Nr. 83.
Freitaq 10. April 1885
II. Sasrg.
9g 94! f 2» 51 75 91
dnlnirrDollistiliill. Brgan für die Interessen der Arbeiter.
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Nochmals etwas vom ehrbaren Handwerk. Mit einer großen Genugthuung konstatiren die reaktiv« «ärcn Zeitungen, daß die neueste statistische Berechnung nachwefte, daß in den elf Gew-rben(Handwerken) der S ch u hmachet, Schneider  . Bäckcr, Fleischer, Goldschmiede, Zimmerleuie, Tischler. Maurer, Glaser  , Anstreicher und Stuckateure mebr Menschen be- schäftigt werden, alt in der gesammten Montan-, Eisen- und Textilindustrie. In den oben genannten elf Gewerken waren nämlich K60 000 Personen selbftständig thätig und beschäftigten 4 Millionen männliche Arbeiter und fast 6 Millionen Menschen fanden in diesen elf Gewerken ihr Brod. während die ganze Montan-, Eisen- und Textil- industrie noch nicht 2 Millionen beschäftigte, welche mit ihren Angehörigen noch nicht 4'/, Millionen Köpfe reprä- sentirten. Zunächst ist zu bemerken, daß fünf von den oben ge« nannten Handwerken, die wir durch gesperrten Druck her« vorgehoben haben, in dem engeren Sinne de» Wartet viel- fach nicht handwerksmäßig betrieben werden. Bei großen Bauten, wo ein Unternehmer, der sich einen Baumeister engagirt hat, und'elbst vielleicht Kaufmann ist, mehrere hundert Maurer und Zimmerer beschäftigt, kann doch wahr­lich nicht von einem handwerksmäßigen Betriebe die Rede fein. Die Handwerker unter den Maurern und Zimmerern nennt man gewöhnlich Scharwerker, deren keine übergroße Zahl mehr im Reiche vorhanden ist und die sich, besonders auf dem Land«, schlechter stehen, als ein Maurer» oder Zimmergeselle. Im Allgemeine» abir giebtt bei dem Bau- betrieb fast nur noch Unternehmer und Lohnarbeiter, die noch den Namen Gesellen führen. Der Baubetrieb ist ein Großbetrieb im Wesentliche» geworden. Und kann man den Konfektionär in Berlin   oder in anderen Städten, der einige hundert Schneider oder Schneiderinnen beschäftigt, einen Handwerker nennen? Ebenso geht et bei den Schuh» und Stiefel- und Möbel- Magazinen. Da ist längst die Theilung der Ar- beit eingeführt, welche den fabrikmäßigen Betrieb bedingt. Gegen den Großbetrieb kann der Kleinbetrieb nicht konkurriren, sintemalen ein brabanter Gaul größere Lasten fortbewegen kann, alt ein kleiner abgemagerter Ziehhund. Und Ackermanviaden thun es freilich nicht. Dat sieht so- gar das konservative Leib- und Magenorgan deS sächsischen Geheimen HofratbS ein, welches folgenden Stoßseufzer von sich giebt: Wie die Dinge sich heute gestaltet haben, werden die Handwerker gegenüber dem Großbetriebe aber nur etwas erreichen, wenn sie sich zugleich zu Rohstoff- und M a- ««»druck verboten. 7] 3m Eckfenster. Roman von Friedrich Gerstäcker  . (Fortsetzung.) ,,Du glaubst wohl gar, die gaffen nach dem Herrn Püster hinüber?" sagte seine Frau beleidigt,sollte ihnen dock einsallen I Aber glaubst Du nicht, Heinrich, daß man vielleicht von dem Manne..." 3Son welchem Manne, mein Herz?" Von diesem Herrn Püster, wie der schreckliche Mensch heißt, etwas etwas Näheres über die Sache, über das Testament meine ich, erfahren könnte?" Der Oberstlieutenant schüttelte mit dem Kopf.DaS ist AmtSgeheimniß, Veronika," sagte er,er ha» da einen Eid geleistet." Wenn man nur so ungefähr wüßte Er darf auch nicht einmal darüber Andeutungen wachen, oder er stände unter der größten Verantwortlich- keit; aber, wa» ich doch gleich sagen wollte, wo nur eigent» lich die Mädchen bleiben; essen wir denn nicht bald? Ich fange wirklich an Hunger zu bekommen und der Tisch ist noch nicht einmal gedeckt." Die Frau Oberstlieutenant   klingelte. Da« Dienst- «ädchen und zugleich Köchin kam herein und wurde be- ordert:Decken". ES stand nun wohl Alles in der Stube, aber die gnädige Frau konnte natürlich nicht daran denken, selber mit Hand anzu- legen; wofür war das Mädchen da? DaS mußte freilich von feiner Arbeit fort, und die beiden gnädigen Fräulein flanirtm indessen. Jetzt aber kamen sie die Treppe heraufgestürmt, den Apothekerlehrling unten im Haufe rissen sie balv um, so daß ihnen dieser unter seinen struppigen Haaren hervor ganz verdutzt nachsah. Lachend und kichernd hüpften sie über den Vorplatz, sie schienen sich ganz vortrefflich amüfirt zu haben. DaS erste Wort aber, mit dem sie in da« Zimmer förmlich einbrachen, lautete:Sie war nicht zu Hause!" Sie, natürlich die Tante.>
gazin-Genossenschaften zusammenthun. Mit der bloßen Lehrlingshaltung die auch leicht eine Lehrlingsausbeutung werden kann sowie mit der bloßen platonischen Forderung der StandeSehre ist eS nicht gethan. In dieser Hinsicht ist der ebenfall« beim Reichstag eingebrachte Antrag bemer- kenSwerth, wonach der Kredit unserer Reichsbank auch den Handwerkerkorporationen zugänglich gemacht werden soll. In welcher Form dieS geschehen soll, sagen freilich die Antragsteller nicht. E« ist aber sicher schon ein Verdienst, diese Frage überhaupt angeregt zu haben. E» ist aber zu berücksichtigen, daß der Zersetzung«- prozeß in unserem Handwerker st andelei- der schon sehr vorgeschritten ist und e» erfor- dert jedenfalls Zeit, die in der liberalen Aera zerschlagenen Formen in einer der Neuzeit entsprechenden Weise wieder aufzubauen. Scheitert aber auch der jetzige Versuch zur Reorganisation de« Mittelstände«, dann dürfte es jedenfalls der letzte gewesen sein. Und giebt e« schließlich nur noch Proletari r und geldreiche Unternehmer. So! Jetzt, nachdem Ackermann und Genossen im Reichstage Sieg auf Sieg erfochten haben, stellt sich da« Organ desselben ganz auf den Boden deS vielgeschmähten Liberalismus, ganz auf den Boden de« verstorbenen Schulze aus Delitzsch  . Also die Innungen können« allein nicht machen, Genossenschaften, Rohstoff- und Magazin-Genossenschaften, sie können helfen. Natürlich sind Rohstoffgenossenschaften nicht zu verachten daS heißt, wenn die Herren Genossen soviel Geld oder Kredit haben, um die Rohstoffe billig er- werben und wa« wichtiger, sie billig und gut ver- arbeiten zu können, um ihren genossenschaftlichen Pflichten ferner pünktlich nachzukommen. Brechen aber au« solcher Maschine verschiedene Räder und Rädchen, so ist sie lahmgelegt, davon wissen zahlreiche Rohstoffvereine a la Schulze ein bittere« Liedchen zu singen. Und was hilft da« Zusammenschließen der Kleinpro- duze»ten zu Vereinen, wenn dem gegenüber da» Zusammen- schließen de« Großkapitals zu Gesellschaften steht? Dabei bleibt ja immer die Uebermacht der Konkurrenz bei den letzteren, dabei kann ja nimmermehr der Kleine mit dem Großen konkurriren! In nchtiger Erkenntniß jammert deshalb auch da« Ackermannsche Blatt,daß der Zersetzungspro- zeß in unserem Handwerker stände leider schon sehr weit vorgeschritten ist" man sieht, daß jene« Blatt auch nur die Ackermanniaden aus Prinzip" vertheidigt, nicht aus Ueberzeugung. Doch wir haben un« in die Materie eigentlich zu weit eingelassen, da wir schon wiederha t unseren Lesern»achge- Und habt Ihr Eure Karten abgegeben, Kinder?" Gewiß, Mama; aber wißt Ihr, wer gestern Nacht von seiner großen Reise hier in Rhodenburg angekommen ist? Ach, Hanna, ein Glas frische» Wasser!" Das Mädchen mußte vom Decken fort, um da» Ver- langte zu holen.._ Trink nur nicht zu hastig," sagte die Mutter;nun, wer denn?".,, Der junge Solberg; er soll ganz braun aussehen." Ja," rief Flora,und in der Stadt erzählen sie, er hätte eine Negerin geheirochet und brächte drei schwarze Kinder mit." Du mein« Güte!" sagte die Frau Oberstfteutenant. Mir auch ein GlaS I" befahl Flora, al» die Hanna mit dem Wasser kam, und sie mußte noch einmal hinaus... Und heimlich ist er angekommen," ergänzte Hen- riette,feine Eltern wußten gar nicht« davon, und über das Gartengitter ist er geklettert, ordentlich eingestiegen." Und die Nacht hat er in einer Fuhrmann«- Wirth- schaft. im Goldenen Löwen, logirt," sagte Flora. Und dritter Klasse ist er gefahren, weil er ke,n Geld mehr hatte," lachte Henriette;rein der verlorene Sohn, Solberg« werden heute ein Kalb schlachten müssen. Es ist doch erstaulich!" sagte die Mutter und schlug vor Verwunderung die Hände zusammen,abcr woher wlßt Ihr da» nur Alle», Kinder?",... Wir trafen Bertha von Noltie auf der Straße und begleiteten sie ein Stück, die wußte Alle«. DaS soll eme schöne Szene im Hause gewesen sein, na, daS laßt sich denken! Franziska wird sich besonder« freuen. Er war immer ein Thunichtgut, nickte die Mutter, aber wa» werden sie jetzt nur mit ihm anfangen? Gott weiß e»! Wie alt ist er eigentlich. Mama?" Ja. laß einmal sehen, mein Kind; w.« er damals fortlief, war er gerade zwanzig Jahre alt, und da« war an dem nämlichen Tage." setzte sie m.t emem schweren Seufzer hinzu,als da« Kind, Dein seliger Bruder, starb, Den Tag vergess' ich nie. das waren gerade gestern zehn volle Jahre, ja, ein« lange Zeit I"
wiesen haben, daß da« Handwerk einer anderen Betriebs« weise völlig weichen wird und daß der gegenwärtige Handwerkerstand nach und nach in dem Arbeiterstand auf- geht. Hier wollen wir nur»och unsere Freude darüber au«» sprechen, daß das Blatt de» Herrn Ackermann eingesteht, daß da« ausschließliche Halten von Lehrlingen seitens der JnnungSmeister nicht viel Nutz»» bringt und daß e« ferner zugesteht, daß dadurchleicht eine LehrlingSauS- beutung werden kann". Schöne Aussichten, da«! Doch durch solch« Thatsachen würde der JnnungS« schwinde! am schnellsten wieder beseitigt werden.
Dolitiscke Mebersickt. Um da« Arbetterschutzgesetz setzt dieNordd. Allgem. Ztg." ihren Eiertanz fort. In ver gestrigen Nummer bemüht fie sich, den Beweis zu liefem, daß die Einbringer deS Ent- wurfes ftüher den Normalarbeitstag gefordert hätten, während fie jetzt einen MaximalarbeitStag verlangen. Daß die Antrag- steller zu einer präziseren Fassung gelangt find, ist doch jeden- falls ein Zeichen, daß sie keinen fix und fertigen Welt» beglückungSplan in der Tasche haben, sondern Willens find, steis Ver besseren Erkenntniß Rechnung zu tragen. Im Uebrigen ist dtrNorddtUtschen" anscheinend wenigerdarum zu thun, Gründe gegen die gesetzlich geregelte Arbeitszeit anzuführen, als darum, durch allerlei Wortklauberei um den Kern der Sache herumzuschleichm. Wenn daS offiziöse Organ bessere Vor- schlüge machen kann, warum rückt es dann nicht her- auS mit der Sprache? DaS. was in dem Artikel als Sozialreform derposttiven" Parteien hingestellt wird, die Versorgung der Arbeitsunfähigen, ist doch erst geschaffen wor- den durch den Druck der im Reichstage fitzenden Ärbeiterver- treter und ihrer Wähler. Uebrigeni steht es derNordd. Allg, Ztg." keineswegs gut an, von der in Szene gesetzten Sozial- reform soviel Aufhebens zu machen, denn wenn auch die Re- gelang des KrankenkaffenwesenS an fich recht erfreulich ist, so find doch andererseits die Arbeiter stch darüber klar, daß diese Sozialreform auf ihre Kosten geschah, und daß durch daS Un» fallgesetz ein bedeutender Theil der Lasten, welche früher von den Unternehmern zu tragen waren, auf die Krankenkassen ab- gewälzt worden find. Nicht eine organifirte Armenpflege schwebt den Ardeitern alS Ziel vor, sie wollen Krankheit und Armuth verhüten und deshalb fordern fie ein weitgehendes Schutzgesetz. Es ist ein trauriges Zeichen, daß man in den Kreisen der genannten Zeitung kein Verständniß für daS Aller- nothwendtgste hat; mit leeren Redensarten kann man wohl dieNordd. Allg. Ztg." füllen, aber nicht die soziale Lage deS Volkes verbessern. Dem Reichstage wird, wie dieNat.-Zeit." erfährt, ein sehr umfangreicher Bericht über die I m p f f r a g e zugehen. ES handelt fich um die Beschlüsse der Jmpfkommisston und um die Verhandlungen, welche den Beschlüssen voraufgegangen. Allem Anschein nach wünscht die Regierung eine nochmalige Und so lange hat er sich in der Welt herumgetrieben?" sagte Flora. Ja, Kinder, aber jetzt laßt mir den jungen Vaga« banden laufen," bemerkte der Vater,und kommt zu Tische. Ihr habt un« so heute ein wenig warten lassen." DaS Mädchen hatte, während die jungen Damen in allen Stadtneuigkeiten schwelgten und die Hüte und Shawl« nur auf die nächsten Stühle abwarfen, dm Tisch fertig gedeckt und das Essen hereingebracht, und die Familie setzte sich jetzt zu dem allerding« sehr frugalen Mahle nieder. ES bestand in der That nur auS einem einzigen kleinen Stück Fleisch für die vier Personen, etwa« dünnem Gemüse und einem Gla« einfachen Bieres für den Vater. Lieber Gott, der äußere Anstand mußte der Welt gegenüber gewahrt werden, und wo hätte man da überhaupt anders sparen können, als am Essen und an der Wäsche. DaS sah ja Niemand, denn über Tisch nah« die Familie nie Besuch an. DaS EckhauS. Auf dem Brink in Rhodenburg, der Apotheke fast gerade gegenüber, stand jenes schon früher erwähnte EckhauS, daS man aber kaum ein EckhauS nennen konnte, da eS, fast allein stehend, in eine stumpfe Spitze nach dem Brink zu auslief und eine Straß« an jeder Seite hatte. Ja selbst im Rücken wurde e» durch eine kleine Quergasse, den sogenannten Geistersteg, von den dabinter liegenden Gebäude» getrennt, so daß es vollkommen isolirt von allen übrigen Häusern Gerade voraus, der abgestumpften Spitze gegenüber, die genau nach Westen zeigte, also ebenfalls nach Westen zu, lief eine sehr kleine enge Gasse, die sogenannte Rosm- twete, sie mochte kaum mehr al« sechs Schritte breit sein, dje rechte Ecke daran bildete die Hofapotheke, die linke ein ebenfalls hübsche«, aber nur zweistöckiges Hau«. Link« von diesem wieder lag die Hauptgafle, die man aber auch noch recht gut von hier au» übersehen konnte. Die beiden vom Brink ab schräg an dem einzelstehen- den Hause hinlaufenden Gassen hießen links die Bären-, rechts die Mühlgasse, waren aber ebenfalls nicht breit, und