionsgebühr

beträgt für die 3 gespaltene Petitzeile oder deren Raum 40 Pf. Arbeitsmarkt 10 Pf. Bei größeren Aufträgen hoher Rabatt nach Uebereinkunft. Inserate werden bis 4 Uhr Nachmittags in der Expedition, Berlin   SW., 3immerstraße 44, sowie von allen Annoncen­Bureaux, ohne Erhöhung des Preises, angenommen.

Expedition: Zimmerstraße 44.

für welche der Fahrpreis von in Amerika   ansässigen Leuten be zahlt wurde. Deutschland   hat zu allen- Zeiten einen starten Menschenstrom in die Fremde entianot, und wird es unter allen politischen und wirthschaftlichen Buständen thun. Dafür sorgt schon die fast bedenklich rasche Zunahme der Bevölkerung. Wenn das deutsche Voit sich jährlich um fast eine halbe Million Röpfe vermehrt, so ist ein Abfluß ganz unvermeidlich und eine Natur­nothwendigkeit. Statt darüber zu klagen, sollte man ernstlicher, als es bisher geschicht, die Frage untersuchen, ob nicht der Auswandererstrom in Bahnen zu lenten wäre, die den Busammenhang mit dem Mutterlande beffer wahrten und dem legteren aus der Abgabe seiner überschüssigen Kräfte Vortheile sicherten".

So das liberale Blatt im Jahre 1882. Wir finden hier manches Wahre, aber vermischt mit noch mehr Falschem.

Nicht die politische Reaktion oder der Kulturkampf oder die neue Wirthschaftspolitik treibt die Leute übers Meer das ist allerdings ganz richtig. Doch seẞe man an Stelle der Wörtchen oder" die Wörtchen und, so dürfte die Gesammtheit der politisch sozialen Unzuträglich leiten einen Mißmuth in dem Maße erzeugen, daß zahl reiche Personen ihrem Vaterlande den Rücken kehren.

Daß der wirthschaftliche Druck, der in Deutschland   auf dem Volke laftet, der aber sicherlich durch bie neue Wirthschaftspolitik", wenn auch nicht gehoben, doch nicht erzeugt worden ist, die Hauptquelle der Auswan­derung ist, halten wir für selbstverständlich. Natürlich fönnen diejenigen Leute im Allgemeinen nicht auswandern, auf denen der Druck so sehr lastet, daß er ihnen nicht eins mal die Kosten zur Ueberfahrt läßt; aber bei einem momen­tanen Aufschwunge ihrer wirthschaftlichen Verhältnisse raffen sie das Wenige zusammen, was sie erworben haben und entfliehen dann der in nächster Nähe wieder drohenden Krisis.

Versteht das liberale Blatt nun, warum vielfach in­stinktiv die Arbeiter in den sogenannten besseren Beiten massenweise auswandern?

Aber es giebt doch auch zahlreiche blutarme Arbeiter, die sich zur Auswanderung an werben lassen; so nach Samoa   und den Südsee- Inseln! Auch jetzt würde es ein Leichtes sein, tausende und abertausende von Arbeitern für Angra- Pequena und Ostafrika   anwerben zu fönnen. Be sonders deshalb, weil gegenwärtig die Erwerbsverhältnisse in Nordamerika   sich verschlechtert haben, drängen sich viele deutsche Arbeiter auch noch nach anderen Gegenden, obgleich Nordamerika   immer noch das Hauptabzugsgebiet ist und auch für längere Zeit bleiben wird. Die in jenen Ländern günstigeren wirthschaftlichen Verhältnisse tragen selbstverständ­lich zur Auswanderung bei; denn wenn es fein beffer fitu­

Nein, ich mag nicht!" rief das Kind verdrossen. Aber warum nicht, Herz?" " Die Gesellen sagten heute Morgen, er wäre im Bucht hause gewesen!"

,, Bärbel, um Gottes willen!"

Gretchen tam wieder herein; sie trug die Suppe auf, sah aber tootenbleich aus.

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,, Kommen die Leute?" fragte der Vater eintönig. ,, Nein, Vater; ich soll ihnen ihr Essen in die Werkstatt geben." " In die Werkstatt?" rief der Meister auffahrend ,, weshalb?"

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Karl warf sich auf den Stuhl am Tische nieder und ftüßte fein Gesicht in beide Hände.

Der Tischlermeister nahm seine Unterlippe zwischen die Zähne- er hatte jedenfalls ein hartes Wort auf der Bunge, aber er bezwang sich. But," sagte er nach einer fleinen Bause, die er aber brauchte, um die Worte heraus zu bringen" gut, trage ihnen das Essen hinaus, und

morgen

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Er stand neben dem Sohne, der noch immer regnungslos in seiner Stellung verharrte; nur das fon­vulfivische Bittern seines Körpers verrieth, daß Leben in vulfivische Bittern seines Körpers verrieth, daß Leben in ihm sei.

Rarl!" sagte er plöglich mit nicht so lauter Stimme der junge Mann rührte sich nicht Karl!"

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Karl hob scheu den Kopf zu ihm empor

der alte Mann die Arme nach ihm aus.

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da breitete

,, Bater!" schrie Karl und sprang in die Höhe. " Junge, Rind!" rief der Alte noch einmal, und fest, feft umflammerten sich die beiden Männer und hielten sich so umschlungen.

Bei Oberstlieutenants.

Nicht sehr weit vom alten städtischen Markte, am fos genannten Brink einer etwas gebogenen Straße des über haupt alterthümlichen Drtes, stand die Hofapotheke, ein zweiftödiges, nicht unanfehnliches Gebäude, dessen Parterres lokal der Besizer selber, Hofapotheker Semmlein, bewohnte,

irteres Land überhaupt gäbe, als Deutschland  , dann würden unsere Auswanderer wohl hübsch zu Hause bleiben.

Ein trauriger Trost aber liegt auch heute noch in der Erörterung der Frage, ob man nicht den Auswanderer­strom in Bahnen lenten könne, die den Zusammenhang mit bem Mutterlande besser wahren und demselben mehr Nußen aus der Abgabe, überschüssiger Kräfte" sichern würden, als dies jetzt geschieht.

Wahrlich, es ist soviel in der leßten Session des Reichs­tags über die Kolonialfrage hin und hergeredet worden und lein Redner, auch nicht der glühendite Anhänger der Kolos nisation hat irgend einen Flecken auf dem ganzen Erdball für uns entdecken fönnen, der sich zu einer wirklichen Rolo­nisation eignet man fonnte nur Handelsstationen ent= decken und wilde Völkerschaften, die uns vielleicht erlauben, mit ihnen primitive Handelsgeschäfte abzuwickeln.

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Von einem Export" deutscher überschüssiger Arbeits­fräfte" hat Niemand zu sprechen gewagt. Das wäre auch im Hinblick auf die von Fieber durchglühten Gegenden, zu denen sich die deutsche Kolonialpolitik neigt, der reine Mordversuch" gewesen.

Wenn nun der angezogene Artikel zugesteht, daß in lepterer Zeit die Auswanderer einer bemittelteren Klasse in Durchschnitt angehört hätten, so ist der Ausspruch:

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Wenn das deutsche Volt sich jähr lich um fast eine halbe million Köpfe vermehrt, so ist ein Abfluß ganz un­vermeidlich und eine Naturwendig teit"

geradezu eine Frivolität.

Diese Gleichgiltigkeit, mit der man die Auswanderung als eine Naturnothwendigkeit" hinstellt, weil sich jährlich die Bevölkerung in Deutschland   um 500,000 Röpfe- natürlich Rinbertöpfe vermehrt, zeugt zugleich von einer bodenlosen Unkenntniß der einschlägigen nationals ökonomischen Lehren und von äußerstem Mangel an Patriotism u s.

Die Kinder müssen erzogen werden und wenn sie nach Mühe und Noth zu Männern herangereift find, so verlassen fie das Land. Wir erziehen bei der damaligen Auswande rungsziffer somit fast die Hälfte, bei der heutigen Ziffer aber noch weit über ein Drittheil unserer Uebergeburten" für das Ausland, wo dieselben als Männer unserer Industrie Konkurrenz machen. Außerdem kostet im Durch­schnitt die Erziehung eines Rindes zu einem Arbeiter 1200-1500 Mart; ferner nehmen außer ihrer Arbeitskraft bie Auswanderer noch Geld und bewegliche Habe mit- und überlassen uns als Naturnothwendigkeit" die Ernährung von 500,000 Rindern, von denen wir, wie gesagt, ein

während er die oberen Etagen an verschiedene Parteien ausgemiethet hatte, gehörte ihm doch auch das Nachbar­haus, wo er sich mit seinem Laboratorium und Droguen­lager ausbreiten fonnte.

Rhodenburg war allerdings, wie schon erwähnt, feine wirkliche Residenz, in welcher der Hof seinen bleibenden Aufenthalt nahm, aber das verhinderte feineswegs, daß man die Titel: Hoftapezier, Hoffleischer, Hofschlosser 2c. über einer großen Anzahl von Werkstätten sah, während Ausschnitthand­lungen, Weingefchäfte, Krämer und Gott weiß wer sonst noch auf ihren Schildern und unter dem oft in Holz ges schnitten und bunt bemalten Landeswappen die wohl­klingende, wenn auch sonst nichts bedeutende Aufschrift trugen Hoflieferanten".

In der ersten Etage der Hofapotheke wohnte der Oberst lieutenant von Klingenbruch mit seiner Familie, seiner Frau nnd zwei erwachsenen Töchtern, Henriette und vlora. Henriette mochte neunzehn, ihre jüngere Schwester fiebzehn Jahre zählen, und beides waren ein paar wirklich hübsche Mädchen; Henriette mit prach voll dunkelm, tastanien­braunem Haar und blauen Augen, was ihr einen ganz eigenen Reiz verlieh, Flora mit einem allerliebsten, fast noch dunkleren Lockentöpfchen und dunkeln Augen. Beide junge Damen schauten benn auch mit voller, ungetrübter Lebenslust in die Zukunft hinein, denn bis jetzt sahen sie nur Rofen auf ihrem Pfade und hatten ja noch auf feinen einzigen Dorn getreten es ging sich da gar so hübsch!

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Ihre Eltern besaßen allerdings nur ein sehr geringes, faum nennenswerthes Vermögen und lebten außerdem von der auch nicht besonders hohen Gage des Vaters wahrs lich feine Kleinigkeit mit zwei erwachsenen Töchtern, wo der Anstand außerdem, bei faft unnatürlich gestiegenen Be dürfnisser, noch gewahrt werden mußte. Aber einen Zu­schuß fanden sie glücklicher Weise bei einer leider bürger­lichen Tante, die noch dazu einen vollkommen unaristokrati­schen Namen trug einer verwittweten Mäusebrod. Diese half wenigstens den jungen Damen mit einem kleinen Taschengelbe aus, hatte es aber schon außerdem offen aus­gesprochen, daß Henriette wie Flora, wenn Gott   sie einst