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2. Beilage zumVorwärts" Berliner Volksblatt. Ur. 363. Sonntag, den 8. Uovemder 1896. 13. Jalivg. Gerichts �Jeikmtg. Wegen gemeinschaftlicher Körperverletzung standen am Sonnabend die Schuhmacher Otte, Pfitzner, Welz, Gehrke und Klemp vor der I. Berufs-Straskammer am Landgericht I. Der Schuhmacher Erdmann arbeitete während des Schuhmacherstreiks in der Erpel'schen Fabrik. Als er am 13. Juli abends nach Hause ging, sollen sich seiner Angabe nach die Angeklagten Welz und Otte zu ihm gesellt haben. Bald darauf erhielt er emen so heftigen Schlag, daß er bewußtlos zu Boden fiel, und daher nicht angeben kann, wer ihn schlug. Da der ganze Vor gang sich innerhalb einer größeren Menschenmenge in der be lebten Frankfurterstraße abspielte, so weichen die Aus- sagen der Zeugen und der Angeklagten über die a» der Schlägerei betheiligten Personen sehr von einander ab. Während einige der Angeklagten behaupten, daß sie überhaupt nicht unmittelbar am Thatorte anwesend waren, keiner derselben aber den Erdmann geschlagen haben will, was auch von mehreren Zeugen bestätigt wird, bekundet eine Zeugin auf das bestimmteste, daß sie gesehen habe, Otte habe den ersten Schlag gegen Erdmann geführt, auch Welz, Gehrke und Pfitzuer sollen dabei gewesen sein. Der Gerichlshof schenkte den Bekundungen der Hauptbelastungsl zeugen(aus deren Aussage hin auch das Schöffengericht die Am geklagten zu je einer Woche Gefängniß verurtheilt hatte) vollen Glauben. Aus dem Umstände, daß nur Schuhmacher, die als solche ein Interesse an dem Streik hatten, bei dem Auflauf betheiligt waren und nicht auch andere Arbeiter, daß ferner schon vorher die Arbeitenden durch Streikende bedroht" worden waren, folgerte der Gerichtshof, daß es wohl auf eine Vergewaltigung der in der Fabrik arbeitenden Schuh- macher abgesehen war und hielt für erwiesen, daß sich die An- geklagten der gemeinschaftlichen Körperverletzung schuldig gemacht haben. Die Berufung der Angeklagten wurde verworfen. Der Vor- sitzende bedauerte, daß nicht die Staatsanwaltschaft ebenfalls Be- rufung eingelegt habe. In diesem Falle hätte der Gerichts- Hof den'Angeklagten keine mildernden Umstände bewilligt, fondern sie zu mehrmonatlicher Gefängnißstrase verurtheilt. Bemerkenswerth sind die vom Vorsitzenden, Landgerichlsrath B o i l y, bei dieser Verhandlung bekundeten Anschauungen über das Koalttionsrecht. Den Umstand, daß die Angeklagten sich zur fragliche» Zeit in der Nähe der Erpel'schen Fabrik aufhielten, erklärten dieselben dadurch, daß es doch in ihrem Interesse liege, zu beobachten, wer etwa während eines Streiks in der Fabrik arbeite, und daß sie das Recht hätte», solche Kollegen event. zur Theilnahme am Streik zu überreden. Dagegen bemerkte der Vorsitzende, daß nur jeder für sich das Recht habe, zu streiken, aber nicht, andere zur T h e i l- nähme am Streik zu bewegen. Wer etwa während eines Streiks arbeite, das gehe niemanden etwas an(!). Auch der Staatsanwalt zweifelte in seinem Plädoyer die Glaub- würdigkeil der Entlastungszeugen an. weil sie zu de» Streikenden gehörten und gleich den Angeklagten auf dem falschen(!) Standpunkt ständen, daß es ihr gutes Recht sei, ihre arbeilenden Kollegen zur Theilnahme am Streik zu bewegen. Als dem gegenüber der Vertheidiger Rechtsanwall Herz feld den Staatsanwalt darauf aufmerksam machte, daß doch die Gewerbe- Ordnung den Arbeitern ein derartiges Recht gewährleiste und nur die Anwendung von Drohungen, Ehr- Verletzungen und körperlichem Zwang verboten sei. bemerkte der Vorsitzende: natürlich, von ungesetzlichen Beeinflussungen ist hier auch nur die Rede! Versa ntnthmgcn. Die Parteigenossen deS zweiten Wahlkreises nahmen am Freitag den Bericht ihrer Delegirten vom Gothaer Parteitag entgegen. Der erste Redner, Genosse A n t r i ck. meinte zu dem Geschäftsbericht des Ausschusses, die Klagen, welche über Ver nachlässtgung der gewerkschaftlichen Agitation bei dieser Ge> legenheit gemacht worden seien, wären nicht begründet. Im Gegentheil würde es in nianchen Fällen angebracht sein, daß seitens der Partei eher hemmend, als fördernd bei Lohn- bewegungen eingegriffen würde. Die Debatte über die Haltung derNeuen Welt" hält der Redner für nützlich, obgleich von beiden Seiten weit über daS Ziel hinausgeschossen worden sei. Sehr eingehend behandelt er die Debatte über denVor- Sonnkalgszrlaudvvvi. Heitere Spätherbsttage sind uns beschieden. Bald wird das letzte Blattgrün von den Bäumen verschwinden. Die Nachtfröste räumen fürchterlich rasch auf. Die Tage der großstädtischen Erregungen sind im vollen Gange. Luxuswunder für die höhere Gesellschaft werden vor- bereitet. Die ersten Wohlthätigkeitsbazare sind angekündigt. Die Barmherzigkeit gilt als Vorwand zu koketten,Flirt" zwischen Herren und Damen der feinen Welt, zu jener Art von Liebelei, die im prüden England blüht und verhaltene Begehrlich- keit für starke Leidenschaft und Kraft setzt. Die Ball- und Ver- gnügungsmeifter haben die Hände voll zu thun. Sogar ein neuer Ziertanz, von dem in illustrirten Familienblättern viel zu lesen ist. soll eingeführt werden. Und erst all der gesellschaftliche Prunk! In einer Welt protziger Emporkömmlinge hat der Satz stets ungeheures Gewicht: Man muß die Leute blende», blenden und abermals blenden. In dieser werden die seltsamste», wunderlichsten Schaugerichte aufgetischt; der Konditor schmückt die Tafel mit den wüstesten architektonischen Werken seiner Phantasie; und auf Dinge selbst, die Gebrauchsgegenstände sein sollten, er- streckt sich das äußerste Raffinement. Jetzt haben die Reichen für ihre Prunkräume etwas ganz raffinirt Modernes. Wer würde sich nicht gerne mit zierliche» Arbeiten des Kunstgewerbes um- geben, wenn er könnte? Der Geschmack unserer Emporkömmlings- Gesellschaft begnügt sich nicht mit dem Zierlichen. Er verlangt Absonderliches; und so kommen wir statt zum veredelten Hand- werk mitunter zur gezierten Spielerei. Professor Köpping, einer der originellsten Künstler Berlins , hat kostspielige Schmuckgläser geschaffen: sie sind dasNeueste der Saison" und ein viel- begehrter Luxusgegenstand. Sie schillern in den merkwürdigsten Farbennuancen und weisen die phantastischsten Formen auf. ansehen wohl, doch nicht an- zerstört die Herrlichkeit. So sind Stengelchen und Kelche Niemals, wo je das Kunst- Handwerk aus breiter, gesättigter Volkswohlhabenheit ent- sprang, wäre man auf eine Idee gekommen, wie die uut Zier- gläsern, die keine Verwendung finden können. Aber in unseren Tagen baut man monumentale Fayade» mit dünnem Sandstein- aufputz und umgekehrt bemüht man sich, echtes Material in Seifenblasen-Künstelet umzuwandeln. Wenn das nicht Merkmale von Entartung sind, dann weiß ich nicht, was Entartung ist. Wen» man für einen Berliner Parvenü ans Eisen zart- gebrechliche Filigranarbeiten herstellte, er wäre vor Entzücken außer sich, denn ihm kommt es nicht darauf an, den Dingen ihren natürlichen Werth zu belassen, er sieht nicht darauf, ilber es heißt von ihnen: rühren. Ein Hauch fast dünn, so sehr gebrechlich und Glöckchen gearbeitet. wärts", wobei er darauf hinweist, daß er schon früher in einer Versammlung beklagt habe, daß derVorwärts" nicht auf der Höhe der Zeit stände, in der Berichterstattung hinter anderen Blättern nachhinke, zu wichtigen Parteisragen nicht Stellung nehme und die auswärtige Politik in einer Weise behandele, welche dem Ansehen der Partei nicht entspricht. Aus dem Partei­tag habe er den vollen Beweis für seine Behauptungen erbracht und könne seinen früheren Klagen noch die hinzufügen, daß auch die Behandlung der orientalischen Frage durch denVor- wärts" unseren Prinzipien nicht entspreche; es fei doch ein Widerspruch gegen die materialistische Geschichtsauffassung, wenn derVorwärts" die Vorgänge in Armenien immer nur auf die Wirkung des russischen Rubels zurückführe. Auf alle diese Beschwerden habe der Chefredakteur auf dem Parteitage nur die Antwort gehabt, daß diese Klagen schon seit mehr als 20 Jahren beständig wiederkehren. Redner meint, bei aller Hochachtung gegen den Genossen Liefr knecht, der ja als Agitator und Parlamentarier eine außerodent- lich tüchtige Kraft sei, müsse er doch sagen, der selbe stehe als Chefredakteur des Zentralorgans nicht auf dem rechten Platz und könne denselben schon wegen der Ueberhäufung mit anderen Partei- Arbeiten nicht in der gewünschten Weise ausfüllen. Gegen die Mängel des Vorwärts" müßten sich die Genossen wie ein Mann erheben. Der bevorstehenden Preßkonferenz steht Redner sehr skeptisch gegenüber, denn dieselbe werde sich mehr mit der finanziellen Seite als n>.t dem Inhalt der PreßorBhe befassen, Auf dem Parteitag habe der Chefredakteur erklärt, jedeMeirnrng innerhalb der Partei solle im Zentralorgan zum Ausdruck kommen. Gleichwohl habe derVorwärts" Artikel, welche ihm zuerst an- geboten waren, und die die Vorgänge in Armenien vom streng materialistischen Standpunkt behandeln, zurückgewiesen; dieselben seien dann in einer anderen Zeitung veröffentlicht worden. Es führe zu gefährlichen Konsequenzen, wenn die Genossen über aus- wärtige Fragen schlecht unterrichtet würden. Der Redner versichert, daß er die gerügten Mißständeso lange zur Sprache bringen werde, bis sie beseitigt sind. Er bespricht dann noch kurz den Punkt Organisation" und erklärt sich mit den diesbezüglichen Be- schlüffe» des Parteitages einverstanden. Der zweite Delegirte, Genosse A r o n s, behandelte die Mai- feier, den Bericht über de» Londoner Kongreß, und meint zu der Debatte über den Arbeiterschutz, daß man einerseits an dieselbe große Erwartungen geknüpft habe, während man andererseits der Meinung war, es könne nicht Sache des Parteitages sein, sich mit so allgemein bekannten Dingen zu beschäftigen. Eine der­artige Besprechung auf dem Parteitage sei wohl zu empfehlen, weil dadurch bekannte und die Partei interessirende Dinge dem Gedächtniß wieder auss neue eingeprägt würden und de» ans dem Parteitage zusammenkommenden Genossen, welche agi- tatorisch thätig sind, Anregung und Agitationsstoff bieten. Gegenüber den Ausführungen L e g i e n' s, dahingehend, daß die Gewerkschaften Sozialpolitik treiben sollen und daß wir die Unterstützung der bürgerlichen Parteien, die ja auch Sozialpolitik treibe», in Anspruch nehme» könnten, wenn es sich um die Durchführung sozialpolitischer Forderungen handelt, betont der Redner: Diese Aenßerung könne den Anschein erwecken, als ob unsere Sozialpolitik und die der bürgerlichen Parteien nur etwas dem Grade nach Verschiedenes sei, während doch zwischen beiden ein grundsätzlicher Unterschied herrsche. Verkehrt wäre es, wollten sich die Arbeiter aus die Sozialpolitik der bürger- lichen Parteien verlassen. Daß die Frage des Arbeiterschutzes auch auf der Tagesordnung künftiger Parteitage erscheinen werde, dafür sei durch eine Reihe von Anträgen, die dem Ausschuß über- wiesen wurden, gesorgt. Nach einem kurzen Rückblick ans die PunkteFrauenagitation" undAllgemeines" kommt der Redner zu dem Schluß, daß ans diesen, Parteitage zwar nicht wie auf den vorhergehenden große Prinzipienfragen, sondern fast nur Geschäftliches verhandelt worden sei, daß der Parteitag seine Aufgabe aber vollkommen erledigt und dadurch hewiesen habe, daß in unserer Partei alles gesund ist und bleiben werde. Die Diskussion, welche bis 12 Uhr währte, drehte sich aus schließlich um die von Antrick behandelteVorwärts"-Debatte. Nachdem B e i e r und F a h r e n w a l h sich nicht mit de» Ausführungen Antrick's einverstanden erklärt hatte», bemerkte Stadthagen : Zweifellos sei derVorivärts" in Hinsicht auf alles, was die Arbeiterbewegung anbetrifft, besser als irgend ein bürgerliches Blatt, wenn auch bezüglich der journalistische» Technik manches zu wünschen ührig bleibe, was nach unser aller Wunsch gebessert werden müsse. Es sei daß die Gegenstände des täglichen Gebrauchs in schöner, edel- solider Form erscheinen; er will blenden; im Exzentrischen sucht er seine Liebhaberei, wie sie einst die altrömischen Großherrcn suchten, als sie im Ueberfluß z» ersticken begannen. Damals war es, wo die Tollheit und die Sucht, einander in kostspieliger Ver- schwendnng zu überbieten, die Gastgeber verführte, bei ihren lukullischen Gelagen Gerichte, wie eine Schüssel voll von Pfauen« zungen, zu reichen. Trotz des schwülen DuftcS, den diese Gesellschaft ausströmt, ist sie doch vorbildlich geworden für so viele. Nicht blos die goldene Jugend" ist in ihr ausgegangen, auch die weniger gut- situirte Jugend, so weit sie das goldene Kalb anbetet, zermartert ihr Gehirn, wie sie eines Tags sich diese Kreise erobern könnte. Hier wurzeln die Ursachen ihres ethischen Verfalls. Ihnen haftet mehr oder weniger der Makel an, Glücksjäger, neid- verzehrte, rücksichtslose Glücksjäger zu sein; und die grellste Un- wissenheit oder die krasseste Heuchelei ist es. den sozialistischen Nachwuchs als eine Schaar wildgewordener Neidhammel aus- zuschreien, wie es in den erbitterte» Wahlkämpfen dieser Woche geschah. Nun, Brandenburg ist gewonnen trotz alledem und alle- dem. In Gieße» schreitet die Sozialdemokratie tapfer vorwärts; und um das schwierige Mainz , einen Vorort der alten Pfaffen- straße, ist noch zu kämpfen. Wenn man sieht, wo die Verkehrtheit im bürgerlichen Nach- wuchs sitzt, dann erscheinen die moralischen Heilungsprozesse angsterfüllter Sittenprediger um so komischer. Wenn das steinerne Standbild Lessing's auf dem Gänsemarkt zu Hamburg hätte lächeln könne», mit welch seinem Humor hätte es gc- lächelt, als die sittliche Armada vor ihm vorüberströmte nach der engen Gasse zu, die dem Monument gegenüber liegt. Wie "ennen. die um verirrte Küchlein gackern, so gackerten die die Sludentenschaar, die voll von Jugend- sich auch»ach holder Weiblichkeit sehnte! Und erst auf diesem Donquixote- Ritt in Hamburgs verschwiegenen Gassen. Der unerschrockene Redefluß der Weiber! Was mußten die keuschesten Ohren da vernehmen? Ob nicht manch einer der muthigen Helden einen schielenden Seitenblick ans das Satansgetriebe geworfen hat? Natürlich nur. um den Schauder in sich zu vermehren. Aber es war trotz aller Un- geheuerlichkeiten, die die Aermften erfahren mußten, dennoch ein erhebendes Bewußtsein, für die fromme Sache ein Opfer, wenn- gleich ein vergebliches, gebracht zu haben. Man muß in ernsten Zeitläuften für jede komische Erscheinung höchlich dankbar fein. Also verdient auch das gravitätische Ge- bahren der monarchischen Frauen Frankreichs Dank. Diese erlesene Frauenschaar weiß niit würdevollem Anstand ebenfalls Opser zu bringen. Der Sohn des verstorbenen Grafen raven um enthusiasnius die Gefahren ja neuerdings Mode geworden, dieLeipziger Bolksztg." und die Dresdener Arbeiter- Zeitung" als besser, wie denVorwärts" zu bezeichnen. Diese Meinung könne er(Redner) nicht theilen. Der Parteitag habe auch durch Schluß der Debatte über diesen Punkt erkennen lassen, daß er dem seitherigen Chefredakteur sein Vertrauen schenke. Thatsache sei, daß wir alle und Liebknecht mit uns, eine Besserung desVorwärts" wünschen. Hierzu die geeigneten Kräfte zu finden, sei jedoch nicht so leicht, denn es gebe nur wenige, die außer tüchtigen journalistischen Fähigkeiten auch politischen Charakter genug besitzen, um eine leitende Stelle an unserem Zentralorgan einzunehmen. Die gerügte verschiedenartige Behandlung ausländischer Verhältnisse sei nicht der Redaktion, sondern den betreffenden Korrespondenten zuzuschreiben, die und daS könne man begreifen ein und dieselbe Angelegenheit verschieden beurthetlen. Fischer weist auf seine diesbezüglichen Ausführungen auf dem Parteitag hin und betont, daß man die Vorwürfe gegen denVorwärts" durchaus nicht zuspitzen dürfe in eine Frage der persönlichen Tüchtigkeit oder Untüchtigkeit Liebknechl's, wie es aus den Ausführungen Stadthagen's heraus- klinge. Seiner Meinung nach werde Liebknecht an jeder anderen Stelle der Partei mehr diene», als an der, wo er gegenwärtig stehe. Der Parteitag habe die Vorwärts"- Debatte nicht aus de» Gründen geschlossen, die Stadthagen anführte, sondern weil doch alles in der Welt, also auch diese Debatte, die mit derNeuen Well"-Debatle ver- bunden gewesen sei, mal ein Ende nehmen mußte. Die Verdienste Liebknechl's um die Partei seien von niemandem verkleinert worden, aber die agitatorische Thäligkeit mit der des leitenden Redakteurs zu verbinde», gehe über die Kräfte eines einzelnen hinaus. Wenn man deshalb sage, Liebknecht stehe nicht am rechten Platz, so liege darin kein persönlicher Vorwarf. Antrick verwahrt sich gleichfalls gegen den Vorwurf, als habe er mit seinen Ausführungen sich gegen die Person Liebknechl's wenden wollen. A r o n s ist sich noch nicht darüber klar, ob es angebracht sei, daß derVorwärts" zu allen Partei- fragen eine bestimmte Stellung einnimmt. Wenn über Partei- fragen eine maßgebende Meinung, die den Genossen als Parole dienen könne, gegeben werden solle, so könnte das wohl nur vom Parteivorstaud ausgehen; andererseits entspreche es jedoch nicht den Grundsätzen einer demokratischen Partei, daß jeder Genosse an eine solche Parole gebunden sei» solle, noch weniger aber, daß das Zentralorgan eine solche Parole ausgiebt. Stadthagen hält Liebknecht für den geeignetste» Chefredakteur und stimmt dem Vorredner darin bei, daß das Zentralorgan nicht einseitig zu allen Parteifragen Stellung nehmen dürfe, während Fischer für eine solche Stellungnahme ist, ohne daß das Zenlralorgan der Pflicht entbunden werde, auch die allgemeine Parteistimmung zu registrireu. Damit endete die Debatte. Die Versammlung nahm eine Resolution an, welche die Erwartung ausspricht, daß die bevor- stehende Preßkonferenz durchgreifende Maßregeln für die Ver- besserung desVorwärts" sanktioniren und zur Durchführung bringen werde. Ter Zentralvcrband dcntscher Brauer und verwandter BerufSgciiosscn tagte am 1. November. Nach einem beifällig ausgenommenen Vortrag des Genossen Sassenbach berichtete der Vorsitzende über die Thäligkeit des Vorstandes und über die näheren Vorgänge im inneren Vereinslcben während der Zeit seiner Amtsthäligkeit. Seit dem 23. Mai 189S fanden 14 Vorstands­sitzungen und 13 Mitgliederversammlungen statt und wurden in letzteren fünf wissenschaftliche Vorträge gehalten. Der Kassen- abschluß wies einen Bestand von 170 M. ans. Die hieraus voll- zogene Vorstandswahl ergab folgendes Resultat: D. H o d a p p, l., F. Preuß, 2. Vorsitzender; H. Gärtner, Kassirer; Hirseland, Stellvertreter; F.Krieg erster, Köpisch zweiter Schrift- sührer; Kühr, Voß und Niether, Beisitzer; Richter. T r ö g e r und K o n r a d, Revisoren. Die Beisitzer haben zugleich die Funktion der Bibliothekkonimission auszuüben. DieBesprechung über ev. Herabsetzung der Lokalbeiträge" war als besonderer Punkt auf die Tagesordnung gesetzt und hatte der Vorstand der Versammlung eine» Antrag unterbreitet, die Beiträge zur Lokalkasse ans die frühere Höhe und zwar von wöchentlich 20 Pf. auf monatlich 20 Pf. herabzusetzen. H od app. Richter und Preuß begründeten den Antrag damit, daß die ver- schiedenen pekuniären Verpflichtungen, die derVerein seinerzeit über- nominen habe und die eine Erhöhung der Beiträge nothwendig machten, nunmehr gedeckt seien und der Fonds mit einem er- heblichcn Ueberschuß abschließe. Der Antrag wurde gegen eine Stimme angenommen, ebenso ein weiterer Antrag Gärtner , bei von Paris , eines der französischen Thronprätendenten, der junge Herzog von Orleans hat eine Erzherzogin aus Habsburgischem Hause heimgeführt. Für die orleanistischen Damen von Frank- reich, die selbst de» Bürgerpräsidenten und die höchsten Würden- träger der Republik aus Anlaß des Zarenbesuchs sich in höfischen Manieren erschöpfen sahen, bedeutet diese Vermählung einen neue» Hoffnungsstrahl. Sie griffen also in ihre Geldbeutel und sandten der Königsbraut aus Habsburgs Geschlecht ein bedeutungsvoll kostbares Angebinde: Ein Krone aus Brillanten. Die Damen- Deputation, die dieses Geschenk nach Wien über- brachte, wurde freudig gerührt, wie es im Stil der Souveräne zu heißen pflegt, von der Erzherzogin empfangen. Die königlichen Frauen Frankreichs , die muthig genug, einen so kostspieligen Beweis ihrer Loyalität inmitten republikanischer Wildniß gaben, hatten dafür die Genugthuung, allergnädigsie Anerkennung zu erhalten. Hohe Weihestunden helfen über die gemeine Wirklichkeit der Dinge hinweg und die Frau Erzherzogin sah durch die Nebel der Gegenwart eine sonnige Zukunft erstrahlen. Begeisternd fiel ihr Wort in begeisterte Seelen und ein feierliches, ein königliches Gelöbniß legte sie ab. Wenn dereinst die Stunde schlüge, in der sie nach dem Lande ihrer Sehnsucht, nach dem stolzen Frankreich berufen würde, dann werde sie und ihr Gemahl die Krone und die schweren Pflichten, die sie mit sich bringt, heilig hochhalten. Mit andächtigem Schauer vernahmen die stolzesten Frauen Alt-Frankreichs diesen Schwur, und wie Balsam legte es sich auf ihre wunden Gemüther. Ihr Geist begann zu schwärmen, und in seliger Verzückung harren sie der Wiederkehr allfranzösischer Königsglorie. Diese Episode wird das öffentliche Leben Frankreichs kaum sonderlich ausgeregt haben. Allmälig scheint auch da die Besonnen- heit wiederzukehren, die im Freudentaumel zu Ehren des Zaren ver- loren gegangen war. Jaurös durfte neulich in der Kammer im Namen der Sozialisten Frankreichs eine große antirussisch ge- färbte Rede halten, ohne durch wüstes Geschrei und Toben der Patrioten" unterbrochen zu werden. Herr Brisson hatte nur mit abwehrender Geberde Hern Jaurös den Verweis dafür er- theilt, daß Jaurös vom Zaren nur als dem obersten Vertreter der russischen Nation sprach, während der Zar doch ein er- habener Monarch sei. Zu welchen feinen Unterscheidungen ein scharfer Republikaner gelaugt, wenn der glorreiche Zar ihn eines Händedrucks gewürdigt hat! In ein paar Tagen beginnt bei uns ebenfalls das rege parlamentarische Leben. Zahlreiche Vorgänge, die die gegen- wärtige öffentliche Lage deutlich beleuchte», haben das moralische Schwergewicht der sozialdemokratischen Parteivcrtretcr zugleich wesentlich gehoben. Ihrer harren wichtige Kampscstage. Mit Zuversicht können sie ihnen entgegengehen..Ixiia.