Beilage zum Berliner Bolksblatt.Ur. 138.Sonnabend, den 4. Inli 1883.IL Jahrg.D o K s l e s,Unsere Wohnunaen. Wenn man berücksichtigt, daß inBerlin bis»um Ausbruch des Streiks gegen achttausendMaurer beschäftigt waren, so läßt das auf eine recht rege Bau-thätigkeit in diesem Sommer schließen, und in der That siehtman denn auch in allen stadttheilen prächtige Neubauten sicherheben. Betrachtet man sich dieselben nun etwas genauer, sodrängt sich einem unwillkürlich die Frage auf, ob wohl bei derErrichtung dieser Bauten dem praktischen Bedürfniß Rechnunggetragen werde, und diese Frage ist unserer Meinung nach inden meisten Fällen zu verneinen. Es ist eine unbestritteneThatsache, daß an kleinen Wohnungen ein Mangel vorhandenist und daß diese in Folge desien fortgesetzt im preise steigen;trotzdem aber sehen wir, daß selbst in den entferntesten Vor-städtcn die Bauunternehmer nur größere Wohnungen anlegentasten und nur auf den Höfen finden sich allenfalls einige so-genannte kleine Wohnungen. Die Folge dieses Versehens istdas Abvermiethen leerer oder möblirter Zimmer, weil es einersehr großen Anzahl von Leuten ganz unmöglich ist, die Miethezu zahlen. Die Mehrzahl unserer Arbeiter, ebenso viele Sub-alternbeamte, Kaufleute:c. find bei ihrem geringen Ein-kommen völlig außer Stande, eine jährliche Miethe von 400bis 500 M. zu zahlen; sie können vielleicht etwas mehrals die Hälfte geben und nur weil für diesen Be-trag Wohnungen in zu geringer Zahl vorhanden find,müffen sie Dolens volens eine zum doppelten Preisenehmen, in der Erwartung, durch Abvermiethen eines Zimmersden Ausfall an ihrem Einkommen zu decken. Wir sehen dennauch an fast allen Häuscm Ankündigungen, daß daselbst leereund möblirte Zimmer zu vermiethen find und da dieses Massen-angebot bei weitem die Nachfrage übersteigt, so ist ein sehrgroßer Theil dieser Zimmer unbewohnt. Die Wohnungs-mhaber erleiden hierdurch, selbst wenn sie ihre überflüssigenRäume auch nur einige Monate im Jahre nicht venniethethaben, eisten oft recht empfindlichen Schaden, denn sie müffendem Hauswirth die Miethe für eine Wohnung zahlen, die sienur zur Hälfte benutzen und die zu miethen sie fast gezwungenwaren, weil sie eine kleinere ihrem Einkommen und ihren Be-dürfnisten entsprechende Wohnung nicht bekommen konnten.Sind also einmal die eigentlichen Miether durch den Mangelan kleinen Wohnungen in eine üble Lage gebracht, so sind esdie Aftermietyer, welche sich mit einem leeren Zimmer begnügenmüssen, in noch viel erheblicherem Maße. Wir finden hierganze Familien oftmals in einem kleinen einfenstrigen Zimmer,in welchem bei der glühendsten Sommerhitze auf einem eisernenOfen gekocht wird. Ist dieses enge Zusammcnwohnen schon inaesunvhcitlicher Beziehung bedenklich, so ist es in noch höheremGrade in moralischer, denn es wird wohl Niemandin Abrede stellen wollen, daß die Sittlichkeit leidenmuß, wenn Eltern mit erwachsenen und halberwachsenenKindern einen und denselben Raum zum Schlafenund zur Reinigung benutzen müssen. Diesen vielfachenUnzuträglichkeiten würde wenigstens zum größten Theil ab-geholfen werden, wenn sich unsere Hauswirthe entschließenwollten, Wohnungen zu schaffen, die dem Bedürfniß entsprächen.Den meisten Familien ist mit zwei, wenn auch kleinen Zimmemund Küche gedient, viele wären sogar glücklich, wenn sie nurein Zimmer und Küche erhalten könnten, denn als After-miether, wo sie nur ein leeres Zimmer innehaben, ist ihnen inden seltensten Fällen die Mitbenutzung der Küche gestattet, inder Regel haben sie nur das Recht, die Wasserleitung und denAusguß zu benutzen. So wenig dem praktischen Bedürfnißentsprechend wie die Wohnungen, sind auch die meisten Lädenangelegt. Man baut fte_ viel zu groß und fordert in Folgedessen eine viel zu hohe Miethe, als daß sie von den kleinenGewerbetreibenden erstanden werden können. Sehr viele Hand-werker, wie Mützenmacher, Kammmacher, Korbmacher sc. undzahlreiche Händler sind gezwungen, sich auf Hausfluren zuetablircn, weil sie die Miethe für einen großen Laden nicht er-schwingen können und kleine Läden nicht zu haben find. Dieeinzigen Leute, denen die Miethen niemals zu hoch erscheinen,sind die Schnapsvcrkäufer, daher sehen wir auch in jedem neuerbauten Hause zuerst die„Destille" etabliren, während dieubngen Läden zum größten Theil leer stehen oder vorüber-.•m5'? schwindelhaften Ausverkäufen gemiethet werden.Diese Wahrnehmung kann man in allen Stadttheilen machenund doch ficht man nirgends eine Aenderung zum Besseren.Die kleinen Wohnungen wie die kleinen Gcschäftslokale fehlenund werden fehlen, diegroßm Läden stehen dagegen vielfachleer und die größeren Wohnungen müssen durch Aftermietherund Schlafleure bevölkert werden.Räch Mittheilung des Statistischen Amt« der StadtBerlin find bei den hiesigen Standesämtern in der Wochevom 21. Juni bis inkl. 27. Juni er. zur Anmeldung ae-kommen: 199 Eheschließungen, 854 Lebendgeborcne, 34 Todt-geborene, 828 Sterbefälle.kt. Ueber die Cholera in Spanien wird uns von einemdeutschen Arzte geschrieben:„Bei dem krassen Aberglauben undFanatismus der spanischen Bevölkerung ist es natürlich, daßes zu Exzessen und zu noch viel tolleren Szenen kommt, alswir sie aus Italien zu hören gewohnt waren. Grobe Wider-setzlichkeiten gegen die behördlichen Organe, welche mit derDesinfektion der Häuser betraut find, Bedrohung und that-sächliche Mißhandlung der behandelnden Aerzte sind an derTagesordnung. Ein Bestreichen mit dem Oele aus der Lampeder Madonna von Puiz gilt der Bevölkerung mindestens eben-soviel wie alle Medikamente oder sanitären Vorkehrungen. DerVerlauf der Epidemie ist bisher ein stetig fortschreitender, anIntensität und Extensität zunehmender. Den jüngsten Nach-richten zufolge find in ganz Spanien bereits 1274 Ertrankungenund 566 Tooesfälle in Folge von Cholera konstatirt."g. Die Ferien des Bezirksausschusses zu Berlin be-ginnen in diesem Jahre am 21. Juli und währen bis zum1. September d. I. Während dieser Ferien dürfen Terminezur mündlichen Verhandlung der Regel nach nur in schleunigenSachen abgehalten werden. Auf den Lauf der gesetzlichenFristen bleiben die Ferien ohne Einfluß.— Bei dieser Gelegenheit sei noch bemerkt, daß die Geschäftsräume des Bezirks-ausschusses aus ihren bisherigen Lokalitäten im KölnischenRathhause in der Breitestraße 20 a. nach dem fiskalischenGrundstück in der Markgrafenstraße 47, parterre, verlegt wor-den sind.B; Abermals ist eine traurige Erscheinung zu verzeich-ncn, welche der Fischzucht in der Spree einen bedeutendenSchaden zugefügt hat. Als gestem ein Kahn mit der Ladungvon Salzsäure an der Oberspree gelöscht werden sollte und dieBallons in den Handkahn überführt wurden, kenterte derselbe,bei welcher Gelegenheit einzelne Ballons platzten und ihren In-halt in die Spree ergossen. Die für die Fische nachtheiligeWirkung war eine frappante. Hunderte von Fischen kamentodt an die Oberfläche, das Wasser an manchen Stellen weißfärbend.tr. Die beiden eisernen Gebäude für Kamerun,deren Skelette bei der Stadtbahnstation Bellevue in der Brücken-Allee auf lehren Baustellen zur Probe aufgeschlagen werden,haben in den letzten Wochen nur wenig Fortschritte gemacht,da jetzt blos immer 3 oder 4 Arbeiter daran beschäftigt sind.Man sieht indeß genug, um zu ermessen, daß sich der Baunichts weniger als imposant gestalten dürfte— nur krassesterRealismus, als ob es sich um einen Frachtschuppen für einenGüterbahnhof in den Tropen handelte. Die Struktur erscheintaußerdem so leicht, daß die Befürchtung nahe liegt, die künftigenBewohner könnten eines Tages sammt dem Gebäude beieinem der in Südwest-Afrika nicht eben seltenen Wirbelstürmeoder Zyklone umgeworfen oder fortgerissen werden. Hoffentlichwird man die Häuser an ihrem Bestimmungsorte recht festverankern!g. In Bezug auf die Entschädigungsansprüche derbei der Katastrophe vor Tabbert's Waldschlößchen in Mitlei-denschaft gezogenen Personen erfahren wir, daß die Vorar-beitcn für Erhebung der Ansprüche(Festsetzung derselben w.)seitens des gewählten Komitees soweit beendigt sind, um inallemächster Zeit gegen die Dampfschifffahrts- Gesellschaft vor-gehen zu können. Es wird vordem noch eine allgemeine Vcr-sammlung einberufen werden, in welcher zugleich die Geschä-digten dem Komitee die Vollmacht zur Erhebung der Ersatzan-sprüche erthcilen sollen.N. Zwei jugendliche Langfinger, Knaben im Alter von11 und 13 Jahren, die trotz ihrer Jugend mit einem ganz er-staunlichen Raffinement arbeiteten, find gestern in einemVergnügungslokal in der Hasenhaide, als sie gerade dabeiwaren, den Erlös ihrer Dieberei zu verprassen, dingfest gemachtworden. Die beiden Knaben waren in dem Lokal durch ver-Geopfert.ii.Irene sank auf einen Stuhl nieder, die alte Frautrocknete sich die Augen mit dem Schürzenende und nurTerka saß ausrecht bei Tische. Ihr Gesichtchen war vonSchmerz und Zorn erfüllt, unablässig wendete sie die Blickebald zu ihrer Schwester, bald auf ihre Mutter; endlich standsie auf und ging hinaus auf den Gang. Am Ende desKorridors lag Bodoky's Zimmer. Sie drückte leise auf dieKlinke, die Thüre öffnete sich. Emerich lag völlig angekleidet,wie leblos auf dem Bette und hqtt? das Antlitz tief in dieKiffen vergraben. Terka trat ganz nahe zum Bette hin undblieb dort mit angehaltenem Athem stehen. Es war,als ob sie in die Kniee sinken sollte, so heftig begannihre Gestalt plötzlich zu beben. Sie preßte ihre Hand aufsHerz, wie um dessen lautes Pochen zu unterdrücken.Ein lautes, krampfhaftes Schluchzen entwand sich ihrer Brustund wie ein gescheuchtes Reh entfloh sie, als Emerich dasHaupt erhob.Draußen blieb sie stehen. Der Mond war heraufge-kommen, es war Heller geworden und auch kälter. Terfaachtete dessen nicht. Sie eilte nach dem Hofe und lehnteihr Haupt an die Mauer. So blieb sie lange stehen, wiein einen tiefen Traum versunken. Mitternacht mochte nichtmehr ferne sein, als sie sich unter die Fenster des Wohn-zimmers schlich. Die Lichter waren verlöscht. Drinnen warensie zur Ruhe gegangen, damit der Schlaf den Kummer vonihnen nehme.Terka ging, ängstlich bemüht, kein Geräusch zu ver-Ursachen, in ihr Zimmer, kehrte jedoch bald wieder, indas große Wollentuch gehüllt, in den Hof zurück. Hinterdem Kastell stand ein kleines, zweifensteriges Gebäude; dortging sie hin und pochte an eines der Fenster. Baldstand ein starker, qraubärtiger Mann, der Wächter desKastells, vor ihr. Er war erstaunt, sein gnädiges Fräuleinin so später Zeit vor sich zu sehen. Es mußte etwasAußerordentliches vorgefallen sein, daß sie ihn um Mitter-nacht weckte.über das bereits verausgabte Geld beide die widersprechendsten„Du sollst jetzt mit mir nach Szillahaza gehen," sagteTerka entschlossen."„Jetzt?" fragte der Knecht.„Was wollen Sie jetzt inSzillahaza? Da hätten wir eine gute Stunde zu gehen undder Herr von Derkuty würde sich nicht wenig wundern, unsin einer solchen Zeit zu empfangen."„Ob es weit ist, ob er sich verwundert oder ob wasimmer geschieht, darum hast Du Dich nicht zu kümmem,"sagte Terka.„Ich frage Dich nur, ob Du jetzt mit mirzu Herrn Derkuty nach Szillahaza gehen und nie, aberauch' nie verrathen willst, daß wir diesen Gang gemachthaben?" �,„Das ist keine gerade Geschichte, Fräulein Terka," sagteder Knecht. WaS geschieht, wenn ich nicht mitgehe?"„Dann gehe ich allein." � � r,„Na, allein lasse ich Sie nicht gehen. Hol'S der Teufel,was immer geschehen mag. Warten Sie ein wenig. Ichhole blos meinen Pelz und meinen Stock."Er kam wieder und vorwärts ging'S.Sie schritt tapfer neben ihm einher und obwohl siemanche Strecke im Schnee durchwaten mußten, waren dochkaum anderthalb Stunden vergangen, als sie vor demeisernen Gitter des Schloßparkes von Billahaza standen. DieHunde schlugen an und nach einer Weile erschien der Nacht-wächter beim Thore. Er kannte den alten Bodros und ließihn ungehindert ein, nur als eS hieß, man möge den gnädigenHerrn sofort wecken, gab es einige Schwierigkeiten. Dazuwollte sich Niemand verstehen. Terka drang endlich selbstin die Küche und weckte die alte Wirthschafterin. Diesemußte hinauf und den Herrn wecken. Sie zögerte zwarund sträubte sich mit aller Macht, ihrem liebenjungen Herrn den Schlaf zu rauben, aber Terka ließnicht nach und so ging sie denn endlich über die breiteSteintreppe in den ersten Stock hinauf.Es währte nicht lange, bis Herr von Derkuty ange-kleidet war und Terka konnte eintreten. In einem schönen,großen, wohnlichen Gemach brannten zwei Lampen unddort saß Derkuty auf einem kleinen Sopha. Er mochteetwa dreißig Jahre zählen, allein sein Haupt war völligAngaben machten. Schließlich wurde der Vater des ältestender beiden Knaben, der Schneidermeister Radtke, Naunynstraße43 wohnhaft, herbeigerufen, auf dessen energische Inquisitionder inzwischen zum Rixdorfer Amtsgefängniß transportirteKnabe gestand, daß das verausgabte und noch bei ihm vorge-fundene Geld der Rest einer Summe von 22 M. sei, die erals Erlös für ein dem Vater gestohlenes Stück Tuch von demTrödler Schulz in der Naunynstraße erhalten habe. Sofortangestellte Recherchen ergaben, daß das verkaufte Stück einenWerth von 250 M. gehabt habe. Der Hehler ist sofort inHaft genommen.Stiller Theilnehmer. Der in einem Konfektionsgeschäftin der Oberwallstraße beschäftigte Hausdiener W. hat seit Weih-nachten v. I. in 20 verschiedenen Füllen Stoffe und fertigeAnzüge aus den Geschäftsräumen seines Prinzipals entwendetund die gestohlenen Sachen einer am Mühlendamm wohnhaften Kellnerfrau S. gegen geringe Bezahlung überlassen.Letztere hat diese Sachen zum Theil bei Pfandleihern versetzt,zum Theil anderweitig verkauft. W-, welcher von der FrauS. zur Ausführung der Diebstähle aufgefordert worden war,gab an, daß er dieselben nur unter der Mithilfe des KellnersS. und seines Sohnes habe ausführen können, welche die ge-stohlcnen Sachen stets auf dem.Hausflur des Geschäftslokalsin Empfang genommen haben. W. wurde wegen wiederholtenDiebstahls, Frau S. wegen gewerbsmäßiger Hehlerei ver-haftet.N. Ein doppelter Unglücksfall, der für die betroffenenPersonen die denkbar schwersten Folgen haben dürfte, ereignetesich vorgestern vor Kellcr's Hofjäger in der Hasenhaide, wo der„Kricgerverein der Schleswig- Holsteiner" sein alljährlichesSommerfest abhielt. Der bei dem Tapetengeschäft von Hilde-brandt in der Brüdcrstr. 16 angestellte Hausdiener G. haftesich in Begleitung seines 14jährigeii Sohnes und seines in derSebastianstraße wohnhaften Schwagers des Schuhmachers Lukaswegen dienstlicher Behinderung etwas spät nach dem bezeichnetenLokal begeben, und traf gerade in demselben Momentvor dem Lokal ein, als das Feuerwerk begann. Durchden ersten dem Feuerwerk vorangehenden Böllerschuß warendie Pferde eines Kremsers scheu geworden und rannten denG., Vater und Sohn/ um, die beide durch die Huftritte derPferde und die über sie hinweggehenden Räder auf das ent-setzlichstc verletzt und verstümmelt wurden. Der Vater erlitteinen bedenklichen Rückenwirbel- und dreifachen Rippenbruch,eine schwere Verletzung des Kopfes und des rechten Beines,während dem Sohne die Nase abgerissen und die Hand ver-stümmelt wurde. Der Schwager, noch rechtzeitig dre Gefahrerkennend, rettete sich durch krampfhaftes anklammern an einenBaum vor dem gleichen Schicksal. Die beiden Verletzten wurdensofort in den Saal getragen, wo ihnen durch mehrere anwesendeHeilgehilfen der erste Verband angelegt wurde; sie wurden so-dann nach Bethanien gebracht. Der Zustand der beiden Ver-letzten, namentlich des Vaters, ist im höchsten Grade bcsorgniß-erregend und er wird im günstigsten Falle zeitlebens ein Krüppelbleiben.n. Einen entsetzlichen Ausgang nahm am gestrigenTage ein harmloses Kinderspiel in der Buchholzersftaße. Einzwölfjähriges Mädchen mit Namen Agnes W. befand sichgestem Mittag mit anderen Kindem spielend vor dem HauseNr. 6 der genannten Straße, wobei sie von einem Knaben be-ständig mtt einer Stricknadel geneckt wurde. Durch einenunglücklichen Zufall stieß der Knabe nun der W. die Stricknadelin vie Brust, und zwar so unglücklich, daß die Nadel geradein das Herz eindrang und abbrach. Die durch das Schmerzens-geschrei ihres Kindes herbeieilende Mutter brachte die Halb»ohnmächtige sogleich nach dem städtischen Krankenhause, wo dasKind sofort einer Operation unterzogen werden mußte. DieNadel konnte noch glücklich entfernt werden, doch soll der Zu-stand des Kindes infolge der Verletzung des Herzens ein inhohem Maße Besorgniß erregender sein.N. Ein schwerer Unglücksfall durch Ueberfahren trugsich am gestrigen Abend an der Ecke der Leipziger- und Fried-richsftaße zu. Ein junger Mensch, der später als ein in derBoyrnstraße wohnender Arbeiter Oskar I. rekognoszirt wurde,versuchte vor einer im schnellsten Tempo heranfahrenden Droschkeden Fahrdamm zu überschreiten, wurde dabei aber von demPferde zu Boden gestoßen und durch Huftritte sowohl wiedurch die Räder des nachrollcndcn Wagens so schwer amKopfe verletzt, daß er regungslos, aus mehreren Kopswundenblutend, liegen blieb. Der Verunglückte mußte sofort in einkahl und dies ließ ihn bedeutend älter erscheinen. SeinAntlitz war von einein langen, flachsblonden Barte bekränzt,welcher ihn mit den schmalen Lippen, den kleinen, farblosenAugen und der ziemlich großen Nase des Epithetons„häß-lich" vollkommen würdig erscheinen ließ.Er ging Terka entgegen und schlug vor Ver-wunderung die Hände in einander, als sie vor ihm stand.„Liebe kleine Schwägerin Terka," rief er,„was machenSie denn um diese Zeit? Ist in Retfalu etwas vorge-fallen?"Terka erwiderte nichts. Sie schaute ihn mit einem langen,schmerzlichen Blick an, so daß er wie gebannt stehenblieb. Endlich ergriff sie seine Hand.„Heute über acht Tage soll meine Schwester IhreFrau werden?" fragte sie.„Ja, in acht Tagen," sagte er.„Lieben Sie Irene?" fragte sie wieder.„Lieben? Natürlich liebe ich sie, ich würde sie ja sonstnicht heirathen. Aber was sollen denn diese Fragen?"„Wenig. Wenn Sie in acht Tagen meine Schwesterheirathen, so werden sie in acht Tagen mit meiner Leichegehen. Ich tödte mich."„Ja, aber warum denn, Fräulein Terka?"„Warum? Ich kann es nicht verschweigen, ich dachte,es erftagen zu können, doch ich vermag es nicht länger.Die Zeit rückt heran, wo Irene Ihre Frau werden soll,und es drängte mich mit unüberwindlicher Macht,Ihnen zu sagen, daß— daß— ich Sie liebe,unaussprechlich, und daß es mein Tod ist, wenn ich Ihnennicht angehören darf..."Ihr Antlitz hatte bei diesen Worten eine tödlichbleiche Farbe angenommen, ihre Augen glänzten wie Feuer,sie öffnete die Arme und sank weinend an Derkuty'SBrust.Er geleitete sie zum Sopha und ließ sich dort nebenihr nieder. Ein Glorienschein nie geahnten Glückes be-strahlte sein häßliches Antlitz. Er verhielt sich sftll� wie,um den schönen Traum nicht zu zerstören� der seine Sinnegefangen hielt.