Nr. 223.

Donnerstag, den 24. September 1885.

II. Jahrg.

Berliner Volksblatt.

Organ für die Intereffen der Arbeiter.

Das Berliner Volksblatt

erfcheint täglich Morgens außer nach Sonn- und Festtagen. Abonnementspreis für Berlin frei in's Haus vierteljährlich 4 Mart, monatlich 1,35 Mart, wöchentlich 35 f. Boftabonnement 4 Mt. Einzelne Nr. 5 Pf. Sonntags- Nummer mit illuftr. Beilage 10 Pf. ( Eingetragen in ber Postzeitungspreisliste für 1885 unter Nr. 746.)

Redaktion: Beuthstraße 2.

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beträgt für die 3 gespaltene Petitzeile oder deren Raum 40 Pf. Arbeitsmarkt 10 f Bei größeren Aufträgen hoher Rabatt nach Uebereinkunft. Inserate werden bis 4 ühe Nachmittags in der Expedition, Berlin SW., 3immerstraße 44, sowie von allen Annonces Bureaux , ohne Erhöhung des Preises, angenommen.

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Mit dem 1. Oktober eröffnen wir ein neues Abonnement auf das

" Berliner Volksblatt"

mit der Gratisbeilage

,, Illuftrirtes Sonntagsblatt".

Unser Blatt, das Blatt der Arbeiter, welches die Intereffen der Arbeiter treu und fest gewahrt hat und ferner auch wahren wird, sieht nunmehr auf anderthalb Jahre seines Bestehens zurück. In dieser Zeit haben wir manche Erfahrung gesammelt, wir haben erkannt, daß unsere Aufgabe nicht leicht ist, aber wir haben unser ganzes Vertrauen auf die Berliner Arbeiterwelt gesetzt, und dieses Vertrauen ist nicht getäuscht worden. Bahlreiche Freunde hat das Berliner Volksblatt" fich in der Zeit seines Bestehens erworben, und die Arbeiter sehen ein, daß wir the Intereffen nach bestem Wissen und nach bestem Können vertreten. Unser Programm ist bekannt, wir brauchen es hier nur kurz anzudeuten.

Wir treten zunächst ein für politische Freiheit, allgemeines gleiches direktes Wahlrecht für Reich, Staat und Gemeinde, Vereins- und Versammlungsfreiheit, Preßfreiheit, gleiches Recht für Jedermann. Aber neben der politischen Freiheit kämpfen wir für soziale Gleichberechtigung. Diese wird angebahnt durch Erstrebung höherer Löhne, Verkürzung der Arbeitszeit, Abschaffung der Sonntags- und Kinderarbeit, Regelung der Gefängnißarbeit, Beschränkung der Frauenarbeit und Einführung einer Maximalai beitszeit und in Verbindung damit auch eines Minimalarbeitslohnes. Politische Freiheit, soziale Gleichberechtigung, das ist unsere Parole.

Arbeiter, Handwerker Berlins !

Die Kommunalwahlen nahen heran, und wenn in der Kommunal Verwaltung etwas in unserem Sinne erreicht werden soll, dann dürft Ihr auch Euer Drgan nicht vergessen, welches Euch im Wahlkampf gegen Heuchelei und Reaktion träftig zur Seite stehen wird. Im nächsten Quartal werden wir im Feuilleton des Hauptblattes den spannenden Roman

,, Die Hand der Nemesis"

Don

Ewald August König

veröffentlichen. Der Name des Verfassers giebt hinlängliche Bürgschaft für den Werth des Werkes. Eine besondere Sorgfalt wird unserer illustrirten Gratisbeilage zugewendet werden, wir bringen zunächst den Roman ,, Sünden der Väter". Der Roman schildert in fesselnder Weise die politischen und sozialen Zustände Rußlands . Von aufrichtiger Wahrheitsliebe beseelt, entrollt der Verfasser ein ergreifendes Bild des von den wildesten Leidenschaften zerrissenen Nachbarreiches. Die zweite Novelle: Frau Therese", von dem liebenswürdigen Erzähler Erdmann. Chatriau, wird allen unseren Lesern gleichfalls einen hohen Genuß bereiten. Keiner dürfte die Novelle, ohne ernste Anregung und Belehrung empfangen zu haben, aus der Hand legen. Das

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mit der Gratisbeilage Clustrirtes Sonntagsblatt"

Berliner Volksblatt" mit der Gratisbeilage,

foftet wie bisher 4 Mark pro Quartal, 1 Mart 35 Pf. pro Monat, 35 Pf. wöchentlich. Bestellungen werden von sämmtlichen Beitungs- Spediteuren, sowie von der Expedition, Zimmer­ftraße 44, entgegengenommen. Für Außerhalb nehmen sämmtliche Postanstalten Bestellungen an. Wohl find wir der feften Ueberzeugung, auch bis jetzt schon unsere Schuldigkeit gethan zu haben, aber immer noch mehr soll es unsere Aufgabe sein, unserem Berufe, die Interessen des arbeitenden Volles wahrzunehmen, gerecht zu werden. Der heutigen Nummer liegt ein Bestellzettel bei, wir bitten, recht ergiebigen Gebrauch von demselben zu machen.

Revolution von Oben.

Die orientalische Frage ist wieder da und der alte Knäuel von Katastrophen und Verwickelungen ist in den Vordergrund alles öffentlichen Interesses gerollt. Die durch den Berliner Vertrag getrennten Bulgaren haben sich ver­einigt und der Battenberger, der Fürst von Bulgarien , hat fich an die Spike dieser Umwälzung gestellt. Oftrumelien, bas sich im Aufstande befindet, war im Berliner Vertrag von 1878 als selbstständige Provinz mit christlicher Ver­waltung unter türkischer Oberhoheit konstituirt worden. Nun hat sich die ganze Provinz von der Pforte losgelöst, und fich an das Fürstenthum Bulgarien angeschlossen. Battenberger hat natürlich diesen Zuwachs seines Reichs mit Freude begrüßt. Allerdings fragt sich nun, was kommen wird, benn was geschehen, ist nur der erste Aft eines Drama's.

Der

Die Redaktion des Berliner Volksblatt".

Vertrag durchlöchert hat. Wenn das sich so verhält, wird doch ein blutiger Kampf zwischen den Bulgaren und der Pforte kaum zu vermeiden fein, denn man wird dann zulassen müssen, daß sich die Pforte Ostrumelien wieder zurückerobert. Auf dem Wege des Vertrags wird diese zurückerobert. Rücknahme schwerlich zu bewirken sein, denn die Bulgaren in Ostrumelien find, wie sich zeigt, bereit, für ihre Unab­hängigkeit von der Türkei zu kämpfen. Aber wenn auch die Mächte mit dem Vorgehen des Battenberger's einverstanden wären, so wäre damit der Friede auf der Balkanhalbinsel doch nicht gesichert. Wenn die Veränderung, die Alexander von Bul­ garien bewirkt hat, anerkannt wird, dann ist der ganze Berliner Bertrag zerrissen und der gähnende Schlund der orienta­lichen Frage klafft wieder in seinem ganzen Umfang auf. lichen Frage klafft wieder in seinem ganzen Umfang auf. Dann sind wir wieder so weit, wie in San Stefano.

So ist es möglich, daß die herrlichen Rosenthäler des Balkan wieder mit einem anderen Roth gefärbt werden, als mit dem Roth ihrer Blumen: mit dem Roth des in den Schlachten fließenden Blutes.

Man könnte glauben, der russische Rubel befinde sich wieder auf Reisen, wenn man die großen Journale lieft. Sie betheuern sämmtlich, Rußland habe mit der Revos lution in Rumelien gar nichts zu thun; sie betheuern es mit so rührender Einstimmigkeit, daß man es fast glauben möchte. Leider aber weiß man nur zu genau, daß die ganzen Veränderungen auf der Balkanhalbinsel , die seit einem Jahrzehnt vor sich gegangen, genau auf dieselbe Weise bewirkt worden sind. In der Herzegowina , in Bosnien , in Serbien und in Albanien hat der russische Rubel zur Erregung von Aufständen gegen die Pforte sein Möglichstes gethan nnd die Insurgenten haben sich öffentlich ein für die russische Hilfe bedankt. Der Fürst von Montenegro ist einfach ein russischer Agent und als Rußland ihm einen Hafen am adriatischen Meere verschaffte, hatte es seine eigenen Vorposten bis dahin vorgeschoben. Es ist lächerlich, bie Welt über die Rolle des heiligen Rußland auf der Baltanhalbinsel täuschen zu wollen. Man kann die wüh­lende Hand Rußlands in den Wirren jener Halbinsel deut­lich erkennen.

Nun fönnte es uns im Allgemeinen ja gleichgiltig sein, was dort am Balkan vor sich geht. Die Türken haben so viel und so wenig ein Recht auf die Oberherrschaft am Balkan wie Andere und jene Völker find befugt, sich selbstständig zu konstituiren, in welcher Form sie immer wollen. Wenn damit die Sache abgethan wäre, so wär's gut, aber so einfach liegt sie eben nicht.

Aus Wien wird berichtet, die Mächte, die den Berliner Bertrag unterzeichnet haben, seien gegen das Vorgehen des Battenbergers, der mit seiner Revolution den Berliner

Rußland wird sich natürlich so stellen, als bedauere es diese Vorfälle. Die offiziösen Petersburger Blätter werden in jenem heuchlerischen Tone, den sie bei solchen Gelegen­heiten anzuschlagen pflegen, der Welt betheuern, daß man in Petersburg nur den Frieden wolle. Wenn aber die Pforte ein Heer gegen die Bulgaren sendet, so wird man gleich sehen, wie Rußland den letzteren den Rücken deckt. Wir halten den Berliner Vertrag nicht für nicht für Meisterstück diplomatischer Kunst. Man hätte wissen können, daß die Provinz Oftrumelien in jener Ver­fassung, die ihr der Berliner Vertrag gab, nicht lange bleiben werde. Aber der Berliner Vertrag war doch immer­hin ein Versuch, die orientalische Frage auf friedlichem Wege zu lösen. Rußland machte den Versuch mit und hat nunmehr den Vertrag wieder gesprengt. Ganz entsprechend den Traditionen und Gewohnheiten dieser famosen russischen Diplomatie. Die Gefahr eines europäischen Krieges scheint in der Wagschale der Bedenken bei diesen Herren von gar keinem Gewicht zu sein. Sie haben einmal ihr Ziel: den Sturz der Pforte und die Aufpflanzung der russischen Fahren am Bosporus . 1878, als schon die Kosaden vor den Mauern Konstantinopels standen, gab das gesammte übrige diplomatische Europa den Russen doch deutlich genug zu verstehen, daß man die russische Herrschaft am Bosporus nicht wolle. Rußland gab sich scheinbar zufrieden. Diejenigen, die damals die russische Friedensliebe ernst nahmen, dürften nunmehr wohl hinreichend enttäuscht sein.

Man sieht, der große Störenfried im Osten läßt nicht nach. Mitten im Frieden werden weitreichende Verschwö rungen angezettelt und Umwälzungen bewirkt, die den euro päischen Frieden auf's Aeußerste gefährden. Man sollte doch glauben, in solchen Momenten müßte überall die Eins ficht zum Durchbruch kommen, daß die Staaten in West­und Mitteleuropa das dringendste Interesse haben, sich gegen den großen Störenfried im Osten zu verbinden, denn dies ist der einzige Weg, um ihm sein Handwerk zu legen. Nur wenn er eine geschlossene Koalition gegen sich hat, werden feine Wühlereien und Intriguen erfolglos bleiben.

Wir bleiben damit eine Stimme in der Wüste, das wissen wir. Aber wir halten es nicht für unmöglich, daß mit der Zeit das Interesse des Westens, sich gegen die ruffia schen Friedensstörungen zu schüßen, gebieterisch zum Durchs bruch kommen wird. Ünd je eher das geschieht, desto besser ist's.

Spanischer Kriegsfanatismus.

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die

Deutschland hat aus dieser Ueberzeugung haben wir vom Anfang an fein Hehl gemacht einen schweren politi schen Fehler begangen, als es, der leidigen Kolonialpolitik zu Liebe, Befit ergriff von den Karolinen , einer nahezu ganz werthlosen Inselgruppe. Allerdings glauben wir, daß ple Reichsregierung diesen Schritt nicht in der Abficht that, um mit Spanien Händel anzufangen. Ein solcher Schritt wäre ja abfolut sinnlos. Auch ist anzuerkennen, daß fie in dem entbrannten Streite seither eine durchaus forrefte Haltung, berechnet auf gütliche Beilegung des Konfliktes, beobachtet hat.

Um so abstoßender ist der Eindruck, den der so gänzlich unmotivirte spanische Kriegsfanatismus auf uns macht.

Jeder Vernünftige wird zugeben, daß ein Krieg mit Spanien wegen der getrennten Lage der Länder physisch unmöglich ist; er ist auch moralisch unmöglich, weil er eine Lächerlichkeit wäre. hätten die Spanier so bemerkte fürzlich die" Frankf. 3tg. eine Ahnung davon, wie grotest fie in ihrer Kriegswuth aussehen, die nur die einzige Wirkung hat, daß fie uns an die spanischen Landsleute Don Quichotte von der Mancha und seinen Knappen Sancho Pansa erinnert, so würden sie wohl etwas bedächtiger und ernster auftreten.

Es macht einen tragikomischen Eindruck, in spanischen Beitungen jest Beschreibungen zu finden über die Lage in Deutschland , die den Spaniern klar darthun, wie es nur Heere Europas gegen Berlin in Marsch gesetzt werden, so einer Aufforderung von Madrid aus bedarf, damit alle daß die spanische Armee noch ruhig zu Hause bleiben könnte. Dabei werden fich, erzählt man dem spanischen Publikum,

gleichzeitig alle Parteien in Deutschland erheben, Sozials