Nr. 88
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Donnerstag, 16. April 1885.
II. Jahrg.
Berliner Volksblatt.
Organ für die Interessen der Arbeiter.
Das Berliner Volksblatt"
erscheint täglich Morgens außer nach Sonn- und Festtagen. Abonnementspreis für Berlin frei in's Haus vierteljährlich 4 Mark, monatlich 1,35 Mark, wöchentlich 35 Pf. Postabonnement 4 Mt. Einzelne Nr. 5 Pf. Sonntags- Nummer mit illustr. Beilage 10 Pf. ( Eingetragen in der Postzeitungspreisliste für 1885 unter Nr. 746.)
Interessenpolitik.
Redaktion: Beuthstraße 2.
Als einmal ein Konservativer bie Lizenzsteuer auf Schantstätten mit aller Wärme empfahl, weil die Annahme derfelben eine Erhöhung der Branntweinsteuer überflüffig mache, rief ein Liberaler entrüftet aus: Das ist ein Motiv für Branntweinbrenner, nicht für Politiker!
Was hatte nun eigentlich der arme Ronservative ge than, daß er in solcher Weise angefahren wurde?
Er vertheidigte doch nur seine Interessen, die Interessen seines Standes. Als wenn sie bas sicht alle thäten! Die Getreidezölle wurden seiner Zeit gegen die Eisenzölle eingehandelt, die Schußzölle wurden angestrebt von den Fabrikanten, welche dafür die Finanzzölle bewilligten, wohingegen die Börse und die Kaufmann schaft in ihrem Intereffe, wenn auch fruchtlos, für uns bedingte Handelsfreiheit in den Kampf zogen.
Alles für das eigene Interesse!
Und wie damals bei Einführnng der Zölle, so gehts jezt bei Erhöhung derselben im Reichstage het. Die freie wirthschaftliche Vereinigung", die aus verschiedenen Intereffengruppen besteht, hat sich gegenseitig zu Nuß und From men der einzelnen Gruppen versichert. Die Grund- und Waldbefizer ftimmen für die Erhöhung der Industriezölle, weil die Vertreter der Industrie für die Erhöhung der Getreide und Holzzölle gestimmt haben.
Dieses Schauspiel werden wir nun noch öfter im Reichstage erleben.
Aber giebt es nicht auch unter den Liberalen, ganz abgesehen von der bei ihnen schon angedeuteten Ten denz zum Freihandel, die auch nicht immer aus idealen und prinzipiellen Gründen entspringt, eine große Anzahl von Politikern, welche aus persönlichen resp. Klassenintereffen bei der Bolltarif Vorlage ihre Stimmen in die Wagschale werfen? Die Vertreter der Seestädte stimmen wahrs lich nicht des armen Mannes wegen gegen die Erhöhung ber Getreide und Holzzölle, sondern in der Hauptsache im Interesse des Handels ihrer Städte und ihres Standes.
Die Innungsmeister haben es durchgesetzt, daß ein Nichtinnungsmeister keine Lehrlinge halten darf, und Arbeitsbücher wünschen die Fabrikanten, auch viele liberale, bamit die Arbeiter noch mehr in Abhängigkeit von ihnen gerathen follen. Interessenpolitik, nichts als Interessenpolitik!
Arbeiterschutzgesetze, Alterversorgung von Staatswegen . f. w. werden von den Liberalen belämpft, weil fie wohl wissen, daß die Stellung eines geschüßten" Arbeiters bem Arbeitgeber gegenüber eine unabhängigere und viel ficherere ist, als die eines Arbeiters, der lediglich dem An
Andbrud verboten.]
12]
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Feuilleton.
3m Eckfenster.
Roman von Friedrich Gerstäder. ( Fortsetzung.)
Ich glaube fast," bemerkte der Graf, wir wären beffer in bas Edfenster am Brink gegangen."
" Es wird Ihnen schon hier gefallen," lachte Dürrbed, dem es nicht entging, daß sich der Graf hier unbehaglich fühlte; ba brüben ist unsere Thür," und sich zwischen ben verschiedenen Tischen durchwindend, erreichten sie auch bald das wohl etwas fleinere, aber sehr hübsch eingerichtete Lokal, in dem sich, ohne eine gefchloffene Gesell fchaft zu bilden, aber wie nach stillschweigendem Ueberein tommen, die Offiziere der dortigen Garnison, wie ihre Freunde, meist junge Abelige, die einmal ein Glas Bier trinken wollten, festgesezt hatten und die Stube behaupteten. Es tam allerdings manchmal vor, daß sich ein Fremder ba hinein verirrte; ba aber feiner ber übrigen Gäfte die geringfte Notiz von ihm nahm, so mußte er fich dort natürlich bald unbehaglich fühlen und hielt sich felten lange auf.
Dürrbed traf dort eine Menge Bekannte und stellte die Herren vor, denen rasch und bereitwillig an dem großen runden Tische Raum gemacht wurde. Das durch den Eintritt ber neuen Gäste etwas gestörte Gespräch nahm auch bald wieder lebhaft seinen Fortgang. Man hatte ja fo aiemlich gleiche Interessen, gleiche Neigungen, gleiche Anfichten, und es fehlt da wahrlich nie an Stoff zu einer Unterhaltnng.
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Das ihnen bald gebrachte baierische Bier Graf Rauten nahm ein Glas Sherry -war übrigens vortreff lich, und das Gespräch drehte sich bald um einen pracht vollen Hengst, den einer ber höheren Dffiziere zu einem sehr bedeutenden Preise gekauft und hierher gebracht hatte. Die Meinungen über das Pferd, während das Interesse bas nämliche blieb, schienen übrigens getheilt. Einige nannten den Preis, er war 200 Louisbor, spottbillig, wäh rend Andere Mängel an dem Pferde selber entdeckt haben
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Insertionsgebühr
beträgt für die 3 gespaltene Petitzeile oder deren Raum 40 Pf. Arbeitsmarkt 10 Pf. Bei größeren Aufträgen hoher Rabatt nach Uebereinkunft. Inserate werden bis 4 Uhr Nachmittags in der Expedition, Berlin SW., 3immerstraße 44, sowie von allen Annoncens Bureaux, ohne Erhöhung des Preises, angenommen.
Expedition: Zimmerstraße 44.
gebot und der Nachfrage von und nach Händen unterliegt und in Noth und Alter keine Stätte hat, wo er sein müdes Haupt hinlegen kann. Die Liberalen fagen zwar, fie wollten bie Arbeiter gegen die Bevormundung des Staates schüßen. Das ist aber eitel Humbug, denn der durch eine wirkliche Das ist aber eitel Humbug, denn der durch eine wirkliche ökonomische Sicherstellung gekräftigte Arbeiter braucht eines solchen Schußes nicht; er bewahrt sich seine Unabhängigkeit vom Staate dann viel leichter, als er sie jetzt bei seiner vollständigen ökonomischen Un ficherheit vom Arbeitgeber bewahren kann.
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Der frühere fortschrittliche, jezt verstorbene Reichstags= abgeordnete D. aus Sachsen hat vor einigen Jahren in einer landwirthschaftlichen Versammlung für eine vierfache Erhöhung der Getreidezölle gestimmt er ist also noch über die jetzt von den realtionären Parteien in Szene gesetzte Erhöhung hinausgegangen und weshalb stimmte der Herr dafür, troßdem seine Partei im Allgemeinen Gegnerin der Getreidezölle ist? Nun- er war Rittergutsbesizer.
Also Interessenpolitik hüben wie brüben!
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Und wie sieht's mit der Börsensteuer aus? Wie die Ronservativen ihr Lieblingskind, die Spiritusfabrikation, vertheidigen, ebenso tämpfen die Liberalen für das ihrige, die Börse und die Börsenspekulation.
Doch wahrlich nicht aus idealer Liebe, nein aus Interesse für die Freiheit und Beweglichkeit und für die Rentabilität des mobilen Rapitals.
Es ist zwar häßlich, das Treiben der Interessenpolitit, aber es ist da, innerhalb und außerhalb der Parlamente. Auch ist das Treiben gar nicht unberechtigt in dieser korrupten Zeit winkelzügiger und verfahrener Bestre bungen.
Die Intereffenpolitik brückt der heutigen Zeit den Stempel auf; sie wird in allen Schichten der Bevöl ferung, wo fie betrieben werden lann, mit Eifer betrieben. Nur die Masse des Boltes geht bei solchem Treiben leer aus.
Politische Uebersicht.
Herr v. Schorlemer. Alft hat sein Reichstag 8. mano at angeblich aus Gesundheitsrücksichten niederge legt. Dieser Akt des bekannten ultramontanen Kämpen er regt, begreiflicherweise einiges Aufsehen, weil man allgemein der Anficht ist, daß der sonst so fromme Mann seine Mandats niederlegung mit einem unrichtigen Grund an motiviren sucht. Herr v. Schorlemer übte im Verein mit der fleinen Exzellenz aus Meppen , Dr. Windthorst, die Führerschaft über die Ben trumspartei aus, und bis vor Kurzem war von einer Uneinig feit amischen beiden nirgends die Rede. Im Gegentheil, bei Im Gegentheil, bei feber Rede des Herrn Schorlemer sowohl als des Herrn Windt
wollten und nun ihre Ansicht dahin aussprachen, daß der Räufer geprellt sei und es bald zu seinem Schaden entdecken würde.
Die Fenster des Lokales waren mit einem blauen Drahtgitter verseßt, so daß man wohl Alles erkennen konnte, was auf der Straße vorüber paffirte, aber selber ungesehen blieb.
Ein paar der jungen Offiziere sprangen auf und schauten hinaus. Schräg an der Restauration vorüber gingen ein paar junge, sehr hübsche Damen, die aber genau zu wissen schienen, daß sie von da innen beobachtet wurden, benn fie lachten und ficherten mit einander und warfen die Blide, wenn auch nur scheu und flüchtig, doch ein paar Mal nach dem blauen Draht hinüber.
Ein paar famose Mädchen," sagte der eine Lieutenant, ganz famos, auf Ehre, und der Wuchs..."
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Wer war es?" fragte ein anderer und suchte, wenn auch zu spät, noch einen Blick hinaus zu gewinnen. ,, Die beiden Klingenbruchs bieser Rorpus der
Aeltesten!"
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" Ja, nette Mädel," bestätigte der lettere, aber fabelhaft folett." fen mit seiner etwas schnarrender Stimme. „ Das wüßte ich nicht," bemerkte Lieutenant von Wöh
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Hahaha," lachte ein anderer, Wöhfen läuft sich bei nahe die Beine danach ab; ber schwärnt!"
Unfinn," fagte Herr von Wöhfen, schwärmen. Ihr an meiner Stelle würdet es ebenso machen." ,, An Deiner Stelle? Wie so.
" Hm," lachte von Wöhfen, mit einem Avflug von Berlegenheit, ich bin zu biskret, um Euch mehr zu sagen, als Ihr zu wissen braucht."
Münchhaufen," rief ein anderer, nur keine Jagbge
schichten!"
Ich habe noch nichts erzählt," sagte von Wöhfen zum
geknöpft.
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horst war der Schlußrefrain immer gleichlautend: Der Kirch die vollständige Freiheit, denn nur diese ist im Stande, alle Menschen glücklich zu machen. Eine Dofts von diesem Universalmittel wußten beide Kämpen geschickt in jede Rede zu malarbeitstag oder Verhältnisse der Strumpfwebereten debattirt mischen, gleichviel ob über Militäretat, Vagabondenplage, Nor wurde. Und nun auf einmal wollen fich die bisher innig von der großen Universalmittel- Joee durchdrungenen Kampfgenossen trennen; faft scheint es, als ob Herr v. Schorlemer den Glauben an die eigene Joee verloren bat. Einen Anhalt zu dieser An ficht giebt sein Verhalten im Reichstage in der legten Zeit; Denn während der Brave sonst alle Hilfe von der Kirche er wartet, bemühte er fich recht gefliffentlich auf die Gesesgebung einzuwirken, Damit Diese ber nothleidenden Landwirthschaft helfe. Herr v. Schorlemer ist selbst Landwirth. er tennt also die Nothlage aus eigener An schauung, tein Wunder also, daß er fich berufen fühlte, als Apostel für Erhöhung der Getreidezölle einzutreten. Herr v. Schorlemer trat sogar an die Spitze dieser Bewegung, mußte aber die Erfahrung machen, daß die sonst so folgsame Zentrums heerde fich in Bezug auf die heille Kornzollfrage nicht durchweg folgsam zeigte. Sogar Kollege Windthorst hatte Wandlungen gegen die Erhöhungen; und nach und nach zeigte sich unter halten ihrer Führer. Um die Unzufriedenen zu beruhigen, Den Bentrumswählern eine große Unzufriedenheit mit dem Vers entstand der oft genannte Antrag Sune, der dahin geht, einen Theil der aus den erhöhten Böllen resultirenden Einnahmen zur Entlastung der Kommunen zu verwenden. Doch so viel läßt sich jetzt schon übersehen, die Unzufriedenheit unter den Anhängern der Bentrumspartei tann der Antrag Quene nicht bannen; die Wähler find sich über den Zweck deffelben sowohl, als auch darüber klar, daß das, was der Antrag bietet, in teinem Verhältniß steht zu dem, was ihnen durch die Erhöhung Der Kornzölle an Lasten auferlegt wird. In Folge dieser fich geltend machenden Erkenntniß herrscht Uneinigkeit in der Bentrumsfrattion; ein Theil derselben will nicht zu Gunsten der Agrarter für der geplanten Zoll stimmen, und versagt dem eifrigen Agrarier Schorlemer den Gehorsam. Das ist's, was Herrn v. Schorlemer beunruhigt und ihn veranlaßt, vom Schauplat abzutreten.
Die Dentschrift über die Verhängung des Belagerungszustandes in Bielefeld ist nunmehr dem Landtage jugegangen. Es heißt darin nach der Darstellung der bekannten thatsäch lichen Vorgänge: Der bei den Bielefelder Vorgängen den Bemühungen des polizeilichen Exekutiv - Personals und der be waffneten Macht, die öffentliche Ruhe und Ordnung aufrecht zu erhalten beziehentlich wieder herzustellen, von den erregten Boltsmassen entgegengesette Widerstand trug unzweifehaft nach seiner Intensität und Hartnäckigkeit den Charakter des Auf ruhrs an fich. Das Einschreiten der Polizei erwies fich als völlig fruchtlos, die Exekutivbeamten wurden zurückgedrängt, verhöhnt, mit Thätlichkeiten bedroht und sogar gemißhandelt. Als darauf das requirirte Militär erschien, wurde auch diesem, selbst bei wiederholtem Einschreiten, thätlicher Widerstand ge leiftet, so daß mit der blanten Waffe vorgegangen werden mußte. Die Besorgniß, daß es zu weiteren und bedrohlicheren
stand der kleine Oberstlieutenant von Klingenbruch und schaute fich vergnügt in dem engen Raume um.
melt?"
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Morgen, meine Herren! Schon so zahlreich versam
Morgen, Morgen! Herr Oberstlieutenant ," schallte es von verschiebenen Seiten, und die Herren rädten noch mehr zusammen, denn an dem anderen Tische hatten sich ausnahmsweise ein paar Zivilisten eingefunden, der eine von ihnen ein Fremder, und man mußte den Oberst lieutenant, den übrigens auch Alle gern leiden mochten, bei sich aufnehmen.
Der Kleine Mann war in der That unter seinen Rameraben außerordentlich beliebt, und wenn er seine gute Laune hatte, die ihm außerdem selten fehlte, so dröhnte die Stube oft von dem schallenden Gelächter der kleinen Gesellschaft.
Db bie Frau Dberftlieutenant ebenso davon erbaut gewesen wäre, wenn sie die oft sehr derben Sväße ihres Gatten hätte belauschen tönnen, ist freilich eine andere Frage.
Hans war bald mit dem Dberstlieutenant, ben ihm Dürrbed vorstellte und neben den er au fißen fam, befannt geworden. Klingenbruch hatte ihn selber noch als Rind gekannt und freute sich aufrichtig, ihm wieder zu be
gegnen.
Mit dem Grafen Rauten war er ebenfalls schon zu fammengetroffen, und das Gespräch wurde balb wieder allgemein.
An dem andern Tische saß übrigens eine ganz eigen thümliche Gruppe, und zwar fein geringerer als der Herr Kalkulator Obrichter, in einem langen braunen Rod und weißer Halsbinde, sein Schwager, der Rentamts Kassirer Bollig, ein vollkommen eingetrodnetes Männchen, der kaum über seine hohe schwarze Kravatte hinwegsehen konnte und fich zu Beiten faft ganz dahinter zurüdzog, und eine britte Persönlichkeit, die aber gar nicht zu den Beiden zu passen schien, wenigstens in jeder Hinsicht verschieden von ihnen
war. Wenn Sie die Erbschaft machen," fiel hier ein junger Hauptmann ein, lohnte es fich vielleicht der Mühe, aber" er schwieg plöglich, denn in der geöffneten Thür