Nr. 227.

Dienstag, den 29. September 1885.

II. Jahrg.

Berliner Volksblatt.

Drgan für die die Interessen der Arbeiter.

Das Berliner Volksblatt

Abonnementspreis für Berlin frei in's Haus vierteljährlich 4 Mart, monatlich 1,35 Mart, wöchentlich 35 f. Bostabonnement 4 Mt. Einzelne Nr. 5 Pf. Sonntags- Nummer mit illuftr. Beilage 10 Pf. ( Eingetragen in der Postzeitungspreisliste für 1885 unter Nr. 746.).

fcheint täglich Morgens außer nach Sonn- und Festtagen.

Insertionsgebühr

beträgt für die 3 gespaltene Petitzeile oder deren Raum 40 Pf. Arbeitsmarkt 10 f Bei größeren Aufträgen hoher Nabatt nach Uebereinkunft. Inserate werden bis 4 thr Nachmittags in der Expedition, Berlin SW., 3immerstraße 44, sowie von allen Annoncen Bureaux , ohne Erhöhung des Preises, angenommen.

Redaktion: Beuthstraße 2. Expedition: Bimmerstraße 44.

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Abonnements- Einladung.

Mit dem 1. Oktober eröffnen wir ein neues Abonnement auf das

Berliner Volksblatt" mit ber Gratisbellage lustrirtes Sonntagsblatt".

Unser Blatt, welches die Intereffen der Arbeiter treu und fest gewahrt hat und ferner auch wahren wird, steht nunmehr auf anderthalb Jahre seines Bestehens zurüd. In dieser Beit haben wir manche Erfahrung gesammelt, wir haben erkannt, daß unsere Aufgabe nicht leicht ist, aber wir haben unser ganzes Vertrauen auf die Berliner Arbeiterwelt gesezt, und dieses Vertrauen ist nicht getäuscht worden. Bahlreiche Freunde hat das Berliner Volksblatt" fich in der Beit seines Bestehens erworben, und die Arbeiter sehen ein, daß wir ihre Intereffen nach bestem Wissen und nach bestem Können vertreten. Unser Programm ist bekannt, wir brauchen es hier nur furz anzubeuten.

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Wir treten zunächst ein für politische Freiheit, allgemeines gleiches direktes Wahlrecht für Reich, Staat und Gemeinde, Vereins- und Versammlungsfreiheit, Preßfreiheit, gleiches Recht für Jedermann. Aber neben der politischen Freiheit tämpfen wir für soziale Gleichberechtigung. Diese wird angebahnt durch Erstrebung höherer Löhne, Verkürzung der Arbeitszeit, Abschaffung der Sonntags- und Kinderarbeit, Regelung der Gefängnißarbeit, Beschränkung der Frauenarbeit und Einführung einer Maximalarbeitszeit und in Verbindung damit auch eines Minimalarbeitslohnes. Politische Freiheit, sosiale Gleichberechtigung, das ist unsere Parole.

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Arbeiter, Handwerker Berlins !

Die Kommunalwahlen nahen heran, und wenn in der Kommunal- Verwaltung etwas in unserem Sinne erreicht werden soll, dann dürft Ihr auch Euer Organ nicht vergessen, welches Euch im Wahlkampf gegen Heuchelei und Reaktion fräftig zur Seite stehen wird. Im nächsten Quartal werden wir im Feuilleton des Hauptblattes den spannenden Roman Die Hand der Nemesis" von Ewald August König

veröffentlichen. Der Name des Verfaffers giebt hinlängliche Bürgschaft für den Werth des Werles. Eine besondere Sorgfalt wird unserer illuftritten Gratisbeilage zugewendet werden, wir bringen zunächst den Roman Sünden der Väter". Der Roman schildert in feffelnder Weise die politischen und sozialen Zustände Rußlands . Von aufrichtiger Wahrheitsliebe befeelt, entrollt der Werfaffer ein ergreifendes Bild des von den wildesten Leidenschaften zerriffenen Nachbarreiches. Die zweite Novelle: Frau Therese", von den liebenswürdigen Erzähler n Erdmann. Shatriau, wird allen unseren Lesern gleichfalls einen hohen Genuß bereiten. Keiner dürfte die Novelle, ohne ernfte Anregung und Belehrung empfangen zu haben, aus der Hand legen.

Das

Berliner Volksblatt" mit der Gratisbellage Illustrirtes Sonntagsblatt"

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loftet wie bisher 4 Mart bro Quartal, 1 Mart 35 Pf. pro Monat, 35 Pf. wöchentlich. Bestellungen werden von sämmtlichen Beitungs- Spediteuren, sowie von der Expedition, Zimmer­ftraße 44, entgegengenommen. Für Außerhalb nehmen sämmtliche Postanstalten Bestellungen an. Wohl find wir der festen Ueberzeugung, auch bis jetzt schon unsere Schuldigkeit gethan zu haben, aber immer noch mehr soll es unsere Aufgabe sein, unserem Berufe, die Interessen des arbeitenden Voltes wahrzunehmen, gerecht zu werden. Der heutigen Nummer liegt ein Bestellzettel bei, wir bitten, recht ergiebigen Gebrauch von demselben zu machen. Wenn jeder bisherige Abonnent seinem Drgan einen Die Redaktion des Berliner Volksblatt". neuen zuführt, so hat er seine Schuldigkeit gethan.

Der volkswirthschaftliche Kongrek.

3u Nürnberg waren wieder jene Herren beisammen, die alljährlich sich versammeln, gut essen und trinken, dazu einige Reben halten und sich dann volkswirthschaftlicher Kongreß" nennen. Ein stolzer Name fürwahr, um so stolzer, als auf diesem Rongresse" nur eine volkswirthschaftliche Richtung vertreten ist, nämlich jene Richtung, welche St. Mans chester zum Schußheiligen hat.

Das große Wort auf diesem Rongreß" führte, wie gewöhnlich bei solchen Gelegenheiten, Dr. Barth, der sich zur Aufgabe gestellt hatte, die Interessen des von ihm ver­tretenen mobilen Rapitals gegen die Interessen des Grund­befizes zu verfechten. Der literarische Schüßling der Herren Bamberger und Rickert, der ein von ihm herausgegebenes Wochenblatt mit dem bescheidenen Namen Die Nation" geschmückt hat, hatte die schöne Aufgabe, sich zu geberden, als sei der Rampf der Vertreter des mobilen Rapitals gegen die des immobilen ein Rampf von freiheitsliebenden Volksmännern gegen eine reaktionäre Gewalt, genau so, wie sich die großen Grundbefizer gerne als Anwälte des armen Mannes auf­spielen. Ob alle diese Auguren von rechts und links wohl bas Lachen halten können, wenn sie sich unter vier Augen begegnen?

Und nun lesen wir wieder in den freisinnigen"

Bingend verboten.]

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Feuilleton.

Das Mormonenmädchen.

Amerikanische Erzählung

Don

Balduin Möllhaufen.

( Fortsetzung.)

" Hast Du gehört?" fragte sie ihren Onkel leise, und zugleich hielt fie fich mit beiden Händen am Sattel, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren.

Ich habe es gehört, mein gutes Rind," antwortete biefer, der ebenfalls auf einige Augenblicke außer Faffung gerathen war. Dann aber sprang er vom Pferde, und in­dem er Hertha behutsam aus dem Sattel hob, sprach er ihr freundlich zu.

Sei start, mein Rind," sagte er zärtlich, als Hertha

Blättern, daß in Nürnberg die Wissenschaft gesprochen hat, die Volkswirthschaft! Beneibenswerthes Deutschland- Dr. Barth und Wissenschaft! Wir haben uns immer kostbar amüsirt, wenn einer dieser geborenen Handelskammerfekretäre á la Barth die deutsche Wissenschaft zu repräsentiren vor­gab und sich aufblies bis zum 3erplagen wie jener be­fannte Frosch der Fabel. So auch diesmal, denn es ist in der That ein interessantes Schauspiel, dieser Papageienarbeit zuzusehen, dieser mechanischen Aufzählung von ehrwürdigen Gemeinpläßen, die dann stolz als Wissenschaft" in das große Buch der Geschichte der volkswirthschaftlichen Kongreſſe eingetragen werden.

"

Barth, Baumbach und Weigert- wo dies Dreigestirn glänzt, da geht es dem armen Normalarbeitstag schlecht; noch schlechter aber naturgemäß dem Normal arbeitslohn", welche Bezeichnung Herr Baumbach für den Minimallohn dem Publikum aufdrängen will. So wurde denn in Nürnberg selbstverständlich eine Resolution angenommen, welche sich gegen Normalarbeitstag und Nor­malarbeitslohn also gegen den Minimallohn, der gesetz­lich festzustellen ist- ausspricht, dagegen die mögliche lich festzustellen ist Reduktion der Arbeitszeit als erstrebens­werth bezeichnet".

"

Es geschehen Beichen und Wunder! Die Jünger St. Manchesters halten also eine Reduktion der Arbeitszeit nicht

gab, worauf er an Hertha's andere Seite trat, um fie nach ben Belten hinzubegleiten.

,, So jung und doch schon so bittere Erfahrungen!" entgegnete er in seiner finnenden, liebevollen Weise; es ist hart, mein liebes Kind, und dennoch entgehen nur wenig Menschen diesem Loose. Von denen aber, die zu leiden aus­erforen find, giebt es noch weniger, die mit chriftlicher De­muth ihr Kreuz auf sich nehmen und selbst in dem größten Unglück Gottes Hand erkennen."

Als der Missionär dies sagte, hatten sie sich dem Lager bis auf wenige Schritte genähert; in demselben Augenblick trat aber eine hohe schöne Frauengestalt hinter dem 3elt hervor, um den Missionär und dessen Gäste willkommen zu heißen.

Mechanisch lüftete Jansen den Hut; faum hatte er in­dessen seine Blicke zu der jungen Frau erhoben, so bedeckte Todesblässe sein Gesicht.

" Herr des Himmels!" rief er entfeßt aus, dann aber

nur für ,, möglich", sondern sogar für erstrebens­werth". Vor Kurzem noch hätte man Jebem, ber diesem volkswirthschaftlichen Kongreß eine solche Resolution vor­gelegt hätte, mit sittlicher Entrüftung den Vorwurf entgegen­geschleudert, er wolle ,, die Freiheit der Arbeiter" beeinträchtigen. Barth, Baumbach und Weigert sind ja bewährte Kämpfer für die Freiheit"; fie müssen also die Freiheit, zu arbeiten so viel man will, dem Arbeiter wahren. Welche Recheit war es früher in den Augen dieser Herren, zu behaupten, eine Reduktion der Arbeitszeit sei möglich"! Das mußten doch die Arbeitgeber am besten wissen, denn diese lassen ja - nach Barth- Baumbach'scher Volkswirthschaft so lange arbeiten, als für fie nothwendig ist.

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genau

Aber es ist offenbar in der öffentlichen Meinung ein Umschwung vor sich gegangen in Bezug auf diese Ange legenheit; weite Kreise auch außerhalb der Arbeiterwelt sind nach und nach der Anschauung beigetreten, daß eine Ber­fürzung der übermäßig langen Arbeitszeit nicht für die Ar­beiter allein, sondern für das ganze Volt nugbringend sein würde. Da zahlen denn Barth- Baumbach Weigert dem Beitgeist auch ihren Tribut; sie erklären die Verkürzung der Arbeitszeit für möglich".

Nun könnten wohlmeinende Leute fragen: Ja, wenn die Herren die Verkürzung der Arbeitszeit für möglich hal­ten, warum erklären sie sich denn gegen einen Normalarbeits

Entzücken über das unerwartete Wiedersehen empfunden; auf Hertha dagegen war das plögliche Erscheinen der Todt geglaubten und Beweinten von betäubender Wirkung ge wesen. Ihre Gedanken hatten fich verwirrt, fie wußte nicht, o fie die Schwester in Wirklichkeit vor sich sehe, oder ob fie träume, und wie ihre Gedanken in einander verschwammen, verloren auch die sie umgebenden Gegenstände vor ihren Augen die bestimmten Formen.

Erft als sie neben ihrer Schwester auf dem Rasen ruhte, biese ihr unter heißen Rüssen und Thrähnen des reinsten Glückes und der tiefsten Wehmuth die süßesten Namen gab und sie in einem Athem innig bat und ängstlich beschwor, endlich ihre Augen aufzuschlagen und sie anzublicken, ba gab fich durch krampfhaftes Schluchzen das zurückgekehrte Be­wußtsein zu erkennen.

fich schwer auf seinen Arm lehnte, gewinne es über Dich, fins er Sertha, bie bewußtlos nieberzufinken drohte, in seine Wangen in den Bart rollten, bie bewiesen seine defe grah

nicht durch jeden 3ufall die traurigen Bilder der Vergangen­heit vor Dir erscheinen zu lassen."

O, Onkel, war es mir doch, als hätte sie gerufen; verzeihe mir, so, nun ist Alles wieder gut," fuhr fie fort, es tam zu plöglich; zuerst die Aehnlichkeit des Kindes, bann die Stimme Ihr seht," wendete sie sich dann schwermüthig lächelnd dem erstaunten Miffionär zu ,,, auch ich habe in meinem Leben schon so traurige Erfahrungen gemacht, daß die Erinnerung an die Vergangenheit mich zu weilen übermannt. Aber nun ist Alles wieder vorüber, und ich bin bereit, Euch zu folgen."

Der Missionär, den Knaben noch immer auf dem Arme, rief einen Indianer herbei, dem er die beiden Pferde über

Der Missionär dagegen stand da, als sei er vom Blik getroffen worden. Er ahnte und errieth wohl die Wahr heit, aber selbst für ihn war es zu plöglich, zu unverhofft gekommen.

Aufklärungen.

Die scheidende Sonne warf einen letzten Blick über ben nahen Gebirgskamm und beleuchtete eine ergreifende Szene.

Die junge Frau faß auf dem Erdboden, und an ihrer Bruft lehnte Hertha, die Jansen behutsam hatte niebergleiten lassen. Holmsten's Gattin, denn sie war es ja, batte bei dem Anblicke der geliebten Schwefter nur das stürmischste

Der Missionär stand vor den Schwestern; den befrembet dreinschauenden Knaben hatte er auf den Arm genommen, doch die hellen Thränen, die ihm über die wettergebräunten rung und in wie hohem Grade er die Ausbrüche schwester licher Liebe und Anhänglichkeit würdigte und die Freude ber Wiedergefundenen theilte.

Er sprach nicht, aber daß es ihm vergönnt gewesen, Beuge dieses Wiedersehens zu sein, das erfüllte ihn mit stiller Bufriedenheit. Bildete es doch einen Lichtpunkt mehr in seinem Leben, auf welchem der in der Vergangenheit schweifende und suchende Geist mit Wohlgefallen raften fonnte.

Jansen befand sich einige Schritte von der lieblichen Gruppe entfernt, die Hände hielt er vor sich gefaltet, und tiefe Rührung und unbefiegbare 3weifel tämpften auf seinen ernsten Bügen um den Vorrang.

Wie ein Strahl des Glückes leuchtete ihm das Bild der