ein 1

von dem Brande und der Frage, wo das nächste Meldebureau ist, herangetreten und erhielten den Bescheid, daß sie die Sache gehen lassen sollten, da es fich höchst wahrscheinlich nur um eine öfter vorkommende Bäckerlohe handle. Einer dieser Herren rannte aber weiter. Die Behörde nahm nun an, daß der An- geklagte zu denjenigen Personen gehörte, welche von dem Wächter von der wahren Sachlage' benachrichtigt worden sei. Der Gerichtshof folgte den Ausführungen des Amtsanwalts und des Dr. F. Friedmann, daß der Angeklagte selbst dann, was aber unerwiesen ist, wenn er vom Wächter anders infor- mirt ist, berechtigt gewesen sei, Feuer zu melden, weil er von der Gefahr überzeugt war. In dem Privatklage-Prozeß des Fabrikbesitzers Schmidt zu Elberfeld gegen den Hofprediger Stöcker ist die Nachricht beim Gericht emgegangen, daß der Besckuldigte und Wieder- kläger den ihm zur Zahlung aufgebenen Vorschuß von 300 M. bei der Gerichtskasse eingezahlt hat. Es wird nunmehr der neue Termin anberaumt werden, der noch vor Beginn der Ferien stattfinden soll. Die Ermordung des Polizeirath Rumpff vor dem Schwurgericht. (Fortsetzung.) Frankfurt a. M-, 1. Juli. Dritter Tag der Verhandlung. Die heutige Sitzung beginnt mit der Vernehmung des Schneiders Drausch. Derselbe war im vergangenen Winter zu Mannheim in Arbeit und will dort einen gewissen Voll kennen gelernt haben, der ihm bekannt habe, der Mörder Rumpffs zu sein. Er habe ihm auch das Mordmesser und einen Revolver gezeigt. Präs.: Was war dieser Mensch? Zeuge: Er war wohl ein Louis, denn er trieb fich stets mit Frauenziinmem herum. Präs.: Wie lautete das Geständniß, welches er Ihnen machte? Zeuge: Er sagte mir, er hätte den Rumpff erstochen, und hat mir auch ein Messer und den geladenen Revolver gezeigt. Präs.: Warum haben Sie das nicht schon längst angezeigt? Zeuge: Ich habe zuerst gedacht, er uzt mich, und dann habe ich ihm auch einen Schwur leisten müssen. Präs.; Wie lautet derselbe? Zeuge:Ich mach' Dir einen heiligen Schwur, ich werde Niemanden: nichts sagen." Präs.; Na, wenn Sie in dieser Form geschworen habe», können Sie Alles sagen. Zeuge erzählt nun, daß ihm Voll das betreffende Geständniß auf einem Spaziergange gemacht habe; Zeuge erkennt einen ihm vorgelegten kleinen Taschenrevolver und em Messer als das, welches ihm Voll gezeigt. Nun wird Voll, den Drausch eben in dieser Weise beschuldigt, aufgerufen. Der- selbe behauptet, Optiker zu sein und bis zum 7. Februar in Boggenhein: in Arbeit gestanden zu haben. Präs.: Haben Sie mit Drausch über den Rumpff'schen Mord gesprochen? Zeuge: Jawohl, als ich mit ihm spazieren ging. Präs.: Nun, legten Sie ihm nicht ein Bekenntniß ab? Zeuge: Ja,.Herr Präsident. Sehen Sie, der Drausch ist ein zu dummer Kerl! Da Hab' ich mir'n Jux mit ihm gemacht und gefragt: Du, möchtest Du uüch verrathen, wenn ich der Mörder wäre? Da sagte er: Nein, das thue ich nicht. Darauf sagte ich: Schau, ich bin's gewesen, ich gebe Dir 3000 M., wenn Du schwörst, Niemandem nichts zu sagen. Da schwor er. Als ich ilm aber fragte:Du. wenn Du mit der Anzeige aber 10 000 M. verdienen kannst, wirst Du doch auch Nichts sagen?" da schwieg er und blieb dann ganz stille. Der Vertheidiger protestirt gegen die Vereidigung des Voll. Beide Zeugen wer- den aber vereidigt. Es folgen nun die Aussagen der kom- missarisch vernommenen Zeugen in der Schweiz , zunächst der beiden Schuhmachenneister in Basel , bei denen Lieste gearbeitet hatte. Beide bekunden, daß Lieste keine Ersparnisse gemacht, sondern seinen Lohn stets aufgebraucht habe. Andere Zeugen- aussagen konstatiren, daß Lieske dort seine anarchisttsche Ge- sinnung offen zur Schau getragen habe.(Es muß bei dieser Gegenheit bemerkt werden, daß die Zeugenaussagen, die meist mit ganz leiser Stimme gemacht werden, im Auditorium und an den Tischen der Berichterstatter sehr schwer, oft gar nicht verständlich sind.) Es gelangen nun noch einige Stellen aus Nummern derFreiheit" zur Verlesung, worin Lieske immer alsGenosse" be- zeichnet wird. Hiermit ist die Beweisaufnahme geschlossen. Es ergreift das Wort der Staatsanwalt Frehsee: Ein hochge- achteter braver Beamter ist unter dem Dolche eines Anarchisten gefallen. Er fiel einer Verschwörung zun: Opfer, deren Theil- nehmer leider für uns nicht erreichbar sind, da sie unter dem Asylrecht eines anderen Staates leben. Aber unterdrücken wir hier die Gefühle des Abscheues gegen diese organisirte Mörder- bände mit Bezug auf den hier Angeklagten. Es kann hier nicht der Gesichtspunkt Geltung erlangen, ein Beispiel zu sta- «uren, sondern der Gerechtigkeit Genüge zu leisten; darum prüfen wir ohne alle Voreingenommenheit, mit ganz kühlem Blut, ohne Rücksicht auf die Zugehörigkeit des Angeklagten zu einer hier gekennzeichneten, auf Umsturz alles Bestehenden sin- nenden Gesellschaft. Was nun die Schuldfrage betrifft, so ist die Schuld des Angeklagten, den Polizeiräth Dr. Rumpff mit Vorsatz getddtet zu haben, wenn auch nicht direkt, so doch indirekt völhg erwiesen. Lieske hat sich von vornherein auf das Leugnen von Thatsachen verlegt, die er, wenn er unschuldig wäre, gar nicht zu leugnen oder zu ver- schweigen nöthig hatte. Schon darin dorumentirt sich sein Schuldbewußtsem. Er ging aber auch von vornherein mit der Absicht um, die Behörde bei ihren Nachforschungen irre zu führen, indem er nämlich die Paprere des Nau erwarb. Er ging nach vollführten: Mord sofort aus Frankfurt , er scheute sich, in das bisher von ihm benutzte Gasthaus zurückzukehren, da er dachte, die Polizei könne ihm auf den Fersen sein. In finsterer Nacht, bei einem Wetter, wo Niemand ohne die zwin- gendsten Gründe das Haus verläßt, lief er aus Frankfurt hinaus und ließ sich nicht einmal die Zeit, die Wunde, welche er sich selbst mit dem Mordmesser zugefügt hatte, zu verbinden. Es ist erwiesen, daß er mit noch ganz frischer Schmttwunde in Zwingenberg ankam und sich dort erst verbinden lieh. Er handelte als' Werkzeug einer Mörderbande, welche die Ermordung des pflichtgetreuen Beamten beschlossen hatte, einen Mord, den sie recht bezeichnend mit dem WorteHinrichtung" bezeichnet hat. Schon von Basel aus dokumentirt fich die Absicht des Lieske, den Mord auszuführen. Er ging von dort nicht fori, um Arbeit zu suchen, er ging nach Frankfurt , um seinem Opfer aufzulauern. Nirgends hat er hier Arbeit gesucht. Sein ganzes Sinnen war auf die Ausführung des Mordplans gerichtet, und zu diesem Zweck nahm er seine letzten Mittel in Anspruch, verfetzte auch seine Uhr. Er wußte allerdings, daß er Hintermänner habe, die ihn auf alle Fälle unterstützen würden. Diese Genossen traten denn auch in der Weise ein, daß sie den Koffer, den Lieske in Basel versetzt hatte, einlösten und diesen, nachdem er Frankfurt verlassen hatte, mit Geld versorgten. Als Lieske von hier fortging, hatte er kein Geld, er mußte sich sogar einige Tage durchbetteln. Da, nach- dem er unterwegs zwe: Briefe abgeschickt hatte, änderten sich seine Umstände, denn man fand bei seiner Verhaftung noch über 13 Mark vor. Er hatte ein neues Portemonnaie, welches er früher nie besessen, auch einen neuen Hut. Lieske erscheint auch aus vielen anderen Rücksichten schuldig des vorsätzlichen Mordes. Zahlreiche Zeugen bekunden, daß Lieske den Ge- pflogenheiten des Dr. Runipff eifrig nachgespürt und ihn: auf- gelauert habe. Nau und Hüber bekunden, vaß Lieske ihnen sogar direkte Andeutungen vom geplanten Morde gemacht hat. Wenn der Zeuge Nau auch den Eindruck macht, daß er vielleicht noch u>ehr von dem Verbrechen weiß, als er hier ausgesagt hat w ist doch durck nichts der Beweis erbracht, daß er:n den hscr gemachten Aussagen Unwahrheiten vorgebracht hat. Der Mord ist mit einem Instrument vollführt, Lessen Spuren auf em Schusternresser hinweisen; Lieste aber ist Schuhmacher. Er

ist wiederholt in der StraßeSachsenlager" gesehen worden, und zwar unter den verdächtigsten Umständen und auch am Abend des Mordes? Er lauerte dem Dr. Rumpff auf, stieß mit der rechten Hand und griff mit der linken Hand nach seinem Opfer. Dies ist die natürlichste Erklärung für die Situation, für die Schnittwunde an der Hand, dieses Kains- zeichen des Mörders. Bettachten wir nun die von der Ver- theidigung angeführten oder in Vorschlag gebrachten Entlastungs- beweise. Der Zeuge Privatier Ernst kann, wie dies bei andern Entlastungszeugen Oer Fall ist, seine Aufmerksamkeit nur auf harmlose Spaziergänger gerichtet haben. Die Aussagen aller anderen Entlastungszeugen beziehen sich nur auf Lorgänge, die mit dem Verbrechen in gar keinem Konnex zu stehen brauchen. Wenn Lieske wirklich unschuldig wäre, so wäre er wohl am besten im Stande gewesen, Entlastungsbeweise für sich herbeizubringen; ist er das aber im Stande gewesen? In keiner Beziehung hat er sich zu entlasten vermochte, er konnte nirgends einen positiven Beweis für seine Unschuld beibringen. Sem Leugnen der an sich harmlosesten Thatsachen verräth die Angst, daß durch irgend ein Zugestängniß seinerseits die Wahr- heit an den Tag kommen würde. Dieses Schuldbewußtsein ist auch hier mehrfach direkt und drastisch zun: Vorschein gekommen. Sein Satz ist:Beweist mir den Mord, ich brauche nichts für meine Unschuld anzuführen!" Nun, auch dieser Beweis ist eklatant geführt worden. Es ist erwiesen, daß er den Mord geplant, vollführt und versucht hatte, dessen Spur zu verwischen und fich der Rache des irdischen Richters zu entziehen. Die Motive zu dem Morde sind in der Zugehörigkeit des Angeklagten zu oen Anarchisten zu suchen. Er war das Werkzeug einer im Finstern schleichenden Mörderbande, die ihn schon längst zu den Ihrigen zählte, an deren den Mord predigenden Grund- sätzen er mit Fanatismus hing. Er war der Mörder, es bleibt eine andere Annahme nicht übrig. Wir ständen andemfalls vor einen: unlösbaren Räthsel. Ich kann der Lage der Sache nach nur das Schuldig gegen den Angeklagten be- antragen. Vertheidiger Rechtsanwalt Dr. Fester: Meine Herren Ge- schworenen. Ich bitte Sie, sich nicht vom Gesichtspunkte der Wahrscheinlichkeit beeinflussen zu lassen und auch nicht auf die vom Herrn Staatsanwalt gestellte Be- hauptung, daß man, wenn man die Schuld Lieske's nicht anerkenne, vor einem unlöslichen Räthsel stände. Ich bitte Sie auch, die Frage der Parteistelluna nicht in Betracht zu nehmen. Man kann von der politischen Parteistellung durchaus noch nicht sichere Schlüsse auf den Charakter eines Menschen ziehen. Viele Menschen sind in politischer Be- ziehung vielleicht Fanatiker und können den absurdesten Ideen huldigen, dabei aber sonst doch noch die harmlosesten und friedlichsten Menschen sein. Es gilt hier nur die Pflicht, die objektiven Thatsachen kühl und ernst zu prüfen und daraufhin ein Urtheil zu fällen. In dieser Beziehung muß ich nun zu- nächst auf die einzige Persönlichkeit hinweisen, welche den Mörder gesehen hat. Es ist dies der Tapezirerlehrling Schmidt, der sich die Person des Verbrechers genau gemerkt und davon eine sehr genaue Beschreibung gegeben hat. Schmidt hat aus- drücklich die Identität des Lieste mit dem von ihm gesehenen Verbrecher in Abrede gestellt. Wcreine untl Versammluagen. be. lieber die sog. Spaltung in der sozialdemokrati- scheu Partei, sprach der Reichstagsabgeordnete Herr$. Singer in der Versammlung des Arbeiter-Be- zirks-Vereins für den Osten am Dienstag, den 30. Juni, in Keller's Salon. Seine Ausführungen lauteten ungefähr fol- gendermaßen: Meine Herren! Ich habe nicht geglaubt, daß ich heute in Ihrer Mitte sprechen würde, da ich nachSanssouei" eine Versammlung meiner Wähler hatte einberufen lassen, um vor ihnen einen Rechenschaftsbericht über meine Thätigkeit im Reichstage zu erstatten. Zu meinem Bedauern ist diese Ver- sammlung in letzter Stunde verboten worden. Darum bin ich hierher gekommen und zwar beabsichtige ich, ein Thema zu be- sprechen, das von der gegnerischen Presse fortwährend erörtert und entstellt gebracht worden ist. Es ist dies die sogenannte Spaltung:n der sozialdemokratischen Fraktion. Dem gegenüber will ich vor allen Dingen betonen und ich glaube,:m Namen aller meiner Kollegen zu sprechen, daß i n unserer Fraktion von einer Uneinigkeit in prinzipieller und thatsächlicher Beziehung nicht die Rede ist. Wenn derartige Behaupttingen ausgestteur werden, so geschieht es nur, die imposante Entwicklung unserer fürtet zu hemmen, von der die letzten Wahlen so überraschend eugniß abgelegt haben. In Wirklichkeit handelt es sich um folgendes: Als in der vergangenen Session die Regierung einen Entwurf einbrachte, welcher die Subventionirung gewisser Dampferlinien verlangte, wurde die Frage auch in unserer Fraktion berathen und man kam zu folgendem Resultate. Ein Theil der Fraktion meinte, die Vorlage sei pure abzulehnen, weil der Vortheil, den die arbeitende Bevölkerung dadurch haben würde, zu geringfügig sei. Die Dampfervorlage sei von der Kolonialpolitik des Reichskanzlers nicht zu trennen, die prin- zipiell bekämpft werden müsse. Daraus folge, daß die Dampfer- subventionsvorlage ohne weiteres abzulehnen sei. Die übrigen Fraktionsmitglieder, die Majorität, der auch ich angehörte, wenn ich auch bei der entscheidenden Frattionssitzung im De- zember v. I. nicht zugegen sein konnte, waren anderer Ansicht. Sie meinten, die Dampfersubventions-Lorlage sei doch von der Frage der Kolonialpolitik getrennt zu behandeln. In der Ver- werfung der letzteren war man einig. Die Gründe, welche für die Enverbung von Kolonien angeführt werden, erwiesen sich als nicht stichhaltig. Von einer Uebervölkerung kann in Deutsch - lang so lange nicht die Rede sein, als noch große und weite Stocken Landes in Folge der Latifundienwirthschaft brach lie- gen; und die Behauptung, überschüssige Arbeitskräfte seien in den Kolonien zu verwerihen, erhält eine eigenthümliche Beleuch- tung, wenn man an die großen Schaaren fremder Arbeiter denkt, die alljährlich nach Deutschland von Unternehmern hin- eingezogen werden. Und dann handelt es sich um die Kolo- nistrung von Ländern, deren Klima, wie erwiesen, absolut todt- bringenv ist. Wenn selbst wissenschaftliche Forscher, die sich mit allen Vorsichtsmaßregeln- umgeben können, der tropischen Sonne und dem Fieber keinen Widerstand leisten können, wie werden dann die Auswanderer, die im schlechten Gesundheitszustande anlangen, dem Tode zum Opfer fallen!(Sehr richtig!) Auch die Auffassung trifft nicht zu, daß durch Gründung von Kolonien Handel und Industrie gefördert werden. Die Bewohner jener Länderstrecken sind nicht lonsumtionsfähig; entweder kennen sie die Anwen- dung europäischer Produkte nicht, oder sie haben nicht genug, um sich dieselben zu verschaffen. Aus allen diesen Gründen ge- langte die Fraktion einstimmig zu der Ueberzeugung, daß an eine Unterstützung der kolonialen Projekte nicht zu denken sei. Anders lag für die Majorität der Fraktion die Frage der Dampfersubvention. Zwar war auch sie der Ansicht, daß der Löwenantheil der Subvention den Kapitalisten zufallen würde, aber sie meinte, daß bei Erfüllung gewisser Bedingungen die Verwendung von Reichsmitteln auch im Interesse der Arbeiter läge. Diese Bedingungen waren: erstens nur neue Schiffe zu subventioniren, zweitens, nur bestimmen, daß diese Schiffe auf deutschen Werften zu erbauen s seien, und drittens alliabruch dem deutschen Reichstage Rechenschaft über die Verwendung der Subvention zu erstatten. Unter diesen Bedingungen glaubten wir. daß durch die Bewilligung bei verlangten 1400000 M., die Roth des daniederliegenden Schiffbaugewerks zu heben und fleißigen Menschen Beschaftt- gung zu verschaffen. Wir bettachteten es als unsere Aufgabe, jede Gelegenheit zu benutzen, bei der es möglich sei, die wirth- schafttiche Lage der arbeitenden Bevölkerung, wenn auch nur

in etwas, zu verbessern. Wir erklärten aber zugleich, daß wir für den Fall der Ablehnung unserer Bedingungen geschlossen gegen die Vorlage stimmen würden. Dieser Fall trat ein, man machte uns nicht die verlangten Zugeständnisse, und die ganze Fraktion stimmte geschlossen gegen die Dampfersubventtons- vorläge. Hieran knüpften sich nun Erörterungen in der Partei- presse und es folgte die bekannte Fraktionserklärung. Nun ist es einem Mitgliede der Fraktion in den Sinn gekommen, die freie Meinungsäußerung zu beschränken. Die Partei gesteht den Wählem aller Richtungen das Recht zu, frei und offen zu sagen, was sie denken, um wie viel mehr den eigenen. Der Vorwurf, daß durch die bekannte Bekanntmachung der Fraktion die freie Meinungsäußerung beeinträchtigt werde, ist absolut haltlos. Ein Theil unserer Genossen im südwestlichen Deutschland aber war anderer Meinung und unterzog das Verhalten der Fraktion in einem Proteste einer scharfen Kritik. Ich habe keine Ver- anlaffung, den Frankfurter Aufruf hier zu besprechen, aber ich meine, jeder Genosse hat das Recht, einschnei- dende Kritik an dem Verhalten seiner Ver- treter im Reichstage zu üben. Wir sind im innigsten Zusammenhange mit unseren Wählem; gerade hierin liegt unsere Kraft. Die ganze Fraktion habe nichts gegen das volle Recht, Kritik auszuüben, einzuwenden. Und ich meine, wäre der Frankfurter Aufruf in etwas ruhigerer Stimmung geschrieben worden, er wäre anders ausgefallen. An die Veröffent­lichung des Aufrufes knüpft sich nun die eigentliche un- angenehme Seite der Angelegenheit. Ein Abgeordneter glaubte, den Aufruf beantworten zu müssen, und er that es in einer Weise, die meine Billigung durchaus nicht findet. Derartige Auslassungen sollten allein schon durch das Gefühl der Solidarität unmöglich gemacht sein. Eine Er- klärung findet das Verhalten dieses Abgeordneten in der That- fache, daß schon seit längerer Zeit Differenzen zwischen ihm und den Parteigenossen in Frankfurt a, Main bestanden, aber da­mit wird auf keine Weise sein Auftreten gerechtfertigt. Hier- auf nahm nun ein anderer Kollege für oie Frankfurter und gegen Frohme das Wort, der hierzu der Sache nach vollkommen berechtigt war, den Äugenblick jedenfalls aber schlecht gewählt harte. Es folgten nun wechselseitige Erklärungen und persönliche Differenzpunkte, welche zu Tage traten, benutzte die gegnerische Presse, um unsere Wählergraulich zu machen", und den demnächstigen Verfall der Partei zu verkünden. Dem gegenüber ist zu konstatiren, daß von einer Spal- tung nicht im Geringsten die Rede sein kann. Was unsere Gegner behaupten, kann uns gleich sein; wir können uns den Luxus gönnen, unsere Wäsche vor den Äugen der ganzen Welt zu waschen; im Winde der Meinungen wird sie am vesten trocknen. Wir sind auf keinem Gebiete für Heim- lichthuerei: sachliche Meinungsverschiedenheiten werden nicht vertuscht, sondem vor das Forum gebracht, vor welches sie ge­hören, vor das Forum der Wählerschaft.(Bravo.) Um fach- liche Meinungsverschiedenheiten handelt es sich hier nicht. Nie und nimmer wird die Einheit der Partei gestört werden.(Bravo.) Wir stehen in dem Bewußtsein da, unser Programm nie ver­letzt zu haben. In der Diätenfrage, bei der Zolliarifvorlage, bei der Debatte über den Belagerungszustand, bei der Einbringung des Arbeiterschutzgesetzentwurfes, überall haben wir voll und ganz. auf dem Boden desselben gestanden. Fest und geeint stehen wir nach wie vor, gestützt auf das Vertrauen unserer Wähler. (Bravo.) Der Jubel der Gegner über den Zusammenbruch der Partei, und ihre Hoffnung, daß aus den Trümmem fiir sie einige Wahlkreise zu gewinnen seien, ist ganz und gar nicht am Platze. Ihr Wunsch, Skandal hervorzurufen, wird nicht in Erfüllung gehen. Wenn wirklich die Verhältnisse so wären, daß eine Spaltung nicht zu vermeiden ist, würden wir wahr- haftig nicht warten, bis die Gegner kommen und sagen:Seht, das ist die Einigkeit Eurer Führer", sondern wir würden selbst zu der Quelle unseres Daseins zurückgehen und unsere Wähler entscheiden lassen.(Bravo !) I» Sachen der Dampfersubvention hat sich dies nicht nur nicht für nothwendig, sondern für überflüssig erwiesen. Von jeher haben wir unsere Aufgabe darin gefunden, stets zu ver uchen, alles was zur Verbesserung der Lage der Arbeiter dient, im Reichstage durchzusetzen. Wenn nun ein Theil der Fraktion gemeint hat, der Dampfersubventionsvorlage m der Hoffnung zustimmen zu müssen, daß dadurch Tausenden von vlitcitem lohnende Arbeit verschafft werden könne, so ist das kein Ver- lassen des Programms, noch dazu wenn Bedingungen an die Bewilligung der Summe geknüpft werden, die eine Konttole über die richtige Verwendung des Geldes ermöglichen. Seien Sie, m. H., jedenfalls davon überzeugt, daß nichts die Einig- keit unserer Fraktion auseinander bringen wird. Der allgemeine Unwille würde jeden hinwegfegen, der aus persönlicher Eitelkeit es wagen würde, an dem festen Gefüge zu rütteln. Wir, als Ihre Vertreter, werden stets die Fahne hochhalten. Wir werden ringen, Freiheit, Recht und B: d für den Arbeiter, soweit es möglich ist, auf dem Wege der parla- mentarischen Thätigkeit im Rahmen des Gesetzes zu erlnn»« und auf dem Wege der Agitation dafür zu sorgen, daß immer mehr Abgeordnete in den Reichstag gewählt werden, um diese Ziele durchzusetzen.(Stürniischer Beifall.)- Hierauf wurde folgende Resolution einstünmig angenommen: Die zahlreich be- suchte Versammlung des Arbeiter-Bezirks-VeremS für den Osten Berlins , welche heute, Dienstag, den 30. Juni d. I., in Kellers's Salon, Andreasstt. 21, tagt, spricht dem Reichstags- abgeordneten Herrn Singer für seine Besprechung des so- genanntenKonflikts innerhalb der sozialdemokratischen Partei" ihren Dank und ihre volle Uebereinstimmung aus, sie erkennt, daß eine Spaltung innerhalb der Partei nicht besteht, und ist überzeugt, daß die Fraktion nach wie vor geeint, fest und unentwegt auf dem Boden des Programms der Arbeiter für deren Rechte eintritt!"' Hierauf hielt Herr Robert F l a t o w einen Vorttag über Sanitätsvereme und Sanitätswachen und sprach fich für die Uebernahme der Sanitätswachen durch die Stadt aus. Er hob hervor, daß einer der Gründer der ersten Sanitätswache in der Neanderstraße selbst ihm(Redner) gegenüber den sehn- liehen Wunsch geäußert hätte, die Stadt möge die Sani- tütswachen in die Hand nehmen, sonst würden und könnten dieselben sich nicht länger halten. Außerdem empfahl der Redner warm den Beitritt zum neu gegründeten Sanitäts­verein. In der Diskussion sprach sich auch Herr P. S i n a e r im Sinne des Referenten aus, kritisirte die Mängel der bestehenden Sanitätswachen, die trotz marktschreierischer Annonzen, trotz Volksbelustigungen und Wohlthätigkeitskonzerten, die sie zu ihren Gunsten veranstal- teten, an chronischem Geldmangel litten und deshalb nicht einmal über genügende ärztliche Kräfte verfügten und wünschte die Uebernahme der Sanitätswachen durch' die Kominunal- verivaltung. Er schloß mit der Aufforderung an die An- wesenden, bei den Ergänzungswahlen für die ausgeloosten Stadtverordneten im Herbst auf dem Platze zu sein, und nur solche Männer zu wählen, die energisch für die Forderungen der Arbeiter auch auf diesen: Gebiete einzutreten bereit waren. (Lebhafter Beifall.) Es wurde noch einstimmig befchlossen, eine Tellersammlung zu Gunsten der stoikenden Maurer zu veranstalten, welche 38 Mark 10 Pf- ergab, dann schloß der Vorsitzende die Versammlung mit der Mittheilung, daß der geplante Ausflug am 19. d. M. und die nächste Versammlung am 14. d. M. stattfinden werde. hib. Die neueste Massenversammlung der Berliner Maurer, welche gestern(Mittwoch) Vormittags im Keller'schen Saale tagte und über den Streik diskutirte, war wieder von mehreren taufenden streikender Maurer besucht. An der animirten Diskussion betheiliqten sich abermals zahlreiche Redner. Den Hauptstoff zur Debatte lieferte, wie schon häufig, die neueste Nummer derBaugewerks-Zeitung", welche es in Sachen des Maurerstoiks an Non plus ullra-Leistungen wieder nicht fehlen