Nr. 150.

Mittwoch, den 1. Juli 1885.

II. Jahrg.

Berliner Volksblatt.

Organ für die Interessen der Arbeiter,

Das Berliner Volksblatt"

erscheint täglich Morgens außer nach Sonn- und Festtagen. Abonnementspreis für Berlin   frei in's Haus vierteljährlich 4 Mart, monatlich 1,35 Mart, wöchentlich 35 Pf. Bostabonnement 4 Mr. Einzelne Nr. 5 Pf. Sonntags- Nummer mit illustr. Beilage 10 f. ( Eingetragen in der Postzeitungspreisliste für 1885 unter Nr. 746.)

Redaktion: Beuthstraße 2.

Ein gut gemeinter Vorschlag.

Der großartige Aufschwung, den die Arbeiterbewegung in den letzten Jahren in Deutschland   genommen hat, über­zeugt jetzt doch alle denkenden Männer, welcher politischen oder wirthschaftlichen Richtung sie auch angehören mögen, davon, daß etwas geschehen muß".

Deshalb regnet es auch förmlich von sozial- reformato­rischen Vorschlägen, die vielfach gut gemeint, aber von nur herzlich geringer Bedeutung sind. Palliativmittelchen kann man diese Vorschläge meist nennen; aber mit ihnen heilt man nimmer die großen sozialen Schäden der heutigen Ge­sellschaft.

So macht auch der Fabrikinspektor zu Zwickau  , Herr Herbrig, bei Besprechung der im vorigen Jahre im Sommer zu Glauchau  , Meerane   und Crimmitschau   ausgebrochenen Streits einen Vorschlag, der seinem Herzen alle Ehre macht. Hören wir:

" Eigenthümlich erscheint es, daß die Streits vornehm lich in solchen Monaten vorkommen, in welchen sich die Reiselust und das Bedürfniß nach Erholung zeigen. Wenn sich daher bei dem jezigen Drängen und Ueberhaften ein gewisser Bug nach einer kurzen Abwechselung in dem alltäglichen Leben auch bei den Arbeitern bemerklich macht, so dürfte dieses wohl in gewisser Hinsicht zu ent­schuldigen sein, und es sich vielleicht fragen, ob es nicht empfehlenswerth sein sollte, während der Sommermonate den Arbeitern nach und nach und insoweit dieses ohne wesentlichen Schaden für Arbeit geber und Arbeitnehmer möglich ist, eine kurze Er­holungszeit zu gönnen."

O gewiß wäre das wünschenswerth! Aber wie soll dies gemacht werden? Und was würde, besonders dadurch erreicht werden? Darauf giebt leider der Herr Inspektor feine Antwort.

Doch wollen wir, ehe wir selbst auf die Beantwortung det gestellten Frage eingehen, zunächst einige Bemerkungen eines liberalen sächsischen Blattes wiedergeben, welches dem Vorschlage des Herrn Inspektors allerdings noch in sehr modifizirter Weise zustimmt. Das Blatt schreibt:

,, Dieser Hinweis eines berufenen Mannes ist jedenfalls feitens der Fabrikanten der Beachtung werth und jedenfalls auch praktisch zu verwerthen, wenn nur die Inter­essen sich die Mühe reiflicher Erwägung geben wollen. Allen Beamten, Lehrern 2c. ist die Möglichkeit geboten, während des Jahres ein oder mehrere Male eine Zeit der Erholung von den Anstrengungen ihres Berufes zu genießen. Sollte dies nicht auch für den Arbeiter, mit oft sehr aufreibender Beschäftigung und färglicher Nahrung, von wohlthätigen Folgen sein? Diese Zeit braucht ja nicht zu weit ausge­

Rachbruc verboten.]

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Feuilleton.

Im Eckfenster.

Roman von Friedrich Gorstäcker. ( Fortsetzung.)

Püster sah im Nu, daß die Fremde, dicht verschleiert, wie sie war, von den unten befindlichen Herren nicht erkannt sein fonnte. Und haben sie gesehen, wohin sie ging?" fragte er nur zurück.

" 1

,, Nein," eviderte Mur, sie stehen noch unten vor der Thür; es ist Alles in bester Ordnung."

" Gut, Madame," sagte Püster mit einer artigen Ver­beugung, dann haben Sie die Güte, hinter den Vorhang

zu treten. Sie finden dort ein bequemes Fauteuil, und ich bitte Sie nur, sich ganz kurze Zeit vollkommen ruhig zu halten, damit man Ihre Gegenwart nicht bemerkt. Wenn Sie vortreten sollen, werde ich Sie hereinführen."

Die Dame sah ihn groß an, rührte sich aber nicht von der Stelle, und Mur   flüsterte jetzt dem Notar zu, daß die Fremde gar kein Deutsch verstehe.

,, Das ist aber eine verfluchte Geschichte," meinte Büfter; ,, dann versteht sie ja auch nichts von dem, was verhandelt

wird!"

,, Ueberlassen Sie das mir, Herr Notar  ," sagte Mur freundlich, ich habe sie schon in Allem genau instruirt. Sie weiß, was gesprochen werden wird und wenn der Zeitpunkt gekommen ist, wann sie vortreten muß. Ich werde ihr auch Ich werde ihr auch das Andere begreiflich machen." Damit wandte er sich an die Dame, erklärte ihr in vollkommen reinem Englisch und mit so kurzen Worten als möglich die Bitte des Notars und führte sie dann hinter den jetzt total niedergelassenen grünen Vorhang des Eckfensters, hinter dem er mit ihr verschwand.

Das ist ein kleiner intelligenter Bursche," sagte der Baron, der ihn die letzten Minuten aufmerksam beobachtet

hatte.

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,, Das ist er in der That," nickte zustimmend der Notar. Aber jetzt, verehrter Herr, nehmen Sie dort in jenem Sessel

Insertionsgebühr

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beträgt für die 3 gespaltene Petitzeile oder deren Raum 40 Pf. Arbeitsmarkt 10 f. Bei größeren Aufträgen hoher Rabatt nach Uebereinkunft. Inserate werden bis 4 Uhr Nachmittags in der Expedition, Berlin   SW., 3immerstraße 44, sowie von allen Annoncen Bureaux  , ohne Erhöhung des Preises, angenommen.

Expedition: Zimmerstraße 44.

dehnt zu werden im Interesse des Arbeitgebers und des Ar­beitnehmers. Sollte es nicht möglich sein, die Gewährung einer Woche Arbeitsferien zu einer Bes lohnung für ältere Arbeiter, die seit einer be­lohnung für ältere Arbeiter, die seit einer be­stimmten Reihe von Jahren in demselben Dienste stehen und die ja hin und wieder jetzt von einsichtigen Fabrik- und anderen Geschäftsherren durch Geldgeschenke ausgezeichnet werden, zu machen? In unserer 3eit, wo man allerseits das Wohl der arbeitenden Bevölkerung zu fördern bestrebt ist, möge auch obiger Hinweis Berücksichtigung finden."

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Hier wird also auf unsere Frage, wie soll es gemacht werden? eine Antwort gegeben. Die Unternehmer selbst sollen freiwillig je nach Gutdünken, die Ferien bestimmen, als Belohnung für ältere Arbeiter. Glaubt denn wirklich das liberale Blatt, daß dadurch, wenn ein 3usammenhang zwischen Streits und sommerlichen Be­dürfnissen zur Erholung wirklich vorhanden sein sollte, auch nur ein Streit vermieden würde! So jammervoll gering hat doch der Herr Fabrikinspektor selbst seinen Vorschlag wohl nicht aufgefaßt.

-

Er will allen Arbeitern nach und nach die Ferien zu Theil werden lassen doch auch wohl nur durch den doch auch wohl nur durch den freien Willen der Fabrikanten, der Unternehmer. Aber, so fragen wir, hat denn der Herr Gewerberath, der doch solche Dinge verstehen müßte, gar keine Ahnung von dem gegen­wärtig herrschenden wirthschaftlichen Getriebe? Kennt er nicht die freie Konkurrenz, die dem einen Unternehmer, wenn er existiren will, es geradezu verbietet, seinen Arbeitern mehr Vortheile zu gewähren, als es seine Konkurrenten thun? Sollte somit der Vorschlag des Herr Inspektors zur That werden, so müßten sämmtliche Unternehmer ihm zu­stimmen, und daß das nicht geschieht und geschehen kann, da immer eine Anzahl Unternehmer die eventuelle günstige Kon­junktur in ihrem Geschäfte ausnüßen, resp. ausnüßen müssen, liegt wohl für jeden Kundigen klar auf der Hand."

So ist denn der gutgemeinte Vorschlag des Herrn In­spektors auf dem Wege der Privathilfe nicht zu er­reichen.

Bleibt nun lediglich die Staatshilfe, die Gesetz gebung übrig. Weshalb sollte nicht in der Gewerbe­ordnung ein Paragraph aufgenommen werden, daß jeder Unternehmer verpflichtet ist, jedem seiner Arbeiter im Sommer acht Tage Ferien zu geben? Aber wie würden bei einem solchen Antrage die Liberalen und Konservativen zetern, und Fürst Bismarck   würde sich an die Spitze der Antiferien­bewegung stellen, wie er sich gegenwärtig an die Spitze der Gegner der Sonntagsruhe gestellt hat.

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Nußen aber dieser Ferien wäre sehr minimal. Der Arbeiter, acht Tage aus der Arbeit gerissen, würde durchaus keine Erholung verspüren und nur etwas widerwilliger nach dieser fürzen Pause wieder an die Arbeit gehen. Entweder müssen die Pausen ganz kurz und regelmäßig wiederkehrend sein, und dies würde bei vollkommener Sonntagsruhe zutreffen, oder die Ferien müßten mehrere Wochen betragen, um Erholung zu bringen.

Da nun letzteres nicht gut angeht, so bleiben wir bei unseren Forderungen: Sonntagsruhe und geringere tägliche Arbeitszeit, Marimalarbeitstag.

Dadurch werden die Streiks denn sicherlich ver­mieden, sodaß man das Palliativmittelchen einer jährlichen Ferienwoche für Arbeiter wohl entbehren kann.

Doch wir sagten, der Vorschlag sei gut gemeint und dabei bleiben wir auch; wir begrüßen überhaupt alle Vor­schläge, auch die geringsten, welche die Lage der arbeitenden Klassen verbessern wollen oder doch zu verbessern vorgeben, mit Freuden. Denn durch dieselben wird Verständniß über unser wirthschaftliches Leben in das Volk hineingebracht, und außerdem geben alle solche Vorschläge zu, daß es mit unseren wirthschaftlichen Zuständen schlecht steht, daß sie geändert werden müssen.

Diese allseitigen Bugeständnisse aber müssen das ar­beitende Volk immer mehr bestärken in seinem Rechte, selbst Hand ans Werk zu legen, seine Lage zu verbessern.

In diesem Sinne können wir auch den wohlgemeinten Vorschlag des Zwickauer   Fabrikinspektors willkommen heißen.

Politische Uebersicht.

Zur Frage der Arbeiterschußgefeßgebung hat die Dresdener Handels- und Gewerbekammer Stellung genommen und beschlossen, daß thunlich st eine Beschränkung der Arbeitszeit auf täglich 12 Stunden zweckmäßig sei, resp. ge­boten erscheine, daß aber die Einführung eines Normalarbeits­tages sowohl im Interesse der Arbeitgeber wie der Arbeitnehmer zu verwerfen sei. Von dem letterwähnten Gefichtspunkte aus­gehend, erachtet die Kammnr auch eine weitere Beschränkung hinsichtlich der Beschäftigung jugendlicher Arbeiter in den Fabriken nicht für geboten, doch sollen diese, wie auch weibliche Arbeiter möglich st von der Nachtarbeit ausgeschlossen werden. Bei allen Gewerben, die einen ununterbrochenen Betrieb er­fordern, wird von einer Beschränkung der Arbeit an Sonn­und Feiertagen abgerathen. Die Kammer erklärt sich ferner gegen die Einrichtung von Arbeitsämtern und Arbeits­daß die Gesezgebung auf dem besagten Gebiete, wo es sich um fammern, und spricht schließlich die bestimmte Erwartung aus,

tief einschneidende Maßnahmen handle, nur mit äußerster Vorsicht vorgehen werde, und empfiehlt dringend die vor­allzuleicht die Konkurrenzfähigkeit der vaterländischen Industrie

Und welche Mühe wird es kosten, einen solchen Vorherige Vernehmung von Sa ch verständigen, da sonst nur schlag erst zum allgemeinen Verständniß zu bringen? Det

Play, ich höre die Herren kommen, und bewahren Sie nur um Gottes willen faltes Blut. Mur  !"

-

Mug glitt hinter der Gardine vor und ohne Weiteres an sein Pult, und schon im nächsten Moment öffnete sich die Thür, in der Schaller, von Rauten und Hans gefolgt, zuerst erschien.

,, Holla, mein lieber Notar," rief er aus, wie er nur Püster bemerkte, indem er mit beiden vorgestreckten Händen auf ihn zuging und in diese die ihm gebotene Rechte nahm und kräftig schüttelte ,,, wir haben uns ja in einer Ewigkeit nicht, oder doch nur par distance durch die gegenseitigen Fensterscheiben gesehen! Freue mich unendlich, Sie so frisch und wohl zu finden!"

"

Herr Baron, es ist mir eine ganz besondere Ehre," sagte der kleine Mann trocken.

Schaller aber, Baron Solberg bemerkend, ging jetzt zu diesem über: Ah, bester Baron, Sie sind uns zuvorgekom­men, wie? Ja, immer noch frisch auf den Füßen, und einem Jüngeren würden Sie im Marschiren etwas aufgeben können. Nun, heut Abend werde ich ja auch das Vergnügen haben, Ihnen meine kleine Familie vorzuführen, freue mich unmenschlich darauf, wahrhaftig und Rauten hat die Zeit nun gar nicht erwarten können, was ihm übrigens der Teufel danken mag!"

" 1

Mein lieber Herr von Schaller," sagte der Baron, welcher bei der Begrüßung aufgestanden war, welcher bei der Begrüßung aufgestanden war, gebe Gott  , daß wir uns Alle heut Abend so froh, wie wir Beide es wünschen, zusammenfinden mögen, und Sie sollen dann in der That sehen, daß der alte Solberg trotz seiner Jahre auch noch tanzen fann!"

,, Alle Wetter," lachte Schaller, dann versuch' ich's auch, auf Ehre, und wenn Sie einen jungen Menschen bemerkt haben, der seine Beine schlenkert, so bin ich es hahaha!"

-

Das Lachen klang ein wenig umheimlich, denn es stimmte Niemand mit ein, und selbst Baron von Solberg machte ein ganz ernſtes Gesicht dazu. Püster aber, der in dessen zu Mux   getreten war und mit diesem einige Worte geflüstert hatte, sagte jetzt mit seiner nicht übermäßig lauten, aber doch sehr klangvollen Stimme:

"

Meine Herren, dürfte ich Sie vielleicht ersuchen, Plat

zu nehmen, denn ich glaube, es liegt in Ihrem allseitigen Interesse, daß, was hier zu geschehen hat, auch bald ge­schieht. Herr Graf, wenn ich bitten darf, diesen Stuhl, Herr von Schaller, wenn ich bitten darf, hier. Hast Du das Schriftstück fertig, Mur?"

" Ja, Herr Notar."

-

Schön. Also, meine verehrten Herrschaften, ich setze voraus, daß Sie allseitig verständigt sind, zu welchem 3wecke ich die Ehre habe, diese geehrten Herren bei mir zu sehen."

" Ich glaube ja," sagte Schaller.

"

Sehr gut! Darf ich mir dann noch vorher erlauben, die Frage an den Herrn Grafen   Rauten speziell zu richten, ob er willens ist, die Mitgift heute in Empfang zu nehmen und dann morgen mit der gnädigen Baronesse Franziska von Solberg ehelich verbunden zu werden?"

Wenn es die Form erfordert," lächelte Rauten, so bin ich gern erbötig, die Frage zu beantworten, obgleich es derselben kaum bedurft hätte Ja!"

Der Notar schwieg und sah den Grafen dabei fest an. Er befand sich selber, froß seiner äußern anscheinenden Ruhe in gewaltiger Aufregung und mußte sich die größte Mühe geben, das nicht durchscheinen zu lassen.

Sehr gut, und Herr Baron von Solberg ist willens, dem Herrn Grafen von Rauten, als seinem fünftigen Schwieger­sohn, diese Mitgift, die sich in runder Summe auf fünfzig­tausend Thaler beläuft, heute auszuzahlen?"

,, Allerdings," sagte von Solberg fast tonlos.

Und sind alle diese Formen nöthig?" lächelte Rauten. So viel ich weiß, ist das Ganze nur ein Privataft, der vielleicht von einem Notar beglaubigt werden kann, aber doch wahrhaftig kein besonderes Verhör bedingt."

Herr Graf bemerken sehr richtig," erwiderte Püfter, ,, und etwas Derartiges würde unter gewöhnlichen Verhält­nissen auch nicht geboten sein. Hier aber galt es vor allen Dingen, die beiden Thatsachen vor Zeugen zu konstatiren und Sie dann später, Herr Graf, zu ersuchen, einen Ein­wand zu heben, der eben gegen diese Verbindung von an= derer Seite her gemacht ist."