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Nr. 173.

Dienstag, den 28. Juli 1885.

II. Jahrg.

Berliner Volksblatt.

Organ für die Interessen der Arbeiter.

Das Berliner Volksblatt

erfcheint täglich Morgens außer nach Sonn- und Festtagen. Abonnementspreis für Berlin frei in's Haus vierteljährlich 4 Mart, monatlich 1,35 Mart, wöchentlich 35 f. Bostabonnement 4 Mr. Einzelne Nr. 5 Pf. Sonntags- Nummer mit illuftr. Beilage 10 Pf. ( Eingetragen in der Postzeitungspreisliste für 1885 unter Nr. 746.)

Redaktion: Beuthstraße 2.

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Berliner Volksblatt" Volksblatt

mit der Gratisbeilage

,, Illustrirtes Sonntagsblatt.<

Frei ins Haus kostet dasselbe 1 Mart 35 Pf. pro Monat, 35 Pfg. pro Woche. Bestellungen werden von sämmtlichen Beitungsspediteuren, sowie von der Expedition, Bimmerstr. 44, angenommen.

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Das Berliner Volksblatt" hat sich die Sympathien der arbeitenden Bevölkerung Berlins zu erringen gewußt. Trot der überaus großen Anzahl von Tagesblättern der verschie en ften Tendenzen, die in Berlin existiren, hat bisher kein wirkliches Organ des werkthätigen Volles bestanden. Es ist daher Pflicht eines jeden Arbeiters, unser Blatt zu unterstüßen. Wenn jeder Abonnent nur einen zweiten erwirbt, so hat er seine Pflicht

gethan.

Wir unsererseits werden nicht nachlassen, jedem berechtigten Wunsche unserer Abonnenten nachzukommen. Die Redaktion und Expedition des Berliner Volksblatt".

Die Anarchisten in der Schweiz .

Die Untersuchung, die der schweizerische Bundesrath gegen die Anarchisten hat anstellen lassen, ist zu interessanten Ergebnissen gelangt. Man hat den schweizerischen Behör­

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Insertionsgebühr

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beträgt für die 3 gespaltene Petitzeile oder deren Raum 40 Pf. Arbeitsmarkt 10. Bei größeren Aufträgen hoher Rabatt nach Uebereinkunft. Inserate werden bis 4 Uhr Nachmittags in der Expedition, Berlin SW., 3immerstraße 44, sowie von allen Annoncens Bureaux, ohne Erhöhung des Preises, angenommen.nited

Expedition: Zimmerstraße 44.

sucht ihres Absenders entsprangen, der nebenbei nicht einmal einer Anarchistenverbindung angehörte.

Auch über die Stärke der Anarchisten giebt der Bericht detaillirte Mittheilungen. Herr Most hatte selbstverständlich sich stets bemüht, 3ahl, Macht, Mittel und Thätigkeit der

Anarchisten in's Ungeheuerliche zu übertreiben, und es gab Leute, die beschränkt genug waren, ihm Alles zu glauben. Andere hatten einen Grund sich zu stellen, als glaubten sie den Rodomontaden des Redakteurs der Freiheit". Man fabelte, wie der Bericht ausführt, von 5000 Anarchisten und 2000 Nihilisten. Diese 7000 Mann hätten ja beinahe eines jener ,, anarchistischen Armeekorps" abgeben können, von denen der dem Henker verfallene Reinsdorf noch auf der An­flagebank träumte. flagebant träumte. Vielfach war es aber längst bekannt, daß die Anarchisten nur sehr schwach an 3ahl find; nun wird es amtlich konstatirt. Die anarchistischen Gruppen sind nirgends stärker als 20-30 Mann; an den meisten Orten, auch an größeren, finden sich nicht mehr als 4, 5 oder 6 auch an größeren, finden sich nicht mehr als 4, 5 oder 6 Mann zusammen. Herrn Most kommt es natürlich gar nicht darauf an, an diese Ziffern eine oder zwei Nullen anzu­hängen; in dieser Beziehung ist er niemals schüchtern ge­wesen. Jedermann begreift, daß es Leute, welche die An­schauungen der Stellmacher und Kammerer theilen, in Masse nicht geben kann. Denn die Anschauung, daß die Befreiung der menschlichen Gesellschaft von den sie bedrückenden Uebeln nur durch Dynamit möglich sei, ist einerseits ja naiv, andererseits aber auch zu roh, um viele Anhänger zu finden. Genau so geht es mit dem Gedanken", es sei gestattet, zu angeblichen Parteizwecken andere Menschen ein­fach zu zu tödten und zu zu berauben, was einzelne Anarchisten ausgesprochen, andere thatsächlich ausgeführt haben. Für solche Theorien" bedankt sich Jeder, der noch eine entfernte Ahnung von dem Begriff der Mensch­

den in Bezug auf den Anarchismus und die anarchistische lichkeit hat.

Propagande schon mehrfache Aufklärungen zu verdanken; unter Anderem haben die Baseler Gerichtsbehörden den Nachweis geleistet, daß eine in der Schweiz als ganz ra

wöhnlicher Spion war.

Dem Bericht des eidgenössischen Generalanwalts, muß man sicherlich zugestehen, daß er leidenschaftslos ist und sich on allen Deklamationen freihält. Auch das Endergebniß bürfte Manchem unerwartet gekommen sein; der General anwalt tam zu dem Schlusse, daß eine strafrechtliche Ver­folgung der Anarchisten nach den schweizerischen Bundesgesehen nicht zulässig sei. Es hatte sich nämlich im Laufe der Untersuchung ergeben, daß die angeblich gegen den Bundesrath und das 1 Bundesrathshaus in Bern geplanten Attentate auf einer Art von Mystifikation beruhten und daß die auf diese Dinge bezüglichen Drohbriefe lediglich der Eitelkeit und Standal

A

Radbrud

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brud verboten.

Feuilleton.

Das Mormonenmädchen.

Amerikanische Erzählung

Don Balduin Möllhausen

.

( Fortsetzung.)

" Du bist ein Kind," bemerkte die Gouvernante, und die Röthe des Bornes stieg ihr in die schlaffen Wangen, wäh­rend die Spike thres Saffianschuhes in schnellerem Tatt den

Boden berührte.

und

Hertha schaute betroffen empor, sie ahnte nicht, weshalb die Französin sich beleidigt fühlen könne, mit der ihr innewohnenden Gutherzigkeit ergriff sie deren Hand.

Ich habe gewiß wieder etwas Unverständiges ge­sprochen und herben Tadel von meiner lieben Corbillon ver bient," sagte sie in freundlich bittendem Tone.

eine

Diese findlich wohlwollenden Worte hatten indessen ganz entgegengesette Wirkung von der, welche bas junge Mädchen beabsichtigte. Demoiselle Corbillon begriff nämlich, daß sie in ihrem Eifer, Hertha zu über­tine Blöße gegeben habe. Bertha's liebevolles Beneh­Bertha's liebevolles Beneh­men aber, ihrem eigenen abstoßenden Wesen und ihrer Stich ins Herz. Sie wünschte sich daher fort aus der Gegen­fernen zu können, legte sie mit einem tiefen Geufzer die

Hand an ihre Stirn.

einen neuen

Wir möchten selbstverständlich nicht Alles unterschreiben, was der eidgenössische Generalanwalt fagt; aber Vieles halten wir für durchaus zutreffend. So scheint es uns

richtig zu sein, daß die anarchistische Bewegung der Schweiz an weitere Ausbreitung nicht denken kann. Ein gewisses Räthsel dabei bleibt es freilich, wie Herr Elisée Reclus , der berühmte geographische Schriftsteller, sich zu den sonder­baren ,, Theorien" des Anarchismus bekennen mag; nach dem Bericht des Generalanwalts soll er die Geldmittel zu dem früher in Genf , jetzt in Paris erscheinenden anarchistischen Blatte Le Révolté" geliefert haben. Man kann aller­dings ein geistvoller Geograph und doch ein politisch ver­

worrener Kopf sein.

Interessant ist, daß der Generalanwalt die Be­hauptung aufstellt, die anarchistische Presse habe zu Verbrechen getrieben und Verbrecher ausgebildet.

Hertha war ihr im Augenblick zur Seite, um sie zu unterstützen.

Laß mur, mein gutes Kind," sagte sie mit schwacher Stimme, Hertha auf die Stirn tüssend; bleibe hier oben und genieße die erquidende Abendluft. Du weißt, nur ungestörte Ruhe verschafft mir Linderung; Mr. Weatherton wird es mir nicht falsch deuten, wenn ich sein gütiges Anerbieten nicht zurückweise," und indem sie so prach, legte sie ihren Arm durch den des Offiziers, der gleichzeitig mit Hertha zu ihrem Beistande herbeigesprungen war, worauf sie sich schwer auf ihn stützte und sich halb hinunter tragen ließ.

Nach zwei Minuten war Weatherton wieder oben, und seinen alten Platz einnehmend, gewahrte er zu seiner Be­friedigung, daß der Zustand der Gouvernante, welche er abermals vollständig durchschaute, Hertha keine Veranlassung zu Besorgnissen gegeben hatte.

" 1

Die arme Corbillon!" sagte sie mit unverkennbarem Bedauern, als Weatherton ihr mittheilte, daß er die Fran­zöfin bis an die Thür ihrer Koje begleitet habe; fie leidet sehr häufig an diesen Zufällen. Obgleich ungefährlich, müssen sie doch sehr schmerzhaft sein, denn ihre Nerven find dann so angegriffen, daß sie nicht das geringste Geräusch ertragen fann. Selbst die Gegenwart anderer Personen ist ihr pein­lich, und es würde ihre Leiden noch vergrößert haben, hätte ich fie, nachdem sie meine Gesellschaft zurückgewiesen, noch ich fie, nachdem sie meine Gesellschaft zurückgewiesen, noch begleiten wollen. Gott sei Dank, diese Anfälle vergehen eben so schnell und plöglich, wie sie kommen. Ruhe und ungestörtes Alleinsein sind ihre einzige und beste Arzenei. geringer Entfernung die Gefichtszüge nicht mehr genau zu unterscheiden vermochte. Im entgegengesetzten Falle würde Hertha auf Weatherton's Antlig ein theilnamvolles Lächeln entdeckt haben, welches ihm die kindlich aufrichtige Weise entlockte, in der sie das argliftige Benehmen ihrer Gouver­nante und ihre eigene scheinbare Theilnahmlosigkeit zu

sie, jetzt aber mit leidendem und erkünstelt zärtlichem Aus­Du bist und bleibst ein verzogenes Rind," wiederholte gud; es ist die Strafe für meine an Schwäche gränzende Liebe zu Dir. O, mein Kopf!" rief sie dann kläglich aus, also erklären suchte. tauch in diesem Lande, wo ich Genesung zu finden hoffte, soll ich von Migräne verfolgt und gemartert werden?!" und sich mühsam erhebend schwankte sie der Kajütentreppe zu.

Ich bedauere, daß wir hier an Bord so wenig Gelegen heit haben, Demoiselle Corbillon das Leben erträglicher zu haben, Demoiselle Corbillon bas Leben erträglicher zu machen," bemerkte Weatherton nach einer kurzen Pause.

"

Namentlich die Freiheit" des Herrn Most habe darin etwas geleistet. Kammerer, Stellmacher, Rumitsch und Andere seien durch dieses Blatt zu ihren Gewaltthaten fanatisirt worden. Wenn diese Behauptung richtig ist richtig ist und sie ist es bis zu einem gewissen Grade

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sicherlich; vielleicht auch in ihrem ganzen Umfang giebt fie ein gewichtiges Argument ab gegen die Art und Weise wie bei uns in Deutschland häufig andere Parteien mit den Anarchisten in Verbindung gebracht oder für das Verhalten derselben verantwortlich gemacht zu werden pflegen. Dies thut namentlich die konservative und halbliberale Presse. Presse. Sie möge den Bericht des schweizerischen General­anwalts recht aufmerksam lesen; daun wird sie finden, daß man für Dinge, die Herr Most fern in Amerika anzettelt, doch nicht andere Parteirichtungen in Deutschland verant­wortlich machen kann.

Dabei bleibt noch ferner zu erwähnen. Als der Polizeirath Rumpff in Frankfurt ermordet wurde, stieß Most in feinem Blatt ein Triumpfgeschrei aus und rühmte sich, die That sei von Anarchisten geplant und ausgeführt worden. Darauf hin ging man in Berlin mit dem Gedanken um, über Frank­ furt den sogenannten kleinen Belagerungszustand zu ver hängen. Man ließ diese Absicht aber wieder fallen, nachdem die meisten Lokal- und Provinzialbehörden sich gegen eine folche Maßregel erklärt hatten, von der nur an der Rumpff­schen Affaire gänzlich unbetheiligte Personen betroffen worden wären. Der Hinweis des Berliner Generalanwalts ist in dieser Richtung nicht ohne Bedeutung. Wenn die anarchisti­schen Gewaltthaten von Amerika aus angeregt und von Leuten, die ihren Wohnsitz in der Schweiz genommen haben, ausgeführt werden, dann ist doch sicherlich kein Grund vorhanden, irgend eine andere, in Deutschland fich befindende Partei für solche Dinge verantwortlich zu machen.

Am Schlusse seines Berichts sagt der Generalanwalt, daß die Berichte der von auswärtigen Behörden nach der Schweiz geschickten Geheimpolizisten sich durch ihre Ueber­triebenheit auszeichnen. Die Zeitungen haben das oft gesagt, allein man hat es nicht geglaubt. Nun es von Amts wegen gesagt wird, glaubt man es vielleicht.

Das deutsche Wirthschaftsjahr 1883."

So betitelt sich eine Schrift( Berlin 1885, Verlag von Mittler und Sohn), in welcher auf Grund der Handelskammer­berichte das Generalsekretariat des deutschen Handelstages die deutschen Wirthschaftsverhältnisse dargestellt hat.

Von hohem Interesse ist das Urtheil, das von dieser Seite über die allgemeine ökonomische Lage gefällt wird. Es heißt u. A. Das Berichtsjahr unterscheidet sich in dem Verlauf und Erfolge der gewerblichen Thätigkeit sehr wenig von seinem

,, Sie scheint indessen Vorurtheile gegen Alles zu hegen, was zum Seeleben gehört; sogar mein Anerbieten, den Schiffsarzt zu ihrem Beistande herbeizurufen, wies sie mit herben Worten zurück."

,, Blaubt nicht, daß sie Vorurtheile gegen Seeleute und besonders gegen den Leoparden hegt, wie es vielleicht zu­weilen scheinen mag," versetzte Hertha mit Wärme, fie hat freilich für manchen Menschen schroffe Seiten, allein fein einziges ihrer harten Worte fommt ihr vom Herzen, wohl aber ihre freundlichen. Ich kenne sie schon seit meiner Kindheit, und sage nicht zu viel, wenn ich die Be­hauptung aufstelle, daß sie kaum mit weniger Bedauern und Dankbarkeit von dem Leoparden scheidet, wie ich es thun werde."

Wenn nun Hertha die Gouvernante in Schutz nahm und, mit dem ihr angeborenen Edelfinn, derselben die besten Eigen­schaften beizulegen trachtete, so entging Weatherton doch nicht eine gewisse Verlegenheit, welche nur zu deutlich dafür sprach, daß sie recht oft im Leben von den Launen der Französin zu leiden gehabt habe. Er wünschte daher die Unterhaltung auf weniger peinliche Gegenstände zu lenken, und wie ein Blitz leuchtete es in seiner Seele auf, daß jetzt vielleicht die letzte ihm gebotene Gelegenheit sei, Genaueres über Hertha's Bukunft zu erfahren.

Wir Seeleute hängen mit treuer Liebe an unferm Element und an den Mitteln, mittelst derer wir uns das­selbe unterthan machen," begann er, seine Blicke mit innigem Ausdruck auf Hertha's züchtige Gestalt heftend, die sich nur noch in unbestimmten Umrissen vor der weißgestrichenen Rückwand der Schanze auszeichnete; hören wir daher von daß

Leuten, deren Heimath nicht der ungeftume Dean, her fe demnach unsere Neigungen anerkennen, so stimmt uns das heiter. Wie der Besitzer eines ebeln Pferdes sich freut, die Vorzüge seines Lieblings hervorgehoben und gepriesen zu hören, fo freut sich der Seemann über jedes Lob, welches seinem Schiff ertheilt wird. Von Euch aber so viele freundliche Worte, ein so nachsichtiges Urtheil vernommen zu haben, gewinnt einen doppelten Werth, weil Jeder fühlt, daß fie auf ungeschminkter Wahrheit und reiner Ueberzeugung be gründet sind. Ihr gabt die Versicherung, Miß Hertha, Euch